Interview mit Serge Bramly

Gespräch mit Serge Bramly anlässlich der Ausstellungseröffnung I.N.R.I. im Kronprinzenpalais in Berlin im November 1999

· DHM: Was reizte Sie an der Auseinandersetzung mit Jesus und der christlichen Religion? 

S.B.: Ich bin in Tunesien als Jude geboren worden und lebe seit meinem 10. Lebensjahr in Paris. Es war also keine Auseinandersetzung mit meiner Religion, aber mit einem wichtigen Teil der Kultur des Abendlandes, in dem ich lebe. 


Jesus labt sich an der Schrift

Gerade wenn man die klassische christliche Bildkunst betrachtet, fällt besonders auf, daß die Tatsache, daß Jesus ein Jude war, kaum thematisiert wurde. Wir wollten den jüdischen Wurzeln der christlichen Religion in unseren Bildern bewußt Raum geben, und deshalb haben wir unter der Überschrift "Die verborgene Kindheit" jüdisch/ kabbalistische Symbole in die Bildinszenierungen eingearbeitet. Beispielsweise bei dem Bild "JESUS LABT SICH AN DER SCHRIFT". In Tunesien und anderen Mittelmeerländern ist es jüdischer Brauch, Kindern Buchstaben aus Honigkuchen zu geben, damit sie die Schrift verinnerlichen, sie nicht nur über den Kopf in sich aufnehmen. Der dargestellte hebräische Buchstaben "Shin" hat auch eine symbolische Bedeutung: er steht für das "Königreich". 

 

· DHM: Als die I.N.R.I.-Fotografien erstmals in Frankreich als Bildband veröffentlicht worden sind, entzündete sich der Widerspruch am linken Bild dieses Triptychons, das als Covermotiv ausgewählt worden ist. Ist die Darstellung einer halbnackten Frau am Kreuz doch eine bewusste Provokation im Gewand eines Velazquez? 

S.B.: Nein, vielleicht beruhen die zum Teil sehr harten Reaktionen auf dem Sachverhalt, dass mancher Kritiker nur den Ausschnitt auf dem Buchcover, aber nicht den gesamten Triptychon betrachtet hat. Mit den Fotografien wollten wir zwar hin und wieder eine Grenzüberschreitung wagen, keinesfalls jedoch provozieren. Zugegebenermaßen haben wir uns mit dieser Bildinszenierung schwer getan. Die Tradition der unzähligen bedeutenden Kreuzigungsbilder war eine große Hypothek. Der Betrachter dieser Darstellung vergleicht die Fotografie zwangsläufig mit bekannten Darstellungen von Grünewald, Velazquez oder Rembrand. Wir versuchten, mit unserem Triptychon zwei unterschiedliche Traditionen der bildlichen Überlieferung des Gekreuzigten nebeneinander zu stellen und durch ein leeres Kreuz zu ergänzen. Die gekreuzigte Frau links ist in der Pose des Schmerzensmannes zu sehen, der gekreuzigte Mann rechts in der Pose des Erlösten. Jesus starb für die ganze Menschheit, Männer und Frauen. Das leere Kreuz steht symbolisch für die Kraft des Glaubens.

 


· DHM: Wenn man sich die Fotografien anschaut, erinnern sie mit ihren prallen Farben, großen Formaten, der Rahmung und der Präsentation als Diptychon/ Triptychon an klassische Gemälde. Die Auseinandersetzung mit Vorbildern aus der Kunstgeschichte ist ebenfalls zu erkennen. Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an einer fotografischen Bearbeitung des Themas im Vergleich zu Gemälden? 

S.B.: In einem Gemälde können Künstler viele Motive und Details nebeneinander auf der Leinwand abbilden. Der Künstler hat die Möglichkeit, dies alles gleich scharf abzubilden. In der Fotografie gibt es nur einen kleinen scharfen Bereich im Vordergrund oder im Hintergrund - Fotografen müssen sich entscheiden.

 

· DHM: Beim Betrachten der Fotografien fällt die Durchinszenierung der Bilder auf: Posen, Accessoires, Farben, Symbole, Zitate aus der christlichen Bildtradition. Gab es auch spontane Einflüsse auf die Bildgestaltung während der jeweiligen Fotosession? 

S.B.: Ja, betrachten Sie z.B. das Foto "Das Abendmahl": einerseits bestimmen traditionelle Gestaltungselemente das Bild. Die Zahl 3 steht für die Dreifaltigkeit Gottes: 

Gott Vater, Jesus (Gottes Sohn) und der Heilige Geist. In dem Bild sehen sie drei Fenster, drei Streifen auf dem Boden und ein Dreieck, das von dem gebrochenen Brot und dem Glas Wein gebildet wird. Wir arbeiteten sehr lange an der Sitzanordnung der 12 Apostel und Jesus. Die Models kannten sich untereinander nicht, und wir fanden keine geeignetes Arrangement. Nach vielen Stunden beschlossen wir, eine Pause zu machen. Da begannen die Männer, die ein Musikinstrument spielen, einfach Musik zu machen. Bettina Rheims und ich hörten sie, und fanden die Idee toll. Die Musiker formierten sich später zu einer Band mit dem Namen "Die zwölf Apostel". 

Anlässlich der Ausstellungseröffnung sprachen Brigitte Vogel und Stefan Bresky (DHM, Büro für Museumspädagogik) mit Serge Bramly.

 

 

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