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Als ich wie ein Vogel war

Gestutzte Schwingen: Die Leipziger Kultband “Klaus-Renft-Combo” zwischen Rebellentum, Staatsrocker-Karriere und Berufsverbot

Die Baßlinie von “Child in Time” kann Klaus Jentzsch selbst im Halbschlaf brummen, wenn ihn einer danach fragt. G, g, a, f, f, g – der A-Dur-Lauf ist simpel aber heilig. Mit dem legendären Deep-Purple-Song zupft sich der Baßgitarrist Ende der 60er Jahre in den regionalen Ruhm. In staatlichen Kulturhäusern und privaten Tanzdielen kochen die überfüllten Säle, wenn Jentzsch, im musikalischen Leben eher als Renft bekannt, seiner Leipziger Klaus-Renft-Combo die Grundtöne vorgibt. Nachspielen ist zu dieser Zeit ein echtes Muß: Die Bürkholz-Formation, städtischer Konkurrent der Renft-Combo, kupfert den virtuosen Art-Rock von Colloseum. Die Ostberliner Puhdys spielen sich durch das Repertoire von Uriah Heep. Und Renft versucht sein Glück eben mit Titeln von Pink Floyd, Deep Purple und Vanilla Fudge. Zwar ist das “Fidschi-Englisch” der Sänger nicht gerade prüfungsreif. Auch der Sound aus den selbstgebastelten Marshall-Verstärkern, dafür haben die ostdeutschen Garagen-Tüftler noch im Nachhinein einen subkulturellen Nationalpreis verdient, ist eher eine Zumutung. Den typischen Leslie-Effekt der Orgel erzeugt Renft beispielsweise dadurch, daß ein großes Stück Pappe vor dem Lautsprecher hin- und hergewedelt wird. Doch die Provisorien sind allemal haltbarer und zeitgemäßer als die Erzeugnisse des DDR-Musikgeräteherstellers VEB Vermona. Für die aufmüpfige Jugend wird die Klaus-Renft-Band bald zur heimatlichen Stones-Ausgabe. Ein früher Gegenentwurf zu den späteren “Jugendtanzkollektiven”, die mit nachgespielten Hits und heftig zur Schau gestellter Rebellenpose ans große Geld wollen. Renft ist anders. Renft ist keine Tanzkapelle im offiziellen Vergnügungsauftrag. Renft steht für Freiheit in den Grenzen der DDR. “Eine vorweggenommene Punkband”(1), sagt Leadgitarrist und Sänger Peter “Cäsar” Gläser. Wenn die Ost-Stones spielen, ist das Hierarchiegefüge des prüden Ulbricht-Staates wenigstens für einen Abend lang außer Kraft gesetzt. “Renft war immer ein bißchen dreckiger als die anderen”, erinnert sich Keyboarder Christian “Kuno” Kunert. “Damit konnte man sich auf dem Dorf prima identifizieren. Der Stall war offen, und die Sau rannte draußen rum. Die Musik war nicht immer so bedeutend gut. Aber es kam irgendwas runter an Schmutz und Power.”(2)

Renft heißt im Thüringischen “der Brotkanten”. Kein schlechter Name für eine Band, die nicht ins offizielle Estradenprogramm des DDR-Fernsehens will. Für Jentzsch ist die Neubelebung der Klaus-Renft-Combo am Ende der Sechziger bereits der dritte Start ins Rockgeschäft. Zuvor hat er zwei Verbote kassiert, eines schon 1959 mit der ersten Klaus-Renft-Combo, professioneller Nachläufer einer echten Schülerband. Damals spielen sie im selbstinfizierten Rock’n’Roll-Fieber noch “Tutti Frutti” und “Rock around the clock” – ohne Verstärker im Leipziger Clara-Zetkin-Park, solange, bis Jentzsch am Kontrabaß die Finger bluten. Noten gibt es nicht, also hängt der Bandleader zum Mitschneiden nächtelang vor dem Radio. Die Westsender sind in Sachsen fast nicht zu empfangen. Gigantische Störsender tragen zur kulturellen Askese bei.

Einzige Ausnahme ist zu dieser Zeit das Programm des Deutschen Freiheitssenders 904(3) – ein Mittelwelle-Sender, der seinen Hörern vorgaukelt, er würde im Westen stehen. In Wahrheit produzieren die Redakteure in einem abgeschirmten Trakt des Ostberliner Funkhauses, und der leistungsstarke 100-kw-Strahler befindet sich in einem Waldstück bei Magdeburg. Die mit plumper Propaganda gewürzten Musik-Sendungen sind für das westdeutsche Publikum gedacht. Als Köder dudelt der Freiheitssender ununterbrochen die neusten Hits. Das macht außer ihm nur Radio Luxemburg. Auch in der südlichen DDR ist der Freiheitssender zu empfangen und avanciert so zum Geheimtip unter der ostdeutschen Beat-Generation. Für sächsische “Kapellenleiter” wie Klaus Jentzsch ist der obskure Sender oft die einzige Chance an spielbare Musik zu kommen. Hier versorgt er sein Spulentonbandgerät mit Material.

Doch die Rock’n’Roll-Euphorie der Klaus-Renft-Combo währt nicht lange. Wegen “verbotener Einfuhr” – so heißt der terminus technicus, wenn eine Band nachweisbar nicht-genehmigte Westtitel ins Programm hievt – muß sich die Band auflösen. Nach dem Verbot stellt Jentzsch zunächst auf unverfänglichen Bar-Swing um. In den zahlreichen Nachtbars der vergnügungssüchtigen Messestadt verdient sich mancher der untergetauchten Rock’n’Roller in jenen Jahren seinen Lebensunterhalt.

Trotz der frühen Querelen gibt der in Jena geborene Tischler und Freizeitmusiker nicht auf. Stattdessen gründet er 1962 die Butlers. Eine der ersten DDR-Beatbands überhaupt, die, so Peter Wicke, es “lange vor der offiziellen Entwicklung der DDR-Rockmusik zu einem beachtlichen Bekanntheitsgrad gebracht”(4) haben. Die Butlers arbeiten schon mit einer eigenen Anlage, und die Zeiten blutender Musikantenhände sind dank der aufkommenden E-Gitarren vorbei. Im Repertoire dominieren noch die Rock’n’Roll-Klassiker von Chuck Berry bis Elvis Presley. Daneben sind aber auch bereits Titel von den Stones zu hören. Die ostdeutsche “Gitarrengruppen”-Szene ist klar im Aufwind. Eine der kulturpolitischen “Tauwetter”-Perioden, kurzlebig wie andere vor oder nach ihr, sorgt für ein wenig kulturelle Lüftung im stickigen DDR-System. Im Umfeld des Deutschlandtreffens entsteht 1964 sogar ein eigener Jugendsender, DT 64, der fortan einiges für die Entwicklung der Rockmusik tut. Am Anfang fehlen dort aber vor allem sendbare Bänder: Da bei Tanzveranstaltungen und Radiosendungen nur 40 Prozent der Titel aus der westlichen Welt sein dürfen, benötigen die Redakteure dringend hausgemachte Beatmusik. “Da zogen DT-64-Redakteure los mit einem normalen Tonbandgerät und einem Mikrofon”, erinnert sich Karl-Heinz Neumann, erster Moderator der ostdeutschen Jugendwelle. “So kamen die ersten Titel etwa mit den legendären Butlers oder den Sputniks in unser Programm.”(5)

Klaus Jentzsch führt seine Band in dieser Aufbruchsemphase schnell zum Erfolg. Überall wo die smarten Jungs aus Leipzig ihre Shadow-Zugnummern spielen, können sich die Veranstalter über einen ungenügenden Umsatz nicht beklagen.


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