Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
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Vorsicht ist nur beim Steueramt geboten. Kein Blöße zu bieten, das heißt für die Werkstatt und ihre kollektiven Inhaber, in keiner Form gegen die fiskalischen Gesetze zu verstoßen. Laxer Umgang mit nicht abgeführten Steuern oder nicht versteuerten Gewinnen, seien sie auch noch so minimal, mußten oft schon aus Vorwand gegen unabhängige Privatinitiaven herhalten. Von der Kriminalisierung der ersten Beatbands, denen man serienweise die Steuerfahndung ins Haus schickt, bis hin zur großangelegten Enteignungswelle privater Sammler und Kunsthändler.

In diese Falle will man in der Obergrabenpresse gar nicht erst tappen. Das heißt in praxi, daß hier fast zum Nulltarif gearbeitet wird. Wenn ein Künstler in der Werkstatt beispielsweise eine Grafikmappe druckt und in der Galerie gleichzeitig vertreibt, dann muß er außer den Selbstkosten für Papier, Strom und einem Druckerhonorar nichts berappen. Den gesamten Erlös erhält der Künstler. Damit ist er auch für die in der DDR übliche Pauschal-Abführung von 20 Prozent selbst zuständig. So läuft in den Bilanzen kein Gewinn und zugleich auch keine Steuerschuld auf. Uneigennützigkeit hat Grenzen: Manche Künstler revanchieren sich, indem sie neben dem üblichen Belegexemplar auch einen Teil der erhaltenen Honorarsumme als Geschenk in die Kasse zurückreichen.

Bei der dritten “grafiklyrik”-Mappe ist die Kulanz der Genehmigungsbehörde urplötzlich vorbei. A.R. Penck bringt 1980 seine Edition “Kneipen und Kneipentexte” in einer 50er Auflage heraus – zwölf einfarbige Radierungen und Textblätter, die den Dresdner Lieblingslokalen A.R. Pencks ein grafisches Erinnerungsstück setzen. Vom “U-Boot” bis zu “Drachenschänke”, von der Bier-Kaschemme bis zur noblen Interhotel-Hallenbar Newa an Dresdens unwirtlichem Boulevard. Penck kann seine Arbeit selbst allerdings nicht mehr signieren, Drucker Lorenz übernimmt schweren Herzens den Freundesdienst. A.R. Penck bekommt nach jahrelangen Kämpfen mit den Behörden vor eine folgenschwere Entscheidung gestellt: Bei der angebotenen Wahl zwischen Gefängnis und Ausbürgerung gibt er der Freiheit den Vorrang. Eberhard Göschel wird zum Nachlaßverwalter. Die Obergrabenpresse, so vermerkt eine Chronologie in einem offiziellen DDR-Ausstellungskatalog später, hat das “Ausscheiden eines Gründungsmitglieds” zu beklagen.(9)

Trotz der Ausbürgerung Pencks geht es am Obergraben weiter. Die dafür nötigen taktischen Finessen und der haltbare Konsens bei der gemeinsamen Arbeit wären undenkbar, wenn sich die Künstler nicht seit langem kennen und vertrauen würden. So hat die Obergrabenpresse biografische Vorgeschichten. Eine davon handelt von Eberhard Göschel und Bernhard Theilmann, die sich bereits seit der gemeinsamen Kindheit im Elbsandsteingebirge kennen. Göschel wächst in Königstein, Freizeit-Bergsteiger Theilmann in Rathen aus. Eine Freundschaft und Seelenverwandtschaft, die bis heute trägt.

Auch Peter Herrmann und Ralf Winkler sind sich schon im jugendlichen Alter begegnet. Am Anfang steht ein Zeichenkurs an der Volkshochschule, begonnen im Wintersemester 1953, geleitet vom gerade frisch diplomierten Lachnit-Schüler Joachim Böttcher. Hier entsteht der berühmte und oft beschriebene Freundeskreis, der als produktive Künstlergruppe zwölf Jahre besteht. “In dieser Gruppe gab es nicht nur Freizeitmaler. Da saßen auch ein vierzehnjähriger Schüler namens Ralf Winkler, klein, dicklich, mit dichten, fast schwarzen Haaren, und ein zwei Jahre älterer Lehrling namens Peter Herrmann. Diese beiden Knaben waren nicht gekommen, um Handfertigkeiten für ihr Hobby zu lernen, sondern sie wollten etwas über Kunst erfahren, über Kunst in ihrer ganzen existentiellen und historischen Bedeutung.”(10)

Die beiden Freundespaare lernen sich schließlich im Loschwitzer Körnergarten kennen. Zunächst trifft Göschel auf Penck und Herrmann, später kommt Theilmann hinzu. Ein loser Künstlerbund, der noch Bestand hat, als nach Penck schließlich auch Peter Herrmann 1983 elbabwärts den Staat – “nicht das Land” – nach Hamburg verläßt. Im gleichen Jahr muß die personell nun arg reduzierte Obergrabenpresse umziehen. Das alte Barockhaus soll rekonstruiert werden. Die Wahl fällt auf einen Laden in der Ritzenbergstraße. Nur Arbeit hilft aus dem seelischen Tief, das mit dem Verlust der beiden Mitgründer die einst unbeschwerte Stimmung überzieht. Bei der alle zwei Jahre in Dresden stattfindenden Internationalen Grafikwerkstatt kann sich die Obergrabenpresse plötzlich beteiligen. Eine tendenzielle Legalisierung scheint in Sicht. Theilmann verstärkt in dieser Phase seine Anstrengungen und bringt die “grafiklyrik 4” heraus. Dennoch erhält die Obergrabenpresse keine Druckgenehmigungen mehr, schon gar nicht für künstlerisch gedruckte Texte. Deshalb fällt man in der Ritzenbergstraße ins Zeitalter vor Gutenberg zurück. Theilmann gewinnt namhafte DDR-Autoren wie Elke Erb, Adolf Endler, Eberhard Häfner, Uwe Hübner, Bert Papenfuß-Gorek und Rüdiger Rosenthal dafür, ihre eigenen Texte selbst vierzigmal abzuschreiben. So entsteht die Autographenmappe “Ritze”. Die Behörden fühlen sich vorgeführt, bleiben aber ratlos – gegen das Abschreiben von Gedichten mit Hand ist auch in der DDR kein juristisches Kraut gewachsen. Die observierende Staatssicherheit vermeldet lapidar, “daß insgesamt bei einer Auflage von 40 Stück der Edition ‘Ritze’ keine Druckgenehmigung einzuholen war und somit nicht gegen Göschel vorgegangen werden kann.”(11)


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