Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
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Doch der Beatfrühling währt nicht lange. Bereits 1965 müssen die Butlers ihre Gitarren wieder in die Koffer packen. Für Klaus Jentzsch bereits das zweite Berufsverbot im kulturellen Zick-Zack-Kurs. Das berüchtigte 11. Plenum des SED-Zentralkomitees räumt im Dezember mit der liberalen Kulturpolitik auf, und die Beatfreunde werden kurzerhand zu Gammlern erklärt. In einer Jugendkommission beim ZK empfiehlt man sogar Arbeitslager für renitente Fans. “Der Minister des Inneren, Genosse Dickel, wird beauftragt, die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, daß die Abteilung Inneres der Räte der Bezirke und Kreis die Mitglieder solcher Gruppen (Gammler u.ä.), die gegen die Gesetze der DDR verstoßen, (...) in Arbeitslager eingewiesen werden.”(6) Unterzeichner dieser Vorlage ist kein Geringerer als der damalige ZK-Sekretär Erich Honecker, selbsternannter “Freund der Jugend”.

Kein Wunder, daß auch für die Leipziger Erfolgsband nun kein Platz mehr auf den Bühnen des Landes ist. Vorgeschobener Anlaß für das Band-Verbot ist ein Ergebnis der Steuerfahndung, welche in dieser Zeit pausenlos Überstunden bei den aufmüpfigen Beatgruppen macht. 10.000 Mark soll die Renft-Combo angeblich unterschlagen haben. Die Leipziger Volkszeitung druckt einen widerlichen Skandal-Bericht. Doch es trifft nicht nur die Butlers. Viele der angesagten Formationen erhalten Spielverbot. Das Band-Sterben wird meist in nichtssagenden Floskeln begründet: “Das Auftreten Ihrer Kapelle”, schreibt etwa der Leipziger Rat der Stadt an Klaus Jentzsch, “steht im Widerspruch zu unseren moralischen und ethischen Prinzipien.”(7) Die Fans lassen sich ihre Stars jedoch so einfach nicht nehmen. Es kommt in der Messestadt zu prekären Massenprotesten und Flugblattaktionen. “Wasserwerfer und abgerichtete Hunde kamen zum Einsatz, mit MPi, denen laut Augenzeugenaussagen teils das Bajonett aufgepflanzt war, bewaffnete Polizeisperrketten kesselten Demonstranten ein und wandten Gummiknüppel an, in Gewahrsam genommene Jugendliche wurden brutal zur Räson gebracht.”(8) Doch die Rebellion der 2.500 Beatanhänger verpufft. Kriminalpolizei und Staatssicherheit demonstrieren hilflose Stärke, und es werden wirkungsvolle Exempel statuiert. Hartnäckige Beatfreunde werden zur Bewährung in die umliegende Braunkohletagebaue geschickt. Das “unbefristete Spielverbot” der Butlers ist so nicht aufzuheben. Klaus Jentzsch taucht erst wieder in der Ulbricht-Endzeit auf, die plötzlich in puncto Jugendpolitik moderatere Töne anschlägt. Die Wartejahre überbrückt er als Tischler im Centrum-Warenhaus und als versierter Notenverkäufer. Ab und an spielt er schwarz in Bars. 1968 ist er mit der zweiten Klaus-Renft-Combo wieder da. Noch immer trägt er den Gurt seiner nachgebauten Fender-Baßgitarre als individuelles Markenzeichen unter dem Schritt. Doch der Renft-Gründer ist älter geworden, wohl auch kompromißbereiter. Jedenfalls ist er nicht mehr unbedingt gewillt, sich für einen verbotenen Song ein drittes Mal von der Bühne schubsen zu lassen. “Wir wollten nicht, daß uns die Funktionäre”, sagt Peter Gläser, “wie einen Schalter ausknipsen können.”(9)

Das Comeback fällt erneut in eine Reformperiode. Wieder steht mit den Weltfestspielen 1973 ein politisches Großereignis bevor, und wieder gibt es einen Hoffnungsträger – auch wenn er diesmal Erich Honecker heißt und noch ein paar Jahre zuvor als Hardliner gegen die dekadenten “Beat-Gammler” und “Beatkult-Anhänger” mit penetranten Sprüchen zu Felde zog. Doch die Wachablösung von Ulbricht zu Honecker, dem einstigen FDJ-Funktionär, braucht ein weithin akzeptiertes Alibi – eine Vision, die die Differenz markiert. So fallen Honeckers-Sätze in seiner Rede auf dem 8. Parteitag auch bei der Klaus-Renft-Combo auf fruchtbaren Boden: Keine Tabus für die Kunst verspricht der neue Staats- und Parteichef, wenn Rockmusiker, Literaten und Theaterleute nur weltanschaulich fest auf dem Boden des Sozialismus stünden. Wo sollte man angesichts von Mauer und Minenfeldern sonst stehen, fragt manch kritischer Intellektuelle. Andererseits geht spürbar ein Ruck durchs Land. “Das war der wichtigste Spruch von Honecker damals”, erinnert sich Gerulf Pannach, langjähriger Texter der Leipziger Kultband, an die plötzliche Euphorie. “An den haben wir uns alle geklammert. Das hat er nicht so gemeint, aber das haben wir so verstanden.”(10)

Die Klaus-Renft-Combo knüpft in der temporären Liberalität schnell wieder an die alten Butlers-Erfolge an, zumal nun auch Rundfunk, Fernsehen und die Plattenfirma Amiga ihr Interesse bekunden. Vorerst redet keiner ins Programm hinein. Der Bedarf nach unangepaßten Bands ist riesig. Diskotheken kommen erst Mitte der 70er Jahre auf und das Publikum verlangt nach erreichbaren Idolen, die man anfassen und live erleben kann. Zwischen Mülsen St. Niclas, Gaschwitz und dem Eisenbahner-Kulturhaus in Ostberlin entsteht eine Nachfrage, von der nicht nur die Renft-Band passabel leben kann.

Doch das Geldverdienen wird nicht zur Hauptsache. “Um ’68 schwappte die Hippie-Welle auf die DDR über”, berichtet Peter Gläser. “Es brach eine richtige Sehnsucht nach Freiheit und Freizügigkeit auf. Dinge wie Gruppensex wurden ausprobiert, Toleranz im Miteinander-Umgehen geübt. Ich habe damals beim Tanz selten Schlägerein erlebt. Die Leute haben sich gut vertragen, sie wollten sich leiden können, wollten sich lieben. Das war halt ‘in’. Es war eine sehr emotionale, aber auch total verrückte Zeit – überhaupt die heißeste Zeit, die ich je miterlebt habe. Völlig ausgeflippt und exzessiv. Leute haben sich auf dem Saal die Klamotten vom Leibe gerissen, haben wie wild gesoffen. (Entblößt seinen rechten Knöchel und zeigt eine Narbe:) Hier hat mich ein Mädel gebissen, als ich mit meiner Gitarre gerade am Bühnenrand gestanden habe. Die war in absoluter Ekstase, nicht mehr zu bremsen.”(11) Trotz des regionalen Starruhms reicht Renft das pure Nachspielen westlicher Kultsongs bald nicht mehr. Gitarrist Peter Gläser bringt von seinem Armeedienst unverhofft einen hitverdächtigen Titel mit. Kurt Demmler besorgt den Text, der damalige Keyboarder Michael Heubach arrangiert. “Wer die Rose ehrt” wird zur legendären Renft-Hymne, die ein großer Teil der heute 35- bis 50jährigen noch auswendig kann. Damit beginnt die große Karriere, aber auch eine ernste Sinnkrise, die das weitere Schicksal der Renft-Combo ernsthaft in Frage stellt.

1971 wird die “Rose” im Rundfunk produziert. In den DDR-Hitparaden läuft der Titel über zehn Wochen als Nummer 1. Die Leipziger Konzert- und Gastspieldirektion, wenig später auch das Komitee für Unterhaltungskunst(12), präsentieren hoch dotierte Exklusivverträge. Da Mitglieder von Profi-Bands eigentlich einen Studienabschluß oder wenigstens eine bestandene Prüfung vorweisen müssen, erhalten die meisten Band-Mitglieder zunächst nur einen “vorläufigen Berufsausweis” mit der Auflage, sich nebenbei an der Leipziger Musikhochschule weiterzubilden. Doch der Erfolg braucht auch im Sozialismus keinen Musiktheorielehrer: Im Vorfeld der 10. Weltfestspiele glänzt die Band mit politisch vorzeigbaren Songs. Titel wie “Chilenisches Metall”, unmittelbar nach dem Chile-Putsch eingespielt, demonstrieren für die begeisterten Funktionäre die erfolgreiche Läuterung einer einstmals widerspenstigen Band. Bei Amiga, dem ostdeutschen Monopollabel für populäre Musik, erscheint 1973 die erste Langspielplatte. Die Auflage ist für DDR-Verhältnisse enorm – annähernd 250.000 Stück.


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