Tsingtau - ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China. 1897-1914.

Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museum

27. März - 23. Juni 1998

Berlin

Verlängert bis 19. Juli 1998


Das Deutsche Historische Museum widmet sich der deutschen Geschichte in ihren internationalen Zusammenhängen. Dies betrifft zuallererst Europa, weil die Nachbarn die deutsche Geschichte mitgeprägt, Deutschland andererseits auch deren Geschichte beeinflusst hat. Deutsche Geschichte hat aber auch über Europa hinaus gewirkt. In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg beteiligte sich das Deutsche Reich im Konkurrenzkampf der Industriestaaten an der Aneignung von Kolonien und Schaffung von Einflusszonen. Dabei wurde auf die dortigen Gesellschaften in vielfältiger Weise eingewirkt, ebenso wie es infolge des Kontaktes mit den fremden Kulturen Rückwirkungen auf Deutsche und Deutschland gegeben hat.

Die militärische Besetzung der Bucht von Kiautschou in China vor einhundert Jahren, der "ungleiche" Staatsvertrag über die Abtretung eines Pachtgebietes und die Sicherung der deutschen Interessenszone in der Provinz Schantung im Jahre 1898 sind markante Beispiele für das aggressive Auftreten des Deutschen Reiches in außereuropäischen Regionen während der Zeit des Imperialismus.

In China trafen die Deutschen auf ein Land, das sich seiner kulturellen Tradition als Universalstaat bewusst war, aber infolge politischer, militärischer und sozialer Krisen die fremden Inbesitznahmen und Kontrollen des Landes akzeptieren musste. Das chinesische Kaiserreich reagierte mit Reformbemühungen, um sich dem Druck zu widersetzen. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den Tätigkeiten der Fremden im Lande führte auch zu Widerstand und fand im Boxeraufstand zur Jahrhundertwende ihr intensivstes Ventil.

An der Bucht von Kiautschou gelang es der deutschen Verwaltung, mit einer modernen Landordnung Grundstücksspekulationen zu verhindern, was einen geregelten Aufbau der deutschen Kolonialstadt Tsingtau bewirkte. Deutsche Politik in China realisierte das, was die Bodenreformbewegung im Deutschen Reich forderte. Die Handels- und Marinestadt erhielt in kurzer Zeit eine nach Funktionen gegliederte Raumstruktur: Wohngebäude, Arbeitsstätten, Bildungseinrichtungen, Krankenversorgung, Freizeiteinrichtungen und Versorgungssysteme erhielten hohe Standards. Die ambitionierte Planung der Stadt und deren Umsetzung wurde auch von der chinesischen Bevölkerung der Region angenommen, was sich in der raschen Zuwanderung eindrucksvoll zeigte. So entstand ein reges Arbeits- und Geschäftsleben; der neu angelegte Hafen wurde - insbesondere nach der Fertigstellung der das Hinterland erschließenden Schantungeisenbahn - rasch zu einem der bedeutendsten an der chinesischen Küste. Noch heute prägt die deutsche Architektur der Jahrhundertwende die ehemalige Europäersiedlung Tsingtaus.

Chinesen und Deutsche lebten in Tsingtau und dem Schutzgebiet Kiautschou sowohl mit Misstrauen den jeweils Fremden gegenüber, auch in Konflikten, die zeitweise mit militärischer Gewalt ausgetragen wurden. Genauso gab es aber auch Verständnis und ein aufeinander Zugehen, ein Lernen vom jeweils anderen.

Nicht alle wirtschaftlichen Erwartungen, die die deutsche Seite an das Pachtgebiet gestellt hatte, waren erfüllt, als mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges japanische Truppen Tsingtau und die Bucht von Kiautschou besetzten. Mit dem Weg der deutschen Soldaten in die japanische Kriegsgefangenschaft endete faktisch die deutsche Kolonialzeit in China, die im Versailler Friedensvertrag völkerrechtlich abgeschlossen wurde, als Japan als neue Kolonialmacht - bis 1922 - auftrat.

Die gemeinsame chinesisch-deutsche Epoche an der Kiautschoubucht wirkt bis heute fort. Dies zeigt sich in der wissenschaftlichen und kulturellen Beschäftigung mit der jeweils anderen Gesellschaft oder in der Pflege deutscher Architektur in China.

Das Erinnern an die "ungleiche" Geschichte war lange Zeit unausgewogen. Während auf deutscher Seite häufig die Aufbauleistungen unter Vernachlässigung des kolonialen Aktes herausgestellt wurden, führte andererseits auf chinesischer Seite die Demütigung durch die Fremden zur Herausstellung der imperialistischen Aggression Deutschlands und verstellte somit den Blick für Differenzierungen.

Die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum unternimmt den Versuch, Brücken zu schlagen, indem sie vor allem informiert. Mit einem ausgewogenen Blick auf die gemeinsame Geschichte möchte sie das historische Verständnis auch für die Beurteilung der Gegenwart fördern.

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