In all diesen Städten besichtigte ich die Lazarette, eine Tätigkeit, die einem sehr auf die Nerven geht und besuchte außerdem die Behörden. ... Einige Lazarette waren gut eingerichtet, aber nur wenige, andere erträglich und der Rest schauderhaft, schmutzig und schlecht geleitet."(12) Am 7. Januar 1871 schreibt sie in einem weiteren Brief an die Queen: "Ich gehe jeden Tag in die Lazarette, und kann Dir sagen, was mich dies für eine Anstrengung kostet, da ich nichts in ihnen zu tun habe und sehe, wie schlecht sie geleitet sind, ohne in der Lage zu sein, sie zu verbessern. Die stickige Luft ist genug, um einen ohnmächtig hinfallen zu lassen, der Schmutz abstoßend."(13) Vickys Engagement für Lazarette an der Front und nicht im heimischen Berlin ist folgendermaßen zu verstehen: Ihre Bemühungen zur Einrichtung von Kriegslazaretten wurden in Berlin und Potsdam, wie der Kronprinz am 23. August 1870 in seinem Tagebuch notierte, "schnöde abgewiesen".(14)Ihre politischen Pläne, die Verwandlung Preußens in eine konstitutionelle Monarchie, konnte Vicky nie verwirklichen, da der Kronprinz bereits todkrank war, als er auf den Thron kam, und da sich in der langen Zeit des Wartens die politischen Ereignisse durch Bismarck anders entwickelt hatten. Wilhelm II. hatte die politischen Ansichten seiner Mutter immer zu durchkreuzen versucht. Als sein Vater 1888 starb, ließ er das Neue Palais in Potsdam durch die Palastwache abriegeln und systematisch nach den Papieren des Verstorbenen durchsuchen. Er fand nichts, seine Mutter hatte ihn überlistet und alle Akten vorsorglich nach Windsor bringen lassen. Vicky war von dieser Aktion ihres Sohnes so bestürzt und enttäuscht, daß sie sich weit weg von Preußen ihren Alterswohnsitz in Schloß Friedrichshof im Taunus bauen ließ. Bis zu ihrem Tode im Jahre 1901 lebte sie dort zurückgezogen, das Verhältnis zu Sohn und Schwiegertochter Auguste Victoria besserte sich nie wieder. Als seine Mutter starb, wiederholte Wilhelm II. die beim Tode seines Vaters angewandte Aktion: Das Haus wurde abgeriegelt und die Räume durchsucht. Doch wieder war Vicky ihm zuvorgekommen. Ihre gesamten Papiere waren im Gepäck von Sir Frederick Ponsonby, dem Privatsekretär Edwards VII., nach England gebracht worden. Wenn Vickys politische Einflußnahme gering war, konnte sie ihre Erziehung und Intelligenz jedoch auf anderem Gebiet beweisen. Die Frauenrechtlerin und Zeitgenossin Vickys, Helene Lange, beschreibt ihr Verdienst treffend: "Der Weltgeschichte, die aus Fürstengalerien mit Schlachtenbildern im Hintergrund besteht, wird sie nichts bedeuten. In die Kulturgeschichte aber wird sie eingehen ... als erste Fürstin, die ihren vollen Einsatz für die Frauenbewegung einsetzte zu einer Zeit, in der die Acht weiter Kreise noch schwer auf ihr lastete."(15)
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