Museumspädagogik:
Wer war Willy Römer?
Diethart Kerbs: Willy Römer war ein Berliner
Pressefotograf. Und zwar einer von den ersten.
Genauer gesagt, einer aus der zweiten Generation
der Pressefotografen, die es überhaupt in
Berlin gab. Er hat diesen Beruf gelernt wie ein
Handwerk, von der Pike auf. Als 15-Jähriger
hat Römer eine Lehre begonnen bei der ersten
Berliner Firma, die ausschließlich zur Herstellung
von Pressefotos gegründet wurde. Er war also
ein professioneller Fotoreporter. Und er hat dann
später eine eigene Firma für Pressefotografie
gegründet und seine Fotos und die seiner
Mitarbeiter weltweit vertrieben.
Einerseits war er also ein ganz normaler Berliner
Pressefotograf, wie es damals so etwa ein Dutzend
gab. Und er unterschied sich von denen zunächst
einmal weder durch seine Arbeit noch durch seine
Ausbildung. Andererseits war er aber doch etwas
Besonderes. Er hatte nämlich eine eigenwillige
Auffassung und eine besondere Sichtweise und vor
allem ein schwerpunktmäßiges Interesse
an bestimmten Themen. Er interessierte sich besonders
für das Leben auf der Straße und für
das Leben der einfachen Leute, für die kleinen
Handwerker, die Kinder, die Gaukler, die Straßenhändler.
Er hat das Leben in den Straßen von Berlin,
so wie er es seit seiner Kindheit erlebt hatte,
dann auch als erwachsener Mann, als Fotograf dokumentiert.
Er kannte seine Stadt, er bewegte sich da wie
der Fisch im Wasser. Und er dokumentierte mit
seiner Kamera alles, was ihm bildwürdig und
berichtenswert erschien. Das ist das Besondere
an ihm, weil das viele andere nicht getan haben.
Museumspädagogik: Und das macht Willy Römer
so besonders, dass ihm das Deutsche Historische
Museum eine Ausstellung über zwei Etagen
im Pei-Bau widmet? Gab es wirklich nicht mehr
Fotografen, die diese Themen fotografiert haben
– oder unterscheidet er sich vielleicht
noch in anderer Hinsicht von ihnen?
Diethart Kerbs: Es gab sicher mehr Fotografen
seiner Art, das habe ich ja eben schon gesagt.
Um 1910 gab es in Berlin vielleicht 12 oder 15
Pressefotografen und um 1930 mindestens schon
doppelt so viele. Er war einer von den Besten.
Er war ein richtig guter Fotograf – so wie
man sagen kann: das ist ein richtig guter Tischler
oder das ist ein hervorragender Koch. So war Römer
ein guter Fotograf, der sein Handwerk verstand
und Qualität lieferte.
Während aber die Bildbestände der meisten
anderen Pressefotografen im zweiten Weltkrieg
von Bomben zerstört wurden und verbrannt
sind, ist sein Lebenswerk zu großen Teilen
erhalten geblieben. Deshalb gehören die Aufnahmen
von Willy Römer heute zu den wenigen Bildquellen,
die wir überhaupt haben, wenn wir uns darüber
informieren wollen, wie Berlin einmal aussah,
als es noch eine intakte, eine heile Stadt war,
als es hier noch historische Wohnquartiere, noch
wirklich alte Häuser gab. Wie war Berlin
vor der Zerstörung durch den zweiten Weltkrieg
und wie lebten die Menschen damals? Das können
wir heute in den Bildern von Willy Römer
mit unvergleichlicher Intensität beobachten.
Wir können in den Bildern spazieren gehen,
wir können darin lesen – das ist das
Faszinierende an seinem fotografischen Nachlass.
Außerdem setzt es ihn eben von anderen Pressefotografen
ab, dass er an bestimmten Themen sehr geduldig
und ausdauernd gearbeitet hat. Er hat diese Motive
immer wieder fotografiert und zwar gründlicher,
als er glauben konnte, dass er das irgendwo bei
den Zeitungen würde veröffentlichen
können.
Museumspädagogik: Warum
gibt es die Ausstellung im Deutschen Historischen
Museum erst jetzt?
Diethart Kerbs: Weil ich mich solange bemühen
musste, diese Ausstellung zu realisieren. Es ist
gar nicht so einfach, heute eine Institution,
ein Museum, ein Archiv oder eine Einrichtung in
Berlin zu finden, die eine richtig schöne
große Ausstellung macht. So eine Ausstellung
kostet viel Geld. Ich habe mich 5 Jahre lang bemüht,
eine Einrichtung zu finden, die diesen Fotografen
so ausstellt, wie es seinem Lebenswerk angemessen
ist. Und ich bin sehr froh, dass das jetzt auf
diese Weise im Deutschen Historischen Museum gelungen
ist.
Museumspädagogik: Welches
ist Ihr Lieblingsfoto von Willy Römer –
welches vielleicht Römers Sicht auf die Dinge
am besten für sie verkörpert?
Diethart Kerbs: Wenn sie mit mir durch die Ausstellung
gehen würden und mein Lieblingsfoto von mir
abfragen würden, dann würde ich ihnen
wahrscheinlich in jedem Raum 3 oder 4 Lieblingsfotos
zeigen können, denn es ist wirklich faszinierend
diese Bilder zu betrachten. Ich greife einfach
mal eins heraus.
Willy Römer war während des ersten Weltkrieges
als Soldat hinter der Front in Weißrussland
und in Russisch Polen stationiert. In den westlichen
Provinzen des großen russischen Reiches
lebten damals ziemlich arme Bauern in Verhältnissen,
wie man sich das in Deutschland gar nicht mehr
vorstellen konnte. Römer hat dann als Soldat,
als die Front zum Stehen gekommen war und nicht
mehr gekämpft wurde, seine große schwere
Kamera genommen und ist in die Dörfer und
auf die Märkte gegangen und hat da fotografiert.
Da gibt es ein Foto, das mir besonders gefällt.
Es zeigt einen Käseverkäufer –
einen bärtigen Mann, der mit seinem Pferdeschlitten
im Februar 1916 auf den Markt in die Kleinstadt
Lida gefahren ist und da so drei runde Käse
aufgebaut hat auf dem Pferdeschlitten und die
jetzt verkauft. Und neben ihm steht sein Sohn,
das ist so ein Junge, ein „Dreikäsehoch“
könnte man sagen, schätzungsweise zehn
Jahre alt, und der guckt mit einer Mischung aus
Verwunderung und Belustigung auf den Fotografen.
Ich hab mich gefragt: warum hat der einen so komischen
Gesichtsausdruck? Wenn man sich das Bild genau
anschaut, dann stellt man fest, der Fotograf ist
vor diesem Jungen in die Knie gegangen, weil er
ihn auf Augenhöhe fotografieren wollte. Das
heißt aus der Sicht des Jungen: da kommt
ein fremder Soldat, wahrscheinlich in Uniform,
ein mächtiger Mann mit einem riesigen großen
Apparat, und der geht vor uns in die Knie um uns
zu fotografieren. Dieser Gesichtsausdruck von
dem Jungen, der hat mich fasziniert. Außerdem
ist da die ganze Atmosphäre dieses Marktes:
da sind die Pferde, die Menschen, im Hintergrund
die Häuser – das ist wirklich ein wunderbares
Foto.
Museumspädagogik: Vielen Dank für das
Interview!
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