Barbara Ohm

Victoria - eine englische Prinzessin in Deutschland

"Sie fragen mich in ihrem Briefe, was ich zu der Englischen Heirath sage. Ich muß beide Worte trennen, um meine Meinung zu sagen; das Englische darin gefällt mir nicht, die Heirath mag aber ganz gut sein; denn die Prinzessin hat das Lob einer Dame von Geist und Herz ... Gelingt es daher der Prinzessin, die Engländerin zu Hause zu lassen und Preußin zu werden, so wird dies ein Segen für das Land sein. Fürstliche Heirathen geben im allgemeinen dem Hause, aus welchem die Braut kommt, Einfluß in dem andern, in welches sie tritt; nicht umgekehrt. ... Bleibt also unsere künftige Königin auf dem preußischen Throne auch nur einigermaßen Engländerin, so sehe ich unseren Hof von Englischen Einflußbestrebungen umgeben, ohne daß wir und die mannichfachen andern Schwiegersöhne of Her Gracious Majesty irgend welche Beachtung in England finden, außer wenn die Opposition in Presse und Parlament unsere Königsfamilie und unser Land schlecht macht."(1)

Der Brief Otto von Bismarcks an General von Gerlach vom 8. April 1858 spielt auf die Schwierigkeiten an, die die älteste Tochter von Queen Victoria und Prinzgemahl Albert als preußische Kronprinzessin am Hofe erwarten sollten, und spiegelt schon früh das Verhältnis zu ihrem größten Widersacher, Reichskanzler Bismarck, wider. Am 25. Januar 1858 hatte die damals 17jährige Victoria, genannt "Vicky", den preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, späteren Kaiser Friedrich III. geheiratet. Die Hochzeit fand bezeichnenderweise in St. James's Palace, im Vaterland der Braut, und nicht in Berlin statt. Erst im Februar präsentierten sich die Jungvermählten mit einem fulminanten Einzug in Berlin, den Andrew Sinclair in seiner Biographie über Victoria folgendermaßen beschreibt: "Am nächsten Tag glich der feierliche Einzug in Berlin eher einem Krieg als einem Fest. ... Die vielen Kanonen donnerten, ganze Wälder von Fahnen wehten, und die Preußische Garde stand mit glitzerndem Helm und Kürassier in dichter Reih und Glied."(2)