DER GANG DURCH DIE AUSSTELLUNG
     
 
Anmerkungen zur Präsentation
Im Zentrum der Ausstellung stehen Fibeln, Perlen, Töpfe und Waffen, die auf alemannischen Friedhöfen bei Eichstetten und Pfahlheim geborgen wurden. Der unterschiedliche Charakter beider Fundstellen spiegelt sich auch in der Ausstellungsarchitektur wieder. So liegt bei der modernen Grabung von Eichstetten der Schwerpunkt auf Ausgrabung und wissenschaftlicher Auswertung des Friedhofes. Die Grabungsarbeiten sind so exakt aufgezeichnet, dass es möglich wird, Fundplatz, Lage der Gräber, Fundlage und Fundzustand bei der Ausgrabung zu dokumentieren. Eine inszenierte Grabungssituation neben rekonstruierten Gräbern verdeutlicht dabei den Weg des Objektes vom Fundort zur musealen Präsentation. Dadurch wird ein grundlegender Schritt für die archäologische Bewertung und Deutung des Fundes sichtbar, denn das restaurierte und konservierte Objekt, wie es dem Besucher präsentiert wird, gibt weder den Ur- noch den Fundzustand des Stückes wieder. In einem didaktisch gehaltenen Teil wird sodann der lange, mühsame und doch aufregende Weg von der Grabung zur Identifizierung und historischen Einordnung der Funde weiter verfolgt.
Er erlaubt einen Blick in die moderne archäologische und interdisziplinäre wissenschaftliche Analyse, wobei im Zentrum der Spurensuche der Mensch und sein Alltag stehen. Das "Auswertungsmaterial" - Knochen, Schmuck und Waffen - ist den Auswertungsergebnissen zugeordnet. Anschauungs- und Lesestoff geben Auskunft über Geschlecht, Alter, Krankheit, Reichtum, Armut, Handel, Handwerk, Religion und die Ergebnisse der akribischen Arbeit: Prozentzahlen, Statistiken, Verbreitungskarten, Modelle und Rekonstruktionen. Da sich im Boden äußerst selten organische Überreste erhalten, kann normalerweise über Grabkammern und Särge aus Holz keine Aussage gemacht werden. Eine Ausnahme bilden die berühmten Funde von Oberflacht. Während Originale aus den Grabungen in Oberflacht die Begräbnissitte der Alamannenzeit veranschaulichen, zeigt die idealisierte, auf Museumsbedürfnisse zugeschnittene Nachbildung eines Sängergrabes den Umgang des 19. Jahrhunderts mit dieser einzigartigen Quelle. Das Nebeneinander von Original und gedrechseltem Nachbau vermittelt eindrücklich, wie sensibel mit archäologischen Funden umgegangen werden muss und wie ausgeprägt das Bedürfnis nach konkreter Anschauung und ästhetischer Umsetzung damals war. Mit einer ebenfalls sehr populären Interpretation macht der Eingang zur Ausstellung bekannt.Das gängige Germanenbild des 19. Jahrhunderts, wie es die erste Inszenierung von Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" zum Ausdruck brachte, belegt nicht nur eine phantasievolle Ausschmückung der germanischen Lebens- und Vorstellungswelt, sondern erlaubt auch einen Blick auf den Forschungsstand der damals noch jungen archäologischen Wissenschaft: Kostümdetails und das im Entwurf nachgebaute Bühnenbild von 1876 spiegeln Vorstellungen der Zeit. Mit welcher Sammelleidenschaft in dieser geschichtsbewussten Zeit alamannische Gräber geborgen wurden und nach welchen Kriterien Museen die neu erworbenen Schätze ausstellten, verdeutlichen die Funde von Pfahlheim. Eine romantisierende und nationale Sichtweise verklärte das Bild der germanischen Stammesbildung und führte auch im Museumsbereich zu einer "Schatzsuchermentalität". So sind Grabungsfunde der beteiligten Museen in einem Bau zu sehen, der Architekturelemente des klassischen Museumsgebäudes aufgreift. Eine angedeutete Depotsituation vermittelt einen Überblick vom Verbleib der Fundstücke in den Magazinen verschiedener Museen, während in gesonderten Vitrinen Sammlungs- und Ausstellungskriterien der Archäologie erkennbar werden. Als 1883 die Ausgrabungen in Pfahlheim begannen, zeigten die Königlichen Museen zu Berlin ihre Sammlung nordischer Altertümer im 1855 fertiggestellten Neuen Museum noch nach Ländern und Provinzen geordnet in einem Saal, dessen obere Wandflächen von einem Fries mit Darstellungen aus der nordischen Mythologie geschmückt waren. Nur die Gold- und Silberfunde wurden getrennt in einer eigenen Vitrine verwahrt. Doch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schlug sich die Entwicklung der archäologischen Wissenschaft auch in den vor- und frühgeschichtlichen Sammlungen nieder. Zum Nachweis von Kunst- und Kultureinflüssen rückte in den Fachmuseen die Ordnung nach geschlossenen Funden in den Vordergrund. Für die Pfahlheimer Stücke wird dies anhand des bronzenen Importgeschirrs, der Töpfe, Gürtelgehänge, Waffen und Steigbügel gezeigt. Deutlich lässt sich an den Museumsinventaren noch ein weiteres Sammelinteresse ablesen: Die Idealisierung einer waffentragenden Gesellschaft von freien Germanen gab den fränkischen Waffen in den Ausstellungen einen besonderen Stellenwert. Die Vitrinen, angefüllt mit Kurzschwertern, Langschwertern und Schildbuckeln, wurden in Museumsführern der Jahrhundertwende oft als besonders sehenswert her- vorgehoben. Erst neuere Untersuchungen wie die an den Materialien aus Eichstetten haben die pauschale Gleichsetzung von Waffenbesitz und persönlicher Freiheit relativiert. Wie sich aus den Ergebnissen von Archäologie und schriftlicher Überlieferung ein Bild von Begräbnissitte und Christianisierung fügt, vermittelt eine Multivision, wobei jedoch Aussagen über die Christianisierung spekulativ bleiben müssen Denn welche Gefahr sich hinter der assoziativen Deutung von Fundstücken für eine Gesellschaft im Übergang vom Heidentum zum Christentum verbirgt, belegt der überraschende Fund eines Seidenkreuzes, das sich lange unerkannt in einem vom heidnischen Symbol der Schlange bekrönten Oberflachter Baumsarg im Museum befand.
 
Heidemarie Anderlik/Michael Hoffer
 
 
                         
 
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