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Jörn Schütrumpf

"Wo einst nur Sand und Kiefern waren..." >Vergangenheitsbewältigung< im Eisenhüttenkombinat 0st

 

"Nur einmal erstarb das Lied der Arbeit auf der gesamten Baustelle. Riesige Massengräber waren gefunden worden. Blitzschnell hatte sich diese grauenvolle Nachricht herumgesprochen." (1) Dieses hier so dramatisch beschriebene Ereignis aus dem Jahre 1950 ist in Erzählungen bis heute präsent. Die Akten allerdings kennen diese Geschichte nicht; sie erzählen eine andere, die vom "Abbau der Denkmäler und Umrandungen auf den beiden Sowjetischen Heldenfriedhöfen" (2).

Der schockierende Fund der Massengräber auf dem EKO-Gelände zählt zu den Eisenhüttenstädter Legenden. Denn die in Massengräbern verscharrten sowjetischen Opfer der nationalsozialistischen "Vernichtung durch Arbeit" waren 1945 von der Roten Armee - ähnlich wie in Wolfsburg mit Grabanlagen dem Vergessen entrissen worden. (3) Drei Jahre später war auch die genaue Zahl der an Unterernährung, Krankheiten, grauenvollen hygienischen Bedingungen sowie an Mord und Totschlag Verstorbenen ermittelt worden - laut Befehl Nr. 227 der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) vom 7. Oktober 1947, der verfügte, daß "sämtliche Angehörige der vereinten Nationen, die in der Kriegsperiode 1939-1945 infolge Massnahmen des Naziregimes und auf normale Weise gestorben und in einer Gemeinde der sowj. Besatzungszone begraben sind", zu erfassen seien. (4) Am 23. März 1948 meldete das Standesamt Fürstenberg: "ln der Gemeinde Fürstenberg / Oder befinden sich ausser den Gräbern der 31 unbekannten russ. Soldaten auch noch Massengräber von 4112 unbekannten russ. Kriegsgefangenen. In den letzteren sind auch die auf der Gemarkung Pohlitz beigesetzten Kriegsgefangenen aus dem ehemaligen Stalag [d.i. "Stammlager", Bezeichnung für Lager, die zur Unterbringung von Kriegsgefangenen eingerichtet wurden, d.V.] enthalten." (5)

Da nur nach "Angehörige[n] der vereinten Nationen" gefragt worden war, hielt man es nicht für nötig, auf die dort ebenfalls verscharrten vier Menschen jüdischer Herkunft auch nur hinzuweisen. Allerdings erwähnte sie der Rat der Gemeinde Pohlitz zweieinhalb Jahre später beiläufig in einer kurzen Information an die Leitung des Hüttenkombinats Ost. (6) Über zwei dieser Menschen ist bekannt, daß sie Fürstenberger Bürger waren - der Kaufmann Siegfried Fellert und seine Frau -, die im April 1945 in das kurz zuvor geräumte Stalag IIIB verschleppt und dort ermordet worden waren. Am Geburtshaus von Siegfried Fellert wurde nach dem Krieg eine Gedenktafel angebracht; die Straße zum Bahnhof erhielt seinen Namen. Über die beiden anderen jüdischen Opfer hingegen ist nichts bekannt.

Dafür ist die Überlieferung des Umgangs mit den Toten aus der UdSSR um so dichter. 1948 hatte die Besatzungsmacht vom Bauunternehmer Wilke aus Fürstenberg (7) den zwischen Oder-Spree-Kanal und Reichsbahn (nördlich des ehemaligen Stalag IIIB) in Nord-Süd-Richtung gelegenen Friedhof umgestalten lassen. Auf einer Fläche von 170 mal 14 Metern, die von einem einen Meter hohen Zaun umgeben war, ließ Wilke acht 15 Meter lange und vier Meter breite Blumenrabatten symmetrisch anordnen. In deren Mitte befand sich eine in Form eines Doppel-T angelegte Ehrenanlage mit zwei Denkmälern. Als Zugang wurde ein 44 Meter langer und vier Meter breiter, mit einer Klinkereinfassung versehener Weg gewählt. Unter der nördlichen Hälfte des Friedhofs befand sich der größte Teil des Massengrabs; dessen restliche 24 Meter lagen außerhalb des Friedhofs, Richtung Reichsbahn. (8)

Insgesamt waren in diesem Grab etwa 1 800 Tote verscharrt. "Man schaffte täglich 50 und mehr verhungerte sowj. Soldaten aus dem Lager. Sie wurden auf einen LKW geladen, gekleidet nur mit einer Hose und wie Holzkloben gestapelt. [...] Zwei sowj. Gefangene waren auf dem LKW[,] einer faßte am Kopf und der andere an die Beine[,] so warf man die Toten von oben in die Gruft[,] und unten waren wieder zwei sowj. Gefangene[,] die stapelten sie dann schichtweise in einer Reihe. Wenn die Reihe voll war[,] kam eine Schicht Chlorkalk darüber. [...] Man hörte aber dann dort auf, weil man Bedenken hatte, da sich dort in der Nähe das Wasserwerk der Stadt Fürstenberg befindet und evtl. das Wasser verseucht werden könnte. Ein zweites Massengrab wurde eingerichtet", (9) im nördlichen Abschnitt des Weges von Schönfließ zum Pohlitzer See, 1950 als "Friedhof l" bezeichnet. Beim Aufbau des EKO störten beide Friedhöfe. "Der Friedhof I liegt ge
nau auf dem Gelände, das im Zuge des Aufbaus des Kombinats für die Aufnahme der Kokerei vor gesehen ist. Der Friedhof II dagegen bedeckt einen Raum, welcher im Fünfjahrplan das Walzwerk 11 (Drahtstrasse) des Kombinats aufnehmen soll." (10) Doch weder die eine noch die andere Anlage wurde an den vorbezeichneten Stellen errichtet; 1957 befand sich dort, wo der "Friebhof ll" gewesen war, das Erzlager, anstelle der Kokerei waren die Erzhütten eingerichtet worden. (11)

Für die Umbettung der Toten stand fest, "nach den Wünschen der SKK ein entsprechendes Monument entwerfen und erstellen zu lassen. Der Platz für die gemeinsame neue Ruhestätte müßte unter künstlerischen, städtebaulichen und politischen Gesichtspunkten an einer bevorzugten Stelle ausgewählt werden". (12) Da die Sowjetische Kontrollkommission (SKK) für das Land Brandenburg eine Entscheidung nicht fällen wollte, wurde die SKK Berlin-Karlshorst (zuständig für die DDR als Ganzes) eingeschaltet. (13) Mit deren Vollmachten ausgestattet, gab am 11. Januar 1951 ein Vertreter der SKK Frankfurt / Oder, der einen eigenen Architekten in seinem Gefolge hatte, in einer Beratung die entsprechenden Richtlinien aus. "Herr Geiler stellte die Frage, ob in Friedhofsart oder Denkmalart der Monument vorgenommen werden soll. Herr Oberst Alexandrow teilte mit, dass nur Denkmalart infrage käme, und die Überreste in ein Betonfundament bezw. Holzkästen oder Särge überführt und dort unter dem Sockel des Monumental-Denkmals gelagert werden. Herr Oberst schlug eine Denkmal Höhe von 17 m vor." (14)

Zweifellos wäre es schwieriger gewesen, einen Friedhof mit Einzelgräbern auszulegen; doch das war nicht der eigentliche Grund für die Entscheidung der SKK. In Wolfsburg zum Beispiel hatte die SMAD 1945 mit Unterstützung der britischen Besatzungsmacht ebenfalls ein Massengrab in einen Friedhof mit Einzelgräbern umgestaltet - obwohl auch dort die Namen vieler Toter nicht überliefert waren. Was die SKK 1950 in Fürstenberg störte, war, daß es sich bei den Toten um Kriegsgefangene handelte, galten sie doch für Stalin als Verräter. Im "Befehl Nr. 270 des Hauptquartiers des Kommandos des Obersten Befehlshabers der Roten Armee vom 16. August 1941" hatte es geheilßen: "Wer in die Einkreisung geraten ist, hat auf Leben und Tod zu kämpfen und bis zuletzt zu versuchen, sich zu den Unsern durchzuschlagen. Wer dagegen die Gefangenschaft vorzieht, ist mit allen Mitteln zu vernichten. Den Angehörigen von Rotarmisten, die sich gefangen gegeben haben, sind staatliche Zuwendungen und Unterstützungen zu entziehen." (15) Auch der Sieg über Deutschland hatte nichts an dieser Haltung gegenüber den in deutsche Gefangenschaft geratenen Soldaten der Roten Armee verändert. In Stalins Befehl vom 11. Mai 1945 wurde verfügt: "Die Kriegsräte haben in den rückwärtigen Gebieten zur Unterbringung und zum Unterhalt ehemaliger Kriegsgefangener und zu repatriierender sowjetischer Bürger Lager für je 10 000 Personen einzurichten. [...] Die Kontrolle in den zu errichtenden Lagern für ehemalige sowjetische Kriegsgefangene und befreite Bürger ist zu übertragen: für ehemalige Armeeangehörige - den Organen des Abwehrdienstes >Smersch< (Tod den Spionen)". (16) Für die Überlebenden der nationalsozialistischen "Vernichtung durch Arbeit" folgte nach Kriegsende die sowjetische "Vernichtung durch Arbeit". Wer diese überlebte, kam nach Stalins Tod frei; das Stigma des Verräters jedoch blieb.

Den in Deutschland umgekommenen Kriegsgefangenen hingegen wurde zunächst ein Teil ihrer Ehre wiedergegeben - mit Friedhöfen, nicht nur in Fürstenberg an der Oder. Intern galten aber auch sie weiterhin als Verräter. Ein Denkmal zu ihren Ehren mitten in der Wohnstadt des EKO erschien der SKK als unzumutbar: "Herr Oberst [ist] vorbehaltlich einverstanden, dass das Monument und die Gedenkstätte für die Gefallenen der Roten Armee an eine[m] Zentralpunkt der Wohn
stadt vom Bahnhof aus angelegt wird." (17) Die Sprachregelung "Ehrenmal für die Gefallenen" wurde nun verbindlich. (18)

Dieser Vorgang war keineswegs einmalig. In der Stadtmitte verschiedener Städte westlich der Elbe befinden sich Denkmale für gefallene sowjetische Soldaten, so unter anderem in Gera, Greiz, Erfurt, wo nie ein Rotarmist kämpfte, jedoch sowjetische Kriegsgefangene "durch Arbeit vernichtet" wurden. Doch mit diesem Schicksal galten die Toten nicht als "verwendbar" - also wurde ihnen bei ihrer Umbettung in die Stadtzentren eine andere Biographie angedichtet: "gefallen".

Die Erinnerung an die deutschen Verbrechen an sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern wurde so durch die sowjetische Politik nach 1945 weitgehend getilgt. Würdig für eine Erwähnung waren - wenn überhaupt - sowjetische Kriegsgefangene nur dann, wenn sie nachweislich wegen Widerstandshandlungen ermordet worden waren, wie im Außenlager des KZ Buchenwald Langenstein-Zwieberge Oberst Andrej Smirnow: "Er hatte sich geweigert, an acht seiner Landsleute [...] die Exekution zu vollziehen." (19) An den meisten Orten, wo sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter ihr Leben ließen, erinnert bis heute nichts daran. So auch in Eisenhüttenstadt. Auf dem Denkmal, das am 7. November 1951 mit einer großen Zeremonie eingeweiht wurde,) (20) heißt es: "wetschnaja slawa gerojam pawschim w borbe sa swobodu i nesawisimost naschej rodiny" ("Ewiger Ruhm den Helden, die im Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit unserer Heimat gefallen sind").

Der Platz am Denkmal wurde in den folgenden Jahrzehnten für Kundgebungen, Kranzniederlegungen und ähnliche Zeremonien genutzt. Jedoch setzte sich in der Bevölkerung die Legende von den gefallenen Sowjetsoldaten nicht durch. Das Wissen um die Kriegsgefangenen blieb so weit verbreitet, daß auch die offizielle Selbstdarstellung der SED-Parteiorganisation des EKO wenn auch mit Unkorrektheiten (21) - die wirkliche Herkunft der Toten beschrieb. Zugleich bemühte sie sich jedoch, die gescheiterte Legende der SKK - mit Hilfe einer falschen Übersetzung - vergessen zu machen: "In Granit trägt es die Worte: "Schlaft ruhig, teure Kampfgenossen. Euer Andenken wird in Jahrhunderten nicht verblassen". (22)

Hingegen lebt die Legende vom "überraschenden Fund" bis heute, auch wenn Jochen Czerny schon vor über zehn Jahren erstmals die Existenz der beiden Kriegsgefangenen-Friedhöfe erwähnte (23). In Interviews mit Bewohnern von Eisenhüttenstadt - von denen die meisten allerdings die Geschehnisse nicht selbst erlebt hatten, weil sie erst später in die Stadt zogen - wird dieses angebliche Ereignis immer wieder berichtet.

In der DDR wurde diese Legende bis zum Schluß gepflegt, denn sie gestattete, die Vorgeschichte Fürstenbergs in undeutlichem Nebel zu belassen und schrittweise mit einer weiteren Legende, der von einer angeblich vergessenen Gegend, zu überdecken. Erstmals kolportiert wurde sie im Jahre 1951 durch den Schriftsteller Rudolf Leonhard: "Vor den Tafeln drängten sich, während die Jungen Pioniere abzogen und die Waldeinsamkeit sich ein letztes Mal für kurze Zeit wiederherstellte, Bauern aus der Gegend, in großer Erregung: vor zwei, drei Tagen hätten sie noch nicht wirklich gewußt, daß hier in ihre verlorne Ecke das große Werk kommen würde, und nun würde aus diesem Winkel des Landes, um den sich jahrhundertelang niemand gekümmert hätte, wenn es nicht gewesen sei, um die Bauernsöhne als Soldaten einzuziehn und um dort gelegentlich zu jagen, endlich etwas werden. Man hätte sich dieses vergeßnen Winkels erinnert, die Republik sei es, die sich seiner erinnert, ja, die ihn entdeckt habe; und die Gründe, warum die Republik dieses Werk grade an diese Stelle, an die Oder-Neiße-Grenze, auf dem Wege von Oberschlesien nach Stettin, legen wollte, wurden verstanden. [...] Ein Werk entsteht, ein Stück Land wird wach und reich. Die Bauern dort wußten und wissen, wir alle wußten und wissen, das ist die Materialität, das ist auch der Geist der Deutschen Demokratischen Republik." (24) Diese Mischung aus Residual-Expressionismus und Blut- und Boden-Prosa dürfte im reichhaltigen CEuvre der DDR-Propagandisten einmalig sein.

Tatsächlich aber handelte es sich bei dieser Gegend keineswegs um einen "vergeßnen Winkel". Am 23. November 1939 hatte im Städtchen Fürstenberg / Oder Bürgermeister Mertsch einen unerwarteten Brief aus Frankfurt / Main in Empfang genommen: "Ich wende mich an Sie auf Veranlassung des Herrn Dr. Eckell von der Reichsstelle für Wirtschaftsausbau, der seinerzeit, gemeinsam mit Herrn Dr. Wirth von der Reichsstelle, mit Ihnen über verschiedene in der Nähe von Fürstenberg liegende Gelände gesprochen hat. Die Scheideanstalt ist genötigt, sich nach einem grossen Industriegelände in der Nähe eines grossen Kraftwerks umzusehen, in der Absicht, auf diesem Gelände zunächst einen bedeutenden Betrieb - in späterer Zukunft wahrscheinlich noch andere Betriebe - möglichst rasch zu errichten. Es handelt sich um Fabrikationen, die zurzeit im Westen des Reiches an Stellen betrieben werden, die in wehrwirtschaftlicher Beziehung ungünstig liegen, und für die, auf Verlangen des Wehrwirtschaftsstabes und der Reichsstelle für Wirtschaftsausbau hin, Ausweichfabrikationsstätten in wehrwirtschaftlich günstiger Lage geschaffen werden müssen." (25)

Auf einen solchen Brief hatte die Fürstenberger Stadtverwaltung seit Jahren gewartet. Schon in den zwanziger Jahren war sie um Investoren bemüht gewesen und hatte zu diesem Zweck allerdings ohne Erfolg - farbige Werbematerialien in Umlauf gebracht. (26) In den dreißiger Jahren war es dann zu Verhandlungen über die Ansiedlung eines Buna-Werkes gekommen, die aber scheiterten. (27) Erfolgreicher war man hingegen mit der Märkischen Elektrizitätswerk Aktiengesellschaft, die mit der Stadt am 27. November 1936 einen Kohlenabbauvertrag schloß - sechs Jahre später, im Sommer 1942, begann unter Tage der Abbau von Braunkohle. (28)

Wenige Tage vor dem Brief der Degussa hatte das Landratsamt Guben die "Gebrauchsabnahme" einer "100 KV.-Leitung Fürstenberg-Deichow / Oder-Kreutzung" vorgenommen (29) - diese Leitung sollte elf Jahre später bei der Auswahl des EKO-Standorts eine Rolle spielen. Der Kohlenförderung folgte ein Kraftwerk, das sogenannte Wernerwerk - seine gewaltige Ruine bildet bis heute eine Dominante in der Fürstenberger Landschaft.

Der Degussa Direktor Baerwind hatte es eilig, schon am 29. November 1939 besuchte er zusammen mit einem Architekten Fürstenberg. "Bei den Raebelwerken haben sich die Herren Dr. Baerwind und Architekt Ziegler auf mein Anraten bei dem leitenden Ingenieur Grohwe Auskunft über den Baugrund eingeholt. Sie brachten auch hier in Erfahrung, daß Herr Ingenieur Grohwe bei den von ihm geleiteten Grossbauten an den verschiedensten Plätzen kaum jemals etwas ähnliches an Güte getroffen hat, und erhielten an dieser Stelle auch die gewünschten Bohrergebnisse. Sie konnten sich hier auch über den Grundwasserstand eingehend informieren. Das Industriegelände mit seinen bisherigen Anlagen hat auf die Besucher einen einwandfrei guten Eindruck gemacht. Sie erklärten wiederholt, dass sie etwas derartiges nicht erwartet hätten. [...] Die Transportmöglichkeiten in Fürstenberg / Oder werden als günstig angesehen. Als vorteilhaft für den Fürstenberger Platz wird auch anerkannt, dass zur Zeit nicht unerhebliche Bauvorhaben (Stalag, Silo, Lagerhalle) durchgeführt werden." (30)

Das Mannschafts-Stammlager für Kriegsgefangene (Stalag) in Fürstenberg ging aus dem am 26. August 1939 aufgestellten Durchgangslager Amtitz (Dulag D) hervor und gehörte zum Wehrkreis lll Berlin. Nach ihm wurde es, als es offiziell am 6. Dezember 1939 nach Fürstenberg verlegt wurde, auch benannt: Stalag IIIB. Stalag IIIA lag in Luckenwalde, Stalag IIIC in Alt Drewitz bei Küstrin. Im Stalag IIIB, in dem bis zu 44 000 gegnerische Soldaten gleichzeitig gefangengehalten wurden, waren Kriegsgefangene aus den USA, Frankreich, der UdSSR, Jugoslawien, den Niederlanden, Italien, Belgien, Polen, Rumänien, Großbritannien und der CSR. (31) Entsprechend der rassistischen Nazi-ldeologie wurden die Gefangenen unterschiedlich behandelt: am menschlichsten die Amerikaner, am barbarischsten die Soldaten der Roten Armee. Während anfangs auch deren Tote auf dem Fürstenberger Friedhof beerdigt wurden, ging man noch im Sommer 1941 dazu über, sie auf freiem Acker zu verscharren. Als die Rote Armee 1945 Fürstenberg eroberte, gab es dort keine Kriegsgefangenen mehr. Sie waren im Februar 1945 erst nach Luckenwalde, dann nach Stettin verlegt worden; die Überlebenden wurden am 28. April 1945 befreit.

Die große - rüstungswirtschaftliche - Industrialisierung Fürstenbergs wurde im wesentlichen mit Kriegsgefangenen betrieben. Neben der Degussa siedelte sich auch die Rheinmetall-Borsig AG in Fürstenberg an. Während die Existenz eines Degussa-Werkes, des "Werkes F", historisch interessierten Eisenhüttenstädtern zumindest allgemein bekannt ist, wurde das Wissen um das Rheinmetall-Borsig-Werk, auf dessen Fundamenten 1950 die ersten Baracken für das EKO errichtet werden sollten, völlig verschüttet. Auch in den Archiven konnten bisher kaum Spuren gefunden werden. Laut Zentralarchiv der Rheinmetall Berlin AG, Nachfolger der Rheinmetall-Borsig AG, er warb die Rheinmetall-Borsig AG "1940 in Fürstenberg-Schönfliess ein dort bestehendes Werk der Degussa AG zwecks Herstellung von Flugzeugbordlafetten und automatischer Waffen als Zweigwerk des Werkes Guben. Das Werk firmierte unter dem Namen >Oder Gerätebau AG<. Am 6. Februar 1945 wurden nach Beschuß mit der Stalinorgel große Teile des Werkes zerstört." (32) Das Werk befand sich auf einem etwa 200 Meter breiten Grundstück nördlich der Straße zwischen Fürstenberg und Schönfließ, etwa an der Stelle, wo sich bis 1996 der Eingang "Schönfliesser Wache" des EKO befand. Es bestand aus neun Gebäuden, davon vier Gebäude mit 50 bis 65 Meter Länge und 10 bis 15 Meter Breite; eine Werkhalle mit den Außenmaßen von 50 Meter mal 33 Meter wurde nicht mehr fertiggestellt.

Daneben existierte während des Krieges auf dem Gelände des späteren EKO ein Betrieb, in dem abgeschossene Flugzeuge für eine Aluminiumhütte in Finkenheerd demontiert wurden. Setzt man das Degussa-Werk, das ab Ende 1941 produzierte, das Rheinmetall-Borsig-Werk, die Kohlegruben der MEW, deren Kraftwerk, das am Ende des Krieges betriebsfertig war, aber nicht mehr die Produktion aufnahm, das Flugzeug-Demontage-Werk und die bestehende Glasindustrie in Summe, dann zeigt sich, daß Fürstenberg am Ende des Krieges eine hochindustrialisierte Region war. Bis auf die Glasindustrie wurden 1945 / 46 alle Betriebe demontiert, im Mai 1947 erfolgte die Sprengung.

In der DDR wurde lange Zeit mit Erfolg versucht, diese Vergangenheit zu verschleiern. Dafür gab es zwei Motive. Zum einen waren Demontagen ein Tabu, zum anderen sollte das EKO mehr als nur die Herstellung einer DDR-eigenen Roheisenindustrie symbolisieren; es wurde als Beweis für die erst durch den Sozialismus möglich gewordene Industrialisierung unterentwickelter Regionen benutzt. Dafür wurde die Legende "Wo einst Sand und Kiefern waren..." in die Welt gesetzt. (33) Sie lebt bis heute.

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  Anmerkungen
1

Betriebsparteiorganisation der SED des VEB Bandstahlkombinats "Hermann Matern" (Hg.): Unser Friedenswerk. Teil 1: Vom schweren Anfang. Betriebsgeschichte des VEB Bandstahlkombinats "Hermann Matern". Eisenhüttenkombinat 0st, o. O. o. J., S. 39.

2 Unternehmensarchiv EKO Stahl (UA EKO), Akten Nr. 74, Bl.86.
3 Ebd., Bl. 2.
4 Ebd., Bl.158.
5 Ebd., Bl.154.
6 Ebd., 81.152.
7 Ebd., Bl.131.
8 Ebd., Bl. 21.
9 Ebd., Bl.1, Rückseite.
10 Ebd., Bl.143.
11 Ebd., Bl.1, Rückseite.
12 Ebd., Bl.143.
13 Ebd., Bl.149.
14 Ebd., Bl.128.
15 Zit. in Wolkogonow, Dmitri: Triumph und Tragödie. Politisches Porträt des J. W. Stalin, Band 2/1, Berlin 1990, S.179.
16 Ebd., S. 351.
17

Protokoll über die Besprechung der Umsetzung der sowjetischen Friedhöfe (wie Anm.14).

18 UA EKO, Akten Nr. 74, Bl.123, Bl. 91, Bl. 82, Bl. 34, Bl.16.
19 Denkmale in Sachsen-Anhalt. Ihre Erhaltung und Pflege in den Bezirken Halle und Magdeburg. Erarbeitet im Institut für Denkmalpflege, Arbeitsstelle Halle, Weimar 1986, S. 88.
20 UA EKO, Akten Nr. 74, Bl. 3.
21 Es wurde behauptet, die Kriegsgefangenen hätten in einem unterirdischen Werk arbeiten müssen; vgl. Unser Friedenswerk (wie Anm.1).
22 Ebd., S. 40.
23 Czerny, Jochen: EKO. Stahl für den Frieden, Berlin 1984, S. 20.
24 Leonhard, Rudolf: Unsere Republik, 8erlin (Ost) 1951, S.107
25 Stadtarchiv Eisenhüttenstadt, Signatur: Degussa, unpag.
26 Veröffentlicht in: Czerny 1984 (wie Anm. 23), S. 2.
27 Wie Anm. 25.
28 Ebd., Signatur B 1833, unpag.
29 Ebd., Signatur B 1069, unpag.
30 "Aktenvermerk" des Bürgermeisters von Fürstenberg (wie Anm. 25).
31 Brief vom Bundesarchiv, Militärarchiv Freiburg, vom 24. Juni 1996 an das Deutsche Historische Museum Berlin.
32 Brief vom Zentralarchiv der Rheinmetall Berlin AG vom 28. Juni 1996 an das Deutsche Historische Museum Berlin (einschließlich Plan des Werkes). Die Angabe, es habe sich um einen bestehenden Betrieb gehandelt, kann nicht verifiziert werden; die Angabe, der Betrieb sei von der Degussa erworben worden, ist hingegen mit Sicherheit auf ein Mißverständnis zurückzuführen, denn die Degussa selbst erwarb erst am 30. April 1940 in Fürstenberg Bauland und zwar nicht an dem Ort, an dem sich das Werk der Rheinmetall Borsig AG befand, Stadtarchiv Eisenhüttenstadt (wie Anm. 25).
33 Dieser Naturtopos ist erstmals schriftlich formuliert als Eingangsstrophe zu Hans Marchwitzas Kantate "Eisenhüttenkombinat Ost" von 1952: " Wo einst nur einsam Kiefern standen...". Das Bild gehört zum Standardrepertoire der offiziellen Geschichtsdarstellung der DDR: "[...] inmitten von Kiefernwäldern und Sand (wurde] der Grundstein zum Hochofen I des Eisenhüttenkombinats Ost" gelegt; vgl. Institut für Marxismus Leninismus beim Zentralkommittee der SED (Hg.): Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 7, Berlin (Ost) 1966, S.115.
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© Jörn Schütrumpf