Leonore KoschnickWeihnachtsteller aus der Zeit des Ersten und Zweiten WeltkriegsDie bedeutendsten europäischen Porzellanmanufakturen, die noch im 18. Jahrhundert hauptsächlich von GroBaufträgen aus Adelskreisen gelebt hatten, suchten im 19. Jahrhundert durch das Angebot einzelner Sammlerstücke auch bürgerliche Käuferschichten zu gewinnen. So spezialisierte sich die Berliner Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf die Herstellung von Sammeltassen, verziert mit Porträts berühmter Zeitgenossen, Architekturansichten oder Sinnsprüchen zur Erinnerung an Liebe, Freundschaft und Familienfeste. Die Idee, anläBlich des Weihnachtsfestes Sammelteller auf den Markt zu bringen, wurde dann im ausgehenden 19. Jahrhundert in Kopenhagen entwickelt und von den Manufakturen in Berlin und Meißen rasch übernommen. Das Sammeln von Weihnachtstellern kam in Mode. Die von Jugendstil-Künstlern mit unterschiedlichen Weihnachtsmotiven bemalten Teller waren zumeist als Serien konzipiert. So gab es in Berlin auch in den Jahren nach 1914, als die deutschen Porzellanmanufakturen den Befehl erhalten hatten, entsprechend der allgemeinen Kriegspropaganda patriotische Erinnerungsartikel herzustellen, die jährliche Weihnachtsgabe. Max Dürschke war bei der KPM für die Verzierung der Teller zuständig und suchte in seinen Motiven eine Verbindung von überkommener romantischer Weihnachtsvorstellung und dem Leben der Frontsoldaten. 1915 und 1916 malte er einen Infanteristen bzw. einen Kavalleristen auf Heimaturlaub, ausgestattet mit Weihnachtsbaum und Geschenken und in einer idyllischen Winterlandschaft stehend (Abb. 1, 2). In den folgenden beiden Jahren verzichtete er auf die lllusion einer Weihnachtsfeier in verschneiter Märchenlandschaft und wählte als Motive Soldaten an der Front: einen mit einer Sektflasche »bewaffneten« Artilleristen, der auf einer Kanone sitzt, sowie Matrosen, die an Deck eines aufgetauchten U-Bootes Weihnachten feiern - Szenen, die makaber anmuten angesichts der Not und des Grauens, die den Alltag der Frontsoldaten bestimmten (Abb. 3, 4). Im Zweiten Weltkrieg wiederholte sich die verordnete Umstellung der Produktion auf Kriegs-Porzellane. Bereits seit der Machtübernahme Jrch die Nationalsozialisten hatten sich die Porzellanmaler in Berlin und Meißen auf die Motivünsche der neuen Machthaber einstellen müsn. Der Meißener Weihnachtsteller von 1940 zeigt eine kinderreiche Großfamilie vor der Kulisse von verschneiten Tannen und Sternenhimmel m ein Lagerfeuer versammelt (Abb. 5). Das Feur (Sonnenwendieuer) und die Bildunterschrift lulfest« weisen auf die neue ideologische Auschtung des Weihnachtsfestes hin: Es sollte wieder zum vorchristlichen, altgermanischen Julfest rerden, dem heidnischen Mittwinterfest, das dem astronomischen Jahreswechsel entspreend am 22. Dezember gefeiert wird. Heinrich immler, einer der gröSten Verfechter der Julfeirn, ließ die Mittwinterfeste im Kreise der SS ach strengen Ritualen ausrichten. Auf den Reichsführer-SS geht auch die Gründung er Porzellan-Manufaktur Allach-München (PMA) n Jahr 1936 zurück, eines der SS unterstellten Unternehmens »zum Schutz der deutschen Seele«. Produziert wurden Porzellanfiguren - Tiere, weibliche Akte, Soldaten und sonstige Leitbilder der »Bewegung« - sowie Vasen, Urnen und Julteller, die an germanische Ursprünge erinnern sollten. Ende 1937 wurde in einer stillgelegten Pulverfabrik in unmittelbarer Nachbarschaft zum Konzentrationslager Dachau eine zweite Produktionsstätte eröfinet. Gegen Himmlers Willen arbeiteten in der Manufaktur auch Häftlinge aus dem KZ, für die diese Beschäftigung eine Uberlebenschance bedeutete. Die Porzellane trugen als Markenzeichen die doppelte Sigrune. Anläßlich des Weihnachtsfestes 1940 wurden in dem Werk in Allach erstmals Julteller hergestellt. Dabei gab es zwei Arten mit unterschiedlichen Dekors. Die einentrugen farbigen Blumenschmuck, beispielsweise Schneeglöckchen (1941) oder Krokusse (1943), und wurden vom SS-Obergruppenführer Oswald Pohl, Himmiers Wirtschaftschef, verschenkt (Abb. 6). Die anderen wurden aus unbemaltem weißem Porzellan gefertigt und mit nationalsozialistischen Symbolen in erhabe nem Relief verziert. Diese Teller durfte nur der Reichsführer-SS höchst persönlich vergeben. Die Relief darstellungen - Runen , Schwerter oder Adler - wurden durch Schrift bänder ergänzt, die den Beschenkten an seine kriegerische Pflicht erfüllung erinnerten : »Wir werde n uns so lange herumschlagen, bis unsere verfluchten Feinde sich zum Frieden bequemen« , wird auf dem Himmierschen Julteller für 1943 Friedrich der Größe zitiert (Abb. 7). Den Weg in die Porzellansammlungen der großen Museen haben diese Kriegs-Weihnachtsteller nur selten gefunden. Und auch in der Literatur über die Berliner und die Meißener Porzellanmanufakturen werden deren kriegsverherrlichende Produkte eher beiläufig oder gar nicht erwähnt. Die Tradition der Weihnachtsteller wurde jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg von einigen Porzellanherstellern wieder aufgenommen. In jüngster Zeit ließ die Firma Rosenthal von namhaften Designern (unter anderen Gianni Versace) nicht nur Sammelteller, sondern ganze Geschirrserien mit Weihnachtsmotiven entwerfen.
Literatur: Margarete Jarchow: Berliner Porzellan im 20. Jahrhundert,
Berlin 1988 |