Die
Buchillustration spiegelt die Kunst ihrer Zeit. Zu Beginn des
20. Jahrhunderts war sie sogar ein gleichberechtigter Bestandteil
der Künste: Im Jugendstil und den verwandten Strömungen waren
Architektur und Malerei, Kunstgewerbe und Buchkunst gleichwertige
und gleich geachtete Glieder eines "Gesamtkunstwerks". Auch das
Buch in sich wurde als Gesamtkunstwerk aufgefasst und gestaltet.
Zuvor, zur Zeit des Historismus, gab es zwar auch Illustratoren
von epochaler Bedeutung, wie Adolf Menzel oder Gustav Doré, doch
ihre großartigen Zeichnungen (die in xylographische Reproduktionen
umgesetzt werden mussten) steckten in Büchern mit - aus heutiger
Sicht - grauenvoller Typographie.
Dagegen
waren die Künstler des Jugendstils angetreten: Originalgraphik,
die Gestaltung des gesamten Buches aus einer Hand oder aus einem
Geist, nicht historisierendes Nacherzählen, sondern Gestalten
aus dem Geist der neuen Zeit, für den neuen Menschen. Aufbruchstimmung.
Doch der Aufbruch war nicht von Dauer; eine Künstler-Generation
nur, dann kamen Kommerzialisierung und Trivialisierung. Die vegetativen
Pflanzengirlanden wurden zur sinnentleerten Dekoration wie zuvor
die historisierenden Einfassungen. Der Ansatz der Jugendstil-Buchkunst,
die Auffassung des Buches als Ganzheit, blieb jedoch virulent,
bis heute. Die Entwicklung der Buchkunst teilt sich seither in
zwei Stränge. Auf der einen Seite das Buch als Kunstwerk, bei
dem alle Teile - Schrift, Illustration, Papier, Druck, Einband
- mit höchstem Anspruch aufeinander bezogen gestaltet sind. Diesen
Weg gingen die Pariser Künstler mit den "Malerbüchern" und die
deutschen Buchkünstler mit den Pressendrucken. Auch die lebendige
Bewegung der "Künstlerbücher" der Gegenwart, die von höchstem
künstlerischem Anspruch bis zum selbstgebastelten Kunstgewerbe
reicht, hat dort ihre Wurzeln. Gemeinsam ist ihnen allen der elitäre
Anspruch: kleine Auflagen, hohe Preise.
Auch
der andere Weg, den das illustrierte Buch im 20. Jahrhundert nahm,
hat seinen Ansatz in den Bestrebungen des Jahrhundertbeginns.
Das illustrierte Buch für jedermann, wohlfeil und in großen Auflagen,
aber dennoch in allen Teilen bewusst als Ganzheit gestaltet. Die
Entwicklung der Technik - Klischee statt Holzstich, die Lithographie,
später der Offsetdruck - machte das möglich. Diese Entwicklung
führte zu einer ersten Blüte der Buchillustration; Max Liebermann,
Alfred Kubin, Josef Hegenbarth, um nur einige Namen stellvertretend
zu nennen. Viele Verlage wetteiferten mit ihren schönen illustrierten
Büchern.
Das
war die hohe Zeit der deutschen Buchillustration, als die Maler
Bücher illustrierten. Heute gibt es an Kunsthochschulen Klassen,
die Berufs-Illustratoren ausbilden, die aber keine Chance haben,
diesen Beruf je auszuüben.
Denn nach dem Krieg, in den 60er und 70er Jahren, versiegte dieser
fruchtbare Strom. Nur noch wenige Verlagshäuser, vorab die Büchergilde
Gutenberg, pflegten das illustrierte Buch. Die "normalen" Verlage
scheuten und scheuen seither vor dem Verlegen von Illustrationen
zurück; angeblich, weil das zu teuer sei und von den Lesern nicht
honoriert würde. Der Markt gebe das nicht mehr her.
Ist
die Verweigerung der Verleger der wahre Grund für die Krise der
Buchillustration? "Die Illustration spiegelt die Kunst ihrer Zeit"
wurde eingangs postuliert. Sie reagiere auf die Strömungen und
Bewegungen der "großen Kunst". Und vor allem: Beide konnten bislang
in der gleichen Weise rezipiert, "gelesen" werden. Das gilt für
den impressionistischen Zeichnungs-Zauber eines Max Slevogt, die
Holzschnitt-Kraft Frans Masareels, die Sozialkritik bei George
Grosz, die verfeinerte Verselbstständigung der Linie und Struktur
bei Imre Reiner. So lange die Kunst inhaltsbezogen, "erzählerisch"
war, konnte die Buchillustration Schritt halten. Als die Themen
der Kunst das Malen selbst, die Spannung, der Rhythmus von Linie,
Fläche und Farbe wurde, war der Faden zur inhaltsbezogenen Buchillustration
gerissen. Auch die auf die gesellschaftliche Situation bezogenen
Kunstrichtungen wie die Pop-Art oder die Avantgarde unserer Tage
konnten und können sich nicht im illustrierten Buch niederschlagen.
Vielleicht im Künstlerbuch, nicht aber im auf die Literatur bezogenen
Verlagsbuch.
Wohl
wurde in dieser Zeit weiter illustriert, von Gunther Böhmer, Hans
Fronius oder Georg Eisler zum Beispiel, und zwar in subjektiv
gesehen hoher Qualität. Aber im Grunde war die Sprache ihrer Illustrationen
Wiederholung und nicht Weiterentwicklung, ohne Verbindung zu den
Kunstströmungen der Zeit. Die Krise der Buchillustration gründet
nicht auf die Ignoranz der Verleger, sondern auf dem Verlust des
gemeinsamen Bodens von Malerei und Illustration.
In
der DDR war das anders, da blühte die Buchillustration bis zuletzt.
Die Verleger wetteiferten mit schönen illustrierten Büchern, die
Illustratoren hatten Aufträge, auch die etablierten Maler illustrierten,
die Leute kauften illustrierte Bücher. Der Grund: In Ostdeutschland
hatten Malerei und Illustration den gemeinsamen Boden behalten.
Die Kunst in der DDR war den Weg der West-Kunst nicht mitgegangen
- aus welchen Gründen auch immer. Die Malerei blieb themen- und
inhaltsbezogen, sie war erzählerisch - was auch immer die Themen
und die Stilformen sein mochten. Da konnten die Illustratoren
mithalten, der Faden war nicht gerissen. Die Krise der Buchillustration
hat die ostdeutschen Buchkünstler erst nach der Wende ereilt.
In den letzten zehn Jahren wurden von deutschen Verlagen immer
weniger illustrierte Bücher verlegt.
In
dieser illustrationsfeindlichen Welt tritt Michael Mathias Prechtl
an und malt Bilder zu literarischen Texten, unbeeindruckt von
der angeblichen Krise der Illustration, unbekümmert um die vermeintliche
Ferne zur Kunst der Zeit, unbeeinflusst von Kritikermeinungen.
Seine Arbeiten werden verlegt, von den Leuten verstanden und gekauft.
Prechtl wendet nicht die Mittel der Kunst seiner Zeit auf die
Buchillustration an, er geht einen anderen, einen eigenständigen
Weg; er malt (der Begriff "Illustration" passt nicht zu seiner
Arbeit), was er als Leser und als Zeitgenosse erlebt und nicht,
was ihn als Maler interessiert. Sein Ausgangspunkt ist der Text
und was darin und dahinter steckt.
Warum illustrieren bildende Künstler literarische Texte? Weil
ihnen beim Lesen Bilder vor die Augen treten, die sie - wie es
ihr Metier ist - festhalten wollen. Dabei denken sie in der Regel
nur an ihr eigenes Bild-Erlebnis und nicht an den Leser des Buches.
Das Ergebnis ist meist, dass sie dem Leser das zeigen, was er
schon gelesen hat oder gleich lesen wird. Textwiederholung durch
Zeichnung. Doch was nützt es dem Leser, wenn er liest, dass Wildtöter
das Kanu zum Fluss trägt und Max Slevogt ihm nochmals wunderschön
vorzeichnet, dass Wildtöter das Kanu zum Fluss trägt. Manche Künstler,
Emil Orlik zum Beispiel, vermeiden Szenen-Darstellungen und geben
mehr oder weniger unverbindliche Hintergrund- und Stimmungsbilder
- statt der dramatischen Geschehnisse auf der Dschunke wird das
Boot in der Weite des Flusses gezeigt. Ist das textgerechte Illustration?
Nur wenige Illustratoren deuten bewusst und sagen dem Leser, wie
der Text zu verstehen sei: so und nicht anders. Dieter Masuhr
etwa, der aus Hebels lustig-böser Kalendergeschichte, in der ein
armer kleiner Jude sich im Sack versteckt und, als der Husar auf
den Sack einschlägt "kling kling" ruft, damit der glaube, es sei
Glas darin, eine Genickschuss-Exekution macht.
Für Prechtl wäre das zu direkt. Er deutet auch, aber mit Augenzwinkern.
Er liebt die Anspielung, aber nicht die Festlegung. Er sagt nicht,
wie man das lesen muss, sondern was einem alles beim Lesen einfallen
kann und speziell, was ihm beim Lesen alles eingefallen ist. Die
besten seiner Bilder sind vieldeutig, mit doppeltem Boden und
ohne Assoziations- und Interpretationsgrenzen.
Bei
Prechtl durchdringen sich seine Erlebnisse beim Lesen der Texte,
die eigene Biographie, das politische und gesellschaftliche Engagement,
die historische Verwurzelung, die künstlerische Umsetzung und
die handwerkliche Ausführung, alles in der gleichen Intensität.
Beispielhaft ist das an seinen Bildern zu Dantes Göttlicher Komödie
zu zeigen. Die Blätter sind mit größter Könnerschaft und Sorgfalt
durchgearbeitet, die anatomische Korrektheit bis ins Detail, die
Oberflächenstrukturen, die Differenzierung der Ton-in-Ton-Nuancen,
das ist meisterhaftes Handwerk. Die Stellung der Bilder auf der
Buchseite, wie sie gewissermaßen aus dem Text der Nebenseite,
aus dem Inneren des Buches herauswachsen und wie sie die typographische
Basis des Satzspiegels aufnehmen, beweist die durchdachte Planung
des Ganzen und nicht nur des Einzel-Bildes. Die Entscheidung,
statt umfassender Szenarien Einzelschicksale darzustellen, zu
fokussieren statt zu generalisieren und dabei nicht die Beobachter,
Vergil, Beatrice und Dante zu zeigen, sondern mit deren Augen
zu sehen, ist das Ergebnis einer intensiven intellektuellen Auseinandersetzung
mit dem Text. Das was die Augen sehen, das Grauen und Entsetzen,
ist durchtränkt von dem, was sich dem jungen Menschen an Grauenvollem
und Entsetzlichem im Gefangenenlager tief und unlöschbar eingeprägt
hat. Doch nicht nur persönliches Erleben, sondern auch Miterleben
als Zeitgenosse spielt hinein. So wie Dante seine Zeitgenossen
in der Hölle und im Fegefeuer entdeckt, so entdeckt Prechtl zum
Beispiel den Mussolini. Und dass Beatrice aussieht wie ein oberpfälzisches
Bauernmädel, erklärt sich ebenfalls aus der Biographie (wenn da
nicht noch engere Verbindungen bestehen).
Prechtl
wählt die Themen, die Bücher zu denen er seine Bilder malt, selbst
aus (mit ganz wenigen Ausnahmen). Es sind Werke der Weltliteratur.
Er liest sie nicht nur, er durchforscht sie und alles, was dazu
gehört ("Ich weiß jetzt alles über Füchse", sagt er bei der Arbeit
an Goethes Reineke Fuchs), er durchgräbt und untergräbt ohne Ehrfurcht
vor den großen Namen der Autoren und ohne Ehrfurcht vor sonst
jemandem.
In der Utopia des Thomas More hat er den Jäger vom Fall gemalt.
Das Textzitat lautet: "Die Utopier haben deshalb dieses ganze
Geschäft des Jagens als eine Sache, die freier Männer unwürdig
ist, an die Metzger verwiesen, deren Handwerk sie - wie bereits
erwähnt - durch Sklaven abmachen lassen." Der Metzger-Jäger Prechtls,
vor 1986 gemalt, mit seiner blutbefleckten Schürze und dem totgeschossenen
Wild über der Schulter hat den Kopf des Franz Josef Strauß, weiland
Bayerischer Ministerpräsident (der von seiner letzten Jagd, 1988,
nicht lebend zurückgekommen ist). So etwas bringt Ärger mit der
Obrigkeit und den Wächtern der guten Sitte. Prechtl scheut diesen
Ärger nicht, vielleicht provoziert er ihn sogar. Es könnte vermutet
werden, dass Prechtls sarkastische Kritik an den politischen und
gesellschaftlichen Zu- und Umständen mit dem vehementen Angriff
der in den 70er Jahren tonangebenden Studentenbewegung zu tun
hat, die alles Bürgerliche verachtet und verdammt. Das kann nicht
sein. Prechtls kritische Auseinandersetzung ist autonom. Die "68er"
wollten einreißen, um dann aufzubauen und neu anzufangen. Auch
die bürgerliche Ästhetik wurde entlarvt und verdammt. Prechtls
Ästhetik hat mit Niederreißen nichts zutun, er steht unbeirrt
in der Tradition der abendländischen Kunst, seine Gesellschaftskritik
hat nichts zu tun mit der naiven Utopie, einen neuen, besseren
Menschen schaffen zu können. Die Wurzel von Prechtls Unbotmäßigkeit
sind tiefer und älter. Er steht den "gottlosen" Malern seiner
Wahlheimat Nürnberg näher, den Brüdern Beham und dem Georg Pencz,
die es wagten, in den Reformationswirren und im Bauernkrieg als
Maler Position gegen die Obrigkeit zu beziehen, als der Zeitgeist-Revolution
der 68er. Im Gegenteil, er stellt diese Leute mit seinem Bild
Raphael is out bloß, in der ein Zeitgeist-Kunstkenner, seine Blöße
verkrampft bedeckend, die erschrockene Madonna durchstreicht,
die über dem Fettstuhl des Joseph Beuys an der Wand hängt.
Prechtl wird von der Kunstkritik gern angegriffen, weil er nicht
im jeweils aktuellen "Stil" malt. Als ob es wichtig wäre, woher
ein Maler seine Energie gewinnt, wenn er nur Energie ausstrahlt
und überträgt. Der Versuch, Prechtls Werk ein- und zuzuordnen,
führt nicht weit. Man erfährt mehr von ihm, wenn man seine Bilder
studiert. Ein paar Beispiele für die Doppelbödigkeit der Bilder
Prechtls, ausgewählt aus dem Leben des Benvenuto Cellini (das
Buch ist 1994 in der Büchergilde Gutenberg erschienen, Prechtl
hat vier Jahre daran gearbeitet).
Es
klingt wie ein Kalauer: Das Medusenhaupt hat das Antlitz der Duse.
Doch was wird daraus: Das maskenhaft starre Porträt wirkt suggestiver
und bedrohlicher, subtil schrecklicher als es je eine antikisierende
Schreckensmaske sein könnte.
"Hagelkörner, so groß wie Zitronen" heißt es im Text, Prechtl
macht daraus einen surrealen Zitronen-Hagel (Saurer Hagelschlag
ist sein Kommentar), aber er malt nicht irgendwelche Zitronen
aus dem Naturkundebuch; das sind Zitronen-Individuen, reale Zitronen-Porträts,
bis hin zum genau studierten Aufplatzen beim schmerzlichen Treffer.
Aus ihrer geöffneten Seite tropft das Herzblut der Taube aufs
Auge des wie tot unter dem Leichentuch Darniederliegenden; der
starre Blick des glattgefiederten (heiligen?) Tieres und das blicklose,
blutbefleckte Auge des schütterhaarigen Mannes, eine Situation,
die zu mystischen Spekulationen anregen kann. Was ist der literarische
Hintergrund? Dem Cellini ist ein Splitter ins Auge geraten, sein
Arzt hat ihm zur Behandlung mit Taubenblut geraten. Prechtls Kommentar:
Taubenblut tut Augen gut. Doch diese profane Deutung straft die
mystischen Gefühle nicht Lügen.
Wie
ist dieses Bild zu deuten? Die Friedenstaube ist totgeschossen,
die Kirche, repräsentiert durch den Kardinal, ist vom Zwang zum
Scheinfrieden erlöst und kann ihr wahres Gesicht mit dem bösen
Blick zeigen. Oder ist es so: Der Heilige Geist ist niedergefahren,
aber nicht, um den Kardinal zu erheben, sondern ihn schwer belastend.
Jede Bedeutung ist richtig, auch wenn Cellini nichts weiter erzählt,
als dass er seine Schützen-Meisterschaft durch einen Schuss auf
die Taube beweist und dadurch Ärger mit dem Kardinal bekommt,
der sich persönlich bedroht fühlt.
Aus
Not muss päpstliches Gold eingeschmolzen werden. Und was wird
daraus? Der geheiligte Osterhase des Joseph Beuys.
Doch nicht allein die erzählerische Intensität macht die Wirkung
von Prechtls Bildern aus. Die Art, wie gearbeitet wird, ist -
wie bei jeder künstlerischen Produktion - von gleichrangiger Bedeutung.
Bei Bildern, die für den Auflagendruck bestimmt sind, gehört die
Planung der technischen Reproduktion zum Planungs- und Verantwortungsbereich
des Künstlers. So jedenfalls sieht es Prechtl, er hat die gesamte
Verantwortung für das Gelingen des Werks. Prechtls Bilder zur
Literatur sind selbstständige "Tafeln", die neben den Textseiten
stehen. Das ist die Tradition des Kupferstichs, der - auf einem
anderen Papier gedruckt als der Text - ins Buch eingebunden werden
musste - im Gegensatz zum Holzschnitt, der sich in die Textseite
fügen und zur Lithographie, die sich sogar über die Schrift legen
kann. Prechtls Bilder der sieben großen Bücher sind ebenfalls
auf anderem Papier gedruckt als der Text. Die Fremdkörper sind
jedoch kunstvoll eingefügt, ihr Kunstdruckpapier, das die Wiedergabe
jeder Feinheit erlaubt, ist in der Färbung dem matteren Textpapier
angepasst. Das Format der Bücher ergibt sich aus dem Format der
alten, manchmal jahrhundertealten Papiere, auf denen Prechtl am
liebsten arbeitet, samt ihren Knick- und Altersspuren. Alle seine
Arbeiten sind in den Büchern im Originalformat wiedergegeben.
Vergrößert oder verkleinert wird in keinem Fall. Prechtls Technik
ist differenziert und raffiniert. Sepiazeichnung, Aquarellfarben,
Gouachefarben, Abdruckverfahren, auch der Abdruck der eigenen
Hautstruktur auf den Hautflächen seiner Figuren (die Kollegen
sagen: wie macht er das nur?). Nichts wird zugemalt, der Hintergrund
des Papiers spricht immer mit. Alles, was Prechtl zeichnet, "stimmt".
Es ist beobachtet und studiert, formal wie inhaltlich - die Kleidung,
die Kopfbedeckungen, Schuhe oder Gürtelschnallen, die Krallen
oder Federn der Tiere, die Flinten und die Orden. Doch nicht,
damit der Leser sehen kann: So hat es damals ausgesehen, sondern
weil Präzision eine Voraussetzung für Prechtls Arbeiten und Denken
ist.
Zurück
zu dem, was erzählt wird, wozu die ganze zeichnerische Mühe und
Sorgfalt dient. Prechtl hat mit spürbarem Vergnügen Bilder zum
Candide von Voltaire gemalt und mit ihnen die Geschichten in der
einen oder anderen Schicht ins Heutige übersetzt. So zerren nicht
Bulgaren und Avaren am jungen Candide, um ihn in das jeweilige
Lager zu befördern, sondern am jungen Michael Mathias (in seiner
preußischen Grenadier-Uniform mit der hohen Mütze, auf der "Gott
mit uns" zu lesen ist) zerrt Stalin von der einen und Hitler von
der anderen Seite. Mitterand und Maggie Thatcher, der Großkritiker
mit dem Brett vorm Kopf und viele andere erscheinen, die bei Voltaire
nicht vorkommen, aber sicherlich vorgekommen wären, hätte er,
wie sein Candide, noch ein paar Generationen weitergelebt und
-geschrieben.
Prechtl
scheint den Autor des Candide besonders zu schätzen, er preist
seinen Mut, in einer Zeit voller Vor-Urteile keiner Autorität
zu vertrauen, nicht Fürsten und Kardinälen, nicht Philosophen
und Künstlern, sich mit jedem anzulegen und auch seine Freunde
nicht zu verschonen, seine Kenntnis der Geschichte und der Geschichten
- im Überblick wie im Detail -, seine Kenntnis der Menschen und
ihrer Schwächen, seine Fähigkeit, das Schlimmste so zu sagen,
dass man noch lachen muss, seine Kunst, das scheinbar Geistreiche
zu entlarven und das Armselige zu erhöhen, die Leichtigkeit seiner
Formulierungskunst, die Treffsicherheit - ein Florett statt schweren
Säbels, doch manchmal auch die Rute -, den Einfallsreichtum, die
geistige Beweglichkeit und vor allem die innere Unabhängigkeit
von den Moden seiner Zeit, die Unvoreingenommenheit und Unbestechlichkeit.
- Und indem er den Voltaire dieserart charakterisiert hat Prechtl
ein Selbstporträt entworfen. Die Rose, die Voltaire auf dem letzten
Bild überreicht, kann nur dem Kollegen Michael Mathias Prechtl
gelten.
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