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Ausstellung: Teil 7 von 10
"Abenteuerspielplatz" am Brandenburger Tor
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Hinterlassenschaft des Krieges
 
Kriegsheimkehrer
 
 
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"Die Schrecken des Krieges störten uns Knaben nicht, sie zogen uns an. Daß unsere Väter einberufen wurden, schien nur recht und billig. Und der "Heldentod" gehörte dazu .... Wir waren Hitlerjungen, Kindersoldaten, längst ehe wir mit 10 Jahren für wert befunden wurden, das Braunhemd zu tragen."



In solchen Verhältnissen wurde die Verteidigung der Reichshauptstadt organisiert. Der dazu erlassene Befehl vom 9. März formulierte als Kampfauftrag: "Die Reichshauptstadt wird bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone verteidigt." In das dritte und letzte Aufgebot der Deutschen Wehrmacht, den "Volkssturm", waren seit Oktober 1944 auch die Hitlerjungen eingegliedert, die nun - soweit sie nicht schon an der Oderfront eingesetzt waren - um und in Berlin Schanzarbeiten leisten mußten. Rund 5.000 siebzehnjährige Jungen standen dort im März 1945 offiziell unter Waffen; hinzu kamen aber noch viele jüngere, die sich freiwillig meldeten und stillschweigend mit eingesetzt wurden. Im Garten der Reichskanzlei zeichnete Hitler am 20. März 1945 zwölf- bis sechzehnjährige Hitlerjungen aus Pommern und Schlesien wegen "Tapferkeit vor dem Feind" mit dem "Eisernen Kreuz" aus, und dazu wurde ihnen laut Bericht der "Deutschen Allgemeinen Zeitung" ein Päckchen "Notverpflegung süß" überreicht.

Viele Hitlerjungen sahen sich dem "Führer" in unverbrüchlicher Treue verpflichtet und glaubten, daß nur sie das bedrängte Vaterland noch retten könnten; in ihrer Ahnungslosigkeit zeigten sie oft mörderischen Mut. Einer der ausgezeichneten Helden antwortete auf die Frage, ob er bei seinem Einsatz Angst gehabt habe: "O nein, die Bolschewisten schossen zwar sehr, und einmal lagen die Einschläge auch dicht neben mir, aber ich hatte rechtzeitig Deckung genommen. In den letzten Tagen fingen die Bolschewisten übrigens einen Bauern ab, der Verpflegung transportierte, aber ich lasse mich nicht erwischen. Am letzten Sonntag habe ich erst wieder elf Kühe in Sicherheit gebracht, die vor unseren Linien herumliefen."

Auch die dröhnende, splitternde Gegenwart des Krieges konnte die Abenteuerlust vieler Jungen nicht einschüchtern. "Ich war 13 Jahre alt, als der Krieg begann, und fühlte mich noch als Indianer. Der Phantasieraum des Wilden Westens ist dann übergegangen in den Phantasieraum des Krieges", bekannte Dieter Wellershoff kürzlich in einem Interview. Und ein anderer Zeuge erinnerte sich, daß die von der nationalsozialistischen Erziehung benutzte Faszination des Kriegerischen bis zuletzt auch die Jüngsten benebelt hatte: "Die Schrecken des Krieges störten uns Knaben nicht, sie zogen uns an. Daß unsere Väter einberufen wurden, schien nur recht und billig. Und der "Heldentod" gehörte dazu .... Wir waren Hitlerjungen, Kindersoldaten, längst ehe wir mit 10 Jahren für wert befunden wurden, das Braunhemd zu tragen."

Nicht in allen Kinderköpfen spukten solch todessüchtige Phantasien. Andere Mädchen und Jungen mußten vielleicht öfter mithelfen, zu allem entschlossene Geschwister oder Freunde von ihrer finalen Entschiedenheit abzubringen; ansonsten waren sie voll in den familiären Überlebenskampf eingespannt und zogen Befriedigung daraus, daß sie gebraucht wurden und daß die Erwachsenen ihnen Verantwortung aufbürdeten. Und sehr viele - auch wenn sie nicht ständig weinten, zitterten oder schreckhafte Scheu zeigten - waren schwer traumatisiert von den grauenhaften Bombenangriffen, den verheerenden Bränden, der Angst vor dem Verschüttetwerden und zuweilen auch von Unbeherrschtheit und Hysterie der Erwachsenen. Schließlich steigerte sich die Angst vor unbegreiflicher Bedrohung noch, als unter sowjetischem Artilleriebeschuß die propagandistisch angeheizte Russenfurcht voll zum Ausbruch kam und dann auch durch die Brutalitäten der Eroberer bestätigt wurde. All das, was für Kinder ohnehin kaum zu verkraften war, mußte bei einem lange schon währenden Mangel an Nahrung, Schlaf, Wasser und Beleuchtung ausgehalten werden. Mag sein, daß die langanhaltenden Schrecken und Entbehrungen viele Kinder in einen schützenden Kokon der Apathie eingesponnen haben, so daß sie das Unzumutbare dennoch ertragen konnten.

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