Das Klima des Kalten Krieges, die Verwandlung der
ehemaligen Sieger in Schutzmächte, die Furcht vor dem Kommunismus,
die Wiederbewaffnung, verbunden mit einer moralischen Entlastung der
Wehrmacht durch die Ehrenerklärung Eisenhowers (der deutsche Soldat
habe im Zweiten Weltkrieg seine Ehre nicht verloren), der Abschluß der
Entnazifizierung im Oktober 1951 und das beginnende "Wirtschaftswunder"
stellten ungünstige Voraussetzungen für eine notwendige "Trauerarbeit"
über die Verbrechen des Dritten Reiches an anderen Völkern
und den Juden. Man kann die pädagogischen Ansätze und die
journalistische Aufklärung aus den ersten Nachkriegsjahren bereits
Anfang der fünfziger Jahre zunächst als beendet sehen. Man
wollte das Thema der Schuld nicht ständig verhandelt wissen. Am
nachhaltigsten zum Beispiel in Stadtoldendorf. Dort verbrannte man im
Herbst 1951 Mitgliederlisten der NSDAP im Ofen des städtischen
Gaswerkes, um einen Schlußstrich unter die gesamte Entnazifizierung
zu ziehen.
Als im Juni 1951 die letzten der 1947 vom Nürnberger
Militärtribunal ausgesprochenen sieben Todesurteile gegen SS-Führer
- nachdem sie wegen Überprüfung 1948 ausgesetzt wurden - in Landsberg
endgültig durch die USA bestätigt wurden, stiftete dies Verwirrung
in der jungen deutsch-amerikanischen Freundschaft. Die Bundesregierung
gewährte der Verteidigung weitestgehende Unterstützung, um
die Vollstreckung noch zu verhindern, und gab zu bedenken, daß zwei
Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes, das keine Todesstrafe vorsah,
die Vollstreckung von Todesurteilen durch Alliierte zur Rechtsverunsicherung
beitrüge. Auf alliierter Seite wurde dies mit Stirnrunzeln registriert,
und die amerikanische Presse glaubte, einen neuen Nationalismus in der
Bundesrepublik zu erkennen.
In seiner Regierungserklärung zum deutsch-jüdischen
Verhältnis vom September 1951 verwies der Bundeskanzler auf die
Verpflichtung des Grundgesetzes, sich jeglicher Rassendiskriminierung
entgegenzustellen und im Geist der Versöhnung die Menschenwürde
zu achten. Antisemitische Hetze solle durch Ergänzung des Strafgesetzes
mit schwerer Strafe belegt werden. Neben der Anerkennung des guten Willens
mahnte Israel allerdings die finanzielle Wiedergutmachung beim Bundeskanzler
an, der dieses Thema eher beiläufig erwähnt hatte. Dieses
Volk war offensichtlich überfordert: Nach Kapitulation und Schuld
oder gar "Kollektivschuld aller Deutschen", nach Haupt- und Nebenkriegsverbrecherprozessen,
nach Entnazifizierung, Reeducation und Demokratisierung, nach Demontage,
Hunger, Flucht und Teilung, nach Rückkehr aus Kriegsgefangenschaft
oder Exil sollte nun wieder aufgebaut, wieder bewaffnet und möglicherweise
wieder gegen den Kommunismus gekämpft werden, sollte wiedervereinigt
und wiedergutgemacht werden, wurden Urteile gegen Kriegsverbrecher zurückgenommen,
Verurteilte wieder freigelassen, alte Führungseliten teils wieder
eingesetzt. Darüber hinaus galt in Teilen der Rechtssprechung noch
alliiertes Besatzungsrecht. Man hörte und las von Bestechungsgeldern,
die Funktionsträger des Dritten Reiches für ihre Entnazifizierungsdokumente
zahlten, um den berühmt-berüchtigten "Persilschein" für
weiße Westen zu erhalten. Die Anstrengungen der Tagespolitik, die brüchige
Moral und der Paradigmenwechsel der internationalen Politik gingen über
eine umfassende Diskussion des Holocaust hinweg. Das Ausmaß der Schuld
war vom Einzelnen nicht zu bewältigen, man stand durch die Verbrechen
des deutschen Nationalsozialismus scheinbar außerhalb der europäischen
Geschichte. Wiedergutmachung wurde zunächst zu einer finanziellen
Angelegenheit - immerhin ein erster Schritt.
Die These, die junge Bundesrepublik habe die Verbrechen
der Vergangenheit verdrängt, nicht ausreichend "Trauerarbeit" geleistet,
wird in letzter Zeit relativiert. Die nur zaghafte Auseinandersetzung
mit den Strukturen des Dritten Reiches habe es ermöglicht, Brücken
der Integration des gesamten Volkes in die neue Demokratie zu bauen.
Immerhin habe der größte Teil des deutschen Volkes das Dritte Reich
mitgetragen. Man konnte gegen die Masse der Mitläufer nicht ständig
Anklage führen, wollte man sie für die Demokratie gewinnen.
Man kann die fragwürdigen Kontinuitäten von Personen in gesellschaftlichen
Positionen im Rückblick verurteilen, diese Integration war aber
vielleicht auch eine notwendige und schließlich vorübergehende
Funktion beim Aufbau der Demokratie. So die Argumente eines moderaten
Rückblicks auf die Fragen der Kontinuität zu Beginn der Adenauer-Ära.
Andererseits konnte an einer kritischen Beurteilung des nationalsozialisten
Staates in Politik und Gesellschaft kein Zweifel bestehen. Wie unvollständig
im einzelnen die Auseinandersetzung mit dem Hitlerstaat auch gewesen
sein mag, die Bundesrepublik verstand sich eindeutig als Gegenstück
zum Dritten Reich und zu totalitären Staatsformen.