Die Kunstsammlung Hermann Göring

Einleitung

Angelika Enderlein, Monika Flacke, Hanns Christian Löhr

Das Deutsche Historische Museum (DHM) stellt in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) sowie dem Bundesarchiv eine weitere Bild-Datenbank ins Netz. Nach den Daten zum “Sonderauftrag Linz” und dem Central Collecting Point München folgt nun die Zusammenstellung der Kunstsammlung von Hermann Göring. DHM, BADV und Bundesarchiv stellen mit diesen Daten- und Bildbanken weiteres Quellenmaterial zur Kunstpolitik im Nationalsozialismus zur Verfügung, die der Provenienzforschung und interessierten Forschungsstellen dienen. Möglicherweise ist sie bei der Ermittlung von bis heute ungeklärtem Kunstraub hilfreich. Sie zeigt Bilder, Skulpturen, Möbel, Tapisserien und andere kunsthandwerkliche Gegenstände, die der Stellvertreter von Adolf Hitler vom Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts bis 1945 kaufte oder aus beschlagnahmtem Besitz übernahm. Diese Gegenstände waren hauptsächlich für ein in der Schorfheide bei Berlin geplantes Museum (die so genannte “Norddeutsche Galerie”) bestimmt. Der hier erfasste Bestand umfasst 4263 Werke.

Zur Geschichte der Kunstsammlung Göring

Hermann Göring war ein besessener Kunstsammler. Durch Raub und Erpressung, aber auch durch Kauf trug er eine Sammlung zusammen, die nach Hitlers Sammlung für den “Sonderauftrag Linz” den zweitgrößten nationalsozialistischen Kunstbestand bildete. Nachdem Göring 1928 Abgeordneter im Reichstag wurde und über ein regelmäßiges Einkommen verfügte, begann er mit dem Aufbau seiner Sammlung. Er konnte dabei auf Werke zurückgreifen, die aus dem Altbesitz seiner Familie stammten. Viele Objekte waren zunächst reine Ausstattungsgegenstände für seine verschiedene Wohnsitze, für seinen Amtssitz als preußischer Ministerpräsident in Berlin, für seine Landhäuser in Berchtesgaden, in der Schorfheide (Carinhall), in Ostpreußen (Rominten) und seine Schlösser Veldenstein (Franken) und Mauterndorf (Österreich) [s. Fotos]. Es ist nicht genau bekannt, wann er sich entschloss, Carinhall in der Schorfheide zu einem Museum auszubauen. Dort wollte er, auch in Abgrenzung zu dem von Adolf Hitler geplanten Museum in Linz an der Donau, den Schwerpunkt auf die Kunst des Mittelalters und der Renaissance legen. Das Konzept für die Sammlung, das Göring verfolgte, führte dazu, dass der Reichsmarschall auch zahlreiche kunsthandwerkliche Gegenstände zusammen trug, wie beispielsweise Glasfenster und gewebte Stoffe. In vielen Fällen war dabei die Grenze zu Gegenständen, die er für den täglichen Bedarf einsetzte, wie beispielsweise bei Porzellan oder Silberware fließend. Die Verwirklichung der “Norddeutschen Galerie” konnte er jedoch nicht mehr realisieren.

Mit dem Näherrücken der Front zum Ende des Zweiten Weltkrieges verlegte Göring einen großen Teil seiner Sammlung nach Bayern. Dort wurden sie von den Alliierten beschlagnahmt. Das Kriegsverbrecher-Tribunal in Nürnberg verurteilte ihn 1946 zum Tode. Die Alliierten Siegermächte lösten die Sammlung auf und bemühten sich, die Verbrechen des nationalsozialistischen Kunstraubes in Ost und West aufzuarbeiten und die Werke in die Herkunftsländer zurück zu übertragen. Grundlage hierfür war die so genannte “Deklaration von London” aus dem Jahre 1943, die alle deutschen Kunstkäufe in den besetzten Ländern für nichtig erklärte. Die meisten Kunstwerke wurden aus Berchtesgaden und anderen Auslagerungsorten in den Central Collecting Point (CCP) München überführt (1) . Bereits im Herbst 1945 begann die Rückübertragung der im CCP inventarisierten Kunstwerke an die Opfer von Beschlagnahmungen und Zwangsverkäufen (2). Im Zuge dieser Rückerstattungen erhielt die Witwe von Göring wenige Gegenstände zurück, die aus ihrem eigenen Besitz stammten oder aus anderen Gründen nicht zu Kunstsammlung Hermann Görings gezählt werden konnten (3).

Im September 1949 übergaben die Amerikaner die Verantwortung für die Restitution dieses Bestandes an die deutschen Behörden. Zunächst wurde die Verwaltung dem Bayerischen Ministerpräsidenten übertragen. Im Februar 1952 erfolgte dann die Übertragung an die westdeutsche Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, die vom Bundeskanzler mit der Verwaltung beauftragt worden war. Das Sonderreferat “Treuhandverwaltung von Kulturgut beim Auswärtigen Amt” (TVK) übernahm die Restbestände des ehemaligen Collecting Points in München und restituierte weitere Kunstwerke. Zehn Jahre später kam es zur Auflösung der TVK. Der Bund und das Land Bayern einigten sich 1960 darauf, die Sammlung Göring zu teilen. Die bis zu diesem Zeitpunkt noch verbliebenen Objekte im Besitz des Bundes wurden 1963 an den Bundesschatzminister übertragen. Seither verwaltet eine nachgeordnete Behörde des Bundesfinanzministeriums - anfangs war es die Oberfinanzdirektion (OFD) München, heute ist es das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) Berlin - den Bestand, den der Bund übernommen hat. Der Rest unterliegt der Zuständigkeit des Freistaates Bayern.

In der “Washingtoner Erklärung” von 1998 verpflichteten sich öffentliche Einrichtungen in 44 Ländern, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, ihre Kunstbestände zu überprüfen. Es begann eine erneute systematische Untersuchung der im Zeitraum von 1933 bis 1945 erworbenen Werke. Dies betraf auch Kunstwerke aus der Sammlung Göring. Im Zuge dieser Selbstverpflichtung legten die Regierungen von Deutschland, Frankreich, Österreich und den Niederlanden, um nur einige zu nennen, offen, welche Kunstwerke aus der ehemaligen Sammlung Göring sich heute noch neben anderen Objekten im Besitz ihrer Länder befinden. In Auszügen werden diese auf verschiedenen Portalen im Internet gezeigt. Einen Überblick über die verfügbaren Portale bieten die Datenbank der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste www.lostart.de sowie der Webauftritt des National Archives of the United States (4).

In Deutschland begannen im Mai 2000 die Provenienzrecherchen zu denjenigen Objekten, die sich in öffentlichen Einrichtungen befinden und die zwischen 1933 und 1945 erworben worden sind. Die Recherchen zu denjenigen Objekten, die sich im heutigen Bundesbesitz befinden, zu denen rund 300 Werke aus der ehemaligen Sammlung Göring gehören, liegt seit dem 1. Januar 2006 in den Händen des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV). Für die Kunstwerke, bei denen nach einer erneuten Recherche ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust in der Zeit des Nationalsozialismus festgestellt wird, ist auch dann eine Rückgabe vorgesehen, wenn der Vermögensgegenstand nicht zuvor von den Berechtigten bzw. deren Erben beansprucht wurde. In solchen Fällen bemüht sich das BADV, die Erbberechtigten zu finden. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen publizierten 2004 einen Provenienzbericht zu den Gemälden, die als sogenannte Überweisung aus Staatsbesitz nach der Aufteilung der Sammlung Göring durch den Freistaat an sie gingen (5).

Die Methoden des Kunsterwerbes

Die historische Besonderheit der Sammlung Göring im Verhältnis zu anderen Kunstsammlungen zeigt sich durch die Art der Aneignung der Kunstwerke. Hitler hatte für Deutschland und das Ausland gewaltige Beschlagnahmungen von Kunstwerken befohlen und beaufsichtigte diese Maßnahmen. Die Verwaltung der beschlagnahmten Güter überließ er nach dem Prinzip “teile und herrsche” mehreren Personen und deren Institutionen. Diese waren Reichsminister Alfred Rosenberg, der Generalgouverneur für Polen Hans Frank und der Chef der SS, Heinrich Himmler. Rosenberg kontrollierte die umfangreichen Beschlagnahmungen aus den westlichen und östlichen Besatzungsgebieten. Durch eine intensive Zusammenarbeit mit Rosenberg gelang es Göring, sich wertvolle Gegenstände aus den Beschlagnahmungen in Frankreich und Belgien zu sichern. Mehr als 600 solcher Gegenstände kamen von dort in seine Sammlung.

Daneben griff Hermann Göring besonders auf Bestände deutscher Museen zurück (6). Zusätzlich erwarb er auch Werke auf dem in- und ausländischen Kunstmarkt. Bei diesen Geschäften setze er wiederholt Gemälde als Tauschobjekte ein, die aus beschlagnahmten jüdischen Kunstsammlungen stammten. Bei allen angekauften Werken besteht wiederum die Möglichkeit, dass sie ebenfalls aus beschlagnahmten Vermögen stammten oder unter Zwang verkauft werden mussten. Es kann also durchaus sein, dass vom Kunsthandel verkaufte Bilder aus unrechtmäßig entzogenem Vermögen stammen. Der deutsche und internationale Kunstmarkt profitierte in den Jahren zwischen 1933 und 1945 von den Verkäufen jüdischer Bürger, die aus Deutschland und den besetzten Gebieten fliehen mussten. In welchem Maße Göring dabei solches durch den Kunsthandel weitergereichtes “Fluchtgut” erwarb, wird die Forschung in den nächsten Jahren beschäftigen.

Das ursprüngliche Inventar der Sammlung

Göring ließ in mehreren Schritten seine immer größer werdende Kunstsammlung inventarisieren. Ein erstes Verzeichnis orientierte sich an der Reihenfolge der Räume im seinem Landhaus “Carinhall”. Eine weitere Stufe stellte das “KG”-Verzeichnis (für Kunstsammlung Göring) dar. Nach der gewaltsamen Übernahme der Sammlung des niederländischen Kunsthändlers Jacques Goudstikker im Sommer 1940 ließ Göring einen weiteren Katalog seiner Werke erstellen, der den Namen “RM”-Verzeichnis trägt (für Reichsmarschall Göring). Der Göring-Katalog, den die TVK in München erstellte, folgt einer alphabethischen Ordnung. Dieser ist nicht vollständig und gibt auch nicht alle Signaturen wieder. Eine Reihe von beschlagnahmten Werken aus jüdischen Sammlungen, die dort nicht erwähnt werden, sind jedoch in der vorliegenden Datenbank verzeichnet. Gegenstände, welche Göring vor dem Krieg als so genannte “Entartete Kunst” aus deutschen Museen entfernen und ins Ausland verkaufen ließ, bleiben unerwähnt, da sie – soweit bekannt – nie in dessen persönlichen Besitz eingingen.

Die Suche nach den Eigentümern

Erste Nachforschungen nach den rechtmäßigen Eigentümern unternahmen die Alliierten im Central Collecting Point München. Die Erkenntnisse ihrer Bemühungen fassten sie im so genannten “Goering-Report” zusammen (7). Die TVK setzte diese Arbeit fort. Die Ergebnisse der unterschiedlichen Forschungen zu den Voreigentümern der Kunstwerke der “Kunstsammlung Göring” sind, soweit zugänglich und bekannt, in der vorliegenden Datenbank erfasst. Die dort versammelten Informationen aus den Akten des Bundesarchivs und der Literatur kann jedoch nicht die Provenienzforschung ersetzen. Bei den Angaben zu den Voreigentümern folgt diese Datenbank im Kern den Angaben des “Göring-Kataloges”. Dabei wurde besonders die Überlieferung von Werken vermerkt, die eine ungeklärte Provenienz haben, d.h. deren Vorbesitzer nicht bekannt sind oder durch einen unrechtmäßigen Erwerb (Beschlagnahme und Zwangsverkauf) in die Sammlung kamen. Auch wurde erst die Überlieferung ab 1928 verzeichnet. An einigen Stellen stehen die Angaben des “Göring-Kataloges” jedoch in Widerspruch zu den Ergebnissen der Nachforschungen in Frankreich und den Niederlanden. Die Datenbank folgt in der Regel den deutschen Überlieferungen.

Die Datenbank

In der Bilddatenbank des Deutschen Historischen Museums finden sich auf über 4200 Datensätzen Angaben zu den Kunstwerken, die Göring zwischen 1928 und 1945 sammelte. Die Datenbank beruht auf weiten Teilen auf dem “Göring-Katalog”, der im Bundesarchiv Koblenz aufbewahrt wird (8). Weitere Informationen zur Sammlung wurden der Publikation von Nancy Yeide entnommen, die allerdings nur Gemälde verzeichnet, die sich im Besitz Hermann Görings befanden (9). Zusätzliche Informationen lieferte die Datenbank der Jewish Claims Conference (www.errproject.org) und der Nachlass von Kurt Reutti aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Zudem wurden für einzelne Angaben noch weitere Fachliteratur hinzugezogen. Eine Literaturliste befindet sich am Ende dieser Einleitung. Viele Werke, die er erwarb, können mit Fotografien belegt werden. Diese stammen zum größten Teil aus den Beständen des Bundesarchivs und des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen. Einige Bilder wurden vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München zur Verfügung gestellt.

Hilfsmittel für die Forschung

Die vorliegende Datenbank ist also nicht das Ergebnis einer eigenständigen Provenienzforschung, sondern wertet allein die bisher bekannten Vorgeschichten und Quellen zu den einzelnen Kunstwerken aus. Nicht alle Standorte, auf die heute die Karteikarten des CCP München verweisen, sind zudem aktuell. Mit der Datenbank entsteht aber ein Instrumentarium, das zur Identifizierung von Werken dienen kann, die bis heute nicht als Zwangsverkäufe erkannt sind. Die Daten des Kataloges können es in Verbindung mit anderen Dokumenten (Versteigerungskatalogen etc.) auch ermöglichen, unter den Werken der Sammlung Göring weitere Objekte zu identifizieren, die als Beschlagnahmungen gelten müssen. Zudem erlaubt sie Kunsthistorikern den Blick auf Bilder, die nach 1945 wieder an private Besitzer zurückgingen und seitdem nicht öffentlich ausgestellt wurden.

Das Deutsche Historische Museum, das sammlungsbedingt einen Schwerpunkt in der Erforschung der nationalsozialistischen Kunstpolitik hat, ermöglicht die Veröffentlichung der Datenbank. Das Bundesarchiv und das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, die bereits den Fotobestand in digitaler Form besitzen, stellten die notwendigen Dateien zur Verfügung. Die Zusammenarbeit verschiedener Institutionen hat auch hier wieder einen erheblichen Zugewinn für die Forschung, wie für die an der nationalsozialistischen Kunstpolitik interessierte Öffentlichkeit ermöglicht. Die Herausgeber hoffen auch, einen Beitrag zur Entmystifizierung zu leisten.

Ebenso konnten trotz zahlreicher Bemühungen nicht alle Inhaber von Rechten an zeitgenössischen Bildern ermittelt werden. Anspruchsberechtigte bitten wir, mit dem DHM Kontakt aufzunehmen.

Die Herausgeber danken allen, die halfen, die Datenbank der “Kunstsammlung Hermann Göring” zu ermöglichen. Neben den oben genannten Institutionen, die die Fotografien zur Verfügung stellten, danken wir für die datentechnische Verarbeitung Jens Jarmer (DHM) und Barbara Fichtl vom Zuse-Institut Berlin (ZIB).

Weiterführende Literatur

  • Iris Lauterbach, “Arche Noah”, “Museum ohne Besucher?” - Beutekunst und Restitution im Central Art Collecting Point in München 1945-1949, in: Entehrt. Ausgeplündert. Arisiert. Entrechtung und Enteignung der Juden, hg. von der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg, bearb. von Andrea Baresel-Brand, Magdeburg 2005, S. 335-352.
  • Hanns Christian Löhr, Der Eiserne Sammler. Die Kollektion Hermann Göring, Berlin 2009.
  • Ilse von zur Mühlen, Die Kunstsammlung Hermann Görings, (München 2004).
  • Nancy H. Yeide, Beyond the dreams of avarice. The Hermann Goering collection, Dallas 2009.

Abkürzungen

s. Abkürzungsverzeichnis.

Anmerkungen

1) S. MCCP Datenbank.
2) Zur Tätigkeit des Collecting Points München s.: Craig Smyth, Repatriation of art from the collecting point in Munich after World War II, The Hague 1988.
3) Diese restituierten Gegenstände wurden aus Gründen der Vollständigkeit mit in die Datenbank übernommen.
4) S. http://www.archives.gov/research/holocaust/international-resources/index.html.
5) S. hierzu den Bericht von Ilse von zur Mühlen: Die Kunstsammlung Hermann Görings: ein Provenienzbericht der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, München 2004.
6) S. hierzu: Hanns Christian Löhr, Der Eiserne Sammler, Die Kollektion Hermann Göring, Berlin 2009, S. 24.
7) Bundesarchiv Koblenz, B 323 Nr. 70. "Consolidated Interrogation Report Nr. 2: The Goering Collection", Bericht von Th. Rousseau, Office of Strategic Services - Art Looting Investigation Unit, vom 15. Sept. 1945 nebst Anhängen.
8) Bundesarchiv Koblenz, B 323 Nr. 57 – 67.
9) Nancy H. Yeide, Beyond the dreams of avarice. The Hermann Goering collection, Dallas 2009.