Von dieser Halle geht ein im flämischen Barock ausgestatteter breiter Gang ab mit einem für die südlichen Niederlande typischen schwarz-weißen Marmorpaviment, der auf ein flämisches Kapellenportal zuläuft. Wir werden sehen, daß dieser Gang konzeptionell dazu gedacht ist, die "Renaissancen" in Italien, Frankreich und dem Norden mit den zeitlich anschließen Barockstilen zu verklammern. Hier hängen auch mehrere bedeutende Brüsseler Gobelins, etwa der große Paulus-in-Lystra-Gobelin nach Entwurf von Barent van Orley und Coecke van Aelst. Am Ende des Korridors beginnt dann mit einem achteckigen, von spätgotischen Rippen überwölbtem Raum, der das "Mittelalter" vertritt, der eigentliche Gang durch die Kunstgeschichte. Dabei wird nicht sklavisch ein Epochenraum vorgeführt und mit den Mittelaltersammlungen vollgestellt, wie wir ihn etwa aus Gabriel von Seidls Bayerischem Nationalmuseum in München kennen. Der Raum ist als heiterer Gesellschaftsraum gedacht; das bewirken nicht zuletzt die großen Wandvitrinen mit den Glas- und Keramiksammlungen in barocker Buffetform. Das Schloß ist eben kein Museum, auch wenn es als Sammlungsschloß konzipiert ist. Es soll auch bequemer fürstlicher Wohnsitz einer anspruchsvollen, künstlerisch begabten Dame aus hohem, alten Haus sein.Dem ersten Gastraum folgt ein weiterer Speiseraum, der große Speisesaal mit seiner Renaissance-Decke und Vertäfelung, der alle nordischen Renaissancen in sich vereinigt: die niederländische, vertreten durch den reichen Marmorkamin, die englische mit den raumhohen Fensterfronten und die deutsche mit ihren schweizerischen Kabinettscheiben des 16. Jahrhun- derts. Zielpunkt ist ein Silberbuffet, das an die fürstliche Tafelrepräsentation und wohl auch an die Berliner Buffets erinnern soll.20 Hier führt die Kaiserin ihre reichen Bestände an europäischer Silberschmiedekunst aus Deutschland, Frankreich, England und den Ostseeländern ihren Tischgästen in passender Form vor. Der Tisch wird mit altem Silber und Glas gedeckt, als "Plat de ménage" diente eine englische Épergne des 18. Jahr- hunderts (vgl. Kat.Nr. IV/25).21 Um den Speisesaalaspekt noch zu verstärken, hängen große flämische Stilleben an den Wänden, unter anderem zwei Prachtstücke von Frans Snyders.22
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