Als die westdeutsche Wirtschaftskommission 1948
nach der Währungsreform die Marktwirtschaft auf Druck westalliierter
Berater einführte, war deren Erfolg keineswegs gesichert. Mit dem
Ende der noch aus den Kriegsjahren stammenden Vorratsbewirtschaftung,
der Abschaffung der Lebensmittelkarten zum 1. Mai 1950 und der Freigabe
der Preise stiegen zunächst einmal die Verbraucherpreise empfindlich,
nahm die Arbeitslosigkeit zu – zum Schrecken der Väter der
Marktwirtschaft. Es war zwar fast alles wieder zu haben, aber es fehlte
an Geld, um es zu erwerben. Im Januar 1950 gab ein Bergarbeiterstreik
mit neunprozentiger Lohnforderung den Auftakt für Tarifauseinandersetzungen
im Rahmen der Marktwirtschaft. Die SPD – noch Verfechter staatlicher
Planwirtschaft und Preisbindung – sah sich in ihrem wirtschaftspolitischen
Pessimismus gegenüber dem Experiment des Bundeswirtschaftsministers
Ludwig Erhard bestätigt und verwies mahnend auf das zunehmende
Heer der Arbeitslosen. 1950 zählte die Bundesrepublik über
zwei Millionen Beschäftigungslose (13,3%). Erschwerend kam hinzu,
daß der Flüchtlingsstrom nicht abriß: 200000 kamen 1950
aus dem "Arbeiter– und Bauernstaat" der DDR und 20000 sudetendeutsche
Vertriebene aus der CSSR. So sehr man im Westen die "Abstimmung mit
den Füßen" schätzte und sie als Zustimmung zur freiheitlich
demokratischen Gesellschaftsordnung wertete, willkommen waren die Flüchtlinge
unter der ansässigen Bevölkerung nicht unbegrenzt. Im April
1950 wurde eine Flüchtlingsbaracke bei Beckum durch Brandstiftung
zerstört. Als 1950 die Hochkommissare, die alliierte Kontrollinstanz
der bundesdeutschen Demokratie, und die Bonner Regierung mit über
500000 deutschen Aussiedlern aus Polen in den nächsten Jahren rechneten
– im März waren allein 25 000 gekommen –, versuchte
das Adenauer–Kabinett, einen parlamentarischen Beschluß
zur Begrenzung der Flüchtlingsströme zu erwirken. Bei diesem
heiklen Thema konte sie sich aber im Bundesrat nicht gegen die Stimmen
der SPD und KPD durchsetzen. Insbesondere die westdeutsche KPD erhoffte
sich von dieser sozialpolitischen Überforderung eine Destabilisierung
des westdeutschen Modells und zugleich eine Entlastung des sozialistischen
Modells in der DDR von vermeintlichen "Staats– und Klassenfeinden".
Für diese Opfer des Klassenkampfes und politisch
Verfolgten war die meist unfreiwillige Flucht in die Bundesrepublik
keineswegs der bequeme Weg in den Goldenen Westen. Dieser Schritt war
zunächst einmal verbunden mit einem langen Aufenthalt in den zahlreichen
Aufnahmelagern, mit anschließender Arbeitslosigkeit, sozialem
Abstieg und einer stetigen Begegnung mit Vorurteilen. Verständlich,
daß sich über 60 Prozent der im Westen multikulturell zusammengetroffen
Bevölkerung für 1950 nicht nur eine Verbesserung der Lebensverhältnisse,
sondern vor allem die Wiedervereinigung wünschten – noch vor
einer Verbesserung der Wohnverhältnisse.
Aber was wiedervereinigt werden sollte, war strittig.
Das Deutsche Reich hatte in seiner territorialen Definition aufgehört
zu bestehen. Den staatsrechtlichen Rest rettete die Bundesrepublik,
verbunden mit der Willenserklärung zur moralischen und finanziellen
Wiedergutmachung. Diese konnte zunächst wegen offensichtlicher
Mittellosigkeit des Staates nur als gute Absicht von den überlebenden
Opfern des Nationalsozialismus verstanden werden. Zunächst war
Westdeutschland selbst Empfänger von Hilfeleistungen. Aber um international
Achtung zu erlangen und sich in Zukunft als verläßlicher
Partner auszuzeichnen und wieder Kreditwürdigkeit zu erlangen, übernahm
die Bundesregierung im Londoner Schuldenabkommen im Februar 1953 die
Ablösung der durch das Dritte Reich beschlagnahmten Auslandsvermögen,
die Vorkriegsschulden, in geschätzter Höhe von 16 Milliarden
DM. Wie diese Summe dereinst abzulösen sei, war zum Beginn der
Verhandlungen im September 1950 noch unklar. Immerhin erreichte der
Bankier Hermann Abs für die deutsche Vertretung, daß nur aus
dem Überschuß der deutschen Waren– und Dienstleistungsbilanz
gezahlt werden müßte.