Frankreich trauert um Stresemann

Am 3. Oktober 1929 starb Stresemann. Der deutsche Schriftsteller Harry Graf Kessler beschreibt in seinem Tagebuch, wie die Nachricht über den Tod des deutschen Staatsmannes in Paris aufgenommen wurde:

Paris. 3. Oktober 1929. Donnerstag
…nachmittags bei Rieth. Er sagt, der Eindruck, den Stresemanns Tod in Paris gemacht habe, sei ungeheuer; die Leute seien geradezu konsterniert. Briand sei schon um zehn heute früh bei ihm gewesen und habe sich mit sehr warmer menschlicher Teilnahme ausgedrückt. Das allgemeine Gefühl sei nicht nur Konsternation, sondern auch Beunruhigung, was jetzt werden solle. Ich befürchte von Stresemanns Tod in erster Linie sehr ernste innerpolitische Folgen, das Abrücken der Volkspartei nach rechts, einen Bruch der Koalition, Erleichterung der Diktaturbestrebungen.

Paris. 4. Oktober 1929. Freitag
Alle Pariser Morgenzeitungen bringen die Nachricht vom Tode Stresemanns in größter Aufmachung. Es ist fast so, als ob der größte französische Staatsmann gestorben wäre. Die Trauer ist allgemein und echt. Man empfindet, daß es doch schon ein europäisches Vaterland gibt. Die Franzosen empfinden Stresemann wie eine Art von europäischem Bismarck. Die Legende beginnt; Stresemann ist durch seinen plötzlichen Tod eine fast mythische Figur geworden. Er ist der erste, der als wirklich europäischer Staatsmann in Walhalla eingeht.