MARY
PANZER
Yousuf Karshs historischer Platz in der Porträtfotografie
Popularität und Ruhm des Fotografen Yousuf Karsh haben Kritiker häufig
von der Überlegung abgehalten, welchen Platz dieser Künstler in der
Fotografiegeschichte einnimmt. Teilen seines Werks haftet eine konventionelle
Förmlichkeit an, die auf den ersten Blick typisch für ihn scheint
- oder eher noch, typisch für ein vergangenes Jahrhundert. Außerdem
zählt Karsh zu einer großen Gruppe erfolgreicher Porträtfotografen
- wie Arnold Newman, Philippe Halsman, Irving Penn und Richard Avedon
- die mit ihren Arbeiten in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg
Neuland eroberten. Ihre Arbeiten galten lange nicht als Kunst, weil
sie in kommerziellen Zeitschriften wie Life und Look, Vogue, Picture
Post und Maclean's abgedruckt wurden. Auf der Suche nach Anerkennung
veränderten Ende der sechziger Jahre einige dieser Fotografen ihren
Stil. Halsman liebäugelte mit der Pop Art und ergänzte seine Figurenstudien
durch Strukturen und Verzerrungen. Arnold Newman zerriß seine Fotos
und setzte sie zu Collage-Porträts wieder zusammen. Andere schufen
Bilder bar aller Kommerzialität - Avedon hielt seinen Vater in dessen
letzten Lebensmonaten in einer Porträtserie fest, deren ungeschminkte
Direktheit Aufsehen erregte. Penn komponierte elegante Stilleben aus
Zigarettenkippen und zerdrückten Getränkedosen, die er aus der Gosse
sammelte. Karsh setzte nie seine Popularität aufs Spiel, um die Zustimmung
der Kritiker zu erlangen; dennoch war er einer der ersten Fotografen,
der eine breite Anerkennung als Künstler genoß und dem Kunstbücher
und Ausstellungen gewidmet wurden. In diesem Sinne ist er ein Vorläufer
jener Fotografen heutzutage, für die ein Widerspruch zwischen Kunst
und Kommerz nicht mehr existiert.
Karsh lernte sein Handwerk bei John Garo, der wie er ein armenischer
Immigrant war und um die Jahrhundertwende in Boston ein Studio für
Porträtfotografie eröffnete. Als Karsh 1928 eine dreijährige Lehre
bei ihm begann, hatte Garo den Höhepunkt seiner Karriere - "professionell,
nicht künstlerisch" - bereits überschritten; auf den jungen Karsh
wirkte es trotzdem, als "studiere er bei Michelangelo". Garos Atelier
mit dem Mahagonimobiliar, den Perserteppichen und Jagdtrophäen kam
dem jungen Einwanderer geradezu märchenhaft vor - später verglich
er diese Einrichtung mit jener des Citizen Kane in Orson Wells berühmtem
Film. Karsh schien dieses Ambiente gerade recht für Garos Kundschaft,
die Bostoner Ostküsten-Aristokratie, also "die Großen jener Zeit".
Wichtiger aber war, daß Karsh den konservativen, kunstfertigen Stil
Garos übernahm, dessen Sorgfalt bei der Komposition und dessen Geschick,
mit Licht umzugehen - eine Fähigkeit, umso erstaunlicher, wenn man
bedenkt, daß Garos einzige Beleuchtungsquelle ein großes Oberlicht
im Dach war, das er mit einer besonderen Schiebevorrichtung regulieren
konnte. Bei Dunkelheit, spätnachmittags oder an trüben Tagen konnte
er nicht arbeiten. Am meisten imponierte Karsh jedoch Garos Fähigkeit,
neben seinem wohlkalkulierten Vorgehen beim Fotografieren "sein
Modell in Bann zu schlagen und zu verzaubern". Obwohl Karsh später
betonte, daß Garo zwar "seine Vorgehensweise, weniger aber seine
Interpretation" beeinflußt habe, entspricht seine vielgerühmte Technik
eigentlich genau dieser Beschreibung. Bei Garo entdeckte Karsh auch,
welches Gewicht die Tradition besaß - er studierte die Reproduktionen
von Rembrandt- und Velàsquez-Porträts, und erlebte, wie sein Lehrer
in einer Zeit, in der technischer und visueller Fortschritt in der
Fotografie sich geradezu überschlugen, allen Stilinnovationen widerstand.
1931, als Karsh Garos Atelier verließ, war die Ästhetik der Moderne
auch bis Boston vorgedrungen; in Cambridge, Mass., veröffentlichte
Lincoln Kirstein in Hound and Horn die Fotografien von Walker Evans.
Aus dieser Perspektive betrachtet ist Karsh einer der traditionellsten
Fotografen unserer Zeit und im Hinblick auf Vision und Stil ein
letztes Bindeglied zu den Studio-Porträtisten des neunzehnten Jahrhunderts.
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Auszüge
aus dem gleichnamigen Katalog zur Ausstellung - "YOSUF
KARSH - Helden aus Licht und Schatten",
mit freundlicher Genehmigung des G+H Verlages, Berlin.
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Auffällig
sind daneben Karshs Anleihen bei den Piktoralisten, die sich um
den Ersten Weltkrieg immer noch großer Popularität erfreuten. Um
1890 hatte Alfred Stieglitz in New York mit einer Gruppe Fotografen
den Versuch unternommen, die Fotografie als Kunst zu etablieren.
Um 1910 hatte der fotografische Stil der Gruppe vorhersagbare Formen
angenommen, und Stieglitz setzte sich von den Fotografiezirkeln
in die Welt der modernen Kunst ab, doch immerhin hatten seine Bemühungen
ein substantielles Netzwerk von Clubs, Zeitschriften und Foto-Salons
zur Folge. Während der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts
stützte sich die Fotokunst auf die von ihm eingeführten ästhetischen
Prinzipien. In seiner Spätphase wurde der Piktoralismus zu einer
fotografischen Weltbewegung, deren uniformes ästhetisches Bestreben
die Arbeiter von Tokio bis Moskau vereinte. Die späten Piktoralisten
produzierten angenehme Bilder, die sich durch kompositionelle Stärke
und schlichte Gefühle auszeichneten; Amateurfotografen und professionelle
Porträtisten fanden in dieser Stilrichtung ihr Zuhause. Noch 1930
stellte Karsh mit Erfolg in den Salons der Piktoralisten aus - sowohl
in Ottawa als auch in London erhielt er öffentliche Anerkennung.
Karsh
behauptete, daß die künstliche Beleuchtung ihn von den Konventionen
der Fotokunst befreite - bei genauerer Betrachtung ermöglichte sie
ihm andererseits, gerade diese Konventionen beizubehalten. Wenn
er seinen Modellen in deren Geschäftszimmer, Amtssitze, Ateliers
und Wohnungen folgte, bot gerade seine Beherrschung des Kunstlichts
die Chance, daß er die Kontrolle über das Geschehen behielt, und
zwar so absolut, wie andere Fotografen sonst nur in ihren Studios.
So konnte er in jeder Umgebung seine typischen, stilisierten Porträts
machen, was ihm ein enormes Maß an Selbstvertrauen gab - abzulesen
an der simplen Geste, mit der er Winston Churchill die obligatorische
Zigarre aus der Hand nahm - was wohl zum berühmtesten Stirnrunzeln
des zwanzigsten Jahrhunderts führte.
Wie
von Karsh immer wieder erzählt, begründete dieses Porträt seine
Karriere. 1943 schickten die Public Archives of Canada (heute: National
Archives of Canada) Karsh nach London, um die "Kriegshelden Großbritanniens"
im Bild festzuhalten. Im darauffolgenden Jahr wurde Karsh von Wilson
Hicks, dem Bildredakteur von Life, beauftragt, in Washington eine
ähnliche Serie mit den amerikanischen Helden des Zweiten Weltkriegs
zu machen. Wenige Jahre später sollte er die Mitglieder der gerade
gegründeten Vereinten Nationen fotografieren, und bald darauf schickte
man ihn nach Hollywood, um die berühmtesten Filmstars abzulichten.
1946 veröffentlichte Karsh viele dieser Arbeiten in seiner ersten
Monografie Faces of Destiny (Schicksalsgesichter). Der Direktor
der National Gallery of Canada, Charles Comfort, lobte das Buch
besonders, weil Karsh darin verdeutlichte, daß auch Fotografie "von
einem erfahrenen, urteilssicheren Künstler manipuliert, aufbereitet
und human gestaltet werden kann". Comfort bezeichnete die Atmosphäre,
mit der Karsh seine Modelle umgab, als "künstlerischen Halbschatten".
Viele dieser Arbeiten wirken heute überhohlt und formal, doch für
die damaligen Betrachter trafen sie einen wesentlichen emotionalen
Punkt. Karshs Publikum empfand es als glaubhaftes Anliegen, "ein
Schlaglicht auf jene Größen zu werfen, die es verdienten, in die
hohen Ränge der Menschheit einzugehen" - jedes Gesicht in diesem
Buch besaß diese Ausstrahlung. Demnach befriedigte er mit seinen
Arbeiten ein außerordentliches Bedürfnis und benutzte dazu ein überaus
populäres Medium. Karsh profitierte von den Reminiszenzen an die
heroischen Führer der Krisen- und Kriegszeit. Diese durchdrangen
die öffentliche Wahrnehmung seiner Berühmtheiten. Karshs Mischung
aus Ruhm, Würde und einer Prise Triumph weckte Gefühle weit über
den Bildrand hinaus; letztendlich brachten sie dem Fotografen einen
guten Ruf und dem Medium Fotografie einen hohen Stellenwert. Wie
sehr Karsh in seiner Popularität und künstlerischen Anerkennung
von den Illustrierten abhing, kann nicht genug betont werden. Im
Mai 1959 als Popular Photography eine Gruppe von 243 Kritikern,
Lehrern, Verlegern, Art Direktoren, Fachberatern und Fotografen
aufforderte, die "zehn bedeutendsten Fotografen der Welt" zu bestimmen,
zählte Yousuf Karsh zu den Auserwählten - neben Richard Avedon,
Henri Cartier-Bresson, Irving Penn, Alfred Eisenstaedt, W. Eugene
Smith, Philippe Halsman, Gjon Mili und Ernst Haas: Fotografen, die
allesamt eng mit den führenden Illustrierten zusammenarbeiteten.
Heutzutage existieren Hunderte von Fernsehsendern, Tausende von
Illustrierten, dazu eine unendliche Zahl Websites; doch in den Nachkriegsjahren,
als Karsh sich einen Namen machte, beherrschte das Fernsehen noch
nicht die öffentliche Imagination. Zeitschriften wie Life, Maclean's,
Picture Post, Paris Match und Stern hatten wenig Konkurrenz. Der
ästhetische Standard der großen Hochglanzmagazine - die brillanten
Kontraste und monumentalen Kompositionen - war unübertroffen. Abgesehen
davon blieb Karsh sich - wie Garo und dessen piktoralistische Kollegen
- in seiner Bildsprache so rigoros treu, daß selbst Zufallsbetrachter
seine Arbeiten wiedererkannten. Seine Porträts der großen Berühmtheiten
gingen um den Globus - Churchill, Königin Elizabeth II., Charles
de Gaulle - mit ihnen prägte sich der Name "Karsh" einem breiten
Publikum ein.
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Auszüge
aus dem gleichnamigen Katalog zur Ausstellung - "YOSUF
KARSH - Helden aus Licht und Schatten",
mit freundlicher Genehmigung des G+H Verlages, Berlin.
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Karshs
Männer und Frauen wirken wie fremde, ferne Wesen von einem anderen
Stern - die Normalität bleibt ausgespart, es zählen nur weltpolitische
Verantwortung, kulturelle Ziele oder anderweitiges Streben. Heute
bringt uns das Fernsehen Politiker und Prominenz ins Wohnzimmer.
Die Großen sind uns vertraut geworden - und das nicht ohne Makel.
Die Mode änderte sich - der Publikumsgeschmack blieb gern jenem
Stil treu, der am meisten Vergnügen und Trost bietet. Das wußte
Karsh. Seine Kunst liegt darin, den altmodischen Tugenden zeitgenössischen
Glanz zu verleihen. Besonders in seinem Spätwerk wird dieses Talent
noch einmal überdeutlich; Karsh war kein Kunstgriff zu schade, seine
Modelle mit einer würdigen Aura zu umgeben. Er hüllte sie - viktorianisch
und futuristisch-außerirdisch - in Samtschatten und Lichtschimmer.
In
der Fotografiegeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts verdient Yousuf
Karsh in jedem Kapitel einen Platz. Seine Anfänge liegen zu Beginn
des Jahrhunderts, als tüchtiger Studio-Fotograf, der mit Erfolg
die Wünsche einer anspruchsvollen, konservativen Kundschaft befriedigte.
In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg absorbierte er die strengen
Standards, künstlerischen Ambitionen und emotionalen Qualitäten
der Piktoralisten. In der Mitte des Jahrhunderts und danach perfektionierte
er seinen Porträtstil, gab den populären Magazinen Glanz und Glamour
- und diese Magazine, vor allem Maclean's und Life, verhalfen ihm
zum Beifall eines Massenpublikums. Seinen bleibenden Ruf festigte
Karsh durch seine Fotobände und Ausstellungen in den großen Museen
der Welt. Er suchte dabei - und fand - kritische Anerkennung besonders
von jener Seite, deren Urteil ihm am meisten am Herzen lag: der
breiten Öffentlichkeit, die ihn als Künstler - und seine Fotos als
Kunststücke - feierte.
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Die Textzitate stammen allesamt aus den biografischen Schriften
Yousuf Karshs.
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Aus:
Yousuf Karsh - Helden aus Licht und Schatten,
Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, erschienen im G+H
Verlag, Berlin.
ISBN 3-931768-49-X
Der
Katalog ist über den Museumsladen des Deutschen Historischen
Museums zu beziehen und kann per email unter
meiske@dhm.de bestellt werden.
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