Mir
läuft noch immer ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich an
die Tage im Januar 1997 zurückdenke, in denen ich die schlammigen,
ungepflasterten Straßen durchwatete, immer auf den Spuren von Gratian,
den sie Vircolac, Werwolf, heißen. Der bleierne Himmel von Isbuc,
der beißende Qualm der Feuerstellen, die stinkende Kloake, die das
Dorf in zwei Hälften teilt. Ich zählte die Stunden bis zu meiner
Rückkehr nach Bukarest, eine anderthalbtägige Reise mit dem Wagen.
Gratian, der in einem Verschlag oberhalb von Isbuc lebt, hat am
ersten Tag keine Zeit. Er wühlt, unsichtbar für mich, in dieser
Behausung aus Lehm, Holz und Plastik, schichtet Lumpen über Lumpen,
flucht und zetert. Gratian hat kein Feuer, kein Licht, kein fließendes
Wasser. Und doch weiß er Jahr, Tag und Stunde. Der zweite Tag ist
kalt und still; nur die Raben auf den wenigen verbliebenen Bäumen
nahe Gratians Behausung schreien ihr Liebeslied in den tonlosen
Himmel. Nein, das ist alles nicht von dieser Welt, und doch mache
ich heute die ersten Bilder.
Konrad.
R. Müller
Der
komplette Text befindet sich im Buch zur Ausstellung "Terra cognita",
erschienen im
Steidl Verlag, Göttingen.
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