Der Schlußstein der deutschen Einigung

Man wird jedoch nicht übersehen dürfen, daß der Reichstag selbst zu den mannigfachen Hindernissen gehörte, von denen Bamberger spricht, daß er sich in gewisser Weise selbst im Wege stand; die gegensätzlichen Interessen,die im Parlament vertreten wurden, kamen insbesondere in der Standortfrage zutage. Der Abgeordnete Bamberger hat diese Tatsache keineswegs unterschlagen, denn er nennt als zweiten der »besonders ungünstigen Umstände« die »allzu hohe Aspiration, mit welcher nach einem richtigen Terrain für dieses Reichstagshaus gesucht wurde«. Man wird, um die Höhe dieser Aspiration zu verstehen, einen Blick werfen müssen auf die Stellung des Reichstags im Spannungsgefüge der zentralen Gegensätze, die das politische Leben im Zweiten Kaiserreich bestimmten, Gegensätze, die teils in der Verfassung von 1871 festgeschrieben waren, teils sich aus Zweideutigkeiten und Lücken dieser Verfassung erst entwickelten.

Da ist zum einen der Gegensatz der unitarischen und der föderalistischen Elemente im Reichsaufbau, zum anderen der Gegensatz zwischen der nationaldemokratischen Komponente der Verfassung einerseits, der monarchisch-absolutistischen Komponente andererseits. Als eine der wenigen genuinen, von den Einzelstaaten unabhängigen Reichsinstitutionen galt der Reichstag als Verkörperung der unitarischen Komponente; hervorgegangen aus gleichen, freien und geheimen Wahlen, bildete er gewissermaßen ein demokratisches Reservat in der weitgehend von absolutistischen Instanzen geprägten Verfassung. Diesem demokratischen Element waren jedoch enge Grenzen gezogen. Zwar hatte der Reichstag teil an der Gesetzgebung; über die Reichsgewalt jedoch verfügten Institutionen, die nicht der Kontrolle des Parlaments unterlagen.


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Der Schlußstein der
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