Ausstellungen

 

REIHE "FOTOGALERIE IM PEI-BAU"

Auf den Straßen von Berlin
Der Fotograf Willy Römer 1887 - 1979

Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums
Ansprechpartner DHM: Dr. Dieter Vorsteher

27. Oktober 2004 bis 27. Februar 2005
in der Ausstellungshalle von I.M.Pei

 

Museumspädagogik

Interview mit dem Kurator der Ausstellung
Prof. Dr. Diethart Kerbs

vom 28.12.2004

Museumspädagogik: Wer war Willy Römer?

Diethart Kerbs: Willy Römer war ein Berliner Pressefotograf. Und zwar einer von den ersten. Genauer gesagt, einer aus der zweiten Generation der Pressefotografen, die es überhaupt in Berlin gab. Er hat diesen Beruf gelernt wie ein Handwerk, von der Pike auf. Als 15-Jähriger hat Römer eine Lehre begonnen bei der ersten Berliner Firma, die ausschließlich zur Herstellung von Pressefotos gegründet wurde. Er war also ein professioneller Fotoreporter. Und er hat dann später eine eigene Firma für Pressefotografie gegründet und seine Fotos und die seiner Mitarbeiter weltweit vertrieben.
Einerseits war er also ein ganz normaler Berliner Pressefotograf, wie es damals so etwa ein Dutzend gab. Und er unterschied sich von denen zunächst einmal weder durch seine Arbeit noch durch seine Ausbildung. Andererseits war er aber doch etwas Besonderes. Er hatte nämlich eine eigenwillige Auffassung und eine besondere Sichtweise und vor allem ein schwerpunktmäßiges Interesse an bestimmten Themen. Er interessierte sich besonders für das Leben auf der Straße und für das Leben der einfachen Leute, für die kleinen Handwerker, die Kinder, die Gaukler, die Straßenhändler. Er hat das Leben in den Straßen von Berlin, so wie er es seit seiner Kindheit erlebt hatte, dann auch als erwachsener Mann, als Fotograf dokumentiert. Er kannte seine Stadt, er bewegte sich da wie der Fisch im Wasser. Und er dokumentierte mit seiner Kamera alles, was ihm bildwürdig und berichtenswert erschien. Das ist das Besondere an ihm, weil das viele andere nicht getan haben.


Museumspädagogik: Und das macht Willy Römer so besonders, dass ihm das Deutsche Historische Museum eine Ausstellung über zwei Etagen im Pei-Bau widmet? Gab es wirklich nicht mehr Fotografen, die diese Themen fotografiert haben – oder unterscheidet er sich vielleicht noch in anderer Hinsicht von ihnen?

Diethart Kerbs: Es gab sicher mehr Fotografen seiner Art, das habe ich ja eben schon gesagt. Um 1910 gab es in Berlin vielleicht 12 oder 15 Pressefotografen und um 1930 mindestens schon doppelt so viele. Er war einer von den Besten. Er war ein richtig guter Fotograf – so wie man sagen kann: das ist ein richtig guter Tischler oder das ist ein hervorragender Koch. So war Römer ein guter Fotograf, der sein Handwerk verstand und Qualität lieferte.
Während aber die Bildbestände der meisten anderen Pressefotografen im zweiten Weltkrieg von Bomben zerstört wurden und verbrannt sind, ist sein Lebenswerk zu großen Teilen erhalten geblieben. Deshalb gehören die Aufnahmen von Willy Römer heute zu den wenigen Bildquellen, die wir überhaupt haben, wenn wir uns darüber informieren wollen, wie Berlin einmal aussah, als es noch eine intakte, eine heile Stadt war, als es hier noch historische Wohnquartiere, noch wirklich alte Häuser gab. Wie war Berlin vor der Zerstörung durch den zweiten Weltkrieg und wie lebten die Menschen damals? Das können wir heute in den Bildern von Willy Römer mit unvergleichlicher Intensität beobachten. Wir können in den Bildern spazieren gehen, wir können darin lesen – das ist das Faszinierende an seinem fotografischen Nachlass. Außerdem setzt es ihn eben von anderen Pressefotografen ab, dass er an bestimmten Themen sehr geduldig und ausdauernd gearbeitet hat. Er hat diese Motive immer wieder fotografiert und zwar gründlicher, als er glauben konnte, dass er das irgendwo bei den Zeitungen würde veröffentlichen können.


Museumspädagogik: Warum gibt es die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum erst jetzt?

Diethart Kerbs: Weil ich mich solange bemühen musste, diese Ausstellung zu realisieren. Es ist gar nicht so einfach, heute eine Institution, ein Museum, ein Archiv oder eine Einrichtung in Berlin zu finden, die eine richtig schöne große Ausstellung macht. So eine Ausstellung kostet viel Geld. Ich habe mich 5 Jahre lang bemüht, eine Einrichtung zu finden, die diesen Fotografen so ausstellt, wie es seinem Lebenswerk angemessen ist. Und ich bin sehr froh, dass das jetzt auf diese Weise im Deutschen Historischen Museum gelungen ist.


Museumspädagogik: Welches ist Ihr Lieblingsfoto von Willy Römer – welches vielleicht Römers Sicht auf die Dinge am besten für sie verkörpert?

Diethart Kerbs: Wenn sie mit mir durch die Ausstellung gehen würden und mein Lieblingsfoto von mir abfragen würden, dann würde ich ihnen wahrscheinlich in jedem Raum 3 oder 4 Lieblingsfotos zeigen können, denn es ist wirklich faszinierend diese Bilder zu betrachten. Ich greife einfach mal eins heraus.
Willy Römer war während des ersten Weltkrieges als Soldat hinter der Front in Weißrussland und in Russisch Polen stationiert. In den westlichen Provinzen des großen russischen Reiches lebten damals ziemlich arme Bauern in Verhältnissen, wie man sich das in Deutschland gar nicht mehr vorstellen konnte. Römer hat dann als Soldat, als die Front zum Stehen gekommen war und nicht mehr gekämpft wurde, seine große schwere Kamera genommen und ist in die Dörfer und auf die Märkte gegangen und hat da fotografiert. Da gibt es ein Foto, das mir besonders gefällt. Es zeigt einen Käseverkäufer – einen bärtigen Mann, der mit seinem Pferdeschlitten im Februar 1916 auf den Markt in die Kleinstadt Lida gefahren ist und da so drei runde Käse aufgebaut hat auf dem Pferdeschlitten und die jetzt verkauft. Und neben ihm steht sein Sohn, das ist so ein Junge, ein „Dreikäsehoch“ könnte man sagen, schätzungsweise zehn Jahre alt, und der guckt mit einer Mischung aus Verwunderung und Belustigung auf den Fotografen. Ich hab mich gefragt: warum hat der einen so komischen Gesichtsausdruck? Wenn man sich das Bild genau anschaut, dann stellt man fest, der Fotograf ist vor diesem Jungen in die Knie gegangen, weil er ihn auf Augenhöhe fotografieren wollte. Das heißt aus der Sicht des Jungen: da kommt ein fremder Soldat, wahrscheinlich in Uniform, ein mächtiger Mann mit einem riesigen großen Apparat, und der geht vor uns in die Knie um uns zu fotografieren. Dieser Gesichtsausdruck von dem Jungen, der hat mich fasziniert. Außerdem ist da die ganze Atmosphäre dieses Marktes: da sind die Pferde, die Menschen, im Hintergrund die Häuser – das ist wirklich ein wunderbares Foto.


Museumspädagogik: Vielen Dank für das Interview!

 

 

Käseverkäufer auf dem Markt in Lida.
Russland, Februar 1916 © ABZ Berlin