AUSSTELLUNGSRUNDGANG


Der Körper zwischen Abbild und Bild

Vor dem Hintergrund des massiven Protests der Jugend in aller Welt
gegen die erstarrten Gesellschaftsstrukturen in ihren Ländern veränderte
sich die Beziehung zum Körper. Unterdrückung wurde auch als Unterdrückung
körperlicher Erfahrungen und Bedürfnisse empfunden.
Die sogenannte „sexuelle Revolution“ war nur ein Symptom des neuen
Körpergefühls. In der Kunst erwies sich die Fotografie als willkommenes
Instrument der Darstellung und Erforschung körperlicher Fragen.
Ursprünglich als Dokumentationsmittel ungewöhnlicher körperbezogener
künstlerischer Äußerungsformen wie Happening und Performances
genutzt, erkannte eine neue Generation von Künstlerinnen und Künstlern
bald die brachliegenden Möglichkeiten der Fotografie, eine selbstbewusste
Körpererfahrung zu definieren. Viele waren Bildhauer. Dabei platzierten
sie die Darstellung des Körpers genau in der Sphäre zwischen Bild und
Abbild, zwischen der Autonomie des Kunstwerks und dem Realismus
der Fotografie, und erweiterten die fotografische Darstellung um eine
wahrnehmungskritische Dimension. Vorreiter waren Klaus Rinke, Dieter
Appelt, Floris Neusüss, Jürgen Klauke, Katharina Sieverding und Anna
und Bernhard Blume. Gleichzeitig und mit ähnlichen Zielen begründeten
Bernd und Hilla Becher eine neue Schule der Dokumentarfotografie
in Deutschland. Im Westen wie im Osten des Landes eröffneten die
ästhetischen Explorationen dieser Künstlerinnen und Künstler, von denen
alle Hochschullehrer waren oder sind, jüngeren Fotografen und Künstlern
ein neues Feld künstlerischer Praxis. Sie ebneten der Fotografie auch
den Weg in die Museen und erwarben zugleich für die deutsche Kunst
weltweite Anerkennung.



ANNETTE · 2002

 


BERLIN · 1986