Hans-Joachim Netzer

ALBERT - EIN DEUTSCHER PRINZ IN ENGLAND

Charles Greville, der über Jahrzehnte hinweg Sekretär des englischen Kronrats war und Einblick in fast alle Staatsgeschäfte hatte, notierte 1856 in sein Tagebuch: "Die Königin ist nicht intelligent, der Prinz macht alles und ist in jeder Hinsicht König." Sechs Jahre später, als Albert gestorben war, bemerkte Benjamin Disraeli, damals der führende Kopf der Tories: "Wir haben unseren Souverän begraben; dieser deutsche Prinz hat England 21 Jahre lang mit einer Weisheit und Energie regiert, wie sie keiner unserer Könige jemals gezeigt hat." Man kann eine solche Zitatensammlung fortsetzen. Albert war tatsächlich weit mehr als ein Prinzgemahl; er war König in fast jeder Hinsicht, nur nicht nach Titel und Verfassung. Einer seiner englischen Biographen, Robert Rhodes-James, stellte fest: "In neuerer Zeit haben sehr wenige Menschen solche dauerhaften Merkmale auf einer solch erstaunlichen Vielzahl von Gebieten hinterlassen." Der Historiker Robert J. White meinte, es wäre viel richtiger, von einer albertinischen Epoche zu sprechen, die viktorianische habe eigentlich erst begonnen, als Albert tot war und Victoria ohne die Hilfe ihres Mannes Entscheidungen treffen mußte.

Nach langen Zeiten, während derer man sich nicht gern an die deutsche Verwandtschaft erinnerte, erlebt Prinz Albert in den letzten Jahrzehnten geradezu eine Renaissance in England: Nach Königin Victoria und Wellington ist er die meistbeschriebene Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts, und nun erfährt er auch eine ausgewogene Würdigung - 100 Jahre lang schwankte sein Ansehen zwischen kitschiger Heldenverehrung und völliger Mißachtung hin und her. Für deutsche Biographen dagegen ist dieser Coburger Prinz bisher kaum ein Thema gewesen. Historiker haben sich nur in wenigen Spezialuntersuchungen mit ihm befaßt, zum Beispiel mit seinen Bemühungen um die deutsche Einigung im Jahr 1848. Das mag daran liegen, daß Albert sein ganzes erwachsenes Leben in England verbracht hat und somit zunächst ein Teil der britischen Geschichte ist. Doch sein Selbstverständnis als Prinzgemahl, die Rolle, die er sich selbst zuschrieb, ist nur zu verstehen und gerecht zu würdigen, wenn man die Verhältnisse berücksichtigt, in denen er aufwuchs. Daß er 21 Jahre lang in Coburg und dann 21 Jahre lang in England daheim war - er starb mit 42 - ist ein Zufall. Doch es ist ein Zufall mit tieferer Bedeutung.