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Politische Broschüren
im Kalten Krieg
1967 bis 1963
(von Klaus Körner)

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"Europa ruft!"
         

Das Gegenstück zur Abwehragitation gegen die Sowjetunion und die DDR war die Werbung für die westeuropäische Integration. Eines der Ziele der amerikanischen Eindämmungspolitik war die Eingliederung Westdeutschlands durch die Marshall-Plan-Hilfe. Das Auslandshilfegesetz der USA für 1949 sah vor, daß die Erfolge des Marshall-Plans angemessen zu bewerben seien. Im allgemeinen betrug der Anteil des Aufwands für Verwaltung und Werbung fünf Prozent der Kreditsumme, in Westdeutschland jedoch wegen der Grenzlage zur kommunistischen Welt 30 Prozent.

Die ersten Werbebroschüren für den europäischen Wiederaufbau hatten noch die Militärregierungen herausgegeben. Nach der Gründung der Bundesrepublik kam es den USA aber gerade darauf an, daß die Westdeutschen im Kalten Krieg Stellung bezögen. In ihrem ersten völkerrechtlichen Vertrag über den Beitritt zur Marshall-Plan-Organisation verpflichtete sich die Bundesrepublik 1949 ausdrücklich zu Werbemaßnahmen. In Hamburg hatte sich auf Anregung des US-Geheimdienstes unter dem Dach des "Deutschen Buch-Verlages" ein Kreis ehemaliger Propagandamacher aus der Berliner Wilhelmstraße zusammengefunden, die sich gerade im Nürnberger "Wilhelmstraßenprozeß" wiederbegegnet waren. Zu dem schon erwähnten Bernhard Woischnik stießen der frühere Leiter der Presseabteilung Dr. Paul Karl Schmidt und sein früherer Mitarbeiter Hans-Georg von Studnitz.

Sie erhielten den Auftrag, wirksame Europa-Broschüren zu schreiben. Diese sollten, anders als die ideologisch argumentierenden Schriften der ersten Nachkriegszeit, die mit Marshall-Plan-Mitteln ermöglichten konkreten Aufhauerfolge herausstreichen und mit der Perspektive des Zusammenwachsens Westeuropas verbinden. Die Schriften sollten auch regional unterschiedlich und für verschiedene Zielgruppen in besonderer Weise gestaltet sein. So gab es besondere Schüler-Broschüren und Arbeiter-Broschüren.

        

Die Schriften sahen wie Klein-Illustrierte aus, kurze Texte wurden durch Bilder, Zeichnungen und Graphiken ergänzt. Neben einer Vorliebe für Europa-Karten, auf denen die Staatsgrenzen verschwunden sind, wurden eindrucksvolle Produktionsstatistiken aufgeführt und Organigramme der verschiedenen europäischen Institutionen. Dem Leser wurde das Gefühl vermittelt, als sei der Zeitgeist oder die unwiderstehliche Macht der Geschichte am Werk. Genau genommen gab es nicht einen Auftraggeber, sondern drei, den USA-Geheimdienst, die Marshall-Plan-Verwaltung in Frankfurt und das Marshall-Plan-Ministerium in Bad Godesberg. Neben der Hamburger Woischnik-Gruppe gab es in der Bundesrepublik noch etwa acht bis zehn weitere Werbeverlage dieser Art. Da war es schon eine Auszeichnung, daß der Auftrag, eine Festschrift zur Demonstration der europäischen Jugend an der deutsch-französischen Grenze am 8. August 1950 nach Hamburg ging. Diese vom Bundeskanzleramt initiierte Veranstaltung war als Gegenstück zu dem Pfingsttreffen der FDJ in Berlin gedacht. Dazu erschien eine Schrift mit dem Titel: "Die Grenzen nieder! Europa ist unsere Rettung"; als Verfasser war Dr. P. C. Holm angegeben so nannte sich Dr. Paul Karl Schmidt damals.

               

Faltblatt der KPD, 1950Die Europa-Werbung erhielt 1950 eine neue Richtung, als der französische Außenminister Robert Schuman die Zusammenlegung der westeuropäischen Kohle- und Stahlindustrie unter der Verwaltung einer supranationalen Behörde vorschlug. Die Bildung der Montanunion sollte dann den ersten Schritt zur Überwindung der Nationalstaaten und zur Schaffung eines supranationalen europäischen Bundesstaates sein. Was 1947 noch Utopie war, schien 1950 in greifbare Nähe gerückt zu sein. Und die Westdeutschen kostete die Zustimmung praktisch nichts. Einen Nationalstaat, auf den sie hätten verzichten müssen, den besaßen sie nicht. Dafür wurden sie mit einem Schlag die Produktionsbeschränkungen und Kontrollen los, die die Alliierten im "Ruhrstatut" verfügt hatten. Unmittelbar nach der Unterzeichnung des Vertrags über die "Montanunion" im April 1951 setzte die zweite Phase der Europawerbung ein.

            

Werbung für die Westintegration war die zentrale Aufgabe des neuen Staatssekretärs im Bundeskanzleramt, Otto Lenz. "Nachmittags war ich bei de Neufville und verlangte eine halbe Million für die Schumanplanpropaganda", schrieb Lenz am 25. April 1951 in sein Tagebuch. "Neufville" war der Deckname eines deutschen Emigranten, der als amerikanischer Geheimdienstoffizier zurückgekehrt war und Lenz in den nächsten beiden Jahren mit Millionenbeträgen förderte. Lenz hatte ein Netz von Agenturen und Vereinen aufgebaut. Diese führten Veranstaltungen durch, klebten Plakate und verteilten Broschüren, mit denen für Europa geworben wurde. Verbindungsstelle zwischen den Vereinen und dem Bundeskanzleramt war das Büro Neumann in Bonn. Erich Peter Neumann kannte Lenz schon aus Berlin, wo er als PR-Mann des Landes Sachsen und als Redakteur des "Berliner Tagesblattes" bzw. von "Das Reich" das Handwerk der politischen Propaganda erlernt hatte.

            

Zwei Jahre später konnte Staatssekretär Lenz stolz vorweisen, daß noch nie in Deutschland eine solch konsequente Propaganda betrieben worden sei. Von den amerikanischen Fördergeldern profitierte auch die "Europa-Union" in Frankfurt, die mit Ausstellungen und Broschüren unter dem Motto "Europa ruft!" warb. Auch die Gewerkschaften waren in das Förderprogramm einbezogen. Der Gewerkschaftliche Beratungsausschuß der ERP in Paris, dem der DGB-Vorsitzende Hans Böckler angehörte, warb für Europa mit der Flugschrift "Deine Arbeit und Deine Zukunft". In der Europa-Stadt Luxemburg tagte ein Unterausschuß des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften für den Schuman-Plan. Kurz darauf erschien im gewerkschaftlichen Bund-Verlag in Köln die Broschüre "Das steht im Schumanplan". Binnen zwei Jahren stieg die Zustimmung zu Adenauers Westintegrationspolitik von 20 auf über 50 Prozent an.

              

Die Bundestagswahl 1953 konnte schon im Frühjahr als von Adenauer gewonnen gelten. Doch dann wurden die Politik-Werber in Bonn zu Opfern ihrer Erfolge. Der US-Geheimdienst schaltete seine westdeutschen Partner im April kurzfristig ab. Prominenteste Opfer waren: der Vorsitzende der "Europa-Union", Eugen Kogon, der zurücktreten mußte, weil seine Organisation in einem Finanzdebakel gelandet war; Otto Lenz wurde vom Kanzler fallengelassen, als er versuchte, aus seinen Organisationen ein Informationsministerium zu bilden; Eberhard Taubert wurde zum schlichten Zuwendungsempfänger des Gesamtdeutschen Ministeriums, das sich vorbehielt, jede seiner Schriften vorher zu begutachten.

               

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