Präparierte
Krankheitsbilder
Zur pathologisch-anatomischen Sammlung des Berliner Medizinhistorischen
Museums an der Charité
Alle
Photographien von menschlichen Fehlbildungen, die Konrad R. Müller
in dieser Ausstellung zeigt, entstanden im Berliner Medizinhistorischen
Museum an der Charité. Das Museum ist berühmt für seine pathologisch-anatomische
Sammlung. Es handelt sich um einen kultur- und medizinhistorisch
außerordentlich bedeutsamen Bestand an Feucht- und Trockenpräparaten,
der seinen Kern in den Sammlungsbemühungen des Berliner Pathologen
Rudolf Virchow (1821-1902) hatte. Virchow übernahm 1856 das neu
geschaffene Ordinariat für Pathologie an der Berliner Universität
auf dem Gelände der Charité. In der Folgezeit baute er das bei
seinem Amtsantritt bereits vorhandene, etwa 1.500 Objekte umfassende
Präparate-Kontingent bis 1890 zu einem Bestand von 19.000 Objekten
aus. Sein Ziel war es, jede damals bekannte Krankheit nicht nur
mit einem typischen Präparat, sondern auch in ihrem charakteristischen
Verlauf durch mehrere Organstudien zu dokumentieren.
Virchows
Gesuch, für seine Sammlung ein eigenes Museum errichtet zu bekommen,
griff das Ministerium 1893 auf und beschloss darüber hinaus den
kompletten Neubau des Pathologischen Instituts in drei einzelnen
Gebäudetrakten. Der erste Bauabschnitt - das Museum - wurde 1899
fertig gestellt und eingeweiht. Zwei Jahre später konnte Virchow
im Hörsaal des Museums seinen 80. Geburtstag feiern. Zu diesem
Zeitpunkt waren 20.833 Präparate in große helle Vitrinen eingestellt,
welche auf fünf T-förmig angeordnete Geschosse mit einer Gesamtgrundfläche
von 2.000 Quadratmetern verteilt waren. Während drei Etagen ausschließlich
für Lehr- und Studienzwecke genutzt wurden, öffnete Virchow zwei
Etagen ganz bewusst für die Öffentlichkeit. Sein aufklärerischer
Gedanke war, mit Hilfe derartiger Anschauungsstücke das Wissen
um Gesundheit und Krankheit in der Bevölkerung - in seinen Augen
ein wesentlicher Bereich der menschlichen Kultur - zu bereichern.
Rudolf
Virchow gilt heute als eine der zentralen Gestalten in der Konzeption
und Umsetzung der modernen naturwissenschaftlich orientierten
Medizin. An seinem Institut arbeiteten, lehrten und lernten zahlreiche
Persönlichkeiten, die im 20. Jahrhundert großen Einfluss auf die
Entwicklung der Medizin nahmen. Seine Sammlung von pathologisch-anatomischen
Feucht- und Trockenpräparaten stand in ihrer Gesamtheit innerhalb
der Medizin für alle offen. Nach außen, für seine öffentliche
Schausammlung, hatte Virchow eine spezielle Auswahl getroffen.
Der Bestand an menschlichen Fehlbildungen gehörte von Beginn an
dazu. Mit der Präsentation im Umfeld eines medizinischen Fachmuseums
wollte der Pathologe diesen Spielformen der Natur das Mysteriöse,
Makabre, Abergläubische und Voyeuristische nehmen. Ihm, dem Forscher,
ging es um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den zugrunde
liegenden Krankheitsbildern.
Die
Nachfolger Virchows pflegten den großen Sammlungsbestand weiter,
der kurz vor dem Zweiten Weltkrieg auf eine Höchstzahl von rund
26.000 Präparaten anwuchs. Durch die Bombenschäden in den Jahren
1944/45 musste die Sammlung empfindliche Verluste hinnehmen. Eine
Schätzung nach dem Krieg ergab, dass nur etwa 2.500 Objekte das
Inferno überdauert hatten. Ein Brand dezimierte die Zahl der älteren
Stücke nachträglich nochmals ganz erheblich. Seit den späten 1940er
Jahren bauten die Fachvertreter für Pathologie an der Charité
die Sammlung wieder auf.
Heute
bilden die knapp 10.000 pathologisch-anatomischen Feucht- und
Trockenpräparate, die zumeist recht eindrückliche Befunde aus
einem Zeitraum von 1726 bis in die 1990er Jahre zeigen, das Herzstück
des Berliner Medizinhistorischen Museums an der Charité. In der
ständigen Ausstellung sind knapp 1.000 Präparate - geordnet nach
den großen Körperregionen und Organen - präsentiert. Die menschlichen
Fehlbildungen werden als integraler Bestandteil gleichfalls gezeigt.
Das
Museum ist inzwischen zu einer weltweit nachgefragten Einrichtung
seiner Art geworden. Zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland
besuchen das Museum. Durch ein intensives Führungsprogramm werden
viele Gruppen, insbesondere Schulklassen und Angehörige diverser
medizinischer Berufe, mit den Beständen des Hauses vertraut gemacht.
Darüber hinaus dienen gerade die pathologisch-anatomischen Stücke
immer wieder auch als Lehr- und Studienmittel in der medizinischen
Ausbildung an der Charité.
(Prof.
Dr. med. Thomas Schnalke, Berliner Medizinhistorisches Museum
an der Charité)
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