vom Handwerk zur Technik, der Weg der Politik vom Territorialbesitz
zum Nationalstaat« verläuft nach Analogie dessen, was
»in den Geweben eines Pflanzenkörpers (... ) sich vollzieht,
der sich veränderter Bestrahlung, Temperatur, Nahrung oder
Lebensgemeinschaft anzupassen gezwungen ist.«73 Menschliche
Handlungen sind also nichts weiter als der Nachvollzug einer von
ihnen unabhängigen Gesetzmäßigkeit. Entscheidend
ist, daß die große Masse der Menschen in dem Maße,
in dem sie sich in ihren Handlungen frei glaubt, dieser Notwendigkeit
um so blinder folgen muß, während die wenigen, die,
wie jener Bankmann aus der Physiologie der Geschäfte,
mit »divinatorischem Überblick« begabt sind,
durch ihre Einsicht in diesen Prozeß in die Lage versetzt
werden, sich zu seinem »Werkzeug« zu machen, wie Walther
Rathenau seine eigene Tätigkeit bei Übernahme der Leitung
der Kriegs-Rohstoff-Abteilung, von der er sich grundlegende
Veränderungen versprach, in einem Brief an Hermann Stehr
formuliert hatte .74 Die Freiheit besteht also darin, sich bewußt
in die Notwendigkeit zu fügen und dadurch zum Führer
der großen Masse zu werden: »die geschichtliche Betrachtung
wird staunend verzeichnen, wie an jeder Wegkreuzung, von den tiefsten
Mächten emporgesandt, ein genialer Geist ersteht, um der
Menge die Richtung ihres unbewußten Willens zu weisen, der
sie zürnend folgen muß«.
VIDieser Versuch, einige Motive im Denken Walther Rathenaus zu isolieren und ihren Entwicklungslinien zu folgen, ist natürlich in hohem Maße selektiv. Das kann auch gar nicht anders sein, da diese Texte in ihrer weitausgreifenden Anlage nicht nur den Leser, sondern auch den Autor selbst immer wieder in Sackgassen führen und mit Wiederholungen belasten. Darüber hinaus hat Walther Rathenau mit einer Autoimmunisierungsstrategie, die für kulturkritische Theorien so charakteristisch ist, den Zugang zu seinen Schriften erheblich erschwert. Wenn nämlich dank »der Zweckhaftigkeit der einstig Unterdrückten (sich) der Wissenschaftsgeist zum mächtigsten Faktor der Mechanisierung erhob«,75 dann kann der Kritiker der Mechanisierung die Wissenschaft als Medium seiner Kritik nicht benutzen, womit er zugleich seine Theorie der Kritisierbarkeit entzieht. Gleichwohl mochte er, der sich für »Physik, Mathematik und Chemie als Grundlagen neuzeitlicher Wissenschaft und Technik« entschieden hatte, auf die Wissenschaft nicht verzichten, die deshalb durch Germanisierung nobilitiert werden mußte: »Die Liebe der Urvölker zum Tatsächlichen als Grundlage der Forschung, die Idealität der Germanen als unbeirrbare Instanz der Betrachtung mußten sich verbinden, um das mechanistische Wunder der Zeiten, die moderne Gesamtwissenschaft, möglich zu machen.«16 Walther Rathenaus eigentümliche Verbindung einer gesellschaftlichen Utopie mit einer Elitekonzeption und dem Traum wissenschaftlich-künstlerischer Universalität hat niemand treffender beschrieben als Robert Musil, der in seinem Roman DerMann ohne Eigenschaften Walther Rathenau in der Person des Dr. Paul Arnheim, der »Kohlenpreis und Seele verbinden« will, bis zur Karikatur verfremdet dargestellt hat: »Zuweilen schwebte ihm eine Art Weimarer oder Florentiner Zeitalter der Industrie und des Handels vor, die Führerschaft starker, den Wohlstand mehrender Persönlichkeiten, die befähigt sein müßten, die Einzelleistungen der Technik, Wissenschaften und Künste in sich zu vereinen und von hohem Standpunkt aus zu lenken. Die Fähigkeit dazu fühlte er in sich. Er besaß das Talent, niemals in etwas Nachweisbarem und Einzelnem überlegen zu sein, wohl aber durch ein fließendes und jeden Augenblick sich aus sich selbst erneuerndes Gleichgewicht in jeder Lage obenauf zu kommen, was vielleicht wirklich die Grundfähigkeit eines Politikers ist, aber Arnheim war außerdem überzeugt, daß es ein tiefes Geheimnis sei. Er nannte es das Geheimnis des Ganzen.«77
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