Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
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So ist die zuständige Abteilungsleiterin der Messegesellschaft, Ingeborg Drewitz, auch nicht besonders argwöhnisch, als Anfang Juli 1984 eine Abordnung der Künstlerfreunde vor ihrer Bürotür im Verwaltungsgebäude in der Hainstraße steht. Günther Huniat stellt sich mit gewichtigem Ton als VBK-Leitungsmitglied vor. Der gewitzte Autodidakt, der vor seiner freischaffenden Tätigkeit zehn Jahre als Pädagoge in einem Kinderheim arbeitet, spielt die geplante Ausstellung als “Werkstatt und Leistungsschau” herunter. Da die Messeleitung durchaus ein wirtschaftliches Interesse an der Auslastung ihrer innerstädtischen Häuser hat, werden sich Huniat und Drewitz schnell handelseinig. Im Vertragstext erscheint der Verband Bildender Künstler als Verhandlungspartner. Diese Annahme korrigiert Huniat nicht. Er läßt die Leipziger Messe im Irrglauben, es handele sich bei der geplanten November-Ausstellung um eine höchst offizielle Sache. Wenig später drückt er seinen ovalen Privat-Stempel auf das scheinbar alltägliche Vertragspapier. So läuft die Sache erst einmal in die rettende Sommerpause.

Der Vertrag geht seinen sozialistischen Ämtergang. Zwar muß Huniat im Oktober nochmals das Thema der Ausstellung gegenüber seinem Vertragspartner präzisieren. Doch die von ihm gewählte Formulierung, es handele sich bei der Schau um “interne Werkstattage nichtkommerziellen Charakters”(4), weckt weder Argwohn noch ordnungspolitische Ängste. Die Camouflage gelingt. Vor allem weil die ansonsten nicht gerade konspirativ agierende Truppe sich streng an die vereinbarten Spielregeln hält: Kunst machen und Klappe halten!

Je näher der Termin rückt, desto mehr wächst die Angst, im letzten Augenblick noch abgefangen zu werden. Das Schweigen der Verbandsrebellen wird belohnt. Der Coup sickert nicht durch – ein seltenes Beispiel für das Versagen der zahlreichen IM-Vasallen. Als die Freunde schließlich am 10.11.1984 mit einem klapprigen Lkw Garant, den sie von einem befreundeten Schrotthändler leihen, auf dem städtischen Marktplatz vorfahren, stoppt sie weder die Messeleitung noch ein alarmiertes Einsatzkommando der Volkspolizei. Zwar schauen einige der Passanten etwas verwundert auf die bizarre Landschaft der Bilder, die der kräftig gebaute Grimmling von der offenen Ladefläche wuchtet. Auch Frieder Heinzes kinetische Maschinen-Konstruktion ist nicht gerade das, was Leipziger Normalbürger unter Kunst verstehen. Aber der reibungslose Ablauf und der selbstbewußte Auftritt der Salonisten vertreiben schnell jede zweifelnde Regung, bei den abgeladenen Kunstwerken könne es sich um etwas anderes als um Exponate einer harmlosen und verbandsinternen Leistungsschau handeln.

Als die aufrechten Sechs ihre Auswahl in der Halle haben, ist das Schwierigste bereits geschafft. Auch ein radikales Verbot mit anschließender Räumung hätte nun das Ereignis nicht mehr aus der Welt gebracht. Zumal die Künstler sich auf die Drohung verständigt haben, im schlimmsten Fall der Fälle den Marktplatz mit ihren Plastiken und Ölgemälden zu versperren. Doch es kommt anders. Noch während des Aufbaus werden vereinbarungsgemäß die ersten Einladungskarten in die Briefkästen gesteckt. Die Drähte laufen heiß. Funktionäre des Künstlerverbandes erscheinen zum hilflos vertuschten Informationsbesuch. Ihr Rapport macht den Herbstsalon kurz vor seiner geplanten Eröffnung zur dringlichen Chefsache. Der Sicherheitsapparat kommt auf Touren – schnell aber nicht schnell genug, wie sich bald schon erweist. Schließlich muß die Leipziger Messe im Auftrag des Rates des Bezirkes den gültigen Vertrag stornieren. Tut mir leid Jungs, soll der Messechef Siegfried Fischer kulant gehüstelt haben, aber ihr wißt ja, wir leben nun mal in einer Diktatur. Das Schreiben von seiner Abteilungsleiterin Drewitz zieht andere Register. Am 13.11. wird der Mietvertrag “mit sofortiger Wirkung” gekündigt. Zugleich werden die Herren Künstler aufgefordert, “die Fläche im Messehaus am Markt, 1. Etage A-Trakt und Büro, bis zum 16.11.1984 zu räumen.”(5)

Bis dahin läuft die Sache so, wie man erwarten durfte. Gut vorbereitet ziehen die Sechs jetzt ihren Joker: Rechtsanwalt Kirmes, der mit korrekt sitzendem Binder und gefülltem Anwaltskoffer sofort zur Stelle ist. Kirmes setzt einen Brief an das Messeamt auf. Darin beruft er sich auf die Kündigungsfrist, die laut Vertrag vier Wochen beträgt. Einen Tag später beantragt der gewiefte Rechtsanwalt beim Kreisgericht Leipzig-Mitte den Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Das Gericht soll die Messegesellschaft verpflichten, “dem Antragsteller den ungehinderten Zugang zu den von ihm gemieteten Räumen im Messehaus am Markt zu gewährleisten.”(6) Die naive Einforderung verbriefter Rechte wird im Unrechtsstaat zu einer Provokation. Eine Räumung hätte der juristische Kleinkrieg mit Sicherheit nicht verhindert. Aber die “konfrontative Authentizität”(7), analysiert Grimmling den Kämpfergeist jener Tage, bringt zumindest wichtigen Zeitgewinn. Und verwirrt die Funktionäre, die sich unverschämt vorgeführt fühlen. “Es gelingt uns”, berichtet Dammbeck, “den Handlungsvorsprung zu wahren, immer einen Schritt voraus zu sein.”(8)

Inzwischen hat sich die unerhörte Geschichte wie ein Lauffeuer verbreitet. Solidaritätsbekundungen treffen ein, erwartete und unerwartete – wie etwa die von Wolfgang Mattheuer, einem der Leipziger Malerfürsten, der eigentlich eine der Zielscheiben der Revolte ist. Auch Bernhard Heisig, Rektor der städtischen Kunsthochschule und Mitglied der SED-Bezirksleitung, macht aus seiner Sympathie für das kaltschnäuzig durchgezogene Projekt keinen Hehl. Heisig wird gar zum Zünglein an der Waage: Zunächst blockiert er das in der Leipziger Verbandsspitze beschlossene Ausstellungsverbot und erreicht beim Messe-Generaldirektor Siegfried Fischer eine Rücknahme der Vertragsannulierung. Beim eilends einberufenen Termin im Berliner SED-Zentralkomitee schafft er einen Kompromiß, den der unerwartete Fürsprecher wenig später in der bereits geöffneten Messehalle verkündet. Der 1. Leipziger Herbstsalon darf nun ganz offiziell stattfinden. Allerdings mit Einschränkungen: ohne Westbesuch, ohne öffentliche Werbung sowie mit einer limitierten Besucherzahl. Die erleichterten Künstler akzeptieren, wohl wissend, daß die gestellten Bedingungen für die gefoppte Gegenseite eher gesichtswahrende Verklausulierungen sind.


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