Menschen, Güter und Nachrichten konnten im 19. Jahrhundert nur auf den Ozeanen von Kontinent zu Kontinent gelangen. Dabei setzten sich die Dampfer allmählich gegen die Segler durch. In den Häfen lagen um 1900 noch beide Arten von Schiffen. Dieser Kontrast zwischen Alt und Neu faszinierte die Betrachter.

Großbritannien war nicht nur die unangefochtene Seemacht, sondern auch der mit Abstand wichtigste Betreiber von Werften. Wilhelm II. wollte zum Vereinigten Königreich aufschließen. Er hielt es nicht für möglich, das von ihm erträumte Kolonialreich ohne eine schlagkräftige Kriegsmarine zusammenzuhalten. Der "Deutsche Flottenverein" mobilisierte die Bevölkerung für die Aufrüstung der Seestreitkräfte.

Die Künstler reagierten auf diesen Enthusiasmus mit Marinebildern. Nicht nur Spezialisten interessierten sich für Hafen und Werft, sondern auch "Freilichtmaler" wie Leopold Graf von Kalckreuth. Im Zusammenspiel von Wind und Wellen, von Feuer und Wasser vollzog sich für sie eine stimmungsreiche Auflösung der Form.

 

Hier stößt alles aufeinander: rastlose Arbeit, schrille soziale Kontraste, kühner Wagemut des Unternehmertums, das Technische, Ingenieurhafte der Gegenwart, und ihre wilde Lust, die Natur zu zähmen, sie dienstbar zu machen.
Und aus all dem überwältigenden Gewirr von breiten Wassermassen mit tanzenden grünen Wellen, von drohenden Schiffsleibern und schlankem Takelwerk, von finstern Speichern und ragenden Schloten von Nebel und Wolken, Rauch und Dampf und Dunst und Ruß baut sich eine "Landschaft" zusammen, wie sie keine frühere Epoche kannte, und wie sie malerisch nur das Zeitalter des Impressionismus bezwingen konnte.

Max Osborn über Friedrich Kallmorgens Gemälde des Hamburger Hafens, in: Kunst für Alle, 1910

 

 

 

 

 

 

 

 

Cornelius Wagner (Dresden 1870 - 1956 Söcking)
Der Hamburger Hafen in seiner Blütezeit, vor 1914
Öl auf Leinwand, 114,5 x 164,5
Bremerhaven, Deutsches Schiffahrtsmuseum
Im Zentrum des Gemäldes steht die "Potosi", ein 132 Meter langer Fünfmaster, der 1895 in Geestemünde (heute Bremerhaven) für den Transport von Salpeter aus Chile nach Deutschland gebaut worden war. Dieses Rohmaterial wurde für die Herstellung von Kunstdünger und Sprengstoff benötigt. Eingerahmt wird das Segelschiff von zwei Dampfern - eine Konstellation, die den Kontrast zwischen alter und neuer Zeit, zwischen Natur und Technik symbolisiert. Zwischen den Seeschiffen tummeln sich kleinere Fahrzeuge für den Transport von Gütern und Personen: Schuten und Leichter stellen die Verbindung zwischen Schiff und Land her; Jollen befördern die Hafenarbeiter zu ihren Einsatzorten. Ein Getreideheber löscht den am linken Bildrand liegenden Dampfer; Schlepper bewegen die Seeschiffe in den Hafen hinein und wieder hinaus.

Als Wahrzeichen des Hamburger Hafens galt der auch von Friedrich Kallmorgen (Kat. Nr. 76) ins Bild gerückte, 1875 eröffnete Kaispeicher A auf der Landzunge zwischen Sandtorhafen und Grasbrookhafen. In dessen Turmspitze befand sich bis 1934 eine von der Hamburger Sternwarte aus gesteuerte Zeitball-Anlage, die den Schiffsbesatzungen einen Zeitabgleich ermöglichte: Ein schwarzer Ball wurde dort jeden Tag um 11.50 Uhr Greenwicher Zeit langsam hochgezogen und exakt zehn Minuten später fallen gelassen. Genaue Uhren waren nötig, um auf See die geographische Länge bestimmen zu können.
Ähnlich wie Burn (Kat. Nr. 73) und Krause-Wichmann (Kat. Nr. 74) kam es dem in Dresden ausgebildeten, auf Marinemalerei spezialisierten Wagner darauf an, ein bestimmtes Schiff an einem identifizierbaren Ort zu porträtieren; anders als Kalckreuth (Kat. Nr. 77) und Grethe (Kat. Nr. 78) war er nicht vorrangig an einer atmosphärischen Schilderung des Zusammenspiels von Wind und Wellen interessiert. AS

Meyer-Friese 1981, S. 116; Maak 1985, S. 21f.; Rath 1988, S. 21-76; Scholl 1998
Bibliographie

 

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DIE ZWEITE SCHÖPFUNG-
Bilder der industriellen Welt vom
18. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Eine Ausstellung des
Deutschen Historischen Museums


31. Juli bis 21 Oktober 2002
im Martin-Gropius-Bau

Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Tel.: 030/ 25486-0
Stadtplan-Link (www.berlin.de)


Öffnungszeiten

täglich außer dienstags 10 bis 20 Uhr

Verkehrsverbindungen
S- und U-Bahn Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof
Bus 200, 248, 348 Haltestelle Potsdamer Platz
Bus 129 Haltestelle Anhalter Bahnhof

Eintritt
6 ,- € incl. Audioführung, ermäßigt: 4,-€