Zur Stellung der Frau am preußischen Hof schrieb die Kronprinzessin an ihren Mann: "Was man sich wünsche, sei ein williges Werkzeug in den Händen der Umgebung, eine Art Kammerfrau, die sich gut anzieht, hübsch aussieht, mit jedem ein banales Wort zu sprechen weiß ... in ihrem eigenen Haus eine Puppe ist, niemand spricht und sieht ohne Erlaubnis der Hof-Beamten, sich gehorsam und sanft in Alles fügt, nichts sieht und hört und somit auch nicht die preußische Erziehung ihrer Kinder verdirbt. ... Nach preußischen Ideen soll eine Frau nichts anders sein als eine Türkin im Harem."(5) Vicky blieb in ihrem Herzen Engländerin und zeigte ihre anglophilen Neigungen offen, was ihr viele Feindschaften einbrachte. 1882 war sie beunruhigt über die Erfolge der deutschen Politik im Nahen Osten und erklärte, es wäre verhängnisvoll, wenn "die Deutschen und nicht die Engländer die Bahn im Euphrat-Tal bauten. Wir Engländer haben ein Interesse im Osten, nicht die Franzosen und die Deutschen."(6)Trotz aller Frustrationen, die Vicky am preußischen Hof erlitt, an dem sie zeitlebens die Fremde, die Engländerin blieb, vergötterte sie ihren Ehemann und liebte ihr intaktes Familienleben. Sie wurde Mutter von acht Kindern. Bei der Geburt des Thronfolgers Prinz Wilhelm schwebten Mutter und Kind mehrere Stunden in Lebensgefahr, und beider Leben konnte nur durch eine Zangengeburt gerettet werden. Dabei wurde Wilhelm verletzt, was fatale Folgen nach sich zog: Sein Arm blieb für immer gelähmt. Dies löste bei Vicky Minderwertigkeitskomplexe aus. Sie glaubte, als Mutter versagt zu haben, da sie ein 'verstümmeltes' Kind geboren hatte. So wurde Vickys Beziehung zu ihrem erstgeborenen Sohn, anders als zu ihren jüngeren Kindern, sehr problematisch. Wilhelm versuchte stets, die Liebe und Anerkennung seiner Mutter zu gewinnen, die ihn mit unerbittlicher Härte erzog. Trotz seines gelähmten Armes mußte Wilhelm im Alter von achteinhalb Jahren reiten lernen. Sie und der Prinzenerzieher Dr. Hinzpeter zwangen ihn, sich ohne Steigbügel auf dem Rücken seines Ponys zu halten. Während des Reitunterrichts war Wilhelm unzählige Male vom Pferd gefallen, kein Weinen und Klagen half ihm, er mußte so lange üben, bis es ihm gelang. Vicky liebte dagegen die jüngeren Kinder bedingungslos und verlangte weniger Leistung von ihnen als von den drei älteren, Wilhelm, Charlotte und Heinrich. Sie ging, im Gegensatz zu ihrer Mutter, die sich über ihre zahlreichen Schwangerschaften beklagte, ganz in ihrer Aufgabe als Mutter auf. Dazu gehörte, daß sie die jüngeren Kinder stillte, eine Tätigkeit, die eine damalige Prinzessin gewöhnlich der Amme überließ und die nicht ohne Kämpfe mit ihren verständnislosen Schwiegereltern zugelassen wurde. Vicky schildert ihrem Mann am 1. März 1871 ihr Familienglück: "Ein Baby an der Brust ... ist doch das höchste Glück im Frauenleben, und die Trennung fällt einem besonders schwer."(7)
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