Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
Übersicht

Überhaupt spielt die ältere Künstlergeneration der Messestadt eine gewisse Patenrolle bei der Installierung der neuen Eigen+Art. Im Juni 1985 findet ein Stifterfest statt, bei dem 15 Künstler – darunter Lutz Dammbeck, Günther Huniat und Hans-Hendrik Grimmling – eigene Werke für die Versteigerung zur Verfügung stellen. Der Erlös wird generös in die Elektroanlage gesteckt. Vier Monate später ist die Galerie fertig – die Auftakt-Ausstellung ist den Spendern vorbehalten –, und es eintsteht ein Projekt-Bündnis zwischen zwei Generationen, die mehr als nur unterschiedliche Kunstauffassungen trennt. Aus dem anfangs notwendigen Agreement entsteht für Lybke bald schon das Problem, sich mit den bisweilen vehement vorgetragenen Mitspracheansprüchen auseinandersetzen zu müssen. “Daraus ergab sich fast zwangsläufig die Verpflichtung”, schreibt der involvierte Berliner Kunsthistoriker André Meier, “diesen Künstlern in der Folgezeit bevorzugt Ausstellungsmöglichkeiten einzuräumen.”(13) So entsteht der falsche Eindruck, es handele sich bei der Eigen+Art um eine Produzentengalerie, getragen von einem Künstlerkollektiv, das vor allem mit der schlitzohrigen Organisation des 1. Leipziger Herbstsalons(14) aufgefallen war. Als Judy gegensteuert, eigene Entscheidungen fällt, zeigen sich die mittlerweile arrivierten Szene-Künstler irritiert.

Doch Lybke ist von der Meinung der Älteren längst nicht mehr abhängig. Inzwischen nehmen im Schnitt 300 bis 700 Besucher die monatlichen Ausstellungen wahr. Die Eigen+Art spricht sich schnell in der DDR herum und wird mit erheblicher Sogwirkung zum überregionalen Meetingpoint, der vornehmlich zu den beiden jährlichen Leipziger Messen auch internationales Flair vorweisen kann. Zwar zieht Lybke das anfangs noch ausliegende Gästebuch wieder ein, weil das Buch für drei Tage von wißbegierigen Stasileuten zwangsweise beschlagnahmt wird. Ansonsten gibt es aber kaum Schwierigkeiten mit den Kulturverwaltern. Die Stasi eröffnet gegen Lybke einen Operativ-Vorgang “Atelier”(15), beläßt es aber beim fehlschlagenden Versuch einer Unterwanderung des Galerieprojektes. Ein Bericht spricht fast mit pädagogisch-besorgtem Ton: “Zusammengefunden haben sich vor allem die ‘nichtverstandenen’ nichtrealistischen jungen Künstler. Nach Einschätzung von Experten-IM sind für die ausstellenden Künstler ihre Vorbilder in den Haltungen von Penck, Beuys, den ‘neuen Wilden’ und den sogenannten Graffiti-Malern zu suchen. Politisch lassen sich diese Personenkreise von elitären und oppositionellen Denkmodellen leiten. Ihre oppositionelle Haltung richtet sich undifferenziert gegen die Welt, die sie als unmenschlich eingerichtet, als feindlich, bedrohlich, deformiert usw. empfinden. Gefordert wird von den Künstlern vor allem der Freiraum für das Subjekt.”(16)

" Das inoffizielle Galerieprojekt hat trotz aller Anwürfe vor allem deshalb Bestand, weil Navigationskünstler Judy clever, pragmatisch und im höchstmöglichen Maße öffentlich agiert. Er bindet seine ärgsten Kritiker und, wie er heute weiß, auch seine Spitzel einfach in die Arbeit mit ein. Von IM "Baumann" stammt beispielsweise der Grafikschrank und IM "Gold" liefert penibel einen großen Teil der Dokumentation - das begehrte Orwo-Fotopapier sponsert die Leipziger Kreisdienststelle der Staatssicherheit. Spaß statt Askese, Transparenz als Gegenwehr. Lybke hat kein Interesse an inszenierten Krächen. Er bittet westliche Korrespondenten in der Anfangszeit um Zurückhaltung und stellt zunächst ausschließlich Verbandskünstler aus. Die Ästhetik-Dozentin der Schauspielschule hält mit Studenten sogar Seminare in den schlecht beheizbaren Werkstatträumen ab. Um nicht wegen der verbotenen Galerietätigkeit belangt zu werden, verfällt Gerd Harry Lybke auf einen simplen Trick. Die Eigen+Art fungiert unter seiner Ägide als Werkstatt. Das hat den juristischen Vorteil, daß sich der jeweilige Künstler in der Zeit seiner Ausstellung einfach als Untermieter einschreiben kann. "Die Anwesenheit des Künstlers in der Ausstellung, also der Werkstattcharakter, war zunächst ein juristisches Gebot", argumentiert Lybke. "Bald schon zeigte sich, daß dieser taktische Gedanke erheblich zum Profil von EA beigetragen hat. Die Anwesenheit des Künstlers in seiner Ausstellung unterscheidet EA von allen anderen Galerien, macht EA unverwechselbar."(17)

So dienen die regelmäßigen Öffnungszeiten(18) lediglich dem Privatbesuch des Künstlers - auch wenn alle Welt weiß, daß dies nur eine Tarnung ist. Die Sache hat noch einen anderen Vorteil: Steuerpflichtige Verkäufe wickelt der Künstler selber ab. Für den Käufer ein kostensparender Vorzug, den später selbst renommierte Kunstinstitute nutzen, weilsie dadurch die sonst übliche Galeristenprovision sparen. Die Ausgaben pro Ausstellung belaufen sich in jener Zeit lediglich auf rund 700 Mark. In der Summe sind die Anfertigung einer umfassenden Dia- und Videodokumentation bereits enthalten. Lybkes Eigen+Art ist übrigens die einzige DDR-Galerie, die über ein so lückenloses und zeitgemäßes Archiv verweisen kann. Der Galerist schießt den notorisch klammen Künstlern das Geld aus eigener Tasche vor. Seine Ausgaben verrechnet er mit dem Erlös aus den verkauften Plakaten, die er beim Siebdrucker Tauer ohne Genehmigung herstellen läßt. Später gibt Judy Jahresmappen heraus, die auch bei Kupferstichkabinetten, Bibliotheken und Privatsammlern reißend Absatz finden. Wirtschaftlich steht die Eigen+Art schon im Spätsozialismus auf soliden privatwirtschaftlichen Füßen.

Der Erfolg feit allerdings nicht vor inhaltlichen Anwürfen, die auch aus der eigenen Reihe kommen. Als Lybke im November 1987 den alten Freunden aus der PIG eine Ausstellung widmet, kommt es zum offenen Streit mit der einstigen Stifterszene. Jörg Herold, Jens Pfuhler und Carsten Nicolai, heute allesamt erfolgreiche Künstler, stellen eine atemberaubende Ausstellung zusammen. An ihren Werken, darunter eine raumfüllende Plastik mit dem Titel "Bewurstsein oder für alle ist gesorgt", entbrennt sich der Generationsstreit und die merkwürdig rückwärtsgewandte Frage, ob die Kunst der Autodidakten überhaupt ausstellungswürdig sei. Vor allem Lybkes individualistischer Führungsstil behagt der auf Gruppengeist eingeschworenen Altriege nicht. "Bei so einer Sache erzielt man mit einem gutem Teamwork die größere Öffentlichkeitsbedeutung", kritisiert etwa der in Leipzig-Stötteritz ansässige Bildhauer Günther Huniat das Einzelkämpfertum des flügge gewordenen Aktmodells: "Der Einzelne ist einkaufbar, verletzbar und damit auch vorsichtig."(19) Lybke verteidigt sich in einem Interview mit Karim Saab in der Leipziger Untergrundzeitschrift "Anschlag": "Natürlich wird die EA vor allem von meiner Generation geprägt. Das liegt daran, daß sie es ist, die kommt und sich einmischt. Wenn die Älteren nicht kommen, können sie auch nicht mitentscheiden. Manch einer von ihnen ist nämlich schon so behäbig, daß er auf seinem Sockel sitzen bleibt und aufgrund seines Images oder Erfolges meint, ein Recht zu haben, über den Freiraum EA ferngesteuert mitzubestimmen. Jeder ist herzlich eingeladen, aber nicht als Vaterfigur!" (20) Klare Worte, die zumindest eine friedliche Koexistenz am Biertisch ermöglichen.


Vorherige Seite           Seitenanfang           Nächste Seite