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Jutta Schneider: Jungmädchen im BDM

Dieser Eintrag von Jutta Schneider (*1927) aus Reisbach (wolf.jutta@gmx.de) von März 2011 stammt aus dem: Biografie-Wettbewerb Was für ein Leben!

/lemo/bestand/objekt/schneider_01 Ich war zehn Jahre alt und musste in die Hitlerjugend eintreten. Dafür brauchte ich eine Jungmädchenkluft. Meine Mutter hatte nicht so viel Geld, um eine zu kaufen. Ohne Kluft durfte ich nicht hingehen. Aber hingehen musste ich, weil die Mutter sonst bestraft wurde. So bekam ich doch noch einen dunkelblauen Rock, eine weiße Bluse für besondere Veranstaltungen, eine graue für die Heimatnachmittage und eine Kletterweste, die aber mit klettern nichts zu tun hatte. Außerdem brauchte ich eine schwarze Turnhose und ein weißes Turnhemd. Auf das Turnhemd kam vorne in die Mitte eine Hakenkreuzrombe und auf die Kletterweste, auf den linken Ärmel, ebenfalls, sowie ein Dreieck, auf welchem: "Nord Nordsee" stand. Dann wusste man gleich, woher ich kam. Alle Kinder in Deutschland bekamen so eine Uniform. Die das bestimmt hatten, dachten sicherlich in weiser Voraussicht daran, dass die Kinder mal sehr durcheinander gewirbelt würden. Dann wusste man gleich, wohin sie gehören.

Ein schwarzer Schlips und ein Lederknoten gehörten auch noch zur Uniform. Den Schlips konnte man wenigstens auch sonst mal gebrauchen. "Da war das Geld nicht rausgeschmissen", sagte meine Mutter, als ich mir den Arm verstaucht hatte und in einer Schlaufe tragen musste.

/lemo/bestand/objekt/schneider_06 Jeden Mittwoch ging ich zum Dienst, und wenn ein Mädchen nicht kam, mussten alle antreten und zu dem Haus marschieren, in dem die Schwänzende wohnte. Die Grete schwänzte immer. Ihre Mutter wollte nicht, dass die Tochter da hingeht. Die Führerin wurde ganz böse und sagte, dass sie die Grete anzeigen werde. Von da ab schwänzte sie nie mehr. Dabei war es oft ganz lustig bei ihnen. Wir lernten neue Lieder, mussten aber auch viel auswendig lernen. Parteiprogrammpunkte, oder den ganzen Lebenslauf von unserem Führer Adolf Hitler. Den mussten wir vor und rückwärts kennen. Sein Geburtstag war äußerst wichtig, denn da traf sich die ganze Hitlerjugend Deutschlands und sang und sang und Reden wurden gehalten und Volkstänze getanzt. Nur Kuchen und Saft gab es nicht wie auf einem richtigen Geburtstag.

In Bremen wurde einmal eine Brücke eingeweiht. Da musste die Hitlerjugend antreten, denn der Führer wurde erwartet. Da zogen wir alle die weißen Blusen an, flochten die Zöpfe besonders stramm und mussten der Jungmädchenführerin sogar die sauberen Fingernägel und Ohren zeigen. Dabei passte auf so was die Mutter immer auf. Stundenlang warteten wir. Es waren so viele Menschen dort, dass ich nicht einmal die Brücke sehen konnte. Auf einmal war alles vorbei. Da fragte ich, wo denn der Führer sei. Das wussten die Anderen auch nicht. Am nächsten Tag stand in der Zeitung, dass er gar nicht da war, sondern der Baldur von Schirach. So viel ich begriff, war das der oberste Führer der Hitlerjugend. Ich begriff nur nicht, was der mit der Brücke über die Weser zu tun hatte. Aber ich wusste auch nicht genau, was der Führer mit der Brücke zu tun hatte.

Ich ging jede Woche in den Turnverein. Ich hatte dort viele Freunde und einen ganz netten Turnlehrer. Das war nun vorbei. Jetzt musste ich jede Woche bei der Hitlerjugend turnen. Der Turnverein wurde einfach geschlossen und der nette Lehrer durfte mit den Kindern nicht mehr turnen. Die Mutti sagte, dass er nicht arisch sei. Wieder etwas, wovon ich nichts verstand. Dabei konnte er Handstand laufen. War da arisch so wichtig?

Der Großvater sagte: "Bald darf niemand mehr tun, was er will". Das konnte ich nicht ganz glauben. Dann durfte ich vielleicht nicht mit dem Puppenwagen spazieren fahren oder mich mit meiner Freundin Helma treffen. Diesmal war es sehr traurig, dass der Großvater recht behalten sollte.


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