Reichskanzler
Otto von Bismarck erhielt zu Weihnachten 1889 vom Gesandten der Republik Mexiko, Ignacio
Romero Vargas, eine Uhr. Bismarck, der die Feiertage auf seinem Landsitz in Friedrichsruh
bei Hamburg verbrachte, bedankte sich postwendend. Das Dankschreiben hat sich zusammen mit
anderen aus Vargas' Berliner Zeit stammenden Briefen in der Sammlung des DHM erhalten.'
VerfaBt wurde das von Bismarck eigenhändig unterzeichnete Schreiben in seinem
Friedrichsruher Sekretariat am 30. Dezember 1889 in der Sprache der Diplomaten -
Französisch: »Mon cher Ministre, Mein Sohn2 hat mir Weihnachten das Chronometer überbracht, das Sie ihm für mich geschickt hatten und das ein wahres Meisterwerk seiner Art und ein Instrument von seltener Präzision darstellt. Ich war sehr berührt von dieser liebenswürdigen Aufmerksamkeit eines Staatsmannes, dem ich so viel Wertschätzung entgegenbringe, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Sie zitieren in ihrem Brief an meinen Sohn das englische Wort >Time is money<. Was meine Person betrifft, so kann ich wohl sagen, daß ich einer der ärmsten Männer der Christenheit bin, da ich selten einmal über eine Minute nach meinem Gutdünken verfügen kann und deshalb häufig die Uhr konsultieren muß. Ich kann also nicht verfehlen, mich oft Ihrer wohlüberlegten Aufmerksamkeit zu erinnern. Sie haben das Innere des Chronometers mit zwei Miniaturen schmücken lassen, welche meine Frau und meinen ältesten Sohn darstellen. Das hat mich auf die Idee gebracht, Ihnen mein Porträt zu schenken, gemalt von unserem großen Meister, Herrn Professor von Lenbach. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen für das neue Jahr, welches vor der Tür steht, meine nachdrücklichsten Glückwünsche entbieten.3 Recevez, mon cher Ministre, mes meilleures salutations. vBisma rck«
Als Bismarck die »wohlüberlegte Aufmerksamkeit« des Mexikaners in Empfang nahm, waren die deutsch-mexikanischen Verhältnisse etwas gespannt. 1888 hatte ein deutsch-englisches Syndikat unter der Führung von Gerson Bleichröder (1822-1893) der mexikanischen Regierung eine Anleihe von 10,5 Millionen Pfund Sterling, verzinst mit 6 Prozent, gegeben. Der Vertrag enthielt eine Geheimklausel. Diese besagte, daß Bleichröder ein Optionsrecht auf jede weitere von der mexikanischen Regierung ausgeschriebene Anleihe habe. Eine Vereinbarung, an die sich die Mexikaner aber 1889 bei der Ausschreibung einer zweiten Staatsanleihe nicht mehr gebunden fühlten. Vielmehr wurde von der Regierung Diaz4 der Versuch unternommen, deutsche und französische Geldgeber gegeneinander auszuspielen, und im Dezember meldete sogar die deutsche Gesandtschaft aus Mexiko, die Regierung habe die vorzeitige Rückzahlung der Anleihe an Bleichröder angeboten.5 In den Akten des Auswärtigen Amtes ist überliefert, daß der mexikanische Gesandte nach über einjährigem Aufenthalt in seiner Heimat gerade zu diesem Zeitpunkt auf seinen Posten in Berlin zurückkehrte und sich sehr darum bemühte, angenehm in Erscheinung zu treten. Don Ignacio Romero Vargas war am 1. April 1887 vom Präsidenten der Republik Mexiko, Porfirio Diaz, zum Gesandten beim Deutschen Reich ernannt worden. Als erster mexikanischer Gesandter hatte er den Rang eines »envoye extraordinaire et ministre plenipotentiaire«. Das heißt, Vargas, der den Titel eines Ministers führte, war beim Kaiser beglaubigt und nicht wie sein Vorgänger nur beim Auswärtigen Amt des Deutschen Reiches. Diese Rangerhöhung hatte Vargas den als wichtig eingestuften guten Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Mexiko zu verdanken. In einem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 16. August 1887 anläßlich der Akkreditierung des Romero Vargas heißt es: »Der Handel mit Mexico ist ein sehr bedeutender und seit dem Inkrafttreten des Handelsvertrages vom 5. Dez. 1882 in erfreulicher Entwicklung begriffen. An dem EinTuhrhandel von rund 36 Millionen Dollars war Deutschland im Jahre 1884/85 mit 3 bis 4 Millionen, an dem Ausfuhrhandel von mehr als 46 Millionen Dollars Deutschland mit rund 15 Millionen Dollars beteiligt.«6 Die Hansestädte Hamburg und Bremen hatten den regen Handel mit Mexiko begonnen, und 1834 schloß Preußen einen ersten Handelsvertrag mit Mexiko ab. Nach dem Ausbruch des mexikanischen Bürgerkrieges 18587, in den Spanien, Frankreich und GroBbritannien eingriffen, konnten deutsche Kaufleute als Neutrale den Handel mit Textilien aus englischer und französischer Fabrikation übernehmen: Vorteilhaft für den deutschen Handel entwickelte sich zudem die Seeblockade der Häfen der amerikanischen Südstaaten im Sezessionskrieg (1861-1865), als Mexiko zum Zentrum des Schmuggels mit Baumwolle wurde. 1868 kontrollierten hansische Kaufleute zwei Drittel des mexikanischen Exports. Nach dem Sturz des mexikanischen Kaiserreichs 1867 und der einsetzenden Normalisierung der Verhältnisse verloren die Deutschen ihren Vorteil gegenüber der Konkurrenz und begannen verstärkt einen Handel mit Eisenwaren, Chemikalien, Glaswaren und Spielwaren aus deutscher Produktion. 1881 gab es etwa 130 deutsche Handelsvertretungen, Engrosgeschäfte für Import und Export sowie Detailhandel für ausländische Waren. Deutsche Beteiligungen lassen sich bei Bankgeschäften, Textil und Stoflabriken, Bergwerks- und landwirtschaftlichen Unternehmungen nachweisen.8 Dipiomatische Beziehungen mit der Republik Mexiko nahm das Deutsche Reich bereits 1874 auf. Die erste Geschäftsstelle der mexikanischen Gesandtschaft in Berlin, Hohenzollernstraße 6, nahm ihre Arbeit jedoch erst 1878 auf, als sich die politische Lage Mexikos unter der Regierung Diaz stabilisierte, und 1882 wurde der im Bericht genannte Freundschafts- und Handelsvertrag mit Mexiko abgeschlossen. Ignacio Romero Vargas übergab Kaiser Wilhelm I. sein Beglaubigungsschreiben in einer Audienz am Montag, dem 5. September 1887, um 12.40 Uhr. Die Audienz hatte immer wieder verschoben werden müssen: Zunächst erkrankte Vargas in Paris, dann ging der Kaiser auf eine Badereise, und schließlich erkrankte der Kaiser selbst. Uber Vargas' Werdegang wußte man bei der Zeremonie nur wenig: »Don Ignacio Romero Vargas war unter dem Präsidenten Lerdo9 Gouverneur des Staates Puebla und hat dort ein strenges Regiment geführt; er wird als ein begabter und energischer Mann geschildert. Don Vargas hat sich auch als Dichter bekannt gemacht und hat sich im öffentlichen Leben den Fremden gegenüber stets gewogen gezeigt.«'° Der Gesandte mietete bei dem Gutsbesitzer Carl Schmidt in der Kurfürstenstraße 131 eine Wohnung, die er recht prachtvoll einrichten ließ. Aber bereits am 17 November 1888 nahm er einen langen Urlaub. Vertreten wurde Vargas während seiner Abwesenheit vom 1. Sekretär der Gesandtschaft, Federico Larrainzar. Zu diesem Zeitpunkt lagen im Auswärtigen Amt bereits die ersten Beschwerden gegen Vargas vor. Der Hausbesitzer Schmidt klagte wegen der Unzugänglichkeit des Gesandten, der die Besichtigung der von Vargas zum 1. Oktober aufgegebenen Wohnung in der Kurfürstenstraße 131 nicht erlauben wollte. Die Firma August Wilhelm Gluthmann wartete auf die Bezahlung der Möbel zur Einrichtung der Gesandtenwohnung im Wert von 34.000,- Mark, und der Juwelier Abr. Schwab drängte auf Bezahlung eines Opal-Colliers im Wert von 8.000,- Mark. Das Auswärtige Amt vertröstete, schrieb, Vargas sei nach Mexiko gereist, um seine finanziellen Angelegenheiten zu ordnen, und holte vorsichtig erste Erkundungen über den Mexikaner ein. So wurde bekannt, welche Orden Vargas für seine Verdienste im mexika- nischen Bürgerkrieg erhalten hatte, und auf dem Umweg über den Konsul der Vereinigten Staaten wurde aktenkundig, daß die mexikanische Regierung ihrem Gesandten eine Besoldung von 15.000,- Dollar zukommen ließ." Als Vargas Ende 1889 endlich wieder in Berlin auftauchte, hatte er wohl den Auftrag, die Mißstimmung zwischen Deutschland und Mexiko zu beseitigen. Bepackt mit Geschenken, machte er sich ans Werk. Er bot der Kaiserlichen Regierung eine Naturaliensammlung12 an und er suchte den Kontakt mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Staatsminister Herbert Graf von Bismarck. Das Weihnachtsgeschenk für den Reichskanzler wollte er am 23. Dezember dem Grafen persönlich übergeben. Herbert von Bismarck ließ ihm jedoch mitteilen, daß der Kaiser ihn nach Potsdam gerufen habe und er von dort aus direkt nach Friedrichsruh fahren werde.13 Das Geschenk für den Reichskanzler wurde deshalb nach Friedrichsruh nachgesandt. Anmerkungen: 1 DHM, Sammlung Dokumente/1, Nachlaß Vargas. 2 Herbert Graf (Fürst) von Bismarck (1849-1904), der älteste Sohn des Reichskanziers, war seit 1886 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. 3 Ubersetzung: Andreas Enkelmann / Woligang Cilleßen. 4 Porfirio Diaz (1830-1915) kam 1876 an die Macht und war 1877 1880 und 1884-1911 Präsident.1880 1884 regierte der von Diaz ernannte General Manuel Gonzälez. Der ehemalige Generei Diaz hatte im mexikanischen Bürgerkrieg unter Benito Juärez (1806-1872) gegen die Franzosen gekämpft. 5 Friedrich Katz, Deutschland, Diaz und die mexikanische Revolution, Berlin 1964, S. 99 f. 6 Bundesarchiv, Potsdam, Auswärtiges Amt, Handelspolitische Abteilung, Nr. 50906, Bl. 37 7 V91. dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Bd. ll, 10. Aufl., 1975, s..93. 8 Friedrich Katz, wie Anm. S, S. 87-167 9 Sebastihn Lerdo de Tejada (1825-1889), ein Anhänger von Benito Juärez, war 1872 1876 Präsident der Republik Mexiko. 10 Bundesarchiv, Potsdam, wie Anm. 6. 11Bundesarchiv, Potsdam, wie Anm. 6, Nr. 50906, Bl. 73, 89; Nr. 69781, 12 Bundesarchiv, Potsdam, wie Anm. 6, Nr 69781. 13 DHM, Sammlung Dokumente/1, Nachlaß Vargas. |