Bewahrung und Überlieferung

Von Plakatsammlern und Plakatsammlungen

 

»Das Plakat ist in Mode gekommen. Es wird gesammelt, von Künstlern, Kunsfreunden und Museen...« das schrieb 1896 Peter Jessen, Direktor der Bibliothek des Kunstgewerbemuseums Berlin (der späteren Kunstbibliothek Berlin) in einem Aufsatz im Kunstgewerbeblatt und signalisierte damit eine völlig neue Einstellung zum Plakat.(80) Der Aufsatz trug den Titel: »Die Kunst im Plakatwesen«. Es war ein Akzent gesetzt, der jedenfalls für deutsche Ohren den Ton eines recht herausfordernden Modernismus in sich trug.

Denn bislang hatte es der deutsche Künstler vermieden, sein Können für eine »Kunst der Straße« zur Verfügung zu stellen; es sei denn man überwand sich, eine Akademie–Ausstellung, womöglich eine der eigenen Akademie, mittels Plakat anzukündigen, und löste gewöhnlich diese Aufgabe durch eine bildmäßige Komposition, auf der historisierend kostümierte Damen als Allegorien der Künste streng blickend und akademisch würdig figurierten. Praktisch gab es zu diesem Zeitpunkt noch kein künstlerisches Plakat in Deutschland – wie Max Lehrs nüchtern in seinem Katalogvorwort zu einer der ersten Ausstellungen internationaler Plakatkunst, veranstaltet im Dresdener Kupferstichkabinett (1896) konstatierte.(81) Jessens o. a. Zitat bezog sich also zunächst auf die Situation in Frankreich, wo sich seit dem Ende der 60er Jahre eine erregende Entwicklung auf dem Gebiet des Anschlagwesens durchgesetzt hat, die alles bis dahin Geleistete in den Schatten stellte.

»... diese junge Kunst ist entstanden, wie alle wahrhaft neuen Gedanken: sie ist das Werk eines Mannes. Dieser Mann ist Jules Cheret« (Jessen). Dessen leichtbeschwingte, virtuose Zeichnung – vermittelt durch eine neuartige Technik der Farblithographie – und eine ebenso leichtfertige Thematik, deren Figuren aus den Pariser Tanzpalästen, Singhallen und Cabarets stammen, erregten Bewunderung und erwiesen sich durch ihre Konzeption als stark genug, um als Plakat die Pariser Straßen zu beherrschen.

Etwa zwei Jahrzehnte lang, bis kurz nach der Mitte der achtziger Jahre herrschte Cheret dort nahezu konkurrenzlos. Dann änderte sich die Situation fast schlagartig. Künstler wie Grasset, Bonnard, Steinlen, Toulouse–Lautrec u.v.a. liefen ihm mit übrigens stilistisch völlig andersartigen Kompositionen den Rang ab und führten das Plakat zu einer unbestrittenen Blüte.(82) Diese neuartig reizvollen Affichen sprachen prompt den Jagdinstinkt der Sammler an. Nun sind Plakate ihrem Wesen und ihrer Bestimmung nach »Consumptibilien«, also Gegenstände, die durch den einmaligen Gebrauch, das Ankleben, verbraucht werden«, wie der Jurist und Sammler von Zur Westen so schön präzise feststellt.(83) Es besteht also für den Sammler das Problem, den Kreislauf von Herstellung und Verbrauch zu durchbrechen. Den ersten Plakatfans bleibt zunächst nichts anderen übrig, als den Plakatklebern aufzulauern, um entweder ihnen das begehrte Stück gegen ein Bestechungsgeld abzuhandeln, oder aber – kaum hatte der Kleber nach getaner Arbeit sich entfernt – das frisch geklebte Stück vorsichtig von der Wand abzulösen und verstohlen nach Hause zu tragen. Diese etwas unbürgerliche Methode hatte natürlich ihre Grenzen. Von den Plakatdruckereien eine größere Auflage zu erwirken, hatte nur Sinn, wenn man den Absatz von einer größeren Anzahl von Plakaten garantieren konnte. Diesen Umstand machte sich der Kunst – und Graphikhandel zunutze – und bald gab es die ersten Angebotskataloge mit recht ansehnlichen Preisen.

»Mehrere Pariser Firmen, wie Edmond Sagot, Kleinmann u. a. widmeten sich fast ausschließlich dem Vertrieb der Plakate zu Sammelzwecken, forderten für die ersten Drucke "avant la lettre", "epreuves d'artiste" mit der handschrifllichen Signatur des Künstlers, wie bei Kupferstichen, doppelte und dreifache Preise, und als nun gar "wissenschaftliche" Fachliteratur und periodische Zeitschriften über Plakate erschienen, sprach man bald von Inkunabeln und Rarissimi der neuen Kunst, für welche unglaubliche Preise verlangt – und bezahlt wurden.«(84) »Dies sonderbare Treiben« – wie es Lehrs etwas irritiert nennt – griff auch auf England und die USA über, wo auch mit den beginnenden neunziger Jahren das künstlerische Plakat mit hervorragenden Leistungen an die Öffentlichkeit trat, »während Deutschland sich vorerst noch spröde verhielt,« weil es dort noch nicht viel zu sammeln gab. Dafür aber fanden die Plakate von Cheret eine begeisterte Aufnahme bei den hiesigen Museumsleuten. Die freizügige Damenwelt auf Cherets Blättern hatte es ihnen sichtlich angetan, wie u. a. aus Äußerungen von Max Lehrs und Justus Brinkmann hervorgeht.(85) Auch der verdienstvolle Privatsammler Walter von Zur Westen gesteht, ein Plakat mit der berühmten Tänzerin Otero habe ihn schlagartig zum Sammler von Plakaten gemacht.(86)

Die Entdeckung der Cheretschen Plakatkunst, ihr mitreißender Elan und ihre virtuose Formbeherrschung bewirkten – angesichts der Reizlosigkeit der deutschen Plakatszene – so etwas wie ein notwendiges Befreiungserlebnis und man beschloß, internationale Plakatkunst systematisch zu sammeln. Lehrs schrieb: »Deshalb verfielen einige Kunstgewerbemuseen, wie namentlich das Hamburger und Berliner, auf die Idee, durch Sammeln der besten Leistungen des Auslands auch bei uns den Künstlern Anregung zum Schaffen mustergültiger Plakate zu geben und zu zeigen, daß die Kunst auf der Straße nicht etwas so Nebensächliches und Unwürdiges sei, wie man sich, durch langjährige Entbehrung überredet, zu glauben gewöhnt hatte.«(87)

Zum Glück waren die Leiter der genannten Institutionen in Hamburg und Berlin, Justus Brinckmann und Peter Jessen, Persönlichkeiten von hoher Agilität, die ihr Gelehrtentum mit einem erfrischenden Unternehmungsgeist kompensierten. Von Jessen z. B. hält sich in der Berliner Kunstbibliothek noch heutzutage die mündliche Überlieferung, er sei mit schöner Regelmäßigkeit nach Paris aufgebrochen, um befriedigt mit einem stattlichen Bündel neu errungener Affichen unter dem Arm zurückzukehren.

Der Einsicht und Entschlußfreudigkeit dieser Persönlichkeiten verdanken Hamburg und Berlin ihre hervorragenden Plakatsammlungen. Dabei ist zu bemerken, daß auch an vielen anderen Stellen mit Erfolg gesammelt wurde: der geistreiche von uns gern zitierte Max Lehrs sammelte für das Dresdener Kupferstich–Kabinett, aber beschränkte sich bewußt auf eine kleine Auswahl, Friedrich Deneken (Schüler von Brinckmann) sammelte für das Krefelder Museum, Gustav Pazaurek für das Landesgewerbemuseum in Stuttgart (im Zweiten Weltkrieg Totalverlust), Max Schmid für das Suermondt–Museum in Aachen. Jedenfalls, »Das Plakat–Sammeln wurde in diesem Zeitraum eine neue Disziplin der Museen, in erster Linie der damals meist noch jungen Kunstgewerbe–Museen.« (88)

Sobald die Bestände einen gewissen vorzeigbaren Umfang erreicht hatten, setzte eine lebhafte Ausstellungstätigkeit ein – in der Hoffnung durch Vorzeigen des Guten behutsam zum Besseren zu überreden. Dabei warnte Jessen die Künstler inständig vor bloßer Kopie: »... daß es nicht darauf ankommt, zu zeichnen wie Cheret oder Grasset oder Bradley oder wer sonst, sondern daß jeder Künstler so zeichnen muß, wie ihm ums Herz ist: nur dann werden wir eine deutsche Plakatkunst haben.«.(89)

Daß den Museen die Sammel– und Ausstellungstätigkeit zunächst allein vorbehalten blieb und der Privatsammler noch eine ephemere Erscheinung war, hat seine Gründe. Es fehlten jegliche Voraussetzungen für eine private Initiative: Der deutsche Kunsthandel hatte das Plakat noch nicht entdeckt; notwendige Instruktionen über die Entwicklung des Plakats im Ausland waren nur spärlich zu bekommen; die einschlägige Literatur über das moderne Plakat in Frankreich, England und den USA (Ernest Maindron, Charles Hiatt u. a.) war gerade erschienen, kam aber nur zögernd und unter Schwierigkeiten in die Museumsbibliotheken und blieb dort mehr oder weniger von der Öffentlichkeit unbemerkt.

Besonders wichtig war die Lektüre des Werkes »Les Affiches illustrées« (Bd. 1 Paris 1886, Bd. 2 Paris 1896) von Ernest Maindron. Peter Jessen schrieb z. B. über die Rezeption des Werkes von Jules Cheret, »dessen Arbeiten vor zehn Jahren in Maindron's erstem Werke zum ersten Male im Zusammenhang auRraten. Man erkannte damals auf den zum Teil farbigen Tafeln des Buches einen virtuosen Zeichner, einen witzigen Erfinder, einen gewandten Arrangeur. Man fühlte, daß dem Plakat endlich einmal ein Meister erstanden war.«(90)

Im Jahr 1897 kam auf dem deutschen Markt das erste Buch über »Das moderne Plakat« heraus, verfaßt von Jean Louis Sponsel, einem Assistenten von Max Lehrs.

Unterdessen hatte sich die Situation des deutschen Plakatsammlers grundlegend geändert. Das war dem Auftreten eines jungen Mannes zu verdanken, der 1896 als Schüler eines Breslauer Gymnasiums – überwältigt von der Schönheit eines der berühmten Sarah Bernhardt–Plakate von Mucha, das ihm frisch aus Paris mitgebracht worden war – beschloß, ein Sammler künstlerischer Plakate zu werden. Er hieß Hans Sachs.

Er verwirklichte seinen Plan mit erstaunlicher Zielsicherheit. Zuerst suchte er sich eine möglichst umfassende Bibliothek über Reklamekunst zusammenzukaufen, in der richtigen Erkenntnis, daß präzises Wissen über die Sammlungsmaterie für den Erfolg unumgänglich ist. Im Jahre 1905 gründete Sachs – inzwischen in Berlin ansässig – den »Verein der Plakatfreunde«, um damit eine Kommunikationsmöglichkeit zu schaffen für alle am künstlerischen Plakat Interessierten, tatsächliche oder potentielle Sammler. Peter Jessen und Walter von Zur Westen wurden zu Ehrenmitgliedern ernannt; damit hatte sich Sachs mit untrüglichem Instinkt zwei der erfahrendsten Ratgeber in Sachen Plakat an die Seite geholt. Denn er wollte mehr als nur sammeln, er war beseelt von dem Ziel, in der Öffentlichkeit Verständnis für die künstlerisch gestaltete Reklame zu wecken und deren Verbreitung zu unterstützen. Ein entscheidender Schritt zur Verwirklichung seiner Idee war die Herausgabe der Zeitschrift des Vereins der Plakatfreunde e.V. »Das Plakat« (zuerst unter dem Titel: Mitteilungen des Vereins der Plakatfreunde), die 1910 durch Vereinsbeschluß ins Leben gerufen wurde.

Sie war die bestillustrierte Kunstzeitschrift in Deutschland, ist heutzutage ein gesuchtes Rarissimum in den Antiquariaten und eine unentbehrliche Quelle für den Reklameforscher und Kunsthistoriker. Sachs gab außerdem die Handbücher der Reklamekunst heraus und warb in über 40 Aufsätzen für die »Kunst in der angewandten Graphik«.(91)

Sein Einfluß auf die deutsche Plakatszene, in der sich allmählich – wie Jessen so sehnlich herbeigewünscht hatte – ein eigener, von der internationalen Plakatkunst sich ganz erheblich entfernender Stil entwickelte, ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Man darf ihn mit gutem Gewissen den Geburtshelfer des »Sachplakats« nennen, denn die diversen reich illustrierten, mit Werkverzeichnissen versehenen Aufsätze über die wichtigsten Vertreter des deutschen Plakats, wie Lucian Bernhard, Julius Klinger, Julius Gipkens, Ludwig Hohlwein, Paul Scheurich, Emil Orlik, Emil Preetorius, Edmund Edel u.v.a. mehr haben nachhaltig für Publizität gesorgt und den – lebenswichtigen – Kontakt zwischen Künstler und Öffentlichkeit lebendig gehalten.

Ein weiterer Sammler, der sich – ähnlich wie Sachs – zu einem effektiven Mentor des Berliner Sachplakats entwickelte, sei genannt: Ernst Growald. Sein Werdegang unterscheidet sich von dem von Sachs grundlegend: Growald kam aus der Reklamebranche und war als Werbefachmann leitend tätig bei der Kunstanstalt und Plakatdruckerei Hollerbaum & Schmidt Berlin (und überdies Teilhaber der Firma). Zur Westen attestierte ihm: »Er sei ein mit künstlerischem Empfinden begabter Reklamefachmann« gewesen. »Als solcher hatte er in den gewohnten Gleisen gearbeitet, bis es ihm die französischen Affichen im Berliner Kunstgewerbemuseum angetan hatten. Er hatte erkannt, wie sehr sie den deutschen Erzeugnissen an Wirkung überlegen waren und hatte daraus geschlossen, eine wie wichtige Unterstützung die Kunst der Propaganda des Kaufmannes gewähren konnte.«(92)

Seitdem war er ein Verehrer und Sammler des künstlerischen Plakats und verstand diese Einstellung in die Verkaufspolitik der Plakatdruckerei einzubringen. Die besten Berliner Graphiker vermochte er vertraglich an die Kunstanstalt zu binden und konnte somit in der Plakatproduktion ein hohes künstlerisches Niveau gewährleisten. Dennoch war seine Auffassung von Kunst im Plakat eine andere als die der Plakatiers des Fin de Siècle. Nicht zufällig heißt ein Titel seiner Aufsätze »Die Kunst im Dienste der Reklame«,(93) womit angedeutet war, daß die Kunst sich den Belangen der Werbung unterzuordnen hat. So schien die Gefahr, der die internationale Plakatkunst vor 1900 schließlich erlag, nämlich zur Wanddekoration zu verkommen, gebannt. Nichtsdestoweniger hat Growald die Zeugnisse jener Zeit mit Hingabe gesammelt.

Dank der Aktivitäten von Hans Sachs, zu denen auch diverse Versuche gehörten, über Methoden aufzuklären, wie Plakate zu sammeln, wie beschädigte Exemplare zu restaurieren sind, war die Zahl der privaten Sammler sichtlich gestiegen. Eine Umfrage gegen Ende des Ersten Weltkrieges unter den Mitgliedern des Vereins der Plakatfreunde ergab die stattliche Anzahl von 360 Sammlern. Darunter eine Reihe von Institutionen.(94)

Überprüft man diese Namensliste nach soziologischen Gesichtspunkten, stellt sich heraus, daß vorwiegend Künstler und Intellektuelle Plakate sammelten; zu den am Plakat interessierten Instituten gehörten vor allem Kunstgewerbemuseen. Die Vorstellung der Plakatleidenschaft als einer alle Schichten umgreifenden Volksbewegung entpuppte sich als Illusion. Vielmehr erwies sich die anfangs zitierte Bemerkung von Peter Jessen, der das Plakat als Sammlungsgegenstand von »Künstlern, Kunstfreunden und Museen« ausweist, auch weiterhin als zutreffend. Sie ist selbst heute, nachdem annähernd ein Jahrhundert seit der Geburt des künstlerischen Plakates verflossen ist, noch richtig.

Gegen Ende der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts machte sich jedoch eine geradezu brisante Erneuerung des Plakatgedankens bemerkbar. »Die Plakate begannen in einer neuen, über Grenzen hinweg verständlichen bildkünstlerischen Sprache zu reden, die sich in immer neuen Nuancen zu artikulieren wußte und eine Vielzahl von inhaltlich gewichtigen und künstlerisch abwechslungsreich vorgetragenen Aussagen zum Inhalt hatte«.(95) An die Stelle des schönen, schmuckfreudigen, mitunter auch schlagfertigen Plakates der Jahrhundertwende ist jetzt das Plakat »zum Nachdenken«(96) getreten –mit mehr oder weniger verschlüsselten Botschaften. Internationale Plakatausstellungen, besonders die Biennalen in Warschau und Brno machen das nunmehr errungene Niveau im internationalen Vergleich deutlich. Damit ist für die Sammler wieder ein neuer Anreiz gegeben. Auch Archive der öffentlichen Hand und Firmen sind wieder dazu übergegangen, Plakate systematisch zu sammeln.(97)

Das neue Plakat findet besonderes Interesse bei der Jugend. Die jungen Leute scheinen »alle zu Plakatsammlern« geworden zu sein. Allein es sind Zweifel am Platze. Eine Plakatsammlung – wenn sie ordentlich betrieben werden will –verlangt den Einsatz von unendlich viel Mühe und Zeit, ganz abgesehen von der Tatsache, daß die Blattformate einen erklecklichen Raum zur Aufbewahrung beanspruchen. Es »bereitet wohl kein anderes Sammelgebiet so viel Ungelegenheiten, wie das der Plakate!« seufzte schon der Stuttgarter Museumsdirektor Gustav E. Pazaurek.(98)

Über das Phänomen des Sammlers an sich gibt es u. a. einen liebenswürdigen Artikel von Alfred Lichtwark, erstmals veröffentlicht 1911 in der Zeitschrift »Kunst und Künstler«.(99)

Für Lichtwark existiert nur eine Form des Sammlers, die Aufmerksamkeit verdient, es ist der aus innerer Notwendigkeit und Leidenschaft handelnde, eben der ideale Sammler. Alles, was aus Besitzgier, Spekulation und Mode sammelt, wird ausgegrenzt und nicht weiter beachtet. Im Vorgehen und Charakter des idealen Sammlers läßt sich nun tatsächlich eine gewisse Gesetzmäßigkeit des Handelns und der Haltung beobachten. Gerade die geschilderten Plakatsammler lassen sich zu einer erstaunlichen Gemeinsamkeit vereinen.

Zunächst steht regelmäßig am Anfang der Sammeltätigkeit eine étonnante Faszination durch den Kunstgegenstand, ein Initiationserlebnis, das zum Entschluß führt, zum Sammler zu werden. Dem Entschluß wächst in der Regel besondere Brisanz zu durch die typische Sammlererfahrung von der Gefährdung und Vergänglichkeit des angestrebten Gegenstandes, eine Erfahrung, die bei der »Konsumptibilie« Plakat besonders akut ist. Ist der Schritt zur Inbesitznahme des Gegenstandes vollzogen, setzt der lange Prozeß der Auseinandersetzung mit ihm und seinen geistigen Aneignung ein.

»Der Sammler... macht sehr schnell die Erfahrung, daß zum Erfolg auf seinem Gebiet ... Wissen und Bildung gehören. Es wird aus dem Käufer ein Forscher. Der Sammler steigert den Genuß an seinem Besitz durch die Freuden des Forschers«, sagt Lichtwark. »Aber selbst darüber geht er noch hinaus. Denn die intensive Beschäftigung mit dem eigenen und fremden Besitz gibt seinem Auge eine Ausbildung, die sonst nur das des Künstlers erfährt. Erst Sehen heißt besitzen. Der leidenschaftliche Sammler, der alle Kräfte an seine selbstgewählte Aufgabe setzt, erlebt zugleich die Freuden des Künstlers und des Forschers«.(100)

Aber diese neue Leidenschaft zum Kunstwerk fordert den Sammler heraus, sein Wissen der Mitwelt mitzuteilen. Und schließlich fühlt er die Notwendigkeit, die Mitwelt nicht nur teilhaben zu lassen an den Freuden des Sammelns, sondern sie zum Proselyten zu machen und den Sport des Sammellust heftig zu – propagieren. Der Sammler wird zum Pädagogen. Lichtwark steigert sich zu der hochgemuten Überzeugung: »Ich stehe nicht an, mich zu dem Glauben zu bekennen, daß für den Nichtkünstler eine wirkliche künstlerische Bildung ohne die Gymnastik der Sammeltätigkeit nicht denkbar ist.«(101)

Klaus Popitz