|
"Nur einmal erstarb das Lied
der Arbeit auf der gesamten Baustelle. Riesige Massengräber waren gefunden
worden. Blitzschnell hatte sich diese grauenvolle Nachricht herumgesprochen."
(1) Dieses
hier so dramatisch beschriebene Ereignis aus dem Jahre 1950 ist in Erzählungen
bis heute präsent. Die Akten allerdings kennen diese Geschichte nicht;
sie erzählen eine andere, die vom "Abbau der Denkmäler und Umrandungen
auf den beiden Sowjetischen Heldenfriedhöfen" (2).
Der schockierende Fund der Massengräber auf dem EKO-Gelände zählt zu den
Eisenhüttenstädter Legenden. Denn die in Massengräbern verscharrten sowjetischen
Opfer der nationalsozialistischen "Vernichtung durch Arbeit" waren 1945
von der Roten Armee - ähnlich wie in Wolfsburg mit Grabanlagen dem Vergessen
entrissen worden. (3)
Drei Jahre später war auch die genaue Zahl der an Unterernährung, Krankheiten,
grauenvollen hygienischen Bedingungen sowie an Mord und Totschlag Verstorbenen
ermittelt worden - laut Befehl Nr. 227 der Sowjetischen Militäradministration
(SMAD) vom 7. Oktober 1947, der verfügte, daß "sämtliche Angehörige der
vereinten Nationen, die in der Kriegsperiode 1939-1945 infolge Massnahmen
des Naziregimes und auf normale Weise gestorben und in einer Gemeinde
der sowj. Besatzungszone begraben sind", zu erfassen seien. (4)
Am 23. März 1948 meldete das Standesamt Fürstenberg: "ln der Gemeinde
Fürstenberg / Oder befinden sich ausser den Gräbern der 31 unbekannten
russ. Soldaten auch noch Massengräber von 4112 unbekannten russ. Kriegsgefangenen.
In den letzteren sind auch die auf der Gemarkung Pohlitz beigesetzten
Kriegsgefangenen aus dem ehemaligen Stalag [d.i. "Stammlager", Bezeichnung
für Lager, die zur Unterbringung von Kriegsgefangenen eingerichtet wurden,
d.V.] enthalten." (5)
Da nur nach "Angehörige[n] der vereinten Nationen" gefragt worden war,
hielt man es nicht für nötig, auf die dort ebenfalls verscharrten vier
Menschen jüdischer Herkunft auch nur hinzuweisen. Allerdings erwähnte
sie der Rat der Gemeinde Pohlitz zweieinhalb Jahre später beiläufig in
einer kurzen Information an die Leitung des Hüttenkombinats Ost. (6)
Über zwei dieser Menschen ist bekannt, daß sie Fürstenberger Bürger waren
- der Kaufmann Siegfried Fellert und seine Frau -, die im April 1945 in
das kurz zuvor geräumte Stalag IIIB verschleppt und dort ermordet worden
waren. Am Geburtshaus von Siegfried Fellert wurde nach dem Krieg eine
Gedenktafel angebracht; die Straße zum Bahnhof erhielt seinen Namen. Über
die beiden anderen jüdischen Opfer hingegen ist nichts bekannt.
Dafür ist die Überlieferung des Umgangs mit den Toten aus der UdSSR um
so dichter. 1948 hatte die Besatzungsmacht vom Bauunternehmer Wilke aus
Fürstenberg (7)
den zwischen Oder-Spree-Kanal und Reichsbahn (nördlich des ehemaligen
Stalag IIIB) in Nord-Süd-Richtung gelegenen Friedhof umgestalten lassen.
Auf einer Fläche von 170 mal 14 Metern, die von einem einen Meter hohen
Zaun umgeben war, ließ Wilke acht 15 Meter lange und vier Meter breite
Blumenrabatten symmetrisch anordnen. In deren Mitte befand sich eine in
Form eines Doppel-T angelegte Ehrenanlage mit zwei Denkmälern. Als Zugang
wurde ein 44 Meter langer und vier Meter breiter, mit einer Klinkereinfassung
versehener Weg gewählt. Unter der nördlichen Hälfte des Friedhofs befand
sich der größte Teil des Massengrabs; dessen restliche 24 Meter lagen
außerhalb des Friedhofs, Richtung Reichsbahn. (8)
Insgesamt waren in diesem Grab etwa 1 800 Tote verscharrt. "Man schaffte
täglich 50 und mehr verhungerte sowj. Soldaten aus dem Lager. Sie wurden
auf einen LKW geladen, gekleidet nur mit einer Hose und wie Holzkloben
gestapelt. [...] Zwei sowj. Gefangene waren auf dem LKW[,] einer faßte
am Kopf und der andere an die Beine[,] so warf man die Toten von oben
in die Gruft[,] und unten waren wieder zwei sowj. Gefangene[,] die stapelten
sie dann schichtweise in einer Reihe. Wenn die Reihe voll war[,] kam eine
Schicht Chlorkalk darüber. [...] Man hörte aber dann dort auf, weil man
Bedenken hatte, da sich dort in der Nähe das Wasserwerk der Stadt Fürstenberg
befindet und evtl. das Wasser verseucht werden könnte. Ein zweites Massengrab
wurde eingerichtet", (9)
im nördlichen Abschnitt des Weges von Schönfließ zum Pohlitzer See, 1950
als "Friedhof l" bezeichnet. Beim Aufbau des EKO störten beide Friedhöfe.
"Der Friedhof I liegt genau
auf dem Gelände, das im Zuge des Aufbaus des Kombinats für die Aufnahme
der Kokerei vor gesehen ist. Der Friedhof II dagegen bedeckt einen Raum,
welcher im Fünfjahrplan das Walzwerk 11 (Drahtstrasse) des Kombinats aufnehmen
soll." (10)
Doch weder die eine noch die andere Anlage wurde an den vorbezeichneten
Stellen errichtet; 1957 befand sich dort, wo der "Friebhof ll" gewesen
war, das Erzlager, anstelle der Kokerei waren die Erzhütten eingerichtet
worden. (11)
Für die Umbettung der Toten stand fest, "nach den Wünschen der SKK ein
entsprechendes Monument entwerfen und erstellen zu lassen. Der Platz für
die gemeinsame neue Ruhestätte müßte unter künstlerischen, städtebaulichen
und politischen Gesichtspunkten an einer bevorzugten Stelle ausgewählt
werden". (12)
Da die Sowjetische Kontrollkommission (SKK) für das Land Brandenburg eine
Entscheidung nicht fällen wollte, wurde die SKK Berlin-Karlshorst (zuständig
für die DDR als Ganzes) eingeschaltet. (13)
Mit deren Vollmachten ausgestattet, gab am 11. Januar 1951 ein Vertreter
der SKK Frankfurt / Oder, der einen eigenen Architekten in seinem
Gefolge hatte, in einer Beratung die entsprechenden Richtlinien aus. "Herr
Geiler stellte die Frage, ob in Friedhofsart oder Denkmalart der Monument
vorgenommen werden soll. Herr Oberst Alexandrow teilte mit, dass nur Denkmalart
infrage käme, und die Überreste in ein Betonfundament bezw. Holzkästen
oder Särge überführt und dort unter dem Sockel des Monumental-Denkmals
gelagert werden. Herr Oberst schlug eine Denkmal Höhe von 17 m vor." (14)
Zweifellos wäre es schwieriger gewesen, einen Friedhof mit Einzelgräbern
auszulegen; doch das war nicht der eigentliche Grund für die Entscheidung
der SKK. In Wolfsburg zum Beispiel hatte die SMAD 1945 mit Unterstützung
der britischen Besatzungsmacht ebenfalls ein Massengrab in einen Friedhof
mit Einzelgräbern umgestaltet - obwohl auch dort die Namen vieler Toter
nicht überliefert waren. Was die SKK 1950 in Fürstenberg störte, war,
daß es sich bei den Toten um Kriegsgefangene handelte, galten sie
doch für Stalin als Verräter. Im "Befehl Nr. 270 des Hauptquartiers des
Kommandos des Obersten Befehlshabers der Roten Armee vom 16. August 1941"
hatte es geheilßen: "Wer in die Einkreisung geraten ist, hat auf Leben
und Tod zu kämpfen und bis zuletzt zu versuchen, sich zu den Unsern durchzuschlagen.
Wer dagegen die Gefangenschaft vorzieht, ist mit allen Mitteln zu vernichten.
Den Angehörigen von Rotarmisten, die sich gefangen gegeben haben, sind
staatliche Zuwendungen und Unterstützungen zu entziehen." (15)
Auch der Sieg über Deutschland hatte nichts an dieser Haltung gegenüber
den in deutsche Gefangenschaft geratenen Soldaten der Roten Armee verändert.
In Stalins Befehl vom 11. Mai 1945 wurde verfügt: "Die Kriegsräte haben
in den rückwärtigen Gebieten zur Unterbringung und zum Unterhalt ehemaliger
Kriegsgefangener und zu repatriierender sowjetischer Bürger Lager für
je 10 000 Personen einzurichten. [...] Die Kontrolle in den zu errichtenden
Lagern für ehemalige sowjetische Kriegsgefangene und befreite Bürger ist
zu übertragen: für ehemalige Armeeangehörige - den Organen des Abwehrdienstes
>Smersch< (Tod den Spionen)". (16)
Für die Überlebenden der nationalsozialistischen "Vernichtung durch Arbeit"
folgte nach Kriegsende die sowjetische "Vernichtung durch Arbeit". Wer
diese überlebte, kam nach Stalins Tod frei; das Stigma des Verräters jedoch
blieb.
Den in Deutschland umgekommenen Kriegsgefangenen hingegen wurde zunächst
ein Teil ihrer Ehre wiedergegeben - mit Friedhöfen, nicht nur in Fürstenberg
an der Oder. Intern galten aber auch sie weiterhin als Verräter. Ein Denkmal
zu ihren Ehren mitten in der Wohnstadt des EKO erschien der SKK als unzumutbar:
"Herr Oberst [ist] vorbehaltlich einverstanden, dass das Monument und
die Gedenkstätte für die Gefallenen der Roten Armee an eine[m] Zentralpunkt
der Wohnstadt vom Bahnhof
aus angelegt wird." (17)
Die Sprachregelung "Ehrenmal für die Gefallenen" wurde nun verbindlich.
(18)
Dieser Vorgang war keineswegs einmalig. In der Stadtmitte verschiedener
Städte westlich der Elbe befinden sich Denkmale für gefallene sowjetische
Soldaten, so unter anderem in Gera, Greiz, Erfurt, wo nie ein Rotarmist
kämpfte, jedoch sowjetische Kriegsgefangene "durch Arbeit vernichtet"
wurden. Doch mit diesem Schicksal galten die Toten nicht als "verwendbar"
- also wurde ihnen bei ihrer Umbettung in die Stadtzentren eine andere
Biographie angedichtet: "gefallen".
Die Erinnerung an die deutschen Verbrechen an sowjetischen Kriegsgefangenen
und Zwangsarbeitern wurde so durch die sowjetische Politik nach 1945 weitgehend
getilgt. Würdig für eine Erwähnung waren - wenn überhaupt - sowjetische
Kriegsgefangene nur dann, wenn sie nachweislich wegen Widerstandshandlungen
ermordet worden waren, wie im Außenlager des KZ Buchenwald Langenstein-Zwieberge
Oberst Andrej Smirnow: "Er hatte sich geweigert, an acht seiner Landsleute
[...] die Exekution zu vollziehen." (19)
An den meisten Orten, wo sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter
ihr Leben ließen, erinnert bis heute nichts daran. So auch in Eisenhüttenstadt.
Auf dem Denkmal, das am 7. November 1951 mit einer großen Zeremonie eingeweiht
wurde,) (20)
heißt es: "wetschnaja slawa gerojam pawschim w borbe sa swobodu i nesawisimost
naschej rodiny" ("Ewiger Ruhm den Helden, die im Kampf für die Freiheit
und Unabhängigkeit unserer Heimat gefallen sind").
Der Platz am Denkmal wurde in den folgenden Jahrzehnten für Kundgebungen,
Kranzniederlegungen und ähnliche Zeremonien genutzt. Jedoch setzte sich
in der Bevölkerung die Legende von den gefallenen Sowjetsoldaten nicht
durch. Das Wissen um die Kriegsgefangenen blieb so weit verbreitet, daß
auch die offizielle Selbstdarstellung der SED-Parteiorganisation des EKO
wenn auch mit Unkorrektheiten (21)
- die wirkliche Herkunft der Toten beschrieb. Zugleich bemühte sie sich
jedoch, die gescheiterte Legende der SKK - mit Hilfe einer falschen Übersetzung
- vergessen zu machen: "In Granit trägt es die Worte: "Schlaft ruhig,
teure Kampfgenossen. Euer Andenken wird in Jahrhunderten nicht verblassen".
(22)
Hingegen lebt die Legende vom "überraschenden Fund" bis heute, auch wenn
Jochen Czerny schon vor über zehn Jahren erstmals die Existenz der beiden
Kriegsgefangenen-Friedhöfe erwähnte (23).
In Interviews mit Bewohnern von Eisenhüttenstadt - von denen die meisten
allerdings die Geschehnisse nicht selbst erlebt hatten, weil sie erst
später in die Stadt zogen - wird dieses angebliche Ereignis immer wieder
berichtet.
In der DDR wurde diese Legende bis zum Schluß gepflegt, denn sie gestattete,
die Vorgeschichte Fürstenbergs in undeutlichem Nebel zu belassen und schrittweise
mit einer weiteren Legende, der von einer angeblich vergessenen Gegend,
zu überdecken. Erstmals kolportiert wurde sie im Jahre 1951 durch den
Schriftsteller Rudolf Leonhard: "Vor den Tafeln drängten sich, während
die Jungen Pioniere abzogen und die Waldeinsamkeit sich ein letztes Mal
für kurze Zeit wiederherstellte, Bauern aus der Gegend, in großer Erregung:
vor zwei, drei Tagen hätten sie noch nicht wirklich gewußt, daß hier in
ihre verlorne Ecke das große Werk kommen würde, und nun würde aus diesem
Winkel des Landes, um den sich jahrhundertelang niemand gekümmert hätte,
wenn es nicht gewesen sei, um die Bauernsöhne als Soldaten einzuziehn
und um dort gelegentlich zu jagen, endlich etwas werden. Man hätte sich
dieses vergeßnen Winkels erinnert, die Republik sei es, die sich seiner
erinnert, ja, die ihn entdeckt habe; und die Gründe, warum die Republik
dieses Werk grade an diese Stelle, an die Oder-Neiße-Grenze, auf dem Wege
von Oberschlesien nach Stettin, legen wollte, wurden verstanden. [...]
Ein Werk entsteht, ein Stück Land wird wach und reich. Die Bauern dort
wußten und wissen, wir alle wußten und wissen, das ist die Materialität,
das ist auch der Geist der Deutschen Demokratischen Republik." (24)
Diese Mischung aus Residual-Expressionismus und Blut- und Boden-Prosa
dürfte im reichhaltigen CEuvre der DDR-Propagandisten einmalig sein.
Tatsächlich aber handelte es sich bei dieser Gegend keineswegs um einen
"vergeßnen Winkel". Am 23. November 1939 hatte im Städtchen Fürstenberg / Oder
Bürgermeister Mertsch einen unerwarteten Brief aus Frankfurt / Main
in Empfang genommen: "Ich wende mich an Sie auf Veranlassung des Herrn
Dr. Eckell von der Reichsstelle für Wirtschaftsausbau, der seinerzeit,
gemeinsam mit Herrn Dr. Wirth von der Reichsstelle, mit Ihnen über verschiedene
in der Nähe von Fürstenberg liegende Gelände gesprochen hat. Die Scheideanstalt
ist genötigt, sich nach einem grossen Industriegelände in der Nähe eines
grossen Kraftwerks umzusehen, in der Absicht, auf diesem Gelände zunächst
einen bedeutenden Betrieb - in späterer Zukunft wahrscheinlich noch andere
Betriebe - möglichst rasch zu errichten. Es handelt sich um Fabrikationen,
die zurzeit im Westen des Reiches an Stellen betrieben werden, die in
wehrwirtschaftlicher Beziehung ungünstig liegen, und für die, auf Verlangen
des Wehrwirtschaftsstabes und der Reichsstelle für Wirtschaftsausbau hin,
Ausweichfabrikationsstätten in wehrwirtschaftlich günstiger Lage geschaffen
werden müssen." (25)
Auf einen solchen Brief hatte die Fürstenberger Stadtverwaltung seit Jahren
gewartet. Schon in den zwanziger Jahren war sie um Investoren bemüht gewesen
und hatte zu diesem Zweck allerdings ohne Erfolg - farbige Werbematerialien
in Umlauf gebracht. (26)
In den dreißiger Jahren war es dann zu Verhandlungen über die Ansiedlung
eines Buna-Werkes gekommen, die aber scheiterten. (27)
Erfolgreicher war man hingegen mit der Märkischen Elektrizitätswerk Aktiengesellschaft,
die mit der Stadt am 27. November 1936 einen Kohlenabbauvertrag schloß
- sechs Jahre später, im Sommer 1942, begann unter Tage der Abbau von
Braunkohle. (28)
Wenige Tage vor dem Brief der Degussa hatte das Landratsamt Guben die
"Gebrauchsabnahme" einer "100 KV.-Leitung Fürstenberg-Deichow / Oder-Kreutzung"
vorgenommen (29)
- diese Leitung sollte elf Jahre später bei der Auswahl des EKO-Standorts
eine Rolle spielen. Der Kohlenförderung folgte ein Kraftwerk, das sogenannte
Wernerwerk - seine gewaltige Ruine bildet bis heute eine Dominante in
der Fürstenberger Landschaft.
Der Degussa Direktor Baerwind hatte es eilig, schon am 29. November 1939
besuchte er zusammen mit einem Architekten Fürstenberg. "Bei den Raebelwerken
haben sich die Herren Dr. Baerwind und Architekt Ziegler auf mein Anraten
bei dem leitenden Ingenieur Grohwe Auskunft über den Baugrund eingeholt.
Sie brachten auch hier in Erfahrung, daß Herr Ingenieur Grohwe bei den
von ihm geleiteten Grossbauten an den verschiedensten Plätzen kaum jemals
etwas ähnliches an Güte getroffen hat, und erhielten an dieser Stelle
auch die gewünschten Bohrergebnisse. Sie konnten sich hier auch über den
Grundwasserstand eingehend informieren. Das Industriegelände mit seinen
bisherigen Anlagen hat auf die Besucher einen einwandfrei guten Eindruck
gemacht. Sie erklärten wiederholt, dass sie etwas derartiges nicht erwartet
hätten. [...] Die Transportmöglichkeiten in Fürstenberg / Oder
werden als günstig angesehen. Als vorteilhaft für den Fürstenberger Platz
wird auch anerkannt, dass zur Zeit nicht unerhebliche Bauvorhaben (Stalag,
Silo, Lagerhalle) durchgeführt werden." (30)
Das Mannschafts-Stammlager für Kriegsgefangene (Stalag) in Fürstenberg
ging aus dem am 26. August 1939 aufgestellten Durchgangslager Amtitz (Dulag
D) hervor und gehörte zum Wehrkreis lll Berlin. Nach ihm wurde es, als
es offiziell am 6. Dezember 1939 nach Fürstenberg verlegt wurde,
auch benannt: Stalag IIIB. Stalag IIIA lag in Luckenwalde, Stalag IIIC
in Alt Drewitz bei Küstrin. Im Stalag IIIB, in dem bis zu 44 000 gegnerische
Soldaten gleichzeitig gefangengehalten wurden, waren Kriegsgefangene aus
den USA, Frankreich, der UdSSR, Jugoslawien, den Niederlanden, Italien,
Belgien, Polen, Rumänien, Großbritannien und der CSR. (31)
Entsprechend der rassistischen Nazi-ldeologie wurden die Gefangenen unterschiedlich
behandelt: am menschlichsten die Amerikaner, am barbarischsten die Soldaten
der Roten Armee. Während anfangs auch deren Tote auf dem Fürstenberger
Friedhof beerdigt wurden, ging man noch im Sommer 1941 dazu über, sie
auf freiem Acker zu verscharren. Als die Rote Armee 1945 Fürstenberg eroberte,
gab es dort keine Kriegsgefangenen mehr. Sie waren im Februar 1945 erst
nach Luckenwalde, dann nach Stettin verlegt worden; die Überlebenden
wurden am 28. April 1945 befreit.
Die große - rüstungswirtschaftliche - Industrialisierung Fürstenbergs
wurde im wesentlichen mit Kriegsgefangenen betrieben. Neben der Degussa
siedelte sich auch die Rheinmetall-Borsig AG in Fürstenberg an. Während
die Existenz eines Degussa-Werkes, des "Werkes F", historisch interessierten
Eisenhüttenstädtern zumindest allgemein bekannt ist, wurde das Wissen
um das Rheinmetall-Borsig-Werk, auf dessen Fundamenten 1950 die ersten
Baracken für das EKO errichtet werden sollten, völlig verschüttet. Auch
in den Archiven konnten bisher kaum Spuren gefunden werden. Laut Zentralarchiv
der Rheinmetall Berlin AG, Nachfolger der Rheinmetall-Borsig AG, er warb
die Rheinmetall-Borsig AG "1940 in Fürstenberg-Schönfliess ein dort bestehendes
Werk der Degussa AG zwecks Herstellung von Flugzeugbordlafetten und automatischer
Waffen als Zweigwerk des Werkes Guben. Das Werk firmierte unter dem Namen
>Oder Gerätebau AG<. Am 6. Februar 1945 wurden nach Beschuß mit der Stalinorgel
große Teile des Werkes zerstört." (32)
Das Werk befand sich auf einem etwa 200 Meter breiten Grundstück nördlich
der Straße zwischen Fürstenberg und Schönfließ, etwa an der Stelle, wo
sich bis 1996 der Eingang "Schönfliesser Wache" des EKO befand. Es bestand
aus neun Gebäuden, davon vier Gebäude mit 50 bis 65 Meter Länge und 10
bis 15 Meter Breite; eine Werkhalle mit den Außenmaßen von 50 Meter mal
33 Meter wurde nicht mehr fertiggestellt.
Daneben existierte während des Krieges auf dem Gelände des späteren EKO
ein Betrieb, in dem abgeschossene Flugzeuge für eine Aluminiumhütte in
Finkenheerd demontiert wurden. Setzt man das Degussa-Werk, das ab Ende
1941 produzierte, das Rheinmetall-Borsig-Werk, die Kohlegruben der MEW,
deren Kraftwerk, das am Ende des Krieges betriebsfertig war, aber nicht
mehr die Produktion aufnahm, das Flugzeug-Demontage-Werk und die bestehende
Glasindustrie in Summe, dann zeigt sich, daß Fürstenberg am Ende des Krieges
eine hochindustrialisierte Region war. Bis auf die Glasindustrie wurden
1945 / 46 alle Betriebe demontiert, im Mai 1947 erfolgte die
Sprengung.
In der DDR wurde lange Zeit mit Erfolg versucht, diese Vergangenheit zu
verschleiern. Dafür gab es zwei Motive. Zum einen waren Demontagen ein
Tabu, zum anderen sollte das EKO mehr als nur die Herstellung einer DDR-eigenen
Roheisenindustrie symbolisieren; es wurde als Beweis für die erst durch
den Sozialismus möglich gewordene Industrialisierung unterentwickelter
Regionen benutzt. Dafür wurde die Legende "Wo einst Sand und Kiefern waren..."
in die Welt gesetzt. (33)
Sie lebt bis heute.
|