Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
Übersicht

Zum Ende der 70er Jahre bildet sich im Prenzlauer Berg eine alternative Kultur- und Kunstszene heraus, die nicht mehr nur von vereinzelten Projekten getragen wird. Es entsteht das selbstragende Geflecht einer subkulturellen Infrastruktur, bestehend aus Galerien, Festen und selbstverlegten Editionen. Intellektuelle Zirkel und literarische Lesereihen gründen sich, von denen die regelmäßigen Autorenlesungen bei Frank-Wolf Matthies in der Lottumstraße, bei Gert Poppe in der Rykestraße und in der geräumigen Wohnküche von Ekkehard Maaß(5) in der Schönfließer Straße 21 die wichtigsten sind. Zudem wird die Keramikwerkstatt von Wilfriede Maaß Anfang der 80er Jahre zum Postamt, Fluchtort und Hauptquartier einer von Sascha Anderson domininerten Szene aus Dichtern und bildenden Künstlern, die vorrangig aus Dresden stammen. Ein weiteres Zentrum ist der unabhängige Autorenkreis um Uwe Kolbe, Bernd Wagner und Lothar Trolle. Er gibt ab 1982 zunächst Typoskriptsammlungen und ab 1983 die originalgrafische Zeitschrift Mikado heraus. Später folgen der Schaden, die Verwendung und die Ariadnefabrik. Am Kollwitzplatz gründet sich das theater Zinnober(6), die erste freie Theatergruppe der DDR.

Das Klima im subkulturellen Treibhaus wird ab Mitte der 80er Jahre merklich rauher. Immer mehr Künstler und Intellektuelle nutzen den Prenzlauer Berg nur noch als Transitraum in den Westen. Die große Zahl von genehmigten Ausreiseanträgen zwischen 1984 und 1986 führt zu einem Ausbluten der alternativen Prenzlauer Berg-Kultur – ein Prozeß, der auch von einer nächstfolgenden jüngeren Generation nicht aufgehalten werden kann. Zwar schaffen die seit Anfang der 80er Jahre boomenden Punk- und Rockbands wie Rosa Extra, Der Demokratische Konsum und Feeling B ein neues dynamisches Kräftefeld. Auch der in seiner exzessiven Selbstdarstellung bunt schillernde Freundeskreis der Modegruppen "hic, charmat und dauerhaft und Allerleirauh reizt nochmals die symbolischen Grenzen des Staates aus. Der soziale Kontext einer für das Leben im Prenzlauer Berg bislang typischen ‘Not- und Solidargemeinschaft’ verliert sich jedoch zunehmemd in der realen Agonie der späten DDR und dem grassierenden Exodus in den Westen.


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