Diese Formulierung stammt, ebenso wie die beiden zuvor zitierten Passagen aus Von kommenden Dingen und Vom Aktienwesen, aus dem Jahre 1917, einem Zeitpunkt also, an dem Rathenau bereits seine Erfahrungen mit der Kriegs-Rohstoff-Abteilung im preußischen Kriegsministerium, deren Leiter er von August 1914 bis Ende März 1915 war, in weitreichenden und mutigen Verallgemeinerungen veröffentlicht hatte. Insbesondere die Kriegsrohstoffgesellschaften, deren Einrichtung auf seine Initiative zurückging und die als Syndikate mit staatlicher Aufsicht, aber auch staatlicher Risikoübernahme beschrieben werden können, schienen ihm eine weitere Stufe in der Entwicklung von der Privat- zur Gemeinwirtschaft. Diesem Prozeß der immanenten Vergesellschaftung der Unternehmen, die Rathenau als Entwicklung zur Autonomie beschrieb, entsprach eine Statusveränderung der Unternehmer selbst. Rathenau behauptete, dem »objektiven Streben zur Autonomie entspricht die subjektive psychologische Entwicklung des Unternehmers und seiner Organe. Soweit größere Privatunternehmer noch bestehen, haben sie sich längst gewöhnt, ihr Geschäft unter der objektiven Gestalt der Firma als ein selbständiges Wesen zu betrachten. (... ) Gesteigert findet sich diese Denkweise in den Häuptern großer Gesellschaftsunternehmungen«.51

Die Persönlichkeit des Unternehmers werde in dem Maße, in dem dieser Objektivierungs- und Vergesellschaftungsprozeß weitergeht, aus dem Zusammenhang der zweckhaften Mechanisierung freigesetzt. Er finde seine höchste Verkörperung im »intuitiven Menschen«, wie Rathenau ihn in Zur Mechanik des Geistes beschrieben und den intellektuellen Menschen von "seelenloser Klugheit" gegenübergestellt hat, die nicht begreifen, daß sie es mit "naiven Charakteren" zu tun haben, und nicht verstehen, »woher diese Unschlauen und Unkomplizierten das Schwierige durchschauen, das Unerwartete vollbringen".52 Daß hier der Typ des großen Unternehmers von der Art Emil Rathenau gemeint ist, wird deutlich, wenn man eine Passage aus der Physiologie der Geschäfte danebenstellt, die Walther Rathenau bereits 1903 veröffentlichte. Dort beschrieb der Erzähler seinen Chef als jemanden, dessen Vorschläge, »ungeschickt vorgetragen, mit langen Ausschweifungen nach rechts und links, den Eindruck von etwas höchst Trivialem, Uninteressanten, Selbstverständlichen« machten. Aber hinter dieser Ungeschicklichkeit verbarg sich »wie für den Künstler, so (...) für den Wirtschaftler und Händler das höchste Erbtum: der Blick fürs Wesentliche. Will man von einer Genialität auf diesem Schauplatz menschlicher Tätigkeit sprechen, so mag man, ausgehend von der eben erwähnten Begabung für das Wesentliche, sie finden in einem - ich möchte sagen divinatorischen - Überblick über die Bedürfnisse der jetzigen und der kommenden Zeit und in der Erkenntnis der zur Erfüllung möglichen Mittel. Solche Divination besaß der Bankmann, von dem ich vorhin gesprochen habe."53

Diese Konstruktion erlaubte Walther Rathenau die Antwort auf eine Frage und die Lösung des Problems, von dem diese Skizze seines Denkwegs ausgegangen war. Die Frage, wie jemand, der als scharfer Kritiker der Mechanisierung auftrat, zugleich an der Mechanisierung, ja, an ihrer vordersten Front, beteiligt sein könne, läßt sich leicht beantworten, wenn die Mechanisierung selbst die Kräfte ihrer Zerstörung in sich trägt, die aber erst auf einem bestimmten Entwicklungsstand aktiviert werden können. Wer die Mechanisierung überwinden will, muß an ihr mitarbeiten, um sie auf die Spitze zu treiben, weil erst dann das nachmechanistische Zeitalter beginnen kann.

Fußnoten