|  | Dieses Buch spiegelt 
      die Fülle der Forschungen zu zwei ungewöhnlichen deutschen Städten des zwanzigsten 
      Jahrhunderts, politisch geplante Städte beide, beide industrielle Stadtgründungen 
      mit hohem ideologischen Anspruch. Der Band, der in engem inhaltlichen Zusammenhang 
      mit der Ausstellung "Aufbau West - Aufbau 0st. Die Planstädte Wolfsburg 
      und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit" entstand, befaßt sich mit 
      der deutsch-deutschen Vergangenheit. Dies geschieht bewußt in vergleichender 
      Perspektive. Ein solches Unternehmen ist riskant. Dennoch haben wir uns 
      für diese Blickrichtung entschieden. Selbstverständlich nicht, um bestehende 
      Polaritäten zu vertiefen, sondern um im Gegenteil durch die Präsentation 
      einer doppelten Geschichte, die teilweise vertraut, teilweise fremd ist, 
      eine Diskussion über die >Gewordenheit< der Gegenwart in Gang zu setzen, 
      die durch den Bezug auf zwei Systeme jenseits einer >binnenexotischen< Betrachtungsweise 
      ist. Wie die deutsch-deutsche Geschichte darzustellen und zu interpretieren 
      sei, darüber besteht kein Common sense. Die Diskussionen verlaufen kontrovers 
      und manchmal heftig. Jenseits aller Sachargumente sind sie gekennzeichnet 
      durch ein starkes emotionales Moment, geprägt vom Standort und der Lebenswelt 
      des einzelnen. Das gilt insbesondere dann, wenn direkte Vergleiche zwischen 
      den beiden deutschen Staaten und ihren Kulturen gezogen werden. 
 Ohne vorbereitende und begleitende Forschungen und Archivrecherchen wären 
      die Ausstellung und dieser sie begleitende Band in der realisierten Form 
      nicht möglich gewesen. Wolfsburg, die "Wirtschaftswunderstadt", die 
      "Nazigründung" und ehemalige Stadt des KdF-Wagens, sowie das ehemalige 
      Stalinstadt (wie Eisenhüttenstadt bis 1961 hieß), die sozialistische Vorzeigestadt, 
      sind in den letzten Jahren aus verschiedenen Blickrichtungen und mit unterschiedlicher 
      Intensität Forschungs>gegenstände< geworden. Das Buch bündelt laufende oder 
      gerade abgeschlossene Forschungen (so zum NS-Rüstungsbetrieb Volkswagenwerk, 
      zur >Gastarbeiter<problematik 
      in Wolfsburg, zur Frauenarbeit) mit solchen, die in ihren Disziplinen längst 
      den Rang eines >KIassikers< erlangt haben (zum Beispiel zur Heimatthematik 
      und zu den städtebaulichen Leitbildern in Wolfsburg). Es hat zudem - besonders 
      für Eisenhüttenstadt - neue Forschungen initiiert (zur nationalsozialistischen 
      Vorgeschichte, zum 17. Juni, zu Kunst und Kultur, zur politischen Symbolik 
      der Namen und andere). Traditionellerweise war nämlich das Forschungsinteresse 
      der westdeutschen Geschichts- und Sozialwissenschaften an der vormaligen 
      Stadt des KdF-Wagens und späteren "Käferstadt" ungleich größer als 
      das der DDR-Forschung an Eisenhüttenstadt, die - bis auf Ausnahmen - das 
      Thema ignoriert hat. In der westlichen Retortenstadt fragten Soziologen 
      schon seit den sechziger Jahren nach den Bedingungen und Möglichkeiten von 
      der "Beheimatung" in einer Stadt ohne gewachsene Strukturen. Für 
      Eisenhüttenstadt (wie überhaupt in der gesamten DDR-Forschung) fehlte dieser 
      Ansatz bis in die achtziger Jahre, galt er doch als nicht erforderlich in 
      einem Staat, der unter Realität immer auch Planungsrealität verstand. Die 
      Projektgruppe um Lutz Niethammer gehörte zu den wenigen westlichen Forschern, 
      die sich Ende der achtziger Jahre der "volkseigenen Erfahrung" 
      annäherten. In ihrer "Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz 
      der DDR" nahmen sie auch Eisenhüttenstadt in den Blick.
 
 Um die Fülle facettenreicher Forschungen, die im Umfeld der Ausstellung 
      zusammengeführt beziehungsweise überhaupt erst initiiert wurden, zu bündeln 
      und öffentlich zugänglich zu machen, haben wir uns für einen Aufsatzband 
      anstelle eines >klassischen< Objektkataloges entschieden. Das vorliegende 
      umfangreiche Buch wurde möglich durch die Bereitschaft einschlägiger Fachleute 
      aus 0st und West, zu unseren Fragestellungen aus ihren Arbeitsgebieten heraus 
      etwas beizutragen und an der wissenschaftlichen Beratung des Ausstellungsprojektes 
      mitzuwirken. Damit will das Deutsche Historische Museum eine Brücke schlagen 
      zwischen zeitgeschichtlicher Forschung und Museum, aber auch zwischen Museum 
      und >Leben<, denn das Projekt wirkte in beide Städte hinein, indem es Impulse 
      gab für neue Forschungen sowie Ausstellungs- und Museumskonzepte.
 
 Aufgebaut ist der vorliegende Band nach dem Prinzip der Komparatistik. Das 
      heißt, das Buch verknüpft die Behandlung ein und desselben Aspektes für 
      beide Städte, wenn möglich, in der Bearbeitung durch einen Autor, sonst 
      in der Kombination zweier Einzelbeiträge, die einander gegenseitig erhellen. 
      Aus dem komparativen Vorgehen, also der vergleichenden Betrachtung der gemeinsamkeiten 
      und Unterschiede zwischen beiden Städten, werden Erkenntnisse gewonnen, 
      die den Aufbau der beiden deutschen Staaten in der Nachkriegszeit viel akzentuierter 
      deutlich machen, als es Einzelanalysen für sich je könnten. Dabei ist die 
      Betrachtungsweise eine historische in dem Sinne, daß viele Aspekte und Fachdisziplinen 
      (Städtebau, Architektur, Wirtschafts- und Politikgeschichte, Kunst- und 
      Kulturgeschichte) zusammengeführt werden. In der thematischen Darstellung 
      gehen einige Beiträge bewußt über den Schwerpunkt hinaus, der in der Nachkriegszeit, 
      in den fünfziger und frühen sechziger Jahren, liegt. Der Band prolongiert 
      die Betrachtung bis in die Gegenwart hinein. Als in sich geschlossene und 
      aufeinander bezogene Aufsatzsammlung hat das Buch mithin auch nach dem Ende 
      der Ausstellung und unabhängig von ihr eine eigenständige Berechtigung.
 
 Was hier zwischen zwei Buchdeckeln vereint ist, sind historisch-wissenschaftliche 
      Abhandlungen und ist zugleich eine Photodokumentation. Im Medium Photographie 
      zeigt sich das Geplantwerden und Wachsen beider Städte besonders deutlich. 
      Zudem sind wir im Laufe der Recherchen auf eine Fülle von einem breiteren 
      Publikum unbekannten, aber kulturhistorisch bedeutsamen Photos (zum Beispiel 
      vom VW-Werkphotographen Willi Luther oder dem Architekturphotographen Heinrich 
      Heidersberger) gestoßen, die einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen 
      uns lohnenswert erscheint.
 
 Ließ sich solcherart im Bereich des Schriftlichen und der Photographie vieles 
      zusammentragen, so gilt das - bezogen auf die Ausstellung auch für die übrige 
      materielle Überlieferung. Wie bei allen zeithistorischen Themen waren auch 
      hier die des Zeigens und Erzählens würdigen Dinge und Ereignisse außerordentlich 
      verstreut. Manches findet sich in Archiven und Museen, vieles ist Teil des 
      Alltags, des Stadtraums, wird noch genutzt. Der Zufall prägte die Überlieferung 
      ebenso wie die politischen Zeitläufte. Bei den Vorbereitungen zur Ausstellung 
      wie auch zum Buch war die unterschiedliche Überlieferungsgeschichte in beiden 
      Städte, waren Brüche in der rückblickenden Betrachtung zwischen 0st und 
      West, Verluste der Sachüberlieferung wie auch die bereits hervorgehobene 
      sehr unterschiedliche Forschungsdichte Tatbestände, mit denen wir uns immer 
      wieder auseinandersetzen mußten: Vieles war in Eisenhüttenstadt mit der 
      Auflösung der DDR verlorengegangen. Mit den Irritationen der "Wende" wurde 
      hier etliches aus der "roten" Frühzeit der Stadt, als sie noch Stalinstadt 
      hieß, vernichtet. Oft war es dabei der Initiative einzelner zu verdanken, 
      daß scheinbar nebensächliche Dinge erhalten blieben. Aus diesem historischen 
      Bewußtsein inmitten von Umbrüchen und Veränderungen, aus Dokumenten, Gegenständen, 
      Bildern und Tönen speist sich der gesellschaftliche Diskurs über die geradezu 
      emblematischen Aufbaustädte in beiden deutschen Staaten.
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