Yvonne Wagner

"Willy und Ernie" Deutsch-englische Prinzenerziehung am Beispiel der zwei in Deutschland regierenden Enkel Queen Victorias

Prinz Albert erahnte im Februar 1857, kurz vor der Hochzeit seiner ältesten Tochter Princess Royal Victoria (1840-1901) mit Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, nachmals Kaiser Friedrich III., ein grundsätzliches Problem: Trotz ihrer Heirat mit einem deutschen Prinzen höre sie nicht auf, eine englische Prinzessin zu sein, "und bei dem besten Wunsche so deutsch als möglich zu werden, kann sie diese Natur ... nicht los werden."1 Albert definierte hier das Spannungsfeld, in dem sich sowohl Victoria als auch ihre jüngere Schwester Alice (1843-1878), die 1862 Ludwig von Hessen und bei Rhein, später Großherzog Ludwig IV., heiratete, bewegen sollten. Auch auf die folgende Generation, die Söhne von Victoria und Alice, hatte die englische Herkunft der beiden Mütter entscheidenden Einfluß. Allerdings hatte der preußische Thronfolger Wilhelm (1859-1941), von seinen Verwandten "Willy" genannt, im Vergleich zu seinem darmstädtischen Vetter Ernst Ludwig (1868-1937), "Ernie", mehr Schwierigkeiten. So wirkten in seiner Erziehung Einflüsse zweier unterschiedlicher Kulturen, und zwei gesellschaftliche Ideale sollten ihm zur Orientierung dienen: das des Gentleman als Exponent coburgisch-englischer Interessen und das des Junkers als Ausdruck brandenburgisch-preußischer Belange2; oder anders ausgedrückt: ihm wurden seine beiden so gegensätzlichen Großväter Albert und Wilhelm I. als Leitbilder vorgehalten3. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich ein zähes Ringen um die bessere pädagogische und auch politische Lösung. Gerade der Vergleich mit der Erziehung Ernst Ludwigs erweist sich in diesem Zusammenhang als äußerst wertvoll, denn erst so wird ersichtlich, wie weitreichend und vielfältig der englische Einfluß war.Berlin: Politik und Pädagogik"Pflichtbewußtsein, Ehrgefühl und Wahrheitsliebe und die Achtung vor Gott und dem Gesetze, die allein wahrhaft frei machen", waren für die Prinzessinnen Alice und Victoria typisch englische Erziehungsziele.4 Alle diesbezüglichen Bemühungen konzentrierten sich insbesondere bei Victoria auf das eigentliche Ziel, ihren Sohn zu einem vernünftigen jungen Mann zu erziehen, der ihre fortschrittlichen Ideen verinnerlichte. Wilhelm sollte die Realitäten des Lebens verstehen, doch er sollte auch Ideale für die Zukunft entwickeln. Allerdings mußte Victoria hierfür versuchen, die preußische Prinzenerziehung zu reformieren.