Die maßgeblichen Kunstkritiker der frühen Bundesrepublik hielten eine abstrakte Bildsprache für den einzig gangbaren Weg zur Darstellung der von Forschung und Technik geprägten Realität.

In der DDR sollte Kunst die Größe und Schönheit des Sozialismus bildlich verdeutlichen und Vertrauen in die eigene Welt stiften. Um Kunst so einsetzen zu können, mußte sie gegenständlich bleiben. Staat und Partei vergaben Aufträge für Gemälde und Skulpturen.

Industrieregionen galten hier wie dort als kulturelles Brachland. Um die Aufwertung der bundesrepublikanischen Industrieprovinz kümmerten sich Politiker, Gewerkschafter und Unternehmer. In Düsseldorf fand 1952 die Ausstellung "Eisen und Stahl" statt, die von kunstinteressierten Industriellen organisiert wurde. Alle westdeutschen Maler, die in diesem Raum vertreten sind, beteiligten sich am Wettbewerb um die hochdotierten Preise. Prämiert wurden nur Vertreter der abstrakten Moderne.

Die Großbetriebe der DDR waren Schwerpunkte der Kulturförderung. Bildende Kunst wurde hier direkt als "Produktivkraft" aufgefaßt. Sie sollte den "Neuerergeist" anregen und die Werktätigen befähigen, technische und organisatorische Probleme zu lösen.

 

 

Auch in der technischen Sphäre ist der Gegenstand reiner Schein geworden, und immer stärker tritt ihr ungegenständliches Dasein hervor. Mag der Mechanismus einer Uhr, eines Getriebes noch in anschaulichen bildhaften Begriffen beschreibbar sein, die Elektrodynamik eines Schwingkreises ist es längst nicht mehr.

Max Bense,
Technik und Ästhetik, 1957/58

 

 

 

 

 

 

Karl Hofer (Karlsruhe 1878 - 1955 Berlin)
Industriewerk, 1947
Öl auf Hartfaser, 62 x 86,5
Rheinische Privatsammlung

Hofers chiffrenartige Bildsprache, die Jost Hermand der "Halbmoderne" zurechnete, wurde in allen weltanschaulichen Lagern akzeptiert. Im amerikanischen Sektor Berlins leitete er ab 1945 die Hochschule für Bildende Künste. Mit Oskar Nerlinger gab er ab 1947 die im sowjetischen Sektor Berlins erscheinende Zeitschrift bildende kunst heraus.
Der Spagat zwischen Ost und West, den Hofer versuchte, war nicht lange durchzuhalten. "Forderungen außerkünstlerischer Art" an die Malerei lehnte er in einem Beitrag für das Oktoberheft 1948 der bildenden kunst vehement ab. Kurz darauf trat er als Mitherausgeber zurück. Seine vermittelnde Position zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion stieß schon bald nicht nur in der DDR, sondern auch in der Bundesrepublik auf Kritik.

In dem Gemälde Industriewerk gruppieren sich Hallen, Türme, Sheddächer und Schornsteine zu einer kompakten Anlage, deren Zweck sich nicht erschließt. Angesichts der Kuppel im Zentrum des Bildes fällt es schwer, nicht an einen Atomreaktor zu denken. Die zivile Nutzung der Kernenergie begann allerdings erst 1953 in den USA. Im Vordergrund umschleichen Tiermutationen einen Leichnam. Hofer sah den Marsch in die moderne Barbarei noch nicht an sein Ende gekommen, wie er 1952 deutlich machte: "In rasendem Lauf hat die maschinelle Technik die Kultur überrannt, ja sie nahezu gegenstandslos, zu einer Erinnerung gemacht. Keine der geschichtlichen Wandlungen und Umwälzungen, nicht die von der Antike zum Christentum, nicht die des Mittelalters zur Neuzeit waren so einschneidender Natur, denn eine Kultur löste die andere ab. Heute aber ist die gesamte Kultur abgelöst von der Maschine, sie ist zu einer Farce, zu einem Dekorationsstück der sogenannten höheren Gesellschaftsklassen geworden, deren Exponenten sie verwunderlicherweise mit Zivilisation verwechseln." AS

Hofer 1948; Hofer 1952, S. 18-21 (Zitat) und Nr. 41; Ausst. Kat. Duisburg 1969, S. 127; Ausst. Kat. Berlin 1978, S. 176, 399; Hermand 1984; Türk 2000, S. 327.
Bibliographie

 

Emil Schumacher (Hagen 1912 - 1999 San José, Ibiza)
Industriestraße, 1947
Mischtechnik auf Papier, 58 x 42
Hagen, Karl Ernst Osthaus-Museum der Stadt Hagen, Inv. K 1449

Schumacher überstand den Zweiten Weltkrieg als technischer Zeichner in einem Rüstungsbetrieb seiner Heimatstadt Hagen. Er gehörte 1948 neben Thomas Grochowiak, Gustav Deppe und Heinrich Siepmann zu den Mitbegründern der Gruppe "junger westen" und erhielt im gleichen Jahr zusammen mit drei anderen Malern den von der Stadt Recklinghausen verliehenen Kunstpreis dieser Vereinigung. Dabei handelte es sich um die erste nach dem Zweiten Weltkrieg neu gestiftete Auszeichnung für bildende Künstler auf dem Gebiet der wenig später gegründeten Bundesrepublik.
Schumacher wehrte sich gegen Vereinheitlichungstendenzen in der Gruppe "junger westen". In einem Interview sagte er 1987: "Die meisten dieser jungen Kollegen tendierten zu einer am Bauhaus orientierten Form. Sie wollten eine Formensprache, die in engem Verhältnis zur Industrie stand, einen Konstruktivismus, der meinem ganzen Wesen entgegenstand. Meiner Natur gehorchend, blieb mir nichts, als so zu malen, wie ich es meinte."

In dem frühen, noch von Expressionisten wie Emil Nolde oder Christian Rohlfs beeinflussten Gemälde Industriestraße bilden die Umrisse von Mietshausfassaden das lineare Gerüst für die pastosen Farbflächen. Im Vordergrund ist eine abstrahierte menschliche Gestalt zu erkennen. Seit Beginn der 50er Jahre befreite sich Schumacher von figurativen Reminiszenzen und avancierte zu einem der prominentesten Vertreter des deutschen Informel. AS

Ausst. Kat. Bremen/Karlsruhe, 1984/85, S. 54; Brockhaus 1987, S. 9; Ausst. Kat. Hagen 1997, S. 20f.
Bibliographie

 

Thomas Grochowiak (* Recklinghausen 1914)
Technischer Bezirk I, Blau, 1951
Öl auf Leinwand, 100 x 140
Kuppenheim, Bilderhalle Grochowiak

Zwischen 1950 und 1953 schuf Grochowiak "industrielle Diagramme", die Arbeitsabläufe und Produktionszyklen in reine Abstraktionen umsetzen. Sie kommen ohne organische Formen aus.
Der Bildtitel Technischer Bezirk I, Blau engt den Interpretationsspielraum nicht auf einen bestimmten gewerblichen Vorgang ein. Der Betrachter ist aufgefordert, die frei komponierte Motorik gedanklich in Bewegung zu versetzen, um den Rhythmus der Arbeitswelt zu spüren. Spannung ergibt sich durch das Aufeinandertreffen von starren Balken und federartigen Wicklungen. Kühle Farben verstärken die technoide Ausstrahlung.

Grochowiak offenbarte mit seinen "industriellen Diagrammen" ein ungetrübtes Verhältnis zur technischen und wirtschaftlichen Dynamik der Aufbaujahre. Das Gemälde Technischer Bezirk I, Blau war 1952 in der Ausstellung Eisen und Stahl zu sehen. Ab 1954 ging der Künstler zu einer informellen, von der Kalligraphie inspirierten Bildsprache über. AS

Ausst. Kat. Recklinghausen 1952, unpag.; Große Perdekamp 1952b, unpag.; Ausst. Kat. Düsseldorf 1952, Abt. B, Nr. 184; Ausst. Kat. Witten 1980, S. 21; Ausst. Kat. Recklinghausen 1996, S. 108; Schmidt 1994, Nr. 22.
Bibliographie

 

Hubert Berke (Buer 1908 - 1979 Köln)
Technisch, 1951
Öl auf Leinwand, 74 x 110
Privatbesitz Berke

Die Gruppe "junger westen" fühlte sich mit einer Reihe weiterer Maler und Bildhauer verbunden, die gelegentlich an den Aktivitäten der Vereinigung teilnahmen. Dazu gehörten auch mehrere Mitglieder der Gruppe "ZEN 49", so Fritz Winter, K. R. H. Sonderborg und Hubert Berke.
In einem als Manuskript überlieferten Lebensabriss zeigte sich der Künstler 1950 "beeindruckt von der Welt der Arbeit an der Ruhr durch viele Untertagefahrten ... und der Automatik des Kohleabbaus durch Robotermaschinen wie Panzerförderer und Schnellhauer oder die großen Zughackenlader, wahre Maschinenungeheuer oder die tiefe Einsamkeit der Wasserhaltungsmaschinen mit ihren riesigen Ausmaßen".

Seine Herangehensweise an dieses Thema entspricht den Überlegungen Max Benses, der den technischen Fortschritt 1957 wie folgt charakterisierte: "Deutlich kann man erkennen, wie der Prozeß dieser Entwicklung von der Verwendung purer Naturmittel, über die Nachahmung, Abstraktion, Denaturierung und Destruktion, vom Modell zur originalen Selbstgebung des Technischen, vom Gegenstand zur bloßen Funktion, von den Substanzen zu den Strukturen, von der Anschauung zur Schematik verläuft. In der Tat: auch in der technischen Sphäre ist der Gegenstand reiner Schein geworden, und immer stärker tritt ihr ungegenständliches Dasein hervor. Mag der Mechanismus einer Uhr, eines Getriebes noch in anschaulichen bildhaften Begriffen beschreibbar sein, die Elektrodynamik eines Schwingkreises ist es längst nicht mehr."
Bei der Ausstellung Eisen und Stahl, die Berke 1952 mit den Bildern Mechanische Schmiede und Stanzen, Grauer Stahl, Maschinerie und Erscheinung beschickte, fand seine abstrakte Bildsprache großen Anklang. Die Jury sprach ihm den zweiten Preis zu. AS

Hubert Berke, Lebensabriß (1950), in: Kreidler 1978, S. 336 (Zitat); Bense 1957/58, S. 4;
Ausst. Kat. Recklinghausen 1996, S. 28.
Bibliographie

 

Georg Meistermann (Solingen 1911 - 1990 Köln)
Bewegtes Ziel, 1952
Öl auf Leinwand, 90,5 x 75,5
Bochum, Museum Bochum, Inv. MB 397

Zu den locker mit der Gruppe "junger westen" assoziierten Künstlern gehörte auch Meistermann. In der frühen Bundesrepublik war er einer der gefragtesten Vertreter der architekturgebundenen Kunst, wobei er sich auf die Glasmalerei konzentrierte. Als überzeugter Katholik engagierte er sich häufig bei Kirchenbauten.
Die geschwungenen Linien und kreisförmigen Farbfelder des Gemäldes Bewegtes Ziel erinnern an Arbeiten von Joan Miró. Das Bild enthält Rudimente organischer Formen, die Figuren mit ausgestreckten Gliedmaßen ähneln. Die imaginierten Lebewesen gruppieren sich um das sichelförmige Objekt am oberen rechten Bildrand. Die Ausrichtung der Elemente auf einen höher gelegenen Fluchtpunkt verleiht der Komposition ein spirituelles Moment. AS

Slg. Kat. Bochum 1970, unpag.; Ausst. Kat. Nürnberg u. a. 1981, S. 119; Ausst. Kat. Recklinghausen 1996, S. 180.
Bibliographie

 

 

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DIE ZWEITE SCHÖPFUNG-
Bilder der industriellen Welt vom
18. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Eine Ausstellung des
Deutschen Historischen Museums


31. Juli bis 21 Oktober 2002
im Martin-Gropius-Bau

Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Tel.: 030/ 25486-0
Stadtplan-Link (www.berlin.de)


Öffnungszeiten

täglich außer dienstags 10 bis 20 Uhr

Verkehrsverbindungen
S- und U-Bahn Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof
Bus 200, 248, 348 Haltestelle Potsdamer Platz
Bus 129 Haltestelle Anhalter Bahnhof

Eintritt
6 ,- € incl. Audioführung, ermäßigt: 4,-€