Die Fifties - Teil 1
Die fünfziger Jahre wurden für Westdeutschland
das Tor zur Neuen Welt und der Abgesang auf die Alte Welt. Dies war
für viele ein schmerzhafter, ein von der Mehrheit kaum bewußt mitgetragener
und ein von den wenigsten klar erkannter Prozeß. Die bedingungslose
Kapitulation am 8. Mai 1945 setzte einen Schlußpunkt - eine gravierende
Zäsur, die erst im Rückblick an epochaler Schärfe gewonnen
hat: Die Vereinigten Staaten von Amerika wurden von nun an zur dominierenden
Weltmacht, die eine jahrhundertealte europäische Problemgeschichte
und ihre Kultur überformte. Anders als nach ihrem Engagement im
Ersten Weltkrieg zogen sich die USA nicht über den Atlantik zurück,
sondern griffen nachhaltig ein. Der Kalte Krieg und der Ost-West-Konflikt,
Folge ungelöster Fragen der Potsdamer Konferenz (Juli/August 1945),
gaben seit 1947 den USA Anlaß für ihre vorläufige Dauerpräsenz
in Europa. Sie blieben im Namen der "Freiheit der Völker", zur
Absicherung der Demokratie und der Menschenrechte. Dieser "Amerikanische
Traum" konnte in den ersten Nachkriegsjahren angesichts der machtpolitischen
und territorialen Verschiebungen, der völkerwanderungsähnlichen
Vertreibungen, der Brüche und Verwerfungen in der geopolitischen
Landkarte Europas bestenfalls zunächst nur eine Vision für
die Westdeutschen in "Trizonesien" sein.
1949 war das Deutsche Reich nicht nur drei-, sondern
letztlich viergeteilt: Ein Teil unterstand polnischer Verwaltung, ein
weiterer - das nördliche Ostpreußen - der sowjetischen Verwaltung,
das ehemalige Mitteldeutschland entsprach in etwa dem sowjetischen Einflußbereich
in den Grenzen der DDR und schließlich die Bundesrepublik, die aus dem
Zusammenschluß der drei Westzonen entstanden war. In diesen Teil flüchteten
bis 1950 insgesamt 9,5 Millionen Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone
und aus den deutschen Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie. Ihre
wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration stellte die junge
Bundesrepublik vor existentielle Schwierigkeiten. Die Bombenschäden
in den Industriezentren, die Demontage von Produktionsstätten durch
die vier Siegermächte, die Zerstörung der wirtschaftlichen
Infrastruktur durch Teilung, Kapitalmangel, Reparationsforderungen,
die der laufenden Produktion entnommen wurden, und ein von den Siegermächten
kontrollierter Außenhandel gaben der wirtschaftlichen Entwicklung der
Bundesrepublik finstere Prognosen.
Die Versorgung der Witwen und Waisen, der Kriegsversehrten
und Kriegsheimkehrer, der Flüchtlinge und Arbeitslosen bilanzierte
im Bundeshaushalt mit fast 50 Prozent als größter Posten, gefolgt
von den Besatzungskosten. Der Mangel an Wohnraum in den industriellen
Ballungszentren spottete jeder Beschreibung. Das Wohnungsbaugesetz von
1950 plante 1,8 Millionen Wohnungen in den nächsten sechs Jahren.
Insgesamt fehlten 3,7 Millionen Wohnungen. Der neue Staat, weitgehend
geprägt und repräsentiert von alten Männern, ließ sich
1949 auf das Abenteuer einer bisher unbekannten und vermutlich von ihm
so nicht einmal erwarteten Zivilisationsdynamik ein, die sich zur Mitte
der fünfziger Jahre entfaltete und noch heute Mythos und Mentalität
der alten Bundesrepublik prägt.
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