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Dieser Machtverlust ist das Ergebnis des Mangels an politischen
Führungskräften, die in der Lage sind, den expansionistischen
Ansprüchen Geltung zu verschaffen. Dafür bedarf es in
einer von der Mechanisierung bestimmten Welt der Fähigkeiten,
die der germanische Mutmensch, der preußische Aristokrat
nicht besitzt. »Ehrgeiz, Streben nach Verantwortung, Freiheit
des Gedankens, Erfindungskraft, Anpassungsfähigkeit«
sind Eigenschaften, die den Zweckmenschen auszeichnen, wohingegen
die »großen Vorzüge« des preußischen
Adels »auf einem unbeirrbaren Sinn für das Ehrenhafte,
einem scharfen Blick für das Praktisch-nützliche, auf
Mut, Ausdauer und Genügsamkeit« 30 beruhen. Ideal ist
die Verbindung beider Eigenschaften, denn »zum Staatsmann
gehört (...) die Mischung beider Polaritäten: er muß,
wie Napoleon und Bismarck, halb Römer, halb Levantiner, halb
Baldur, halb Loke sein«.31 Bismarck aber, den Rathenau wiederholt
als »einzigen bedeutenden Staatsmann der auswärtigen
Politik« bezeichnete, den Preußen »in hundert
Jahren (...)hervorgebracht« habe, »war ein Abseitiger,
aus der Regierung zweimal Entlassener«,32 also einer, der
nicht über den üblichen Weg der preußischen Verwaltung
ins Amt kam. Das ist zwar noch nicht der bürgerliche Fachmann,
aber doch so etwas wie sein Vorläufer. Mehr noch: Eben dieser
Bismarck verkörperte in seiner Person die Allianz von Adel
und Bürgertum, da er über seinen Vater aristokratischer,
über seine Mutter aber bürgerlicher Herkunft war: »Es
ist kein Zufall, daß mit Ausnahme des einen, der rücht
reinen Adelsblutes war, Preußen seit Friedrichs Tode keinen
europäischen Staatsmann geschaffen hat.«33 Kein Wunder
also, daß Walther Rathenau keineswegs den Adel durch das
Bürgertum verdrängen, die Entgermanisierung zu Ende
führen wollte. Zwar hatte er 1911 in Staat und Judentum
die Weigerung des preußischen Staats, Juden den Zugang
zu fahrenden Ämtern in Bürokratie und Militär zu
öffnen, als Spezialfall der allgemeinen Weigerung, das Bürgertum
an der Führung des Staats zu beteiligen, aus »der Furcht
der in Preußen herrschenden Klasse vor liberalem Wettbewerb«
erklärt und die »Judenpolitik (als) nichts weiter als
der letzte Ausdruck der gegen Unzünftige gerichteten Interessenpolitik«34
bezeichnet. Aber obwohl »bei Aufgaben vorwiegend geschäftlichen
Charakters, welche aus kolonialen, auswärtigen und finanziellen
Problemen sich ergeben, (...) die preußische Verwaltungstradition
schon mehrfach versagt« hat, wird »kein gerecht denkender
Mensch« die »entschiedene Mitwirkung« des preußischen
Adels »bei den höchsten Staatsaufgaben zu beseitigen
wünschen«.35
Fußnoten
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