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Ausstellung: Teil 3 von 10
Kinder vor dem Reichstag
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Der für Erziehung und Volksbildung zuständige Reichsminister Rust hatte 1935 verkündet: "Nationalsozialist wird man nur im Lager und in der Kolonne!"

 

Da war in den Schulen die neue Disziplin mit In-Zweierreihe-Antreten, Meldung-Machen, Hitlergruß und Fahnenappell längst durchgesetzt; aus dem Turnunterricht waren "Leibesübungen" geworden, die gleichgewichtig neben die Wissensvermittlung und Geistesbildung gerückt waren, weil sie vorrangig der "Körperertüchtigung" und dem Wecken des "Wehrwillens" dienten; und auch die natur- und geisteswissenschaftlichen Unterrichtsfächer wurden nach Prinzipien und Methoden einer militaristischen, antiintellektuellen Unterwerfungspädagogik vermittelt.

Bekräftigend und die Schule vielfach übertrumpfend, schlug die "Hitler-Jugend" in die gleiche Kerbe. Ein 1936 erlassenes "Gesetz über die Hitlerjugend" bestimmte: "Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hitlerjugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen. "Aufgrund einer sog. Jugenddienstverordnung vom 25.3.1939 waren alle zehnjährigen Mädchen und Jungen verpflichtet, im "Jungmä- delbund" (JM) oder dem "Deutschen Jungvolk" (DJ) Dienst zu tun; als Vierzehn - bis Achtzehnjährige hatten sie den pflichtgemäßen Dienst danach im "Bund Deutscher Mädel" (BDM) und in der "HitlerJugend" (HJ) zu absolvieren. Anschließend sollte es mit dem "Reichsarbeitsdienst" und dem Wehrdienst weitergehen - der deutsche Nationalsozialist sollte sein Leben im Dienst verbringen.

Der für Erziehung und Volksbildung zuständige Reichsminister Rust hatte 1935 verkündet: "Nationalsozialist wird man nur im Lager und in der Kolonne!". Daran hielt man sich insbesondere im "Jungvolk" und in der HJ, indem man das militarisierte Lagerleben, das Marschieren, die wehrhafte Orientierungsübung mit anschließender Rauferei im Geländespiel, die Ordnungsrituale von Befehl und Gehorsam und immer wieder das Individualität austreibende Gemeinschaftserlebnis praktizierte. Anfangs noch aus der bündischen Jugend herübergerettete Formen romantischer Ungebundenheit oder sozialengagiert-rebellischer Spontaneität waren längst diffamiert und "ausgemerzt" worden. "Der spontanen Auslegung des Dienstes als Pfadfinderei, als Abenteuer, als Protest, sogar als Revolte wurde 1938 sehr rasch ein Ende gemacht", erinnerte sich Peter Brückner.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die in der HJ übliche Handhabung des Führerprinzips ("Jugend muß durch Jugend geführt werden") zu Überforderungen unreifer Persönlichkeiten wie zu Autoritätskonflikten mit Lehrern und anderen Erwachsenen führte. Aber wo Führungsmängel auftraten, bemühte man sich um interne Regelung und verbat sich mehr oder weniger schroff die Einmischung protestierender Eltern; außerhalb der HJ- Hierarchie auftretende Autoritätskonflikte wurden in der Regel gedeckt und als jugendlicher Überschwang oder auch pflichtgemäße Bekämpfung von Spießertum schöngeredet. Nationalsozialistische Erziehung wollte ja letztlich auch erreichen, daß selbst inhumane Konfliktlösungen als selbstverständlich und im Interesse der "Volksgemeinschaft" notwendig akzeptiert wurden.

Bei der besonderen Führungsstruktur von HJ/BDM konnte zumindest auf den unteren Rangstufen die ideologischen Indoktrination keine besonders wichtige Rolle spielen. In Erinnerungen wird häufig auf die vielfach "öden" Heimabende hingewiesen. Gemäß der nationalsozialistischen Gleichsetzung von Körper und Geist und der Vorliebe für die erzieherische Wirkung von gemeinsamem Erlebnis ging es hauptsächlich um eine durch wiederholte Gehorsamsleistungen und befehlsgebundene Gemeinschaftserlebnisse wirksame Dressur zur Entindividualisierung und Systemanpassung.

Vorrangiges Erziehungsziel war eine Militarisierung von Denken und Fühlen, und dem entsprach durchaus, wenn damit auch die Förderung von Rücksichtslosigkeit gegenüber Bedürfnissen Einzelner, Verachtung des Schwachen sowie Gewöhnung an brachiale Gewalt und kollektive Ächtung einhergingen. Dieses Fazit wird von Günter de Bruyn im Rückblick auf seine eigene Jugend bestätigt: "Von der Welt isoliert, dumm gehalten und mit Vorurteilen beladen, waren wir als williges Kanonenfutter aufgewachsen; aber fanatische Nazis waren wir wider Erwarten nicht geworden . ... Die Einseitigkeit unserer Erziehung hatte uns zu politischen Analphabeten werden lassen .... Der innere Widerstand, der sich da und dort, auch bei mir regte, war weder politisch motiviert, noch wurde er so empfunden. Man fühlte sich unfähig zu dieser Art Leben; man lernte, sich zu entziehen; aber systemkritisch zu denken lernte man nicht."

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