Demgegenüber legten Victoria und Albert großen Wert auf eine funktionierende Regierung und sprachen durch ihr Familienleben die Mehrzahl des Bürgertums, aber auch beträchtliche Teile der Arbeiterklasse und der Aristokratie an. Politisch war die Königin parteilicher als Albert, doch wußten beide, daß es zwar Grenzen ihrer Macht, nicht jedoch ihres Ansehens geben mochte.Ihr häusliches Glück war indes nicht nur eine Frage der öffentlichen Propaganda in Wort und Bild. Es entsprach vielmehr ihrem ureigensten Empfinden, wie die zahlreichen Passagen über das Familienleben im Tagebuch der Königin beweisen. 1852 beispielsweise schrieb sie über "den Geburtstag meines geliebten Gatten": "Wir feierten ungestört und glücklich im Schoß unserer Familie. Die Kinder taten ihr möglichstes, ihren lieben, angebeteten Vater glücklich zu machen: sie zeichneten, arbeiteten, rezitierten, komponierten, spielten am Klavier und Affie auf der Geige." Als die Zahl der Kinder wuchs, häuften sich auch die Spannungen in der Königsfamilie, und schon vor Alberts Tod war abzusehen, daß der Prince of Wales die großen Hoffnungen, die in ihn gesetzt wurden, nicht würde erfüllen können. Albert hatte sich systematisch um die Erziehung der Kinder bemüht, aber die Ergebnisse waren ebenso gemischt wie bei seinen unermüdlichen Versuchen, die britische Verfassung zu begreifen.
Balmoral in Schottland war eines der zwei königlichen Schlösser, die allein schon durch ihre Entlegenheit ein unmißverständliches Zeugnis von der bewußten Häuslichkeit der viktorianischen Königsfamilie ablegten. Der andere dieser Zufluchtsorte war Osborne House auf der Isle of Wight. Beide lagen meilenweit von London und Windsor entfernt. Beide waren von Albert geschaffen worden. Beide waren der Königin in ihrem Todesjahr nicht weniger wichtig als zur Zeit ihres Einzugs. In beiden Fällen wurde das Heim zum Heiligtum. Das Trauerjahr der verwitweten Königin spielte sich hauptsächlich an diesen beiden Orte ab. Aber auch danach verbrachte sie dort alljährlich einen festen Zeitraum - in den 1860er Jahren verweilte sie manchmal bis zu fünf Monate auf Balmoral -, und wie immer wich sie von diesen Gewohnheiten, die alsbald zu Ritualen wurden, nur äußerst ungern ab. Minister mußten London verlassen und die zeitraubende und oft genug unbequeme und schwierige Reise nach Schottland auf sich nehmen. Nur Disraeli durfte bisweilen auf diese Besuche in Balmoral verzichten, weil sie seine Gesundheit angriffen. Als Campbell-Bannerman die Königin in ihrem Refugium besuchte, verglich er das Schloß mit einem Kloster und das schottische Klima mit dem von Sibirien.
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