JANET
YATES
Das heroische Portrait
Die Fotografien Yousuf Karshs sind Zeugnis einer bewundernswerten
Meisterschaft - sie berühren die Imagination der breiten Öffentlichkeit.
Ihr Stellenwert hat inzwischen historische Dimensionen. Mit seiner
Fotografiekunst hat Karsh im Verlauf seiner weit über ein halbes
Jahrhundert reichenden Karriere einprägsame Bilder der Großen und
Schönen in die Welt gesetzt. Aber das Wesen dieser Bilder entzieht
sich mancher Erklärung, denn es gründet auf unserer unerklärlichen
Sehnsucht nach Größe.
Bei
der Analyse seiner berühmten oder auch weniger bekannten Aufnahmen
stoßen wir auf neue Gesichter des Fotografen Karsh. Rahmenbedingungen
und Richtung werden von der Zeit und dem Ort bestimmt, in denen
Karshs Werk entstand. Doch womöglich läßt eine erneute Betrachtung
der Umstände, unter denen sich seine Kunst entwickelte, das Gesamtwerk
in neuem Licht erscheinen - die Entstehung und Entwicklung des großen
Ruhms, den Karsh in Nordamerika und Europa genießt.
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Auszüge
aus dem gleichnamigen Katalog zur Ausstellung - "YOSUF
KARSH - Helden aus Licht und Schatten",
mit freundlicher Genehmigung des G+H Verlages, Berlin.
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Das
heroische Porträt
Karshs
Porträts bestechen zuerst durch ihren heroischen Glanz, und genau
dieser berührt uns zutiefst. Also gilt dem Heroischen an seiner
Fotografiekunst unsere besondere Aufmerksamkeit. Wie Roland Barthes
schrieb, "sind die großen Porträtfotografen auch große Mythologen.
(1)"
Karsh schuf einen Schatz öffentlicher Ikonen, um die sich eine Fülle
von Geschichten und Assoziationen rankt.
Ein
Held wird allgemein wegen seiner Taten und Tugenden bewundert; Held
- Erinnerungen an griechische Sagen: Herkules, Odysseus, Achilles,
die Götter des Olymp. In der Moderne ist diesem Begriff die ursprüngliche
Tragik abhanden gekommen; moralische Größe, Können und Widerstandswillen
sind dazugekommen. Obendrein zeichnet sich heute ein Mensch, der
aus eigenem Antrieb dem Guten dient, geistige Größe zeigt und das
Leben lebenswert macht, durch sein Wissen aus. Betrachtet man von
diesem Standpunkt aus den modernen Helden, wird umso deutlicher,
was Karsh für seine Betrachter festhielt.
Karshs
Modelle wußten, daß sie vor großem Publikum ins Rampenlicht traten,
wenn sie vor seiner Kamera Platz nahmen. "Karsh - Sie haben mich
unsterblich gemacht!" rief der kanadische Zeitungsmagnat Lord Beaverbrook,
als er sein Porträt zu Gesicht bekam. Nie widersprachen die Modelle
der Veröffentlichung ihrer Abbilder. Wie die Statuen der Römer fanden
sie ihr öffentliches Forum.
Karsh
posierte all seine Kunden selbst, setzte sie in Szene, um "die Größe
mit einem Blitz hervorzuzaubern". Er glaubte an "den einen Augenblick,
in dem Augen, Hände, Haltung zum Spiegel des Verstands, des Herzens
und der Seele werden. Diesen Moment heißt es festzuhalten. Den flüchtigen
Augenblick der Wahrheit (2)."
So etwa lautete der Ehrenkodex, nach dem Karsh den Umgang mit seinen
Modellen gestaltete: "Ich bin mir gewiß, daß niemandem gedient wäre,
wenn ich statt der menschlichen Größe die schwachen Momente meines
Gegenübers zutage förderte. Diese sind es nicht wert, festgehalten
zu werden." (3) Also konnten
seine Modelle sich ganz auf ihn verlassen - er setzte sie ins beste
Licht. Karsh gab gern zu, daß er seine Helden verehrte. (4)
Sein Bewußtsein des Heroischen durchdrang sein Wesen, seinen Stil
und konsequenterweise seine Fotografien. Man hat die These aufgestellt,
"daß Karsh den Horror seiner frühen Erfahrungen nicht als Grund
zur Bitterkeit ansah, sondern ihn als Impuls für ein lebenslanges
Interesse an wahrer Größe und positiver Macht nutzte (5)."
Schon in frühen Jahren übernahm Karsh Moral, Wertsystem und Vorstellungen
über die Rolle der Geschlechter, die in seiner Wahlheimat Kanada,
und mehr oder minder im gesamten kolonial geprägten Britischen Empire
herrschten. Er machte Karriere in einer Gesellschaft, die an eine
bessere Zukunft durch wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt
glaubte. Karshs Werk basiert "auf einer Philosophie, die Würde,
Güte und Genie des Menschen vertritt (6)."
Karsh
benutzte seine Bildsprache, um äußere Identität und menschliche
Größe seiner Modelle zu unterstreichen. Gestik, Mimik, Blick - die
Körpersprache fördert den Charakter des Porträtierten zutage; die
Botschaft ist eindeutig. Dabei unterstreicht die Beleuchtung zusätzlich
die Geschichte, die Karsh erzählen will. Auch die Requisiten stützen
den Eindruck, den er hinterlassen möchte. Wie ein Souffleur gibt
er eindeutige, interpretatorische Stichworte. Seine Ikonografie
ist für europäische und nordamerikanische Betrachter dementsprechend
eingängig. Kein Wunder, daß seine Porträts für Briefmarken und Banknoten
verwendet wurden und weite Verbreitung in Illustrierten und in anderen
Massenmedien fanden.
Karsh
schuf Vorbilder und mit ihnen ein überzeugendes Helden-Pantheon
- Figuren, zu denen wir aufsehen können. Nahe fühlen wir uns diesen
Helden, weil "die Fotografie uns die Welt näherbringt, als sie in
Wirklichkeit ist (7)." Insgeheim
fürchten wir zwar die Fehlbarkeit dieser Helden, doch Karsh macht
sie für uns glaubhaft. Zu seinen Heroen zählen auch die Künstler:
die Schauspielerin Ruth Draper, zum Beispiel, die mit ihrer One-Woman-Show
das Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen verführte - es aber
auch zu Tränen rühren konnte. Sie benutzte bei ihren Auftritten
kaum Requisiten, höchstens einen Schal, ein Tuch; auf Karshs Foto
von 1936 ähnelt sie einer griechischen Göttin, angesiedelt zwischen
Komödie und Tragödie. Eigentlich folgte Karsh in seiner Darstellungsweise
den klassischen Porträtmalern des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts
- einem Van Dyck oder Joshua Reynolds. Ähnlich mystisch stellte
er auch Jean Sibelius dar - mit geschlossenen Augen und einer nach
dem Herzen greifenden Hand; ein Mann, der der Symphonie seines Innern
lauscht. In Karshs Porträtkunst summieren sich Nuancen und Gesten
zu einem Ergebnis, das über die Summe der faßbaren Details hinausgeht.
Ein
besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist das Porträt der amerikanischen
Malerin Georgia O'Keeffe in ihrem Atelier in Abiqui, New Mexico.
Sie existiert, abgeschirmt wie in einem Sanktuarium, in dem sie
in völliger Ruhe ihre Kunst ausübt. Ich, ihr Gegenüber, versetze
mich in ihre Person und spüre ihrer Kreativität nach. Schwarz gekleidet,
mit glatt gekämmtem Haar und ausgeprägtem Gesicht wirkt sie völlig
im Einklang mit sich selbst. Auch ich, die Betrachterin, bin inspiriert,
ehrfürchtig und fühle mich angesprochen, ohne mein Leben umkrempeln
oder selbst Höhenflüge riskieren zu müssen. Also - Karsh verkleinerte
den Abstand zwischen der Kreativität seines Modells und der Normalität
des Betrachters. Das visuelle Erleben seiner Bilder verbindet zwei
Welten.
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Auszüge
aus dem gleichnamigen Katalog zur Ausstellung - "YOSUF
KARSH - Helden aus Licht und Schatten",
mit freundlicher Genehmigung des G+H Verlages, Berlin.
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Publikum
und Verbreitung der Bilder
Karsh
kannte seine Betrachter und wußte sie zu bedienen. Obwohl er sein
Hauptwerk den Prominenten dieser Welt widmete, waren Publikum und
Hauptabnehmer die breite Öffentlichkeit - die ihn berühmt machte.
Als großer Menschenkenner und begabter Mythenbilder schuf er nicht
nur wunderbare Fotos, sondern er wußte auch für wen. "Fotografieren
heißt Bedeutung verleihen" (8)
- genau dies tat Karsh und die Öffentlichkeit applaudierte. Die
breite Öffentlichkeit, in Nordamerika wie in Europa, wußte seine
Porträts der Reichen, Schönen und Mächtigen durchaus zu schätzen.
Karshs
Bekanntheitsgrad wurde durch die Verbreitung seiner Fotos enorm
befördert. Wie schon in den Anfängen der nordamerikanischen Porträtfotografie
galt auch in der Ära Karsh, daß "der wahre Erfolg der Prominentenporträts
in der Schaffung eines Markts lag" (9).
Karshs Popularität spiegelt seine vielseitige Meisterschaft; er
war und ist eine eindrucksvolle Persönlichkeit, talentiert, charmant
und ungeheuer arbeitsam - im Verlauf seiner Karriere erfüllte er
weit über 15.000 Porträtaufträge. Immer war er ein Meister der Intuition.
Karsh baute seine Kontakte zu den Medien und politischen Organisationen
systematisch auf - was ihm viele Türen öffnete. Eine Briefserie
vom Herbst 1933 (10) beleuchtet,
mit welchem Geschäftssinn er aus seinem gerade eröffneten Atelier
in Ottawa seine Kontakte zu Zeitschriften in Montreal und Toronto
pflegte. Er bot den Zeitschriften Fotos von Debütantinnen aus Ottawa
an, umsonst oder gegen Honorar, je nach Zeitschrift, je nach Stand
der Geschäftsbeziehungen. In jedem Fall bestand er auf der Nennung
seines Namens, seines später weltberühmten Logos "Karsh of Ottawa",
und forderte dieses bei Nichtnennung vehement ein. (11)
Folglich wurde er bald mit den Prominenten, die er ablichtete in
einem Atemzug genannt. (12)
Schon
bevor Karsh im Herbst 1933 sein eigenes Atelier eröffnete, griff
er aktiv im den Vertrieb seiner Fotos durch die Massenmedien ein.
Beim Dominion Drama Festival lernte er Adele M. Gianelli, die Gesellschaftsredakteurin
von Saturday Night kennen und schickte ihr im folgenden Mai eine
Reihe Aufnahmen zur Begutachtung und eventuellen Veröffentlichung.
(13) Besonders zu diesem Magazin,
das in Toronto den Markt beherrschte, entwickelte er über den Herausgeber
B. K. Sandwell eine intensive, dauerhafte Geschäftsbeziehung. Kurz
nachdem Saturday Night im Dezember 1933 eine ganze Seite seiner
Fotos von der "Romeo und Julia"- Aufführung des Ottawa Little Theatre
abgedruckt hatte, sicherte die Zeitschrift sich das Exklusivrecht
an Karshs Arbeiten. (14)
(Interessanterweise
schrieb Karsh darüber in seiner Biographie, "die Prominenz der Schauspieler
habe dabei neben dem Können des Fotografen womöglich eine Rolle
gespielt!" (15)) Für seine
Theaterfotos und Gesellschaftsreportagen bedeutete der Abdruck in
Saturday Night ein exponiertes Schaufenster, und die Zeitschrift
ihrerseits war mit seinen eindrucksvollen Aufnahmen mehr als zufrieden
- besonders natürlich als sie im Januar 1942 exklusiv das berühmte
Churchill-Porträt veröffentlichen konnte.
Seine
ersten politischen Kontakte knüpfte Karsh ebenfalls durch seine
Verbindungen zum Ottawa Little Theatre, und zwar über den Sohn des
Generalgouverneurs, Viscount Duncannon, und seine Freundschaft mit
Solange Gauthier. Durch beider Vermittlung erhielt er die Chance,
den Vertreter der englischen Krone in Kanada, Generalgouverneur
Lord Bessborough und dessen Frau, zu fotografieren. Karsh pflegte
auch diesen Kontakt und porträtierte später dann den nächsten Gouverneur,
Lord Tweedsmuir (John Buchanan); außerdem kultivierte er seine Beziehungen
zum kanadischen Premierminister, William Lyon Mackenzie King. Sein
Draht zur höchsten politischen Ebene Kanada ermöglichte, daß er
1936 in Quebec Franklin D. Roosevelt - den ersten amtierenden amerikanischen
Präsidenten, der Kanada besuchte - neben Lord Tweedsmuir und William
Lyon Mackenzie King in Quebec im Bild festhielt.
Je
bekannter Karshs Bilder wurden, desto besser funktionierte sein
Erfolgsrezept; inzwischen wurden seine Fotos überregional verbreitet.
1938 verhalf B. K. Sandwell ihm zu einer Einzelausstellung in Toronto,
die später im Chateau Laurier in Ottawa gezeigt wurde. (16)
Diese Ausstellungen brachten Karsh nicht nur ein neues Publikum,
sondern unterstrichen auch den Kunstcharakter seiner Arbeiten. Die
durch seine politischen Kontakte ermöglichten Churchill-Porträts
ermöglichen schließlich seinen internationalen Durchbruch. Mit zunehmender
Bekanntheit wird er mit großen Aufträgen betraut, wie 1943 mit der
Porträtserie britischer Persönlichkeiten, für die er von Saturday
Night einen Vorschuß und von den National Archives of Canada ein
Empfehlungsschreiben erhält. Dieser Portefolio besitzt bereits internationalen
Charakter, die Aufnahmen gehen auch außerhalb Kanadas durch die
Presse; die London Illustrated News drucken einen Großteil von ihnen
ab. (17) Diese Bilder, dazu
die Musikerporträts für eine RCA Werbekampagne und Aufträge des
Magazins Life zählen zu Karshs bekanntem Frühwerk. Viele erschienen
in Karshs erstem Buch "Faces of Destiny". Nun konnte man sich seine
Fotos ins Haus holen. Karshs Bildtexte unterstrichen noch einmal
den für ihn typischen heroischen Blick; seine Anekdoten verknüpften
Fotograf und Modelle miteinander und förderten den Ruhm des Schöpfers.
Karsh
bediente die breite Öffentlichkeit im Grunde nach den Prinzipien
der Marktwirtschaft. Verbreitung, Häufigkeit und Produkt-Engagement
- nach diesen Werbefaktoren brachte er das Produkt - in diesem Fall,
Karsh - an den Konsumenten. Der Kreislauf funktioniert bis heute:
Die Vertrautheit der Bilder steigert nicht nur unsere Begeisterung,
sondern verstärkt auch die Erinnerung an sie. Sicher war die Qualität
der Aufnahmen der Schlüssel zur Veröffentlichung - doch erst die
wiederholte Darstellung in den unterschiedlichsten Publikationsorganen
machte die Person des Fotografen so populär. Je mehr Fotos von Karsh
veröffentlicht wurden, desto mehr verlangte die breite Öffentlichkeit
danach, desto stärker entwickelte sich die Nachfrage seitens der
Medien. Mit der Zeit wurde Karsh zunehmend zum Partner bei der Schaffung
eines konsumentenfreundlichen Bildermarktes.
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Auszüge
aus dem gleichnamigen Katalog zur Ausstellung - "YOSUF
KARSH - Helden aus Licht und Schatten",
mit freundlicher Genehmigung des G+H Verlages, Berlin.
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Das
Gesamtwerk
Die
diesen Katalog begleitende Ausstellung liefert den umfassenden Beweis
für Yousuf Karshs enormes Werk über sechs Jahrzehnte. Zu den gezeigten
Bildern gehören die Prominentenfotografien, seine kommerziellen
Projekte, die Filmstandbilder - dazu seine Anfänge bei seinem Onkel
Nakash in Ottawa. Bewundernd stehen wir vor einem gewaltigen, kunstvollen
und variationsreichen Œuvre. Zugleich fordert das Werk dieses bedeutenden
Fotografen die Analyse nach den gegenwärtigen Standards geradezu
heraus - Analyse zur Steigerung des Verständnisses und der Vertiefung
der Bewunderung. Dieser Katalog möchte das Verhältnis zwischen Bewunderung
und Analyse verdichten.
Die
über 300 Fotografien und 45 Druckerzeugnisse der Ausstellung bieten
eine einzigartige Chance, Yousuf Karsh nicht nur oberflächlich kennenzulernen,
sondern seine lange und schillernde Karriere eingehend zu bewerten.
Ein beträchtlicher Teil der ausgestellten Fotografien wird zum erstenmal
in der Öffentlichkeit gezeigt. Bei Sichtung des in den National
Archives of Canada aufbewahrten Materials zu Karshs Leben faszinierte
mich immer wieder die gebotene Vielfalt. Er schuf nicht nur "Faces
of Greatness", sondern seine Bilder zeugen von erstaunlicher Lichtbeherrschung;
die Porträts sind immer noch faszinierend, selbst seine kommerziellen
Arbeiten bestechend.
Doch
nach welchen Kriterien kam eine Fotografie in Umlauf? Hielt Karsh
Arbeiten zurück, die ihm nicht gefielen - die er weniger schätzte?
Vielleicht blieben so viele Bilder unbekannt, weil Karsh kein Interesse
seitens der Öffentlichkeit vermutete, selbst wenn er das Resultat
schätzte. Manche Aufnahmen, so "Weizenfarmer der Prärie", auf dem
der Farmer bis zu den Knien im Weizen steht, wurden erst lange nach
ihrer Entstehung im Rahmen einer großen Retrospektive gezeigt. Vermißte
Karsh hier - wie auch bei "Farmer vor seinem Haus" - seinen sonst
so typischen heroischen Blick? Er schrieb einmal: "Ich bezweifele
ernsthaft, daß ein unbekanntes Gesicht bei Fotograf und Betrachter
ähnliches Interesse wie ein prominentes hervorruft. Erwiesen ist,
daß meine Prominentenporträts bekannter als alle meine übrigen Fotografien
sind." (20) Dem fügte er hinzu,
sein Porträt eines älteren Indianers sei "zwar fotografisch bedeutsam",
jedoch bestimmt populärer, hätte es ein guter Maler gemalt, denn
"die besten Porträts finden nicht zwangsläufig Beachtung, weil die
Gesichter interessant sind." (21)
Karsh
ließ es sich während seiner Karriere nie nehmen, die Auswahl seiner
Fotos zur Veröffentlichung selbst zu treffen.
Wie
Susan Sontag schrieb "muß Fotografie, um sich als Kunst zu legitimieren,
den Begriff des Fotografen als auteur kultivieren und dazu die Vorstellung
pflegen, daß alle Fotografien eines bestimmten Fotografen ein Gesamtwerk
bilden (22)." Sie fährt fort,
dies sei natürlich einfacher, wenn das Gesamtwerk auf einer Linie
läge und sich ein Stil ablesen ließe. Karsh selbst erzählte einmal,
wie konsequent er seine "Sammlung" (23)
bekannter Persönlichkeiten erweitert hatte. Ein Bruch durch stilistische
Umorientierung ist in seinem Werk nicht zu entdecken. Er war der
Meister des heroischen Bildnisses; und diese Bildnisse wurden durch
zahlreiche Anekdoten über seine Modelle zu Legenden. Gerade weil
diese Geschichten immer wieder kursierten, machte sich das Publikum
auch ein Bild von Yousuf Karsh. Die Aura der Prominenten färbte
durch den persönlichen Kontakt auf ihn ab. Wie bei den frühen amerikanischen
Porträtfotografen der Fall, wurde er als Fotograf genauso prominent
wie seine Modelle. (24) Zeitschriften
und Kunstbücher trugen dazu bei, sein Werk bekannt zu machen. Das
unbekannte Werk dagegen ist ein faszinierender Beweis für seine
Variationsbreite. Die ›neuesten‹ Arbeiten - Beispiele aus seinem
letzten Portfolio - werden ebenfalls präsentiert.
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Auszüge
aus dem gleichnamigen Katalog zur Ausstellung - "YOSUF
KARSH - Helden aus Licht und Schatten",
mit freundlicher Genehmigung des G+H Verlages, Berlin.
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Möglichkeiten
der Analyse
Karshs
Werk erschließt sich vielseitiger Betrachtung - und zwar durchaus
im Kontrast zur offiziellen Interpretation, die der Fotograf in
Büchern und selbst inszenierten Ausstellungen häufig mitgeliefert
hat. In fünf Artikeln bieten bekannte Spezialisten auf dem Gebiet
der Fotografie, Kunst oder Sozialwissenschaft neue Betrachtungsansätze.
Jede dieser multidisziplinären Perspektiven beleuchtet andere Aspekte
des Yousuf Karsh und seines weniger bekannten, selten publizierten
und kritisierten Werks.
Zum
einen werden Karshs Porträts auf dem traditionellen Hintergrund
der Porträtkunst eingehend untersucht. Sara Stevenson, Kuratorin
der Abteilung Fotografie in der Scottish National Portrait Gallery,
vergleicht Karshs moralischen Heroismus mit der Praxis der frühen
schottischen Porträtfotografen Hill & Adamson. Lilly Koltun, Leitende
Konservatorin der National Archives of Canada, konzentriert sich
auf Karshs Anfänge, seine Entdeckung des Kunstlichts, die Einflüsse
des Theaters, seine Affinität zu den klaren Umrissen, deutlichen
Formen und der Lichtführung einer Neuen Sachlichkeit. Sie bezieht
sich dabei nicht nur auf Karshs eigene Berichte, sondern erforscht
die Trends seiner Zeit.
Die
marxistisch orientierte Historikerin Rosemary Donegan, freie Kuratorin
und Autorin in Toronto, diskutiert den Stellenwert, den Karshs Arbeiterporträts
in seinem Gesamtwerk einnehmen. Karsh sieht den Arbeiter als wesentliches,
humanes Element in scharfem Gegensatz zum ästhetischen Fetisch Maschine.
Auch die frühen Werbeaufträge, die Industriefotografie als Resultat
einer neuen Public Relations Praxis - des Corporate Identity Designs
- werden unter die Lupe genommen. Zudem finden auch jene international
weniger bekannten Arbeiten Karshs Beachtung. Jill Delaney, Archivarin
der National Archives of Canada, stellt Karshs Projekt, die Serie
"Canadian Cities" für die Zeitschrift Maclean's, vor. Sie ordnete
die Städteporträts seiner übrige Porträtkunst unter und demonstriert,
wie er die Mythenbildung seiner Wahlheimat unterstützte. Last, but
not least, bietet die Historikerin und Autorin Mary Panzer einen
fotografischen Überblick über die bedeutende Rolle Yousuf Karshs
in der Geschichte seiner Zunft. In einer Fotografiegeschichte des
20. Jahrhunderts hat dieser Künstler in jedem Kapitel seinen angestammten
Platz.
Ausblick
Karsh
ist in der breiten Öffentlichkeit wegen seiner Bilder und seiner
heroischen Botschaft unvermindert beliebt und bekannt. Die Frage
bleibt, ob dies auch noch in zwanzig Jahren gilt. Ein Blick auf
die berühmten Porträtisten des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts
zeigt, daß nicht die Modelle, sondern die Schöpfer in die Unsterblichkeit
eingegangen sind. Reynolds, Lawrence und van Dyck sind noch heute
Zeugen des heroischen Charakters ihrer Zeit. Vielleicht kommt Karsh
die Rolle eines Tacitus zu, des großen Dokumentators, der eine Epoche
im Bild festhielt. Er selbst schrieb einmal: »Zu meiner großen Zufriedenheit
haben viele Menschen durch meine Fotografien herausragende Persönlichkeiten
unserer Zeit kennengelernt, und ich hoffe, sie haben dabei einen
intimen Einblick und tiefe Einsichten erhalten.« (25)
Diese Ausstellung möchte das Interesse an Yousuf Karsh vertiefen,
und dies in einem Land, in dem zwar seine Bilder bekannt sind, sein
Name jedoch Wenigen vertraut ist. Die damit einhergehende erneute
Analyse wird, davon bin ich überzeugt, neue Aspekte seines Werks
erhellen und die allgemeine Anerkennung und Bewunderung wecken.
(1) Roland
Barthes, Camera Lucida, New York 1981, S. 34.
(2) Yousuf
Karsh, In Search of Greatness: Reflections of Yousuf Karsh, Toronto
1962, S. 95.
(3) Ebenda, S. 101.
(4) Ebenda, S. 155.
(5) Philip J. Pocock, »The Portraitist
at Work« in: Karsh: The Art of the Portrait, National Gallery of
Canada, Ottawa 1989, S. 82.
(6) James Borcoman, »The Art
of the Portrait«, in: Karsh: The Art of Portrait, ebenda, S. 82
(7) Susan Sontag, On Photography,
New York 1989, S. 24.
(8) Ebenda, S. 28
(9) Barbara McCandless, »The
Portrait Studio and the Celebrity: Promoting the Arts«, in: Photography
in Nineteenth Century America, Fort Worth: Amon Carter Museum, New
York 1991, S. 71.
(10) Korrespondenz mit diversen
Zeitschriften, Yousuf Karsh Fonds, R 613, Vol. 4-22, National Archives
of Canada.
(11) In diesem speziellen Fall
schreibt Karsh einen freundlichen, aber harten Brief, der mit dem
Satz beginnt: »Beim Lesen des Standard vom 15. April empfand ich
Begeisterung und Bedauern zugleich« und mit der Frage endet: »Kann
ich mich in Zukunft auf Sie verlassen?« Yousuf Karsh Fonds, R 613,
Vol. 4-23, National Archives of Canada.
(12) In diesem Brief heißt
es, »die in der Zeitung abgedruckten Fotos seien sowohl von den
Abonnenten als auch von der Redaktion hochgelobt worden.« Er schließt
mit »meiner Genugtuung über die feine Arbeit, die Sie leisten.«
Monica Graham vom Montrealer an Yousuf Karsh, 3. Jan. 1935, Yousuf
Karsh Fonds, R 613, Vol. 4-22, National Archives of Canada.
(13) Yousuf Karsh an Adele
M. Gianelli, Redakteurin der Saturday Night, 18. Mai 1933, Yousuf
Karsh Fonds, R 613, Vol. 4-25, National Archives of Canada.
(14) Yousuf Karsh an Saturday
Night, April 1934, Yousuf Karsh Fonds, R 613, Vol. 4-25, National
Archives of Canada.
(15) Karsh, ebenda, S. 49.
(16) Korrespondenz zwischen
B. K. Sandwell und Yousuf Karsh, Yousuf Karsh Fonds, R 613, Vol.
4-25, National Archives of Canada.
(17) Karsh war bereits im Dez.
1934 mit Fotos von »Tobias and the Angel« (Hauptrolle Viscount Duncannon)
an die Zeitschrift herangetreten. Karsh an die Illustrated London
News, 29. Dezember, 1943, Yousuf Karsh fonds, R 613, Vol. 4-22,
National Archives of Canada.
(18) Siehe: John Frain, The
Principles and Practice of Promotion, London 1986.
(19) Siehe: Al Ries u. Jack
Trout, Positioning: The Battle for your Mind, New York 1981.
(20) Karsh ebenda, S. 94.
(21) Ebenda, S. 96.
(22) Sontag, ebenda, S. 137.
(23) Karsh, ebenda, S. 142.
(24) McCandles, ebenda, S.
53.
(25) Yousuf Karsh, A Fifty-Year-Retrospective,
Toronto 1983, S. 23.
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Aus:
Yousuf Karsh - Helden aus Licht und Schatten,
Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, erschienen im G+H
Verlag, Berlin.
ISBN 3-931768-49-X
Der
Katalog ist über den Museumsladen des Deutschen Historischen
Museums zu beziehen und kann per email unter
meiske@dhm.de bestellt werden. |
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