Kino im Zeughaus

Aktuelles Kinoprogramm


   

 

Filminhalte April 2005 / Mai 2005 / Juni 2005

 

             

Eine mondblaue Maus mit Menschenaugen – Franz Kafka im Kino

„Die Kafka ist eine sehr selten gesehene prachtvolle mondblaue Maus, die kein Fleisch frisst, sondern sich von bitteren Kräutern nährt. Ihr Anblick fasziniert, denn sie hat Menschenaugen.“ So charakterisierte 1920 der Literat Franz Blei in seinem „Bestiarium der Modernen Literatur“ den Schriftsteller Franz Kafka. Dessen „Menschenaugen“ wurden namentlich vom „primitiven Film“ ergriffen. „Er liebte“, so der Freund Max Brod, „die ersten Filme, die damals auftauchten. Besonders entzückte ihn ein Film, der tschechisch ´Táta Dlouhán` hieß, was wohl mit ´Vater Langbein` zu übersetzen wäre. Er schleppte seine Schwestern zu diesem Film, später mich, immer mit großer Begeisterung, und war stundenlang nicht dazu zu bringen, von etwas anderem zu reden als gerade nur von diesem herrlichem Film.“
Zwar schrieb Kafka „nur sehr sporadisch und kaum je systematisch über seine Kinobesuche“, wie Hanns Zischler in seinem Buch „Kafka geht ins Kino“ anmerkt. Doch gelingt es ihm in kunstvollen Akten der Verknüpfung etwa zwischen zeitgenössischen Kinoprogrammen und Zeitungsberichten mit kinematographisch angereicherten Passagen aus Kafkas Briefen und Tagebüchern, die Wechselwirkungen von Filmen, von Kameraeinstellungen und Schauspielern und Kafkas Lebenshaltungen zu beleuchten. Unsere Filmreihe beginnt mit dem Film von Hanns Zischler und zeigt filmische Interpretationen von Kafkas Werken, aber auch Darstellungen, denen die literarische Ikone als Folie dienen und die vor diesem Hintergrund zu neuen Deutungen finden.

Als der Krieg zu Ende war

„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang.“ So fasste Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes zusammen, was sich in der Bundesrepublik Deutschland als ein Konsens der historischen Erinnerung herausgebildet hatte. Die Filmreihe begleitet die Ausstellung „1945 – Der Krieg und seine Folgen“. Die Auswahl vereint Beispiele aus vielen Ländern. Wie der Krieg zu Ende ging, wie er erinnert wurde, wie die Probleme der unmittelbaren Nachkriegszeit in Filmen dargestellt wurden, sind die Themen der Reihe.


„Brot, Frieden, Freiheit“ – Frankreich im Film der Front Populaire

Der am Fließband hantierende Arbeiter, der unbesorgte Landstreicher oder der mit einem Millionengewinn ausgestattete Arbeitslose sind Figuren, die in den Filmen der Front Populaire die französischen Leinwände bevölkerten. Das Bündnis der Linksparteien gründete sich als Reaktion auf eine tiefe Krise Frankreichs. Demokratie und sozialer Friede schienen außenpolitisch auch durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland und den beginnenden Bürgerkrieg in Spanien bedroht. 1936 siegte die Front Populaire bei den Wahlen und setzte weitreichende soziale Reformen durch. Das Motto „Pain, Paix, Liberté“ (Brot, Frieden, Freiheit) begeisterte viele Intellektuelle und Künstler. In ihren Filmen und in der Musik setzten sich Regisseure und Komponisten mit ihrer Gegenwart auseinander und dokumentierten die Ereignisse im Frankreich der 1930er Jahre. Während Regisseure wie Jean Renoir und Marcel Carné eher die düstere Seite der von Geld und Machtverhältnissen korrumpierten menschlichen Beziehungen in einem entfremdeten Arbeitsalltag nachzeichneten, fingen René Clair und Julien Duvivier die optimistische Stimmung der Bevölkerung auf.
Mit freundlicher Unterstützung des Bureau du Cinéma der Französischen Botschaft in Berlin und dem Bundesarchiv-Filmarchiv



Das „Kino der moralischen Unruhe“ – der polnische Film der 70er und 80er Jahre

Ab den siebziger Jahren entstanden in Polen Filme, die als „Kino der moralischen Unruhe“ berühmt wurden. Ungeachtet von Zensur und politischen Sanktionen stellten sich Regisseure und Regisseurinnen den Problemen der eigenen Gesellschaft. Dabei griffen sie nicht immer zu Parabeln oder anderen indirekten Darstellungsformen. Die moralische Verantwortlichkeit des Einzelnen, die Beziehungen zwischen dem Individuum und der Gesellschaft, die Rolle des Staates griffen sie in auch künstlerisch überragenden Werken auf. Zugleich thematisierten sie erstmals die Verbrechen der Stalinzeit. Es entstand ein Kino, das auch außerhalb Polens als vital, kritisch und experimentierfreudig wahrgenommen wurde. Mit den Beginn der Solidarnosc-Bewegung (Streiks auf der Danziger Werft im August 1980) entstanden neue Impulse, die politische Unruhe und auch die Hoffnungen dieser Zeit finden sich ebenfalls in den Filmen wieder.
Eine Filmreihe des Zeughauskinos und des Polnischen Instituts.
Mit freundlicher Unterstützung des Auswärtigen Amtes der RP, dem Adam Mickiewicz Institut in Warschau und von Film Polski Agencja Promocji in Warschau

 

 

 

April

EIN DEUTSCHER FILMSTIL? – LENI RIEFENSTAHL u.a.
Kulturfilme: Städteporträts

u.a.

Freiburg im Breisgau, das Tor zum Hochschwarzwald
R: Sepp Allgeier, 1936, 13'
Ein Kultur-Städtefilm über Freiburg. Wieder einmal bestätigt sich Sepp Allgeier als begnadeter Kameramann – und Regisseur. Die in den zwanziger Jahren entwickelte Bildsprache wird hier (zumindest im ersten Teil des Films) noch einmal zelebriert, eingebettet allerdings jetzt in die dominierenden Topoi der „Stadt im Grünen“ und „Stadt und Tradition“.

Bremen

R: Otto von Bothmer, 1936, 11'
Bremens Sehenswürdigkeiten, seine Gärten, der Hafen sowie das Linienschiff „Bremen“.

kleiner Film einer großen Stadt... der Stadt Düsseldorf am Rhein

R: Walter Ruttmann, 1935, 14’
... Es muß nun von Ruttmann gesprochen werden, einem der filmischen Regisseure unserer Zeit. Er dichtete mit der Kamera... (aus Rheinisch-Westfälische Zeitung, Essen, 16.11.1935)

Stadt Stuttgart. 100. Cannstätter Volksfest

R: Walter Ruttmann, 1935, ca. 5’
Der Film zeigt Eindrücke vom Cannstätter Volksfest, insbesondere vom Festumzug, vom offiziellen Teil und von den anschließenden Vergnügungen. Gruppen zu Fuß und zu Pferde führen historische Trachten und Uniformen vor. Zwischen Blaskapelle und blumengeschmückten Umzugswagen beteiligen sich auch SA, SS und Wehrmacht am Festzug. Zwei Nazi-Größen in SA-Uniform nehmen mit ausgestrecktem Arm den Umzug ab.

am 01.04.2005 um 18.15 Uhr

 

 

Impressionen unter Wasser
D 2002, R: Leni Riefenstahl, 45’

Noch mit 72 Jahren machte Riefentstahl den Tauchschein – dafür musste sie schwindeln. Sie machte sich bei der Altersangabe glatt 20 Jahre jünger. Was die leidenschaftliche Taucherin in rund 25 Jahren mit der Unterwasserkamera eingefangen hat, bündelt diese Dokumentation.
Entstanden sind die Aufnahmen im Roten Meer, vor Kuba, den Bahamas, den Malediven, den Seychellen, Indonesien, Mikronesien, den Cocos Islands (Pazifik), auf Papua-Neu Guinea und in der Karibik. Fast 50 Jahre nach ihren letzten Regiearbeiten kam Impressionen unter Wasser pünktlich zum 100. Geburtstag der Künstlerin heraus.

am 01.04.2005 um 20.30 Uhr

 

 

Die Wahrheit
R: Willi Zielke, 1933-1938, 34’
Es geht um die Situation von arbeitslosen Männern am Ende der Weimarer Republik. Als Lösung für die Überwindung ihrer Situation und der Wirtschaftskrise allgemein wird der Nationalsozialismus propagiert.

Das Stahltier
R: Willi Zielke, 1935, 74’
Der Dampflokfilm schlechthin. Zielkes Stahltier ist wohl die dynamischste, expressionistischste Eisenbahnfahrt der Filmgeschichte. Eingebettet in eine Rahmenhandlung, in der ein Betriebspraktikant Eisenbahnarbeitern die Geschichte der Eisenbahn erzählt, zieht Zielke alle Register dessen, was er die "entfesselte Kamera" nannte. Der Film, geplant als offizieller Jubiläumspropagandafilm zum 100-jährigen Jubiläum der deutschen Eisenbahnen, wurde von der auftraggebenden Reichsbahn nicht abgenommen. Statt eines beschaulichen Kulturfilms hatte Zielke ein Kunstwerk produziert, das trotz manchen zeitgeistigen Anflügen den preußisch konservativen Reichsbahnbeamten wie ein Stück "entartete" Kunst vorkam.

am 02.04.2005 um 18.15 Uhr

 

Olympia – Fest der Völker (Teil 1)
Olympia – Fest der Schönheit (Teil 2)

D 1936-38, R: Leni Riefenstahl, Teil 1: 126’, Teil 2: 100'

Olympia ist der zweite großangelegte Dokumentarfilm Leni Riefenstahls im Auftrag des nationalsozialistischen Regimes. Die Olympischen Spiele 1936 in Berlin werden als ästhetisches Schauspiel von mythischer Dimension dargestellt. Ein Prolog führt ins antike Griechenland, verfolgt den Weg des olympischen Feuers bis nach Berlin und leitet über zu einer Chronologie der Wettkämpfe, die mit großem Aufwand und ausgefeiltem technischen Raffinement wiedergegeben werden.
In einer wiederum beispiellosen Gründlichkeit wurde die Arbeit bereits lange vor Beginn der Spiele aufgenommen: Im August 1935 erhielt Leni Riefenstahl den Auftrag zum Olympia-Film, im Oktober wurde der Vertrag geschlossen, im November die Olympiade-Film GmbH gegründet. Bis zum Beginn der Spiele waren in der Vorbereitungsphase die besten Kamerapositionen festgelegt worden, hatte es Tests mit verschiedenen Filmmaterialien gegeben und war ein Team verpflichtet worden, groß genug, um die zu erwartende Menge belichteten Filmmaterials zu ordnen.
Die verschiedenen Sportarten wurden, soweit es die Lichtverhältnisse und die Vorgaben der Kampfrichter erlaubten, umfassend dokumentiert. Am Ende waren 400.000 Meter Film belichtet -- mehr als 200 Stunden. In über einem Jahr Arbeit wurde der Film auf eine Länge von gut 4 Stunden gebracht, vertont und mit synchronisierten Geräuschen unterlegt. Am 20. April 1938 - dem 49. Geburtstag Hitlers und in seiner Anwesenheit - wurde der Film uraufgeführt. Die logistische Leistung, die hinter den Aufnahmen und der Postproduktion stand, mußte sich nun dem Urteil stellen, ob die 1,5 Millionen Reichsmark, die der Film mindestens gekostet hatte, im Sinne der nationalsozialistischen Propaganda gut angelegt waren. Die Premiere und die weiteren Vorstellungen in Deutschland gerieten zu enthusiastischen Feiern. Der Erfolg und die publizierte Zustimmung hätten größer nicht sein können.
Die Konzentration auf die "reine" Schönheit von Körpern und Bewegungen, die "zeitlose" Sinnlichkeit der Bilder, die künstlerischen Ambitionen in Fotografie und Montage wurden von der Regisseurin später als unpolitische Ausdrucksmittel verteidigt.

am 02.04.2005 um 20.30 Uhr Teil 1
am 03.04.2005 um 18.15 Uhr Teil 2

 

 

Michelangelo – Das Leben eines Titanen
D/ CH 1938-1940, R: Curt Oertel, 88'

Das Leben und Werk des Bildhauers, Malers und Baumeisters Michelangelo wird im Kontext seiner Zeit dargestellt, wobei vor allem seine wichtigsten Werke auch in Detailaufnahmen dem Zuschauer vorgestellt werden. Die Etappen der Biographie Michelangelos werden in Abhängigkeit zu den wechselnden Herrschaftsverhältnissen in Florenz und Rom erzählt, untermalt mit Montagen aus Grafiken und Gemälden bzw. inszenierten Zwischenszenen.
Regie führte Curt Oertel, der ab 1946 für den Aufbau vieler Filmorganisationen (wie der FSK, SPIO) mitverantwortlich zeichnete und auch bei der Gründung des Deutschen Filminstituts tatkräftige Unterstützung gab.

am 03.04.2005 um 20.30 Uhr

 

 


FRANZ KAFKA IM KINO

Kafka
USA 1991, R: Steven Soderbergh, D: Jeremy Irons, Theresa Russell, Joel Grey, Ian Holm, Jeroen Krabbé, 98’ OF mit niederl. UT

In den 90er Jahren gab es in Kino und Fernsehen einige Begegnungen mit Kafkas Werken. Soderberghs Kafka machte 1991 den Anfang. Er baute eine Collage nach Motiven der Romane des Dichters Franz Kafka (1883-1924), der seine Angst vor der Moderne in schaurige Parabeln von Entfremdung und anonymen Mächten packte („Der Prozess“, „Das Schloss“, „Die Verwandlung“). Diese kafkaeske Stimmung fing Soderbergh in expressionistischen Bildern ein. Er zitiert in Kafka Filmklassiker wie Metropolis oder Das Cabinett des Dr. Caligari. Virtuos spielt das poetische Drama mit der Atmosphäre des nächtlich-verwunschenen Prag. Die schwarzweiß gefilmte Suche kontrastiert wirkungsvoll mit der farbigen Vision vom Schloss als dämonischem Versuchslabor.
Der eigenbrötlerische Versicherungsangestellte Kafka verarbeitet seine Eindrücke vom anonymen Büroalltag und der Willkür seiner Vorgesetzten zu literarischen Horrorgeschichten. Das plötzliche Verschwinden seines Kollegen Eduard reißt ihn aus seinem Alltagstrott. Bei seinen Nachforschungen begegnet er der verführerischen Anarchistin Gabriela Rossmann. Sie behauptet, ihr Freund Eduard sei umgebracht worden, weil er ein Attentat geplant habe. Seine zunächst rein detektivische Suche führt Kafka rasch auf eine gefährliche Spur. Er muss in das Innere des düsteren Schlosses…

am 07.04.2005 um 18.15 Uhr

 

 


Eröffnung der Filmreihe
Kafka geht ins Kino
A/ D 2002, R: Hanns Zischler, 54’

„>Im Kino gewesen. Geweint.< Vier Worte, die Gemeingut geworden sind, wesentlicher Bestandteil des Denkens und Schreibens über Kino hier zu Lande, der Reflexionen über Film und Emotion, von Identitätsstiftung und Selbstvergessen vor der Leinwand. Franz Kafka hatte die Worte notiert, Hanns Zischler hat sie uns ins Gedächtnis gebracht, lakonisch, aber mit Nachdruck. Viele Jahre hatte er an seinem Buch >Kafka geht ins Kino< (1996) gearbeitet, hat die verstreuten Äußerungen des eifrigen Kinogängers Kafka zu Kinostunden und -sekunden gesammelt, hat die Filme aufgespürt, auf die Kafka sich bezog, sofern Kopien davon überhaupt noch vorhanden sind. Er hat eine Vorstellung vermittelt davon, wie Kafkas Schreiben vom Kino beeinflusst war, ohne dass das Kino ständig als Bezugspunkt sichtbar sein müsste.
Nun (2002) hat Zischler einen Film gemacht über seine Arbeit mit Kafka. Kein Film ist das geworden, der das Buch illustriert, sondern er öffnet es zu einer neuen Runde im Spiel der Erinnerungen. Ein Palimpsest nennt Zischler den Film, ein Werk also, in dem viele Schichten sich übereinander lagern, und keine von ihnen ist von der anderen abzulösen. Der Film ist in ständigem Fortgang begriffen, ohne dass sich ein Eindruck von Gehetztsein aufdrängen würde. Der Autor Kafka löst sich auf im Geflecht der Städte und Sätze, man streift mit ihm durch Raum und Zeit. Am Anfang verschwimmt der durch den Schneidetisch laufende Filmstreifen und taucht wieder auf als Mittelstreifen einer Straße, als Lampenkette am Straßenrand. Es geht nicht um Kafka bei diesem Flanieren, nicht als singuläre Gestalt. Es geht um einen erträumten Kafka, um die unerhörte Weise, wie er Leben und Träumen verband.“ (Fritz Göttler)

K.aF.ka fragment
A/ D 2001, R: Christian Frosch, D: Lars Rudolph, Ursula Ofner, 85’

2001 hatte Christian Frosch sich daran gemacht, seine Sichtweise auf den Prager Autor auf die Leinwand zu bringen, in einem äußerst experimentellen kleinen Film, der nur zwei Personen zeigt, die Schauspieler Lars Rudolph (Kafka) und Ursula Ofner (Felice Bauer, seine Verlobte), die selbst keinen einzigen Satz zu sagen haben, alles, die Kommentare, die Zitate aus Kafkas Werken und Briefen, alles wird vom Off-Kommentator Dominik Bender mit weicher, sanfter, leiser Stimme langsam vorgetragen.
Einführung: Hanns Zischler

am 07.04.2005 um 20.30 Uhr

 

 


Der Prozess
BRD/ F/ I 1962, R: Orson Welles, D: Anthony Perkins, Jeanne Moreau, Romy Schneider, Orson Welles, 118’ DF

Der Prozess verdichtet die Vorlage Franz Kafkas durch virtuos verfremdete Schauplätze zu düster-expressionistischen Bildern. Orson Welles umstellt Josef K. mit einer gespenstisch verwirrenden Umwelt, lässt sein Leben von phantastischen Bedrohungen überwuchern und zeigt die unaufhaltsame Auflösung eines Menschen. In Anthony Perkins, der als Norman Bates in Alfred Hitchcocks Psycho (1960) Kultstatus erlangte, hat Welles einen Darsteller für Josef K. gefunden, der die hektische Angst und Verzweiflung eines von unsichtbaren Mächten Gehetzten unmittelbar deutlich macht.
Der unbescholtene Angestellte Josef K. wird eines Nachts plötzlich in seinem Zimmer von zwei Polizeibeamten geweckt. Ein Inspektor erklärt ihm, er sei angeklagt und solle von nun an auf seinen Prozess warten. Grund und Inhalt der Anklage werden ihm nicht genannt. Herr K. ist verstört – und wartet. Es kommt der Tag der Verhandlung. Josef K. versucht, sich zu verteidigen, jedoch vergeblich. Sein Prozess schleppt sich dahin. Erneut will er den Richter aufsuchen, aber der ist verschwunden und hinter der Tür, die zu seinem Büro führte, befindet sich eine Wohnung. Josef K. sucht nach Mitteln und Wegen, um sich aus seiner Lage zu befreien. Als weder ein Rechtsanwalt noch Bekannte mit vermeintlich einflussreichen "Beziehungen" einen Ausweg aus der seltsamen Situation weisen, beschließt Josef K. verzweifelt, endgültig auf fremde Hilfe zu verzichten und auf seine Unschuld zu vertrauen. Doch dann wird er abgeholt und hingerichtet.

am 08.04.2005 um 18.15 Uhr

 

 


WIEDERENTDECKT
Der Augenzeuge A 65/58
DDR 1958
(Folge vom 12.8.1958)

Ein Mädchen von 16 ½
DDR 1958, R: Carl Balhaus, D: Nana Schwebs, Erika Dunkelmann, Helga Göring, Wolfgang Stumpf, Gerhard Bienert, Manfred Krug, 97‘

Äußerst selten nahm sich die DEFA des Themas straffällig gewordener Jugendlicher an, nur zwei Mal präsentierte sie Innensichten aus der entsprechenden Umerziehungsanstalt, den Jugendwerkhof: 1982 in Roland Steiners gleichnamigem (nicht zugelassenen) Dokumentarfilm und 1958 in Ein Mädchen von 16 ½.
Inmitten einer Welle von DEFA-Gegenwartsfilmen wagt sich der Schauspieler und Regisseur Carl Balhaus an den schwierigen Stoff heran. Die 16jährige Helga, durch den Krieg elternlos geworden, treibt sich im kriminellen Westberliner Milieu herum, die DDR-Polizei greift sie auf und weist sie in einen Jugendwerkhof ein. Zwar lernt sie nun sinnvolle Arbeit und menschliche Atmosphäre kennen, doch bald zieht es sie erneut zu den falschen Freunden. Erst als Helga der Prostitution nachgehen soll, kehrt sie freiwillig in die DDR, in den Werkhof zurück und scheint endgültig geläutert.
Nach der Premiere sah sich der Film scharfer Kritik ausgesetzt: der Werkhof sei als idyllisches Sanatorium dargestellt und überhaupt vermisse man die „typische“ sozialistische Jugend mit ihren „echten“ Konflikten. Außerdem würden die Szenen in Westberlin glaubhafter wirken als die idealisierten Bilder einer „Erziehung in der Sommerfrische“. (Der Morgen, 17.5.1958)
Die teilweise berechtigten Einwände mündeten auf der DEFA-Spielfilmkonferenz Anfang Juli 1958 in Angriffe auf Carl Balhaus. Der Regisseur gestand öffentlich Fehler ein, der Film blieb im Spielplan. Das Programm hingegen erhielt einen neuen Begleittext. Um dem Vorwurf der Realitätsfälschung zu begegnen, wurde deutlich herausgestellt, dass der Film „keineswegs typisch für unsere Zeit“ sei und nur „außergewöhnliche Umstände [...] junges Leben selbst in [solche] Schuld verstricke.“
Einführung: Ralf Forster
Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit CineGraph Babelsberg und dem Bundesarchiv-Filmarchiv.

am 08.04.2005 um 20.30 Uhr

 

 


FRANZ KAFKA IM KINO

Das Schloss
BRD/ CH 1968, R: Rudolf Noelte, D: Maximilian Schell, Cordula Trantow, Helmut Qualtinger, Trudik Daniel, 88’

Das Schloss war ein Herzensprojekt Maximilian Schells, der sich mit seinen Erfolgen in Hollywood immer wieder finanzielle Freiheit für andere Projekte schuf. Das erste davon, die Verfilmung von Kafkas Romanfragment, wurde vom Theaterregisseur Rudolf Noelte inszeniert, der damit seinen ersten Spielfilm drehte. Schell agierte nicht nur als Hauptdarsteller, sondern – mit seiner Alfa-Film – erstmals auch als Produzent; die Anfangstitel sprechen gar von einem „Film von Rudolf Noelte und Maximilian Schell“.
Das Schloss ist die berühmte und beklemmende Geschichte des Landvermessers K., der in eine unwirtliche Gegend kommt, um in den Dienst einer mysteriösen Schlossverwaltung zu treten. Er findet jedoch weder Eingang ins Schloss noch in die Dorfgemeinschaft.
Helmut Qualtinger taucht erst gegen Ende des Films auf, als K. zu einem nächtlichen „Verhör“ in den Herrenhof zitiert wird: als Untersekretär Bürgel, „ein Unterbeamter des Sekretärs“, liegt er im Bett in einem Zimmer, in das K. irrtümlich eingetreten ist. Qualtinger spielt den vermeintlich freundlichen Beamten unnachahmlich – nämlich so, dass man das Gefühl hat, dieser sei weniger freundlich als eher nicht mehr ganz bei Trost, durch Jahre der Tätigkeit für das mysteriöse Schloss. In seinem langen Monolog – teilweise im Off – scheint er K. trösten zu wollen, während er doch andererseits die „Lückenlosigkeit der amtlichen Organisation“ preist und schließlich feststellt: „Es gibt Dinge, die an nichts anderem scheitern als an sich selbst.“ Das ist genau das, was der entkräftete und desillusionierte K. spätestens jetzt erkennen muss. (Andreas Ungerböck)

am 09.04.2005 um 18.15 Uhr

 

 


Klassenverhältnisse
BRD/ F 1983, R: Daniele Huillet, Jean-Marie Straub, D: Christian Heinisch, Nazzareno Bianconi, Mario Adorf, Harun Farocki, 127’

Mit Klassenverhältnisse stellen die Straubs alle bis dahin bekannten Kafka-Filme radikal auf den Kopf. Oder auf die Füße. In einer Art Niemandsland und Nicht-Zeit ereignen sich die Dinge für den Karl Roßmann, und doch ist alles zugleich höchst konkret. Sie hätten versucht, sagt Straub, wie Chaplin zu gehen, mit einem Fuß in der Fiktion, mit dem anderen im Dokumentarischen. Und damit macht man die wunderschönsten Sprünge, zu sehen in Klassenverhältnisse.
„Karl Roßmann ist ein von seiner Familie Verstoßener, ein Ausgesetzter, dazu noch ein halbes Kind. Was ihn in Kafkas Augen aber nicht nur zu dem armen Opfer macht, dem Stück für Stück, je weiter es in die neue Welt eindringt, sein armseliges Erbe abhanden kommt. Er ist auch der Freigelassene, dessen Fehltritte und -entscheidungen ihn positiv lösen von der Vergangenheit. Es ehrt ihn, wie er, mehr für andere als für sich selbst, auf das Recht, auf das ein jeder Anspruch hat, pocht.
Aber die Ungereimtheit der Verhaltensweisen und Ereignisse wie es sich aus seiner Perspektive und der des Lesers/Zuschauers darstellt zeigt, wie diese Gerechtigkeit mit einer gewissen Logik verquickt ist, dass er in einer Art logischer Verstocktheit an der Sprache hängt und Sprüche macht und Urteile fällt. Was mehr mit Sprache zu tun hat als mit ihm selbst. Und so stellt sich der Eindruck her, dass außerhalb der Sprache mit ihren Gesetzlichkeiten noch anderes Leben in völlig anderen Zusammenhängen funktioniert. Getrennte Welten. ...“ (Frieda Grafe)

am 09.04.2005 um 20.30 Uhr
am 10.04.2005 um 18.15 Uhr

 

 


Das Schloss

A/ D 1997, R: Michael Haneke, D: Susanne Lothar, Ulrich Mühe, Frank Giering,
Dörte Lyssewski, Inga Busch, 124’

Michael Haneke inszenierte die surreale Welt des Romans "Das Schloss" von Franz Kafka in einer kargen, kulissenhaft wirkenden Winterlandschaft.
"Die Kälte wird mir tatsächlich immer mehr zum Thema, das Verstummen der Menschen, die Kommunikationsunfähigkeit, die eigentlich von Anfang an ein Thema bei mir war, wird zu einer immer stärkeren Erfahrung." (Michael Haneke in einem Interview mit Stefan Grissemann und Michael Omasta)
„Hanekes Schloss evoziert die Absurdität eines Lebens, das in einer grausamen Weise einem Gefängnisdasein gleicht, ohne dass Mauern und Ketten erkennbar sind. Die Adaption ist auch deshalb eine gelungene Literaturverfilmung, weil sie Kafkas Prosa als einen unverzichtbaren Bestandteil des Films etabliert. Und wie in früheren Filmen entwickelt Haneke auch im Schloss eine Dynamik des Erzählens, die immer tiefer in die Nachtseiten des menschlichen Lebens führt.“ (Filmladen Wien)

am 10.04.2005 um 20.30 Uhr

 

 


ALS DER KRIEG ZU ENDE WAR

Berlin
UdSSR 1945, R: Juli Raisman, 65’ OmU

Der Film zeigt erschütternde Bilder vom Krieg der Roten Armee gegen die deutsche Wehrmacht um die Reichshauptstadt, von 38 Kameraleuten fotografiert, von Raisman montiert.
Der Film „lebt von der Ausführlichkeit, mit der er uns Anteil nehmen lässt an jeder einzelnen Phase der Offensive, wobei es Raisman immer wieder gelingt, das dokumentarische Material in beeindruckenden Montagesequenzen zu arrangieren. Gerade die von ihm angesprochenen Schlachtvorbereitungen sind zusammengefügt zu einem Bild der Ruhe vor dem Sturm: LKWs und Geschütze werden in ihre Positionen eingewiesen, warten, unter Baumzweigen verborgen, auf ihren Einsatz, Soldaten putzen Kanonen, provisorische Brücken über die Oder werden geschlagen, der Generalstab steht vor einem großen Modell und bespricht den geplanten Schlachtverlauf. Dann bricht der Kampf los: Mit einem Schlag wird der Nachthimmel von tausenden aufblitzender Geschosse hell erleuchtet. In schnellem Rhythmus montiert, wirkt diese faszinierende Sequenz fast wie aus einem Avantgardefilm.“ (Christiane Habich)

am 14.04.2005 und 16.04.2005 jeweils um 18.15 Uhr
am 17.04.2005 um 21.15 Uhr

 


The Big Red One
USA 1980, R: Samuel Fuller, D: Lee Marvin, Mark Hammill, Robert Carradine,
Bobby Di Cicco, 163’ OF

„Die Einheit, die alle großen Schlachtfelder des 20. Jahrhunderts tränkte, war die Erste US-Infanteriedivision, genannt "The Big Red One" nach ihren roten Schulterstücken. Sie feuerte 1917 die erste amerikanische Granate auf deutsche Stellungen im Ersten Weltkrieg (Divisionsverluste: 22 320 Tote). Sie führte 1942 die erste alliierte Landung gegen Rommel in Algerien, sie stürmte 1943 die Strände von Sizilien, sie war 1944 die Speerspitze am Omaha Beach und eroberte mit Aachen die erste deutsche Stadt (Gesamtverluste: 21 023 Mann). Sie wurde 1963 als erste Division nach Vietnam geschickt (Verluste: über 2000). Sie brach 1991 im Golfkrieg als erste durch die irakischen Linien (Verluste: 18).“ (Hanns-Georg Rodek)
„Der Film ist etwas sehr Rares: ein extrem autobiografischer Film von dennoch großer Allgemeingültigkeit. Der zeitliche Abstand zu den historischen Geschehnissen… relativiert sein emotionales, nicht aber sein moralisches Engagement. Der Zugriff auf das Thema Krieg ist weniger packend, nur der früher oft exzessive Drang zur Überredung, ihm seine >message< abzukaufen, hat sich gemildert. 1980 musste niemand mehr überzeugt werden, dass es richtig und notwendig war, dass die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten. Fuller beobachtet, sammelt Impressionen von prägnanten Randereignissen der entscheidenden Schlachten in diesem Krieg (Nord-Afrika, Sizilien, Normandie, Ardennen, Deutschland), ihn so souveräner bewältigend als alle auf Authentizität und Ausgewogenheit bedachten Vertreter des Genres.“ (Ulrich von Berg)

am 14.04.2005 um 20.30 Uhr
am 15.04.2005 um 21.15 Uhr
am 17.04.2005 um 18.15 Uhr

 

 


Padenie Berlina

Der Fall von Berlin
UdSSR 1949, R: Michail Ciaureli, D: Michail Gelowani, F. Blasewitsch, W. Ljubimow,
Boris Andrejew, 165' OmU

Ein quasi offizieller Dokumentarfilm mit effektvollen Spielfilmszenen, der den "Fall von Berlin" und damit den Sieg der Sowjetunion über die deutschen Truppen zeigt. Das beeindruckende Material der dokumentarischen Partien stammt von militärischen Kameraleuten.
Der Film entstand im Gründungsjahr der beiden deutschen Staaten während des bereits entflammten Kalten Krieges, der Berliner Blockade und der stalinistischen Ausrichtung Ostmitteleuropas nach 1948. Vor diesem Hintergrund ist die Darstellung des Verhältnisses der Sowjetunion zu den Westalliierten und das Bild der Deutschen im Nazistaat zu sehen. Roosevelt und Churchill erscheinen als Papiertiger in der Kriegsführung und als Unsicherheitsfaktoren in der Diplomatie. Mehrmals wird angedeutet, dass sie fast eher mit Hitler sympathisieren, als mit Stalin. Der Generalissimus erkennt die Problematik und stellt fest, dass die Sowjetunion beim Vormarsch auf Berlin nur auf ihre eigene Kraft vertrauen kann...
"Der Fall von Berlin ist wunderbar durch seine wahre Darstellung der gegenseitigen Beziehungen von Führer und Volk. Im Film wird inspiriert, poetisch, leidenschaftlich von der großen Liebe der Völker zu Stalin erzählt, von der Liebe des großen Stalin zu den Völkern. Das gigantische Bild Stalins gibt dem ganzen Film Farbe. Stalin nimmt sogar dann unsichtbar an den Angelegenheiten der sowjetischen Menschen teil, wenn er gar nicht auf der Leinwand ist." (A. Štejn, 21.1.1950)

am 15.04.2005 um 18.15 Uhr
am 16.04.2005 um 20.30 Uhr

 

 


Unter den Brücken
D 1945, R: Helmut Käutner, D: Hannelore Schroth, Carl Raddatz, Gustav Knuth,
Hildegard Knef, 99’

Eine Dreiecksgeschichte unter Schiffern, “die sich so hartnäckig in die Idylle einigelt, als sei sie aus der Zeit genommen“ (Hans Helmut Prinzler). Die Liebe zu Details, das besondere Gespür für Rhythmus, für Verknappung in der Handlungslinie wie für Dehnung in den Momenten nach den Höhepunkten schaffen eine lyrische, melancholisch-friedliche Atmosphäre.
„Es ist eine einfache und klare Welt, die Käutner in seinem Film beschreibt, und sie erscheint ganz im Wechsel der Stimmungen der Liebenden, wie ein Lichtreflex, der sich im Wasser bricht. Frei und ungebunden sind die Schiffer, die auf diesen Kähnen arbeiten, und ihre Wunschträume beschäftigen sich mit beruflicher Unabhängigkeit (ein Diesel im Kahn!) und privater Bindung (eine Frau an Bord). Sie sehnen sich auf die Brücken und wollen doch nicht auf ihr selbst bestimmtes Leben auf dem Fluss darunter verzichten. Das leichte Rollen der Wellen und das Knarren der Schiffstaue nachts – das ist ihre Welt und ihr Glück.“ (Jan Schütte)

am 21.04.2005 um 18.15 Uhr
am 23.04.2005 um 20.30 Uhr

 

 


Der letzte Akt
A 1955, R: Georg Wilhelm Pabst, D: Albin Skoda, Oskar Werner, Willy Krause,
Ernst Waldbrunn, 115’

Am Anfang sieht man, schwarzweiß, ein Dokument: alliierte Bomber über Deutschland. Dann blickt der Film nach unten, auf Berlin, und mit dem Einschlag der Bomben vor der Reichskanzlei beginnt die Geschichte. Ebenfalls schwarzweiß.
“Hauptmann Wüst (Oskar Werner) kommt als Abgesandter der untergehenden 9. Armee zum Führerbunker; er soll mit Hitler sprechen, persönlich, und Hilfe herbeischaffen. Am Eingang in die Tiefe muss er seine Dienstpistole abgeben. >Noch immer zwanzigster Juli?< fragt Wüst, und der Klang seiner Stimme verrät, was ihn bewegt: Trauer, verletzter Stolz, Bitterkeit, mit ätzendem Zynismus gemischt. Wüst ist der weiße Ritter dieses Films. Der schwarze Ritter ist Hitler. Drinnen, im Lagezimmer, geht es um die Rückführung der Kurland-Armee. >Berlin bleibt deutsch, Wien wird wieder deutsch.< Die Generäle bewegen sich wie Puppen in ihren steifen Uniformen. Das Licht ist spärlich, die Dunkelheit frisst an den Gesichtern. Es sind die Schatten aus Caligari und Pabsts eigener Freudloser Gasse, die sich hier ausbreiten, es ist die direkte ästhetische Fortsetzung einer Filmtradition, die Siegfried Kracauer in seiner berühmten Studie als Vorzeichen der Diktatur gelesen hat: >Von Caligari zu Hitler<.“ (Andreas Kilb)

am 21.04.2005 um 20.30 Uhr
am 22.04.2005 um 18.15 Uhr

 

 

Asche und Diamant
Popiol i diament
Polen 1958, R: Andrzej Wajda, D: Zbigniew Cybulski, Ewa Krzyzewska,
Waclaw Zastrzezynski, Adam Pawlikowski, 108’ DF

Ein ehemaliger Widerstandskämpfer gegen die Nazis erhält am Morgen des 8. Mai 1945 von nationalsozialistischen Offizieren den Auftrag, den neuen, kommunistischen Bezirkssekretär zu töten, um die Lage der polnischen KP in der Provinz zu schwächen. Das Attentat misslingt zunächst, doch der Täter, ein nervöser, in sich zerrissener Krieger für die „polnische Sache“, gibt nicht auf. Eine ganze Nacht wägt er ab, trifft eine Frau, spricht von seinen Zweifeln („Ich will nicht mehr morden, ich will leben!“). Er erledigt seinen Auftrag und wird danach von einer Patrouille gestellt.
Das Ende des Großen Krieges: in Polen war es der Beginn eines Bruderkrieges.
In seinem dritten Film stellt Regisseur Andrzej Wajda, der selbst seit seinem 16. Lebensjahr in der Widerstandbewegung kämpfte, die Tragik seines Heimatlandes zynisch-bitter in Bildern von starker Ausdruckskraft dar. Das Schicksal der Menschen ist nach den Schrecken des Krieges geprägt von Aussichtslosigkeit und Resignation.

am 22.04.2005 und
24.04.2005 jeweils um 20.30 Uhr

 

 


Rom, offene Stadt
Roma, città aperta
I 1945, R: Roberto Rossellini, D: Anna Magnani, Aldo Fabrizi, Marcello Pagliero,
Maria Michi, 100' DF

Rossellinis neorealistisches Meisterwerk berichtet vom Kampf und vom Untergang einer Widerstandsgruppe zur Zeit der deutschen Besetzung Roms im Jahr 1944. Das erschütternde Drama über die Auswirkungen des Krieges auf menschliche Werte und Beziehungen wurde noch während der deutschen Besatzung Roms heimlich geplant und unmittelbar nach der Befreiung durch die Alliierten gedreht. Ursprünglich sollte es nur ein kurzer Dokumentarfilm über die Ermordung eines Priesters durch die Deutschen werden. Während der Dreharbeiten entwickelte sich jedoch eine damit verknüpfte Geschichte immer mehr zum zentralen Element: die Geschichte des von der Gestapo gejagten Widerstandsführers Manfredi, der von einer Freundin, die ihm Unterschlupf gewährt, aus Angst verraten wird. So ergab sich aus der Improvisation eine faszinierende Kreuzung aus Dokumentarischem und Fiktionalem, deren aufrüttelnder Appell zur Anteilnahme nichts von seiner Wirkung verloren hat.
"Anders als in seinen späteren Filmen hat Rossellini in Roma, città aperta die ideologischen Fronten derb gezeichnet. Zu diesem Zeitpunkt konnte er sich der Zustimmung aller Italiener sicher sein." (Thomas Meder)

am 23.04.2005 und
24.04.2005 jeweils um 18.15 Uhr

 

 


„BROT, FRIEDEN, FREIHEIT“ –
FRANKREICH IM FILM DER FRONT POPULAIRE

Mit freundlicher Unterstützung des Bureau du Cinéma der Französischen Botschaft in Berlin und dem Bundesarchiv/Filmarchiv.

Le 14 juillet
Paris tanzt
F 1932, R: René Clair, D: Pola Illery, Annabella, Raymond Cordy, 98’ OF

Der 14. Juli ist in Frankreich der wichtigste Nationalfeiertag und war zu Zeiten der Front Populaire ein wirkliches Volksfest, mit dem sich die Anhänger des linken Parteienbündnisses – wenn man den Dokumentarfilmen Glauben schenken darf, fast ganz Paris – selber feierten. Von dieser positiven Grundstimmung ist schon Clairs Film erfüllt, in dem die Bewohner der Stadt fast wie in einer Collage, die nur durch eine kleine Liebesgeschichte zwischen einem Blumenmädchen und einem Chauffeur zusammengehalten wird, beobachtet werden. Wie ein Flaneur begibt sich Clair unter die Menschenmenge und sammelt Szenen ein, die das Leben unter den Dächern von Paris voller Einfallsreichtum wiedergeben. Im Gegensatz zu der Schwermut der Filme von Marcel Carné und auch bedingt von Jean Renoir, haben Clairs Werke einen Hauch von Unbeschwertheit, der für die Stimmung unter der Volksfront-Regierung durchaus authentisch zu sein scheint.
Zu dem Film schrieb Siegfried Kracauer: „Als musischer Müßiggänger verweilt Clair in Concierge-Logen und bei spielenden Kindern, folgt der sonderbaren Erscheinung einer Bürgerfamilie lang mit den Blicken nach, entzückt sich am Gewühl der Tanzenden und schlürft genießerisch das Bild einer Kneipe. Die Beziehungen zwischen den Zimmerinterieurs, Fassadenschildern und Straßenperspektiven werden in bezaubernden Improvisationen ausgekostet. Clair beweist wieder einmal, über welches außerordentliche filmische Talent er verfügt.“

am 28.04 um 18.15 Uh
am 01.05.2005 um 20.30 Uhr

 


Eröffnung der Filmreihe

Grèves d´occupation
Besetzungsstreik
F 1936, Regie: PR La Marseillaise, 14’ OF

In diesem Kurzfilm haben die Filmemacher der an die Kommunistische Partei gebundenen Ciné Liberté, die fröhliche, zuversichtliche Stimmung der Besetzungsstreiks in Paris 1936 dokumentiert. Georges Sadoul sagte zu diesem Ereignis in der Zeitung REGARDS: „In Hunderten von Fabriken in Paris und der Umgebung tobt das Spektakel. Die Arbeiter von der Carroussel Brücke verkleiden sich als burleske Mannequins und feiern Karneval. Filme werden gezeigt. Hunderte von Sängern und Schauspielern haben auf die Bitte der Streikenden reagiert. Innerhalb von drei Tagen haben in Paris vierhundert Unternehmen einen Besuch von fünfhundert Künstlern erhalten. Die Kunst ist den größtmöglichen, intimsten Kontakt mit der französischen Bevölkerung eingegangen.“
Die Rechte zu diesem Film wurden uns durch die Ciné-Archives zur Verfügung gestellt.

Le défilé des 500.000 manifestants
Der Zug der 500.000 Demonstranten von der Bastille bis zum
Tor von Vincennes am 14. Juli 1935

F 1935, R: PR Service cinématographique S.F.I.O./Association
des écrivains et artistes révolutionnaires, 20’ OF

Am 14. Juli 1935 trafen sich die Sozialistische und die Kommunistische Partei an der Bastille. Hier fand die eigentliche Gründung und Bekräftigung des Bündnisses der Front Populaire statt. Nicht nur Menschenmassen, auch die mächtigsten Vertreter der beiden Parteien sind präsent und reden. Auf den Plakaten stehen Sätze wie: „Wir begehen heute den feierlichen Schwur, vereint zu bleiben, um die aufrührerischen Ligen aufzulösen und zu entwaffnen. Um die demokratische Freiheit zu verteidigen und fortzuentwickeln und den Frieden der Menschen zu gewährleisten.“
Die Rechte zu diesem Film wurden uns durch die Ciné-Archives zur Verfügung gestellt.

À nous la liberté
Es lebe die Freiheit
F 1931, R: René Clair, D: Rolla France, Germaine Aussey, Raymond Cordy, 82’ OmU

Oft wird Charlie Chaplins Film Modern Times von 1936 als die große Satire auf moderne, entfremdende Arbeitsbedingungen im industriellen Zeitalter, ja sogar auf den Kapitalismus, zitiert. Dabei war es René Clair, der bereits im Jahre 1931 mit seinem Film À nous la liberté das Thema von modernen Arbeitsformen in der Industrie aufgriff. Er kam jedoch erst 27 Jahre später in die deutschen Kinos. Clair hat eine Komödie geschaffen, die humoristische Leichtigkeit mit beißender Ironie und genauer Beobachtungsgabe verbindet und von dem sich Chaplin höchst wahrscheinlich inspirieren ließ. Die Protagonisten in À nous la liberté haben hingegen Ähnlichkeit mit Chaplins alter ego – dem melancholischen Landstreicher, der übrigens seit Jean Renoirs Film Boudu sauvé des eaux von 1932 auch in französischen Filmen zu einer Lieblingsfigur der Regisseure und des Publikums avancierte. Der arbeitslose Landstreicher – ein Stellvertreter für die Opfer der desolaten Zustände nach dem Ersten Weltkrieg, ein Don Quichotte der Wirtschaftskrisen?
Bei Clair macht der Landstreicher Emil keineswegs einen bedauernswerten Eindruck, ganz im Gegenteil: Er ist der Glückliche, der sich den Zwängen eines modernen Arbeiterlebens entzieht. Erst befreit er sich aus dem Gefängnis und dann aus dem einengenden Alltag in einer Fabrik, der ihn zu sehr an seine Tage hinter Gittern erinnert. Dem Inhaber dieser Fabrik, seinem ehemaligen Knastbruder Louis, ist es nämlich gelungen, eine Grammophonfabrik aufzubauen, deren Erfolg auf einem geheimen Rezept gründet: Die rigiden Arbeitsmethoden des Gefängnisses hat er einfach für seine Fabrik adaptiert. Emil, der dort zunächst anheuert, kommt damit nicht zurecht und zieht es vor, sein Leben auf der Straße fortzusetzen. Übrigens ändert sich auch Louis Schicksal abrupt und überraschend.

Einführung: Michel Dreyfus, Sorbonne/Paris
Eröffnungsveranstaltung
am 28.04.2005 um 20.30 Uhr
am 30.04.2005 jeweils um 20.30 Uhr

 


Magazine populaire No. 1

F 1937, R: PR Les Films Populaires/ La Marseillaise, 33’ OF

Vom Geburtstag des Schriftstellers Romain Rolland, über bezahlte Ferien bis zur Tour de France. In diesem Nachrichtenfilm werden alle wichtigen Ereignisse festgehalten, die in der Öffentlichkeit Frankreichs zu Beginn des Volksfrontbündnisses von Bedeutung waren. Gleichzeitig schimmert auch hier die gute Laune und Zuversicht der Bevölkerung durch.
Die Rechte zu diesem Film wurden uns durch die Ciné-Archives zur Verfügung gestellt.

La vie est à nous
Das Leben gehört uns
F 1936, R: Jean Renoir und Kollektiv, D: Julien Bertheau, Marcel Duhamel, Jean Dasté,
Léon Larive, 62’ OmU

Voller Begeisterung und Hoffnung auf eine Regierung unter der Front Populaire drehte Jean Renoir La vie est à nous zwischen März und April 1936. Es handelt sich um ein historisches Dokument, in dem nicht nur die Themen und Konflikte der Zeit in teils dokumentarischen, teils fiktionalen Szenen aufgegriffen werden. Auch die Entstehungsgeschichte verweist auf kommunistische Ideale, denn der Film wurde kollektiv bezahlt und hergestellt, so wie es bereits die Groupe d´Octobre, die hauptsächlich politisches Theater betrieb und zu der Künstler und Intellektuelle wie Jacques Prévert und Jean Renoir zählten, vorgemacht hatte. Auch die Kommunistische Partei, für die der Film als Teil der Werbekampagne gedacht war, brachte eine stattliche Summe auf. Seinen politischen Dogmatismus merkt man dem Film durchaus an. Obwohl er unter der Volksfront Regierung zunächst in die Kinos kam, wurde er nachträglich verboten. Verschiedene Kritiker, unter ihnen André Bazin, haben angemerkt, dass in La vie est à nous zwar hervorragende schauspielerische Leistungen gezeigt werden, das Drehbuch jedoch zu demonstrativ politisch sei: Eine zentrale Funktion nimmt Marcel Cachin, der Leiter der kommunistischen Zeitung „L´Humanité“ ein, der in seinem Büro gefilmt wurde und drei Leserbriefe in der Hand hält, deren Schilderungen nacherzählt werden. In der ersten Episode geht es um einen alten Arbeiter in einer Fabrik, der von Entlassung bedroht ist, in der zweiten um einen Konflikt zwischen kommunistischen Genossen und einem Bauern und in der dritten um ein hungerleidendes Studentenpärchen. Den Geschichten der drei Episoden ist zu entnehmen, dass der Film einen Wahrheitsanspruch hat, wobei er die Ängste und Hoffnungen der Bevölkerung einzufangen versucht. Schon aufgrund dieses Bemühens wird La vie est à nous zu einem der authentischsten Dokumente des Geistes und Kunst zur Zeit der Front Populaire.
Die Rechte dieses Films wurden uns durch die Ciné-Archives zur Verfügung gestellt.

am 29.04.2005 und
01.05.2005 jeweils um 18.15 Uhr

 


Le dernier milliardaire
Der letzte Milliardär
F 1934, R: René Clair, D: Max Dearly, René Saint Cyr, Jose Noguero, 90’ OF

Dem sonst so reichen und im Überfluss schwelgenden Royaume du Casinario ist das Geld ausgegangen. Nicht mal für den Bettler bleibt ein Almosen übrig, denn jeder wiederholt wahrheitsgemäß: „Ich habe kein Geld!“. Von der Arbeitslosigkeit ganz zu schweigen. In Paris fragen sich die Journalisten internationaler Tageszeitungen, welche politischen Maßnahmen die Königin wohl ergreifen wird. Hartz IV? Ich AG? Nein, die Königin hat eine bessere Idee: Monsieur Banco, der reichste Mann der Welt und ausgewiesener Milliardär, soll die Prinzessin heiraten und mit seinem Vermögen das kleine Königreich retten, dessen Bruttosozialprodukt sich bisher aus den Einnahmen eines Casinos erwirtschaftete. Zwar lässt sich der ältere Monsieur Banco für eine Heirat mit der jungen Königstochter durchaus erwärmen, obwohl er sich damit verpflichtet, einen Großteil seines Besitzes auf das staatliche Konto des Royaume du Casinario zu überweisen. Doch verbindet er mit diesem Deal eigene politische Interessen. Eine von der Königin angefertigte Ehrenstatue für den zukünftigen Schwiegersohn, die wohl nicht zufällig an Stalindenkmäler erinnert, deutet auf das Anliegen des reichen Monsieur hin: Er möchte gerne der mächtigste Mann im Royaume du Casinario werden.
Wie in À nous la liberté zeichnet sich René Clair hier als Meister der Komödie und als Chronist seiner Zeit aus. Grundmuster der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Konflikte der 1920er und 1930er Jahre greift er auf und verpackt sie in schmerzfreiem Witz. Eine Satire über Totalitarismus ohne dogmatische Hintergedanken, voller Leichtigkeit und Einfallsreichtum geschaffen zu haben – darin liegt der Verdienst und die große Kunst René Clairs, dessen Film beinahe nicht hätte gedreht werden können. Nach der Machtergreifung Hitlers war die Umsetzung der Satire für die auch in Deutschland aktive Tobis ungünstig geworden, und es musste ein neuer Produzent gefunden werden.
Mit freundlicher Unterstützung des Bundesarchiv-Filmarchiv.

am 29.04.2005 um 20.30 Uhr
am 30.04.2005 jeweils um 18.15 Uhr


 

MAI

„BROT, FRIEDEN, FREIHEIT“ – FRANKREICH IM FILM DER FRONT POPULAIRE
Mit freundlicher Unterstützung des Bureau du Cinéma der Französischen Botschaft in Berlin und dem Bundesarchiv-Filmarchiv.

La vie est à nous
Credits und Text siehe 29. April
am 01.05.2005 um 19.15 Uhr

Le 14 juillet
Credits und Text siehe 28. April
am 01.05.2005 um 20.30 Uhr

„BROT, FRIEDEN, FREIHEIT“ –
FRANKREICH IM FILM DER FRONT POPULAIRE

Les bas fonds
Nachtasyl
F 1936, R: Jean Renoir, D: Jean Gabin, Louis Jouvet, Suzy Prim, Jany Holt, 89’ OmeU

Moskau und Paris sind zwar einige Kilometer voneinander entfernt, doch gibt es offensichtlich Parallelen bei den sozialen Problemen. Der plötzliche Aufstieg Mittelloser und der abrupte Abstieg wohlhabender Adliger brachten Renoir auf die Idee, das von Gorki eigentlich titulierte Theaterstück „Nachtasyl“ nach Paris zu verlegen. Weniger als die psychischen Anlagen des Menschen und dessen Einsamkeit stehen bei Renoir die materiellen Probleme der Bewohner eines Nachtasyls im Zentrum des Interesses. Unter anderem geht es ihm um die Frage, inwiefern arme Menschen ihr Leben noch unabhängig von materiellen Notwendigkeiten gestalten und genießen können. Welche Auswege finden sie, um sich aus ihren Lebensbedingungen zu befreien? Die Verhältnisse, sie sind nicht so, wie es sich die Protagonisten wünschen. Was tun sie, um etwas zu verändern?
Dass sich das Leben schnell verändern kann, erlebt der von Louis Jouvet gespielte Protagonist des Films. Es handelt sich um einen Baron, den das Spiel und die Frauen ruiniert haben. Eines Nachts überrascht ihn in seiner Wohnung Pepel, ein berufsmäßiger Dieb (Jean Gabin), der ihm auf Anhieb sympathisch ist. Sie spielen die ganze Nacht hindurch Karten, und als am anderen Morgen die Gerichtsboten den Baron abholen wollen, beschließt er, sich dort niederzulassen, wo Pepel lebt: in einer Art Obdachlosenasyl direkt am Wasser – diesmal nicht an der Wolga, sondern an der Seine.

am 05.05.2005 um 18.15 Uhr

 

 


La bête humaine
Bestie Mensch
F 1938, R: Jean Renoir, D: Jean Gabin, Julien Carette, Fernand Ledoux, Jean Renoir, Gérard Landry, 100’ OmeU

In seiner Filmkritik zu La bête humaine schrieb der französische Historiker Georges Sadoul am 5. Januar 1939 begeistert in der Zeitung REGARDS: „Das Kino hat noch kein universelles Genie hervorgebracht wie die Literatur. Aber vielleicht hat es jetzt seinen Zola: Jean Renoir.“ Die Assoziation zu Zola kam Sadoul hier nicht zufällig, denn dieser Film Renoirs basiert auf einem Roman des berühmten Schriftstellers. Eigentlich geht es um die Gefahr des Alkoholismus im Arbeitermilieu. Doch hat Renoir aus diesem Stoff die psychologischen Probleme des Alkoholikers zugunsten einer Betonung von Lebensumständen und Arbeitsbedingungen verringert. Nicht der Alkohol steht also in direktem Bezug zu dem Beziehungskonflikt, sondern die auswegslose Armut des Chefs einer Eisenbahnstation. Robeaux wünscht sich nichts sehnlicher als eine glückliche Ehe mit seiner von ihm geliebten Frau. Doch kann er ihr finanziell nichts bieten. Das Paar lebt in einer kleinen Wohnung direkt am Bahngleis, nur der Kanarienvogel auf dem Balkon versprüht mit seinem vergnügten Piepsen ein wenig Fröhlichkeit in der Tristesse. Séverine, die Frau Robeaux’, ist nebenbei noch die Liebhaberin eines sehr reichen Adligen, der ihr einige materielle Wünsche ermöglicht. Als Robeaux davon erfährt, plant er den Mord an dem reichen Nebenbuhler. Trotz der exponierten Rolle Robeaux’ ist doch eigentlich der von Jean Gabin verkörperte Lantier die Hauptperson, der als Maschinist in Lokomotiven arbeitet und in die Welt der Eisenbahn einführt. Nicht nur die dokumentarisch anmutenden Fahrten auf der Lokomotive, auch den Arbeiteralltag in den Bahnhallen hat Renoir realistisch und gleichzeitig in poetischen Bildern eingefangen, um eine kausale Verbindung zwischen den schweren Arbeitsbedingungen, dem fehlenden Geld und der Entwicklung der „Bestie Mensch“ herauszustellen. Dazu bemerkte Sadoul, dass der Film Renoirs in manchem die Literaturvorlage Zolas überflügelte und André Bazin, Filmkritiker und Wegbereiter der Nouvelle Vague, meinte: „Renoir interessiert sich bei aller Verschiedenheit seiner sozialen Figuren immer nur für dieselbe moralische Wahrheit, weil der gesellschaftliche Realismus für ihn nur ein Weg ist, die Grundgestalt des Menschen und seiner Probleme aufzuspüren und zu befragen. Renoir ist ein Moralist.“

am 05.05.2005 um 20.30 Uhr
am 06.05.2005 um 18.15 Uhr

 

 


WIEDERENTDECKT

Der Tunnel
D/F 1933, R: Kurt Bernhardt, D: Paul Hartmann, Olly von Flint, Gustaf Gründgens, Attila Hörbiger, Otto Wernicke, Max Schreck, 80’

In seinem Erfolgsroman aus dem Jahre 1913 hatte Bernhard Kellermann unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine utopische Vision moderner Völkerverständigung entworfen: Betreibt seine Hauptfigur, der Ingenieur Mac Allen, doch das gigantische Projekt, den amerikanischen und europäischen Kontinent durch einen subatlantischen Tunnel miteinander zu verbinden. Stollenunglücke mit Tausenden von Toten, regelmäßige Streikandrohungen und Sabotageakte aufgewiegelter Arbeiter werfen den Bau immer wieder zurück, hinterhältige Finanzspekulationen und eine sich zunehmend gegen das Vorhaben wendende Medienberichterstattung unterminieren seine Fertigstellung bis zuletzt. Am Ende – vierundzwanzig Jahre sind vergangen – werden durch die Kraftanstrengung von Mensch und Maschine die Stollen zueinander geführt, reichen sich der unbeirrbar an seinem Ziel festhaltende Mac Allen und sein deutscher Kollege unterhalb des Meeresgrundes die Hand. Kurt Bernhardts als französisch-deutsche Koproduktion aufwändig hergestellte Tonfilm-Verfilmung setzt die Stoffvorgabe von Kellermanns fantastisch-utopischer Gesellschaftsparabel in grandiose Bilder und beeindruckende Toneffekte um. Bis heute gilt die mit Paul Hartmann in der Hauptrolle sowie weiteren Stars hochkarätig besetzte Verfilmung als eine der gelungensten deutschen Science-Fiction-Produktionen der dreißiger Jahre. Die kulturhistorischen Deutungen allerdings fallen zwiespältig aus. Die einen sehen den Film als Beispiel für die Mobilisierung und Instrumentalisierung (gesellschafts-)utopischen Ideenguts im Zeichen von nationalsozialistischem Heldenpathos, andere – nicht zuletzt Bernhardt selbst, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft lediglich mit einer Sondergenehmigung des Propagandaministeriums noch einmal in Deutschland drehen durfte – verstehen ihn als Plädoyer für den „internationalen Frieden und das Heldentum der Arbeiterklasse“. Über seinen unmittelbaren Unterhaltungswert hinaus brechen sich in Kurt Bernhardts Der Tunnel damit auf einzigartige Weise die gesellschaftspolitischen Spannungen seiner Zeit.
Einführung: Michael Wedel

Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit CineGraph Babelsberg und dem Bundesarchiv-Filmarchiv.

am 06.05.2005 um 20.30 Uhr

 

 


„BROT, FRIEDEN, FREIHEIT“ –
FRANKREICH IM FILM DER FRONT POPULAIRE

Vacances payées
Bezahlter Urlaub
F 1938, R: Maurice Cammage, D: Frédéric Duvallés, Christiane Delyne, Suzanne Dehelly, 101’ OF

In diesem Film hat Maurice Cammage eine ganz wesentliche Errungenschaft der Front Populaire aufgegriffen und in fröhlich-unbekümmerte Bilder gefasst: der bezahlte Urlaub! Nun können die Arbeiter auf Kosten des Arbeitgebers nicht nur für eine Weile mit ihren Familien ausspannen, sondern sich sogar in Regionen Frankreichs begeben, die vorher vor allem den Reichen vorbehalten waren, wie beispielsweise die Côte d´Azur. Den Filmkritikern der linken Zeitungen, allen voran der „L´Humanité“, gefiel es allerdings nicht, dass Cammage auch das Leuchten in den Augen der Arbeiter beim Anblick einer luxuriösen Strandvilla porträtierte. Von ihrer Seite ließen sie eisiges Schweigen vernehmen. Um so besser für uns. Wir können siebzig Jahre später einen Film neu entdecken, der als ein historisches Dokument der Front Populaire gelten muss, und der auch in Frankreich lange nicht mehr in den Kinos zu sehen war. Erst vor kurzem ist er restauriert worden. Mit seinen Protagonisten können wir also nacherleben, wie es war, als eine Urlaubsreise im Jahr zu einem wohlverdienten Gut wurde und nicht mehr ein seltenes Privileg war. Außerdem begeben wir uns mitten hinein in die Vergnügungen und Ereignisse eines Strandurlaubes an der Côte d´Azur.
Dieser Film wurde von den Archives Françaises du Film im Rahmen der Maßnahmen des französischen Kulturministeriums zur Erhaltung alter Filme restauriert.

am 07.05.2005 um 18.15 Uhr
am 14.05.2005 um 20.30 Uhr

 

 


L´Argent
Das Geld
F 1936, R: Pierre Billon, D: Pierre Richard-Willm, Vera Korene, Raymond Rognoni, Philippe Richard, 105’ OF

Dieser in Frankreich erst vor kurzem restaurierte Film bringt einen Romanstoff von Emile Zola auf die Leinwand, der bereits 1928 von Marcel L´Herbier verfilmt worden war. Börsenspekulationen und Geldvermehrung dienen hier als Zielscheibe für eine Kritik an ungerechten Lebensverhältnissen und an kapitalistischen Ausbeutungsmechanismen. Nachdem Karl Marx bereits eine wissenschaftliche Analyse des Kapitals geliefert hatte, setzte Zola diese Thematik in seinem Roman um, der zuerst von L´Herbier und dann von Billon verfilmt wurde. Während L´Herbier jedoch aus den Bildern der Börsenspekulanten und der Geldscheine ein experimentelles Kunstwerk schuf, beruft sich Billon wieder stärker auf die in Zolas Roman enthaltene Darstellung der sozialen Zustände und liefert eine Kritik an der Macht des Geldes, die den Ideen des Schriftstellers nicht immer gerecht wird und sie in mancher Hinsicht überzeichnet. In L´Argent entwirft Billon ein Bild der Gegenwelt des Arbeitermilieus, das sonst so gerne von den Regisseuren der Front Populaire aufgegriffen wurde: Die internationalen Großunternehmen und Börsenspekulationen werden als ein Problem für den sozialen Frieden dargestellt. Dabei karikiert Billon die Mechanismen dieses kapitalistischen Systems. Sein Film ist daher ein Dokument des sozialistischen und kommunistischen Eifers, der ideologischen Verklärung der Front Populaire.
Dieser Film wurde von den Archives Françaises du Film im Rahmen der Maßnahmen des französischen Kulturministeriums zur Erhaltung alter Filme restauriert.

am 07.05.2005 um 20.30 Uhr
am 14.05.2005 um 18.15 Uhr

 

 


ALS DER KRIEG ZU ENDE WAR
Shoah
F 1985, R: Claude Lanzmann, Teil I + II, 9h 30min OmU

Shoah ist ein hebräisches Wort. Es bedeutet: Abgrund, Vernichtung, Dunkelheit, Katastrophe, Untergang, großes Unheil. Claude Lanzmann hat letzte überlebende Augenzeugen des großen Unheils aufgespürt und ihnen Fragen gestellt. Er wollte von Opfern, Tätern und Zuschauern wissen, was in den Gettos und Lagern geschah.
Shoah gibt die Fragen und Antworten wieder. Antworten von einem Lokomotivführer, der die Transportwaggons zur Rampe fuhr, oder von einem Bauern, der neben dem Lager sein Feld bestellte. Aus der Anonymität der Zahlen und des Unfassbaren treten Menschen hervor, die eigene Gesichter, eigene Stimmen haben.
"Claude Lanzmann zeigt uns die Bahnhöfe von Treblinka, Auschwitz, Sobibor. Er betritt die heute mit Gras bewachsenen >Rampen<, von denen aus Hunderttausende von Opfern in die Gaskammer getrieben wurden. Zu den ergreifendsten Bildern gehört für mich ein Berg von Koffern, schlicht die einen, eleganter die anderen, alle mit Namen und Adressen versehen. Mütter hatten vorsorglich Milchpulver, Talg und Weizenbreipulver hineingepackt, Kleidung, Lebensmittel und Medikamente in andere. Und nichts davon wurde gebraucht." (Simone de Beauvoir, Le Monde)
"Claude Lanzmanns Shoah hat den Wettlauf mit der Zeit aufgenommen und dokumentiert ihn bis in die unscheinbarste Einstellung hinein: schnell, bevor es zu spät ist, die noch lebenden Überlebenden ausfragen, ihnen kein Detail ersparen, den legitimen Wunsch auch der entkommenen Opfer nach Vergessen ignorieren." (Lothar Baier, Frankfurter Rundschau)

am 08.05.2005 Teil I (ca. 5h)
am 15.05.2005 Teil II (ca. 4,5h), jeweils um 18.15 Uhr

 

 


Fahrraddiebe
Ladri di biciclette
I 1948, R: Vittorio de Sica, D: Lamberto Maggiorani, Enzo Staiola, Lianella Carell, 87’ DF

Die Zerstörung in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ist allgegenwärtig. Massenarbeitslosigkeit und Hunger sind die Folgen. Fahrraddiebe thematisiert die Situation in der Hauptstadt Italiens nach der Beendigung des faschistischen Regimes unter Mussolini. De Sica wuchs als Sohn eines armen Beamten in den Armenvierteln Neapels, Florenz’ und Roms auf. „Ich habe meine Semester in der Universität der Armut abgesessen“, sagte de Sica über seine Jugend und kannte somit die schweren Bedingungen des Überlebens einer Kleinfamilie sehr genau.
Bereits bei seiner Uraufführung in Rom erntete der Film als ein Höhepunkt des italienischen Neorealismus höchstes Kritikerlob. In dem ausschließlich mit Laiendarstellern und an Originalschauplätzen gedrehten Film geht es um eine Episode im Leben des arbeitslosen Antonio. Als dieser die Möglichkeit erhält, als Plakatankleber zu arbeiten, löst er – mit dem letzten Geld seiner Familie – sein Fahrrad bei einem Pfandleiher aus und tritt die Stelle an. Da das Fahrrad ihm aber bereits kurze Zeit später gestohlen wird, macht er sich mit seinem kleinen Sohn auf die Suche nach dem Dieb. Als sie ihn finden, kann Antonio ihm jedoch nichts nachweisen. In seiner Verzweiflung stiehlt er selbst ein Fahrrad und wird prompt erwischt.

am 12.05.2005 und
am 13.05.2005 jeweils um 18.15 Uhr

 

 


The Best Years Of Our Lives
Die besten Jahre unseres Lebens
USA 1946, R: William Wyler, D: Dana Andrews, Frederic March, Teresa Wright, Myrna Loy, 172’ OF

Unmittelbar nach seiner Entlassung aus der US-Armee begann William Wyler mit den Arbeiten zu seinem Film über die Probleme der Kriegsheimkehrer: Drei Soldaten, die jeder einen Teil der Streitkräfte repräsentieren, wollen nach ihrer Demobilisierung ins zivile Leben zurückkehren. Captain Fred Derry kehrt in eine zerrüttete Ehe zurück; Sergeant Al Stephenson ist ein Fremder für seine Kinder, die ohne ihn aufwachsen mussten; und der junge Matrose Homer Parrish muss mit dem Verlust beider Hände fertig werden.
Wyler verdeutlicht in seiner Studie, dass nicht nur die Rückkehr in den Beruf ein Thema der Zeit ist. Die drei Hauptfiguren finden nach dem Krieg ein Alltags- und Familienleben vor, das ihnen unwirklich erscheint. Ihr Leben verändert sich dramatisch.
Ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschäftigt das Thema von Wylers Film die gesamte Nation, vor allem das US-Publikum zieht es in die Kinos. Das Happy-End, das auf Druck der Produktionsgesellschaft ins Drehbuch kam, schafft einen versöhnlichen, aber konstruiert wirkenden Schlusspunkt. Die Resonanz, die der Film findet, drückt sich auch in der Flut von Preisen aus. 1947 erhält The Best Years Of Our Lives sieben Oscars.

am 12.05.2005 und
am 13.05.2005 jeweils um 20.30 Uhr

 

 


Die Mörder sind unter uns
D 1946, R: Wolfgang Staudte, D: Hildegard Knef, Erna Sellmer, Arno Paulsen, Ernst Wilhelm Borchert, 91'

Berlin 1945. Susanne Wallner, eine junge Fotografin, kehrt aus dem Konzentrationslager zurück, doch ihre Wohnung ist besetzt. Hier lebt seit kurzem der aus dem Krieg heimgekommene Chirurg Mertens, der seine furchtbaren Erinnerungen mit übermäßigem Alkoholgenuss zu verdrängen sucht. Die beiden arrangieren sich, und mit Susannes Hilfe findet Dr. Mertens langsam wieder zu sich selbst. Da begegnet ihm sein ehemaliger Hauptmann Brückner, nun ein aalglatter Geschäftsmann, dem es egal ist, ob er aus Stahlhelmen Kochtöpfe macht oder umgekehrt. Mertens' Gewissen rebelliert und am Weihnachtsabend 1945 will er Sühne fordern für ein von Brückner drei Jahre zuvor im Osten befohlenes Massaker an Frauen, Kindern und Männern. Im letzten Moment kann Susanne ihn davon überzeugen, dass die Vergeltung solcher Schuld keine Privatangelegenheit ist, sondern der Kriegsverbrecher vor ein Gericht gehört.
"Staudtes pessimistisches Nachkriegsdrama ist der erste nach Kriegsende in Deutschland hergestellte Film. Er entstand auf dem Filmgelände der DEFA und wurde von den sowjetischen Besatzungsorganen zensiert. Ursprünglich sollte Dr. Mertens den Fabrikant Brückner tatsächlich umbringen, aber die sowjetischen Zensoren verboten die Propagierung der Selbstjustiz. Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Produktionen der Nachkriegszeit setzt sich Regisseur Wolfgang Staudte ernsthaft mit der Schuldfrage auseinander." (Die Chronik des Films)

am 19.05.2005 um 18.15 Uhr
am 20.05.2005 um 20.30 Uhr

 

 


Die Ehe der Maria Braun
BRD 1978, R: Rainer Werner Fassbinder, D: Klaus Löwitsch, Hanna Schygulla, Gisela Uhlen, Ivan Desny, Gottfried John, 116’

Im Bombenhagel heiratet Maria ihren Hermann, der schon bald darauf an die Front gerufen wird. Nach dem Krieg erlebt sie ihren beruflichen Aufstieg in einem Club für US-amerikanische Militärangehörige. Sie glaubt, dass ihr Mann gefallen ist und wendet sich dem schwarzen Bill zu. Als Hermann nach Jahren doch noch aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt und Maria mit ihrem Geliebten überrascht, erschlägt sie den Amerikaner. Hermann geht für sie ins Gefängnis.
„Fassbinders vielfach prämierter und international erfolgreicher Film, noch während der Vorbereitungen zu seinem Opus magnum Berlin Alexanderplatz als Teil einer Trilogie (mit Lola und Die Sehnsucht der Veronika Voss) zur frühen westdeutschen Geschichte gedreht, stellt bewusst eine Frau in den Mittelpunkt seiner in den Verhältnissen von Hell-Dunkel, Nähe-Ferne oder Figur-Gegenstände kontrastreich gestalteten Parabel. Maria Braun, von Hanna Schygulla in jeder Phase als eine Figur geistreich forcierter Selbständigkeit gespielt, verkörpert scheinbar illusionslos ein Leben nach dem Motto: >Schlechte Zeiten für Gefühle<. Dieses Motiv, das sich in der Verdrängung des Lebendigen als Spiegel der Zeit ausweisen soll, variiert der Film auf allen Ebenen.“ (Guntram Vogt)

am 19.05.2005 um 20.30 Uhr
am 20.05.2005 um 18.15 Uhr

 

 


„BROT, FRIEDEN, FREIHEIT“ – FRANKREICH IM FILM DER FRONT POPULAIRE

Le jour se lève
Der Tag bricht an
F 1939, R: Marcel Carné, D: Jean Gabin, Arletty, Jules Berry, Jacqueline Laurent, 84’ OmU

Als der nächste Tag anbricht, ist er für Jean Gabin – auch hier wieder als Protagonist – bereits gelaufen. In seiner kleinen Wohnung, an dem kleinen Platz eines Industrievorortes von Paris, hat er sich verbarrikadiert, um der Polizei zu entkommen. Während er sich dort verschließt, werden in Rückblenden die Ereignisse aufgezeigt, die ihn in diese Situation brachten. In erster Linie geht es um eine unglückliche Liebe, um zwischenmenschliche Beziehungen, die durch Armut, Ausbeutung und Abhängigkeit gekennzeichnet sind. Das Geld zerstört das Verhältnis der Menschen zueinander. Wahre Gefühle, ein Glück zu zweit – so wie es sich Gabin erhofft hatte – stellen sich als illusionär heraus. Er wird zum Mörder.
In Carnés Film klingen düstere Stimmungen an. Von der fröhlichen Phase der Front Populaire ist in diesem 1939 entstandenen Film nichts mehr zu spüren. Alle Illusionen von der Überwindung existentieller Nöte und wahrer Menschlichkeit sind angesichts des drohenden Krieges und dem gescheiterten Experiment der Volksfront-Regierung unter Leon Blum verschwunden. Trotzdem schimmert auch in diesem Film noch etwas von der Sehnsucht nach dem großen Glück zwischen Fabrikschloten und Großmaschinen durch. Die Poesie wird durch ein Blumenmädchen verkörpert, das sich auf ein Fabrikgelände verirrt und dort den Arbeiter Gabin kennenlernt. Georges Sadoul schrieb dazu: „Die Sorgen des Realen, der Konflikt zwischen dem Traum (des Künstlers) und der sozialen Realität haben eine solche Bedeutung eingenommen, dass sich zeitgenössische Filme diesem Konflikt als zentralem Sujet widmen.“

am 21.05.2005 um 18.15 Uhr
am 22.05.2005 um 20.30 Uhr

 

 


Hôtel du Nord
F 1938, R: Marcel Carné, D: Louis Jouvet, Annabella, Arletty, Jean-Pierre Aumont, André Brunot, 84’ OmeU

Marcel Carné gehört zu den Regisseuren des poetischen Realismus in Frankreich, der erst in den 1950er Jahren von jungen Filmemachern der Nouvelle Vague wie François Truffaut und Jean-Luc Godard hinterfragt und abgelöst wurde. Während der Zeit der Front Populaire richtete sich nicht nur das politische, sondern auch das filmische Interesse auf das Milieu der Arbeiter am Stadtrand oder die in der Gosse Gestrandeten. Auch Carné gehörte zu denjenigen, die nicht mehr nur in großen Studios vor künstlichen Kulissen drehten, sondern sich in die Straßen und den Alltag hineinwagten, um den Menschen nahe zu sein. Obwohl seine Filme daher authentisch eingefangene Realität vermitteln, sind Licht, Schatten, Sprache und Musik doch so eingesetzt, dass sie eine irreale oder auch poetische Nuance aufweisen. Nicht die krude Realität, sondern gesellschaftliche Konflikte und die von ihr beeinflussten zwischenmenschlichen Beziehungen interessierten Carné. Auch in seinem Film Hôtel du Nord betreibt er eine Milieustudie unter Arbeitern und Mittellosen, die sich in einem Hotel im Norden Paris wie zufällig über den Weg laufen und in der „die Stadtlandschaft in ein dichtes, sehr spezifisches Lokalkolorit getaucht ist“ (Siegfried Kracauer). Ein Liebespaar versucht Selbstmord, ein Ehepaar kümmert sich um ein Waisenkind, die Prostituierte streitet sich mit Freiern und ein gescheiterter Gauner glaubt an eine bessere Welt. Dieser Film, dessen erzählerischer Spannungsbogen während des Volksfestes an einem 14. Juli seinen Höhepunkt erreicht, vereint düstere Stimmungen und Hoffnungsmomente und weist auf die Befindlichkeiten der ärmeren Bevölkerung hin, die einerseits die Errungenschaften und das Zusammenhalten der Front Populaire feierte, aber vor allem einen Ausweg aus ihrer schwierigen Lebenssituation herbeiwünschte.

am 21.05.2005 um 20.30 Uhr
am 22.05.2005 um 18.15 Uhr

 

 


ALS DER KRIEG ZU ENDE WAR

Passport To Pimlico
Blockade in London
GB 1949, R: Henry Cornelius, D: Stanley Holloway, Margaret Rutherford, Hermione Baddeley, Basil Radford, 84’ OF

Der Regisseur Henry Cornelius, in Südafrika geboren, gilt als einer der stilprägenden Väter der skurril-kauzigen Nachkriegskomödie Großbritanniens. Cornelius war 1931 nach Berlin gekommen, um sich von Max Reinhardt ausbilden zu lassen, zog es nach der Machtübernahme durch die Nazis aber vor, Deutschland zu verlassen und lebte ab 1935 in London. Im Kriegsjahr 1940 kehrte er für drei Jahre nach Südafrika zurück, um an der Herstellung von Dokumentarfilmen mitzuwirken. Zurück in London, betätigte sich Cornelius zunächst als Produktionsassistent, ab 1945 auch als Produktionsleiter für Michael Balcons Filmgesellschaft Ealing. Mit der spleenigen Komödie Passport To Pimlico inszenierte er für Ealing ein kleines Meisterwerk.
Erzählt wird mit viel Sinn für Ironie, unter präziser Herausarbeitung landesüblicher Marotten, die Geschichte von einem zufällig entdeckten mittelalterlichen Freibrief des britischen Königs Edward IV., der den Londoner Stadtteil Pimlico als zu Burgund gehöriges Territorium deklariert, was zu neuem Selbstbewusstsein seiner Bewohner (und zu unvorhersehbaren Folgen für den neuen >Nachbarstaat< England, der daraufhin mit einer Blockade antwortet) führt.

am 26.05.2005 um 18.15 Uhr
am 27.05.2005 um 20.30 Uhr

 

 


Good Men Good Women
Hao nan hao nu
Taiwan 1995, R: Hou Hsiao-hsien, D: Annie Shizuka Inoh, Lim Giong, Jack Kao, Vicky Wie, 108’ OF mit dt. und frz. UT

Das Kino Taiwans hat Mitte der 80er Jahre seinen eigenen Weg gefunden. Damals verbot die herrschende diktatorische Macht jedem, von der bewegten Geschichte dieser atypischen Insel zu sprechen: zwischen 1895 und 1945 von den Japanern besetzt, nach 1949 in der Gewalt der republikanischen Chinesen – es war schwer für die Taiwanesen zu wissen, wer sie überhaupt waren. Das Kino spiegelt diese Identitätssuche wieder. Hou Hsiao-hsien etwa, einer der Begründer der „Neuen Welle“, hat eine Trilogie über die Geschichte Taiwans gedreht (City of Sadness, The Puppetmaster, Good Men Good Women). Darin entwickelt er eine sehr spezielle, charakteristische und radikal innovative Ästhetik: ein Flüsterkino, in dem die Schauspieler sich in sehr langen, ruhigen Einstellungen einrichten und das Wort verstummt ist.
In Good Men Good Women lebt Liang Ching, eine junge Frau, in der modernen taiwanesischen Hauptstadt Taipeh. Ihr Alltag ist geprägt von Sehnsucht und Einsamkeit, von Lebenshunger und Verletzlichkeit. Während immer wieder ein Unbekannter anruft und sie mit gefaxten Seiten ihres gestohlenen Tagebuchs konfrontiert, durchdringen im wesentlichen drei Erlebniskreise ihre Gedanken: die Gegenwart, in der sie sich auf ihre Rolle in einem Film vorbereitet; die Geschichte dieses Films selber, der vom Kampf und Widerstand im China der vierziger und fünfziger Jahre handelt; schließlich die nahe Vergangenheit, in der sie ihren Freund gewaltsam verloren hat. Der anonyme Anrufer erinnert sie immer wieder an ihn.

am 26.05.2005 um 20.30 Uhr
am 27.05.2005 um 18.15 Uhr

 

 


„BROT, FRIEDEN, FREIHEIT“ – FRANKREICH IM FILM DER FRONT POPULAIRE

Le roman d’un tricheur
Roman eines Schwindlers
F 1936, R: Sacha Guitry, D: Sacha Guitry, Jacqueline Delubac, Roger Duchesne, Gaston Dupray, 80’ OmeU

Neben solchen Themen wie geringem Lohn, Arbeitslosigkeit, Streikversammlungen und Armut, die leitmotivisch in den während der Front Populaire gedrehten Filmen aufgegriffen werden, schufen die Regisseure auch Projektionsflächen. Das kleine Fürstentum Monaco mit seinem auf dem Casino beruhenden Reichtum, ebenso wie der Gewinn im Glücksspiel oder in der Lotterie, zeigen die Sehnsucht nach materiellem Wohlstand ohne geißelnde Arbeit auf. Sacha Guitry hat einen Film geschaffen, in dem ein professioneller Schwindler und Spieler seine Lebensgeschichte erzählt, die sich unter anderem in Monaco abspielt. Dieser Schwindler hat aufgrund seiner bereits im Kindesalter gemachten Erfahrungen eine eigene Lebensphilosophie entwickelt: immer dann, wenn er log, gewann er und hatte Glück; immer dann, wenn er die Wahrheit sagte, verlor er oder hatte Pech. Also entschloss er sich dazu, seine Fähigkeiten als Schwindler zu seinem Beruf zu machen. Nun erzählt er linear und humorvoll sein Leben in der Rückblende.
Guitry hat hier ein neues Erzählverfahren entwickelt, das nicht unbedingt in der Literatur, aber doch für den Film ganz neu war: eine Szene ging nicht mehr aus einer anderen hervor, sondern es war der Erzähler, der den Zusammenhang der Szenen schuf und gleichzeitig im Mittelpunkt der Handlung steht. Siegfried Kracauer bemerkte dazu am 29.8.1936 in der Neuen Zürcher Zeitung: „Auf diese Weise erhält der Film eine außerordentliche Gelenkigkeit und wird dazu befähigt, das Zusammenhanglose zu bewältigen. Schon jetzt duldet es keinen Zweifel, dass die von Guitry kreierte Gattung, richtig ausgebaut, den Spielfilm um eine wichtige Variante bereichern wird.“

am 28.05.2005 um 18.15 Uhr
am 29.05.2005 um 20.30 Uhr

 

 


La belle équipe

Zünftige Bande
F 1936, R: Julien Duvivier, D: Jean Gabin, Charles Vanel, Vivane Romance, Micheline Cheirel, 94’ OF

Während in manchen zur Zeit der Volksfrontbewegung gedrehten Filmen das Schwermütige der menschlichen Existenz betont ist, werden in anderen Filmen imaginäre Fenster geöffnet, die neue Wege aufzeigen und dabei Sozialkritik mit einem schmunzelnden Realismus verbinden. Es sind entweder die Gemeinschaft in einer Arbeiterkooperative, die sich ihres Bosses entledigt, wie in Le crime de Monsieur Lange von Renoir (konnte in dieser Filmreihe aus rechtlichen Gründen nicht gezeigt werden) oder ein Millionengewinn bei der Lotterie, die aus den schwierigen Lebensbedingungen herausführen. In Duviviers La belle équipe sind beide kollektiv gewordene Wunschvorstellungen 1936 auf die französische Leinwand gekommen. Eine Gruppe von Arbeitslosen, dessen Anführer wieder einmal von dem beliebtesten Schauspieler der Front Populaire – Jean Gabin – verkörpert wird, gewinnt in der Lotterie und baut außerhalb von Paris ein kooperativ geleitetes Ausflugslokal auf. Zu einem Idyll vor den Toren der Stadt wird das kleine Lokal „Chez Nous“ jedoch erst nach bewältigten Problemen. Eingewebt in diese Geschichte sind für die Zeit der Volksfront charakteristische Straßenszenen, die einen dokumentarischen Charakter haben: der Jubel in den Mietskasernen, die Tänze im Garten geben ein wenig die glückliche Stimmung wieder, von der die Franzosen nicht nur in Paris unter der Front Populaire erfasst waren. Paris – ein Fest für´s Leben. So hat Hemingway sich zu dieser Stadt geäußert. Georges Sadoul fand ähnliche Worte für das Geschehen seiner Zeit: „Ein sehr ruhiges Dorf vor der Großstadt. Die Straßen sind mit zweistöckigen Häusern umsäumt. Die Rosen blühen. Vor einem Grill sind Männer und Frauen versammelt. Akkordeonmusik und Gesang klingen auf. Die Arbeiter der Schuhfabrik André sind seit vier Tagen im Streik und feiern.“

am 28.05.2005 um 20.30 Uhr
am 29.05.2005 um 18.15 Uhr

 

 


JUNI

ALS DER KRIEG ZU ENDE WAR
Ich war neunzehn
DDR 1968, R: Konrad Wolf, D: Jaecki Schwarz, Wassili Liwanow, Alexej Ejboshenko, Galina Polkich, 112’

„Das Ich im Titel ist ganz persönlich gemeint: Die Familie des Schriftstellers Friedrich Wolf emigrierte 1934 nach Moskau, als ihr Sohn acht Jahre alt war. Im Frühjahr 1945 - nachdem er als Leutnant der Roten Armee den Krieg erlebt hat: das zerstörte Kiew, Majdanek unmittelbar nach der Befreiung, das brennende Warschau - gehörte er zu einer Lautsprechergruppe. Die Front verlief an der Oder. Der 19jährige Konrad Wolf hat Tagebuch geführt. Zwanzig Jahre später wurden diese Aufzeichnungen zur Grundlage für den Film Ich war neunzehn. Das Tagebuch bestimmt die Struktur des Films: Episoden, Begebenheiten zwischen dem 16. April und dem 3. Mai 1945. Sie werden im Film mit Angabe des Datums und Informationen zu Ort, Situation und Auftrag ausgewiesen. Der thematische Bogen des Films ist mit zwei Begriffen zu umreißen: Heimkehr in der Fremde.“ (Rudolf Jürschik)
„Ich war neunzehn wirkt durch seine Authentizität, zu der auch der Verzicht auf Farbe und ein Bildstil beitragen, der bewusst jede Kunstfertigkeit vermeidet und durch eine frei gehandhabte Kamera der Arbeit eines Kriegsberichterstatters unter Frontbedingungen gleicht. Unter den vielen Filmen über den Zweiten Weltkrieg wird Konrad Wolfs Ich war neunzehn Bestand haben als das sehr persönliche Zeugnis eines Regisseurs, dessen viel zu früher Tod im März 1982 nicht nur für die Filmkunst der DDR einen unersetzlichen Verlust bedeutete.“ (Heinz Kersten)

am 02.06.2005 und
am 03.06.2005 jeweils um 18.15 Uhr

 

 


Stunde Null
BRD 1976, R: Edgar Reitz, D: Kai Taschner, Anette Jünger, Herbert Weissbach,
Klaus Dierig, 112’

Deutschland im Sommer 1945: Der junge Joschi kommt in einen kleinen Ort in der Nähe von Leipzig, wo er einen Nazi-Schatz heben will. Gerade ziehen die Amerikaner ab, und die Bewohner erwarten die anrückenden Russen. Joschi findet den Schatz und verliebt sich in das Mädchen Isa. Voller Hoffnung auf ein neues Leben fliehen sie zusammen in die amerikanische Zone. Statt ihm Sicherheit zu geben, nehmen die Amerikaner Joschi seinen Schatz und auch noch das Mädchen weg, so dass Joschi vollkommen desillusioniert zurück bleibt.
"Stunde Null spielt am Rande von Leipzig, also in einer Gegend von Sachsen, die man damals in der Zeit vor der Wende gar nicht betreten konnte. Das war auch eine Welt, die man so gar nicht mehr kannte, weil sich doch in diesen beiden Deutschlands die Dinge kulturell so weit auseinander entwickelt hatten. Aber die Stunde Null war freilich genau die Nahtstelle, an der das angefangen hat, sich auseinander zu entwickeln. Das ist also eine Geschichte, die wirklich eine Stunde Null beschreibt: das Ende einer kompletten Lebensvorstellung und den Beginn einer neuen im Jahr 1945.“ (Edgar Reitz)

am 02.06.2005 um 20.30 Uhr

 

 


WIEDERENTDECKT

Namenlose Helden (Fragment)
AU 1924, R: Kurt Bernhardt, D: Erwin Kalser, Lilli Schönborn, Heinz Hilpert, u.a., 17’
niederl. Zw.titel

Doktor Bessels Verwandlung
D 1927, R: Richard Oswald, D: Hans Stüwe, Agnes Esterhazy, Jacob Tiedtke, Sophie Pagay, Gertrud Eysoldt, Kurt Gerron, Siegfried Arno, Rosa Valetti, Curt Bois, u.a., 106’

Sommer 1918. In Europa herrscht Krieg. Der deutsche Soldat Dr. Alexander Bessel wird von der rumänischen Front an die Westfront verlegt und macht unterwegs einen kurzen Halt in Berlin, um seine junge Frau Helene wiederzusehen. Kurz vor der Weiterreise wird ihm von einer Unbekannten mitgeteilt, dass Helene ihn betrügt. Bessel ist tief gekränkt, doch zu einer Aussprache kommt es nicht mehr. Nach einem Sturmangriff an der Westfront liegt er schwer verwundet im Niemandsland neben einem getöteten Franzosen. Bessel tauscht mit dem Toten die Uniform, wird in einem französischen Lazarett gesund gepflegt und dann als Invalide entlassen. Während er in Deutschland als verschollen gilt, lebt er unter fremdem Namen in Frankreich. Als Bessel die Verlobte des getöteten Franzosen kennenlernt, verliebt er sich in sie, verheimlicht ihr aber aus Angst vor Entdeckung seine wahre Identität...
Was die Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg und seinen Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Männern und Frauen angeht, ist Doktor Bessels Verwandlung der wohl ungewöhnlichste Spielfilm des Weimarer Kinos. Die elegante Regie von Richard Oswald verzichtet auf das übliche Spektakel der Kriegsfilme und konzentriert sich stattdessen auf das Melodram eines Mannes und dessen psychologische Entwicklung. Der Film erzählt von der Entfremdung der voneinander getrennten Eheleute Bessel und ihren völlig verschiedenen Erfahrungswelten, von dem Wunsch nach einem anderen Leben und der Furcht vor der Wahrheit, von männlicher Eitelkeit und unmöglicher Liebe in Zeiten von Krieg und Haß.
Ergänzend ist ein Fragment des Kriegsfilms Namenlose Helden, dem Regiedebüt von Kurt Bernhardt, zu sehen. Den Zeitgenossen galt dieser Film, der fiktionales und dokumentarisches Material miteinander verknüpft, als ein früher Versuch einer „realistischen“ Darstellung des Krieges an der Front und in der Heimat. Der Film klagt den Krieg aus kommunistischer Sicht an, indem er von einer Arbeiterfamilie erzählt, die durch den Krieg ihr Auskommen, ihre Gesundheit und schließlich ihr Leben verliert. Das Fragment zeigt, wie der einfache Arbeiter Scholz als Soldat bei einem Angriff erblindet und wie seine Familie Hunger leidet. Anlässlich der Aufführung in Berlin warnte der „Film-Kurier“ im Oktober 1925: „Das Werk wird als politisches Propagandamittel gute Erfolge haben. Für den Theaterbesitzer bedeutet es allerdings die Gefahr, politisch anders eingestellte Teile seines Publikums zu verärgern.“
Einführung: Philipp Stiasny
Klavierbegleitung: Peter Gotthardt
Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit CineGraph Babelsberg und dem Bundesarchiv-Filmarchiv.

am 03.06.2005 um 20.30 Uhr

 

 


DAS „KINO DER MORALISCHEN UNRUHE“ –
DER POLNISCHE FILM DER 70ER UND 80ER JAHRE

Eine Filmreihe des Zeughauskinos und des Polnischen Instituts.
Mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes der RP, dem Adam Mickiewicz Institut in Warschau und von Film Polski Agencja Promocji in Warschau.

Spokój
Gefährliche Ruhe
Polen 1976, R: Krzysztof Kieslowski, D: Danuta Ruksza, Jerzy Stuhr, Jerzy Trela, Izabella Olszewska, 85’ OmeU

1976 arbeitete der Hauptdarsteller Jerzy Stuhr das erste Mal mit Krzysztof Kieslowski zusammen. In Blizna spielte er eine Nebenrolle, um in Kieslowskis nächstem Film, Spokój (Gefährliche Ruhe, 1976), – einem der schönsten Filme Kieslowskis – die Hauptrolle zu übernehmen. „Ich war einer der ersten, wenn nicht sogar der erste professionelle Schauspieler, mit dem Krzysztof Kieslowski zusammengearbeitet hat. Ich weiß noch, er war gegenüber ‚Profis‘ sehr skeptisch. Er traute Leuten nicht über den Weg, die auf Kommando und für Geld ‚losheulen‘ konnten, wenn es im Drehbuch stand. Schon während der Dreharbeiten zu Blizna sagte er, dass er unbedingt einen Film für mich schreiben müsse. Und so entstand Spokój, einer der besten Filme, die ich je gemacht habe. Sowohl meine Rolle als auch der Film selbst sind großartig.“ Jerzy Stuhr spielt einen aus dem Gefängnis entlassenen Arbeiter, der von einem friedlichen Leben, einer Familie, einer geregelten Arbeit und einer kleinen Wohnung träumt. Um sein persönliches Glück zu erreichen, ignoriert er die Probleme an seinem Arbeitsplatz und gerät zwischen die Fronten.

am 04.06.2005 und
am 10.06.2005 jeweils um 18.15 Uhr

 

 


Eröffnung der Filmreihe

Amator
Der Filmamateur
Polen 1979, R: Krzysztof Kieslowski, D: Jerzy Stuhr, Stefan Czyzewski, Jerzy Nowak, Malgorzata Zabkowska, 112’ OmeU

Amator gehört zu Kieslowskis ersten Kinoproduktionen, die häufig engagierte Einblicke in eine durch kommunistisch-indoktrinäre Fesseln zur Unbeweglichkeit verdammten polnischen Kulturnation gewährten. Diese Werke waren Abbilder von der Realität einer in Stagnation verharrenden Gesellschaft während der 70er und 80er Jahre. Dabei zeigte sich Kieslowski, der unter den kommunistischen Machthabern stets mit der Zensurbehörde und Verboten zu kämpfen hatte, schon früh als ausgezeichneter Personenbeobachter, der vor der Fragilität mitmenschlicher Beziehungen warnte und seine Filme stets und zuvörderst als Plädoyer für einen alltäglich praktizierten Humanismus in einer kälter werdenden Umwelt verstand.
Filip Mosz, ein Arbeiter, der sich zur Geburt seiner Tochter eine Filmkamera zulegt, wird aufgefordert, einen Film über das Firmenjubiläum seiner Fabrik zu drehen. Als Gegenleistung wird er bei der Gründung eines Filmclubs in der Fabrik unterstützt. Bald jedoch stößt seine unbefangene und beobachtende Art, Filme zu machen, auf Widerstände. Zum Schluss wird sein Freund, der für die Arbeit des Filmclubs verantwortlich ist, entlassen. Auch im Privatleben zeigt Filips Leidenschaft fürs Filmen Folgen: seine Ehe zerbricht.
Amator war Kieslowskis erster Film, der auch internationalen Erfolg hatte. Er gewann Hauptpreise bei den Festivals in Moskau, Chicago und Gdansk.
in Anwesenheit von S.E. Dr. Andrzey Byrt, Botschafter der Republik Polen

Eröffnungsveranstaltung
am 04.06.2005 um 20.30 Uhr

am 09.06.2005 um 20.30 Uhr

 

 


Barwy ochronne

Tarnfarben
Polen 1977, R: Krzysztof Zanussi, D: Christine Paul-Podlasky, Magdalena Zwadzka, Mariusz Dmochowski, Zbigniew Zapasiewicz, Piotr Garlicki, 103’ OmeU

Zanussis Geschichten werden häufig von philosophischen Gedanken geleitet, die sich mit existenziellen Fragen von Leben und Korruption, Liebe und Tod auseinandersetzen:
In einer polnischen Sommer-Akademie prallen ein zynischer, angepasster Dozent und ein anfangs noch moralisch engagierter Assistent aufeinander und offenbaren unterschiedliche Geistes- und Lebenshaltungen. Schließlich erweisen sich Opportunismus und Konformismus als einziger Ausweg.
Mit diesem Film nahm Zanussi endgültig Abschied von eigenen Illusionen über einen möglichen „demokratischen Sozialismus“.

am 05.06.2005 um 18.15 Uhr
am 12.06.2005 um 20.30 Uhr

 

 


Czlowiek z marmuru
Der Mann aus Marmor
Polen 1976, R: Andrzej Wajda, D: Jerzy Radziwilowicz, Krystyna Janda, Tadeusz Lomnicki, Jacek Lomnicki, Michal Tarkowski, 164’ OmeU

Polen Mitte der 70er Jahre: Die Filmstudentin Agnieszka hat für ihren Diplomfilm ein Thema ausgewählt, das ihrem Redakteur im Fernsehen nicht behagt. Sie plant aus Neugier auf die Lebensumstände der Vätergeneration eine Dokumentation über einen "Helden der Arbeit" aus den 50er Jahren. Im Keller eines Museums stößt sie auf ausrangierte Statuen, darunter jene von Mateusz Birkut. Sie besorgt sich Archivmaterial, alte Wochenschauen aus denen sie mehr über den "Mann aus Marmor" zu erfahren hofft.
Der Mann aus Marmor ist Wajdas erster Film, in dem er die unmittelbare Gegenwart in einen direkten Diskurs mit der Vergangenheit treten lässt. Er begnügt sich aber nicht mit einer sehr kritischen Bestandsaufnahme der stalinistischen Epoche, sondern entwickelt das Bild der Gegenwart aus den Prämissen der Vergangenheit. Dramaturgisch löst er die Dialektik der verschränkten Zeitebenen mittels einer komplexen Rückblendentechnik, in der die Recherche der Studentin das Band bildet, an das die Exkurse in die verschüttete Geschichte folgerichtig geknüpft sind, um das Bild der vergangenen Epoche schrittweise zu enthüllen. Der Zuschauer ist somit in der gleichen Situation wie die Studentin. Die vielfachen Brechungen markieren die Schwierigkeiten einer Suche, die von Zufällen und subjektiv interpretierten Berichten von Ereignissen oder auch Behinderungen abhängig ist. Aus tatsächlichem Dokumentarmaterial, Wochenschauen, aus fiktiven, nachinszenierten Dokumenten, die den Heldenmythos Birkuts formten, aus den von seinen Zeitgenossen kommentierten Episoden aus Birkuts Leben - die in Fragmenten nacherzählte Biografie - fügt sich das Mosaik einer Epoche mit Rückwirkung auf die Rahmenhandlung der Gegenwart.

am 05.06.2005 und
am 16.06.2005 jeweils um 20.30 Uhr

 

 


Index
Polen 1977/81, R: Janusz Kijowski, D: Justyna Kulczycka, Malgorzata Niemirska, Lucyna Winnicka, Ewa Zukowska, 100’ OmeU

Dem Autor des Films schreibt man den Begriff „Das Kino der moralischen Unruhe" zu, der als Motto der Filmschaffenden der zweiten Hälfte der 70er Jahre dient. Kijowski greift in Index ein äußerst „unbequemes" Thema für die herrschende Elite auf: die studentische Protestbewegung der 68er, die in Polen in einer beschämenden antijüdischen Hetze endete. Der Film erzählt die Spätfolgen dieser Geschichte. Józef Moneta, der Held des Films, stellt sich hinter die von der Uni relegierten Studenten. Er verlangt nach Aufklärung und Wahrheit. Bald teilt er das Schicksal seiner Kommilitonen: – Józef wird rausgeworfen. Es folgt die Isolation, seine bisherigen Bekannten ziehen sich zurück, die Polizei verfolgt ihn auf Schritt und Tritt, seine Freundin verlässt ihn.
Der Film wurde für vier Jahre von der Zensur auf die Regale verbannt.

am 09.06.2005 und
am 18.06.2005 jeweils um 18.15 Uhr

 

 


Czlowiek z zelaza
Der Mann aus Eisen
Polen 1981, R: Andrzej Wajda, D: Jerzy Radziwilowicz, Krystyna Janda, Marian Opania, Boguslaw Linda, Wieslawa Kosmalska, 140’ OmeU

Polen zu Beginn der 80er Jahre, die Solidarnosc-Bewegung ist auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung mit den Machthabern: Ein angepasster Reporter erlebt den politischen Umschwung des Jahres 1980 und recherchiert die Vorgeschichte in der Biografie eines Streikführers, welcher der Sohn eines Propagandahelden aus der stalinistischen Ära ist. Maciek Tomczyk, Sohn von Mateusz Birkut, der Titelfigur aus dem Film Der Mann aus Marmor, lebt nun mit Agnieszka, der ehemaligen Filmstudentin aus dem genannten Film zusammen. Maciek will das Erbe seines bei den Unruhen in Gdansk 1970 umgekommenen Vaters antreten. Der Reporter ist beeindruckt von dem Material, das er zusammengetragen hat und kündigt seine Stellung beim Rundfunk. Er wird Zeuge des historischen Augenblicks, als die streikenden Arbeiter und eine Regierungsdelegation ein Abkommen unterzeichnen...
Andrzej Wajda hat seinen Film parallel zu den politischen Ereignissen gedreht. Dabei gelang es ihm, durch seine Erzählweise Realität und Fiktion nahtlos zu verbinden. Er will ein Stück Zeitgeschichte schreiben, aber er will politische Realität durch die Bindung an den Menschen menschlich erfahrbar machen. In diesem Sinne zeigt er den Arbeiterführer Lech Walesa nicht nur in Dokumentaraufnahmen, sondern auch in kleinen Spielszenen - etwa als Trauzeuge von Maciek und Agnieszka. Wajda will zeigen, dass eine Spielhandlung immer auch Teil der Realität bleibt, dass das, was er erfunden hat, nicht losgelöst ist von dem, was er vorgefunden hat.
Der Film hat in Cannes die Goldene Palme bekommen.

am 10.06.2005 und
am 18.06.2005 jeweils um 20.30 Uhr

 

 


Wodzirej
Der Conferencier
Polen 1978, R: Feliks Falk, D: Jerzy Stuhr, Slawa Kwasniewska, Wiktor Sadecki, Michal Tarkowski, 90’ OmeU

Der junge, energische Conferencier Ludwig Danielak scheut keine Mittel, um zum Reigenführer eines großen Balls anlässlich der 500-Jahr-Feiern der Stadt gekürt zu werden. Er hintergeht seine Konkurrenten und versucht, im Stadtrat Bekanntschaften anzuknüpfen. Nach und nach verliert er alle Hemmungen, er verrät seine Geliebte und seinen besten Freund. Als er endlich sein Ziel erreicht hat und als Zeremonienmeister durch den festlichen Ball führt, erscheint plötzlich sein Freund, der ihn vor den versammelten Festgästen ohrfeigt und ihm klarmacht, was er alles im Tausch gegen den heiß ersehnten Erfolg verloren hat.
Wodzirej gehört zu den Filmen der „moralischen Unruhe“ par excellence und ist eine Paraderolle von Jerzy Stuhr, der auch in Spokój und in Amator seine schauspielerische Klasse zeigt.

am 11.06.2005 und
am 16.06.2005 jeweils um 18.15 Uhr

 

 


Kobieta samotna
Eine alleinstehende Frau
Polen 1981, R: Agnieszka Holland, D: Danuta Balicka, Bozena Baranowska, Boguslaw Linda, Maria Chwalibóg, Pawel Witczak, 93’ OmeU

Agnieszka Holland studierte Filmregie in Prag. Ihre Karriere begann sie als Regieassistentin von Krzysztof Zanussi und Andrzej Wajda. Für Andrzej Wajda schrieb sie einige Drehbücher, unter anderem nach der gleichnamigen Novelle von Rolf Hochhuth „Eine Liebe in Deutschland“. Ihren eigenen Kinoeinstand gab sie 1977 mit Zdjecia próbne (Probeaufnahmen). Holland-Filme waren präzise beobachtende Menschen- und Situationsstudien aus dem gegenwärtigen Polen, Spiegelbilder einer von der spätkommunistischen Stagnation strangulierten, apathischen Gesellschaft, detailgetreu und bisweilen deprimierend, kritisch und ein wenig melancholisch. Gelegentlich ging die Polin bereits vor der Wende auch ins Ausland, um dort Filme zu inszenieren, heute arbeitet sie in den USA.
In Eine alleinstehende Frau wird von der Liebe zwischen einer vom gewalttätigen Ehemann verlassenen Postbotin, die sich mit ihrem Kind allein durchschlägt, und einem ehemaligen Bergmann, der durch einen Unfall verkrüppelt ist und als Frührentner lebt, erzählt. Gemeinsam unternehmen die beiden, die von der Gesellschaft links liegengelassen werden, einen illusionslosen Versuch, vom Leben noch etwas Besseres mitzubekommen.

am 11.06.2005 um 20.30 Uhr
am 17.06.2005 um 18.15 Uhr

 

 


Bez milosci
Ohne Liebe
Polen 1980, R: Barbara Sass, D: Zdzislaw Wardejn, Emilian Kaminski, Dorota Stalinska, Wladyslaw Kowalski, 100’ OmeU

Zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen, zwischen der Liebe und dem Beruf liegt eine graue Zone, die vom Ehrgeiz und von Neurosen bewohnt ist. Ewa, eine junge Journalistin, ist bereits genug vom Leben gezeichnet worden, um immer nur den aufrichtigen Weg zu gehen. Diese alleinstehende Mutter will nach oben, egal wo es liegt, wohin der Weg führt und was es kostet. Die Gefühle werden instrumentalisiert und der Erfolg ist das Einzige, was zählt. Barbara Sass zeichnet hier ein schmerzhaftes Bild einer Frau, die sich zu behaupten versucht.
Auf dem Filmfestival in Mannheim 1980 hat der Film den FIPPRESCI Preis bekommen.

am 12.06.2005 um 18.15 Uhr
am 17.06.2005 um 20.30 Uhr

 

 


ALS DER KRIEG ZU ENDE WAR

The Third Man
Der dritte Mann
GB 1950, R: Carol Reed, D: Joseph Cotten, Orson Welles, Paul Hörbiger, Trevor Howard,
100’ OF

Wien 1948: Die österreichische Metropole ist in vier Sektoren unterteilt; einen britischen, einen russischen, einen amerikanischen und einen französischen. Einzig die Stadtmitte ist politisch neutral, die Polizei dort wird von allen vier Siegermächten gestellt.
Holly Martins (Joseph Cotten) ist Schriftsteller, und spezialisiert auf Abenteuergeschichten.
Harry Lime (Orson Welles) lebt in Wien und lädt ihn ein, ihn zu besuchen. Martins freut sich sehr, denn er und Harry Lime waren in ihrer Jugend die besten Freunde, und sie haben sich schon sehr lange nicht gesehen. Doch als er in Wien ankommt, steht er vor verschlossener Tür…
So beginnt die Geschichte um die Suche nach dem mysteriösen dritten Mann.
Der dritte Mann wurde im Jahre 1949 in der Rekordzeit von nur 5 Wochen im Wien der Nachkriegszeit gedreht, und erreichte weltweiten Ruhm. Regisseur Carol Reed war zu dieser Zeit noch ein unbeschriebenes Blatt, mit diesem Film brachte er es zu großer Berühmtheit. Auch Kameramann Robert Krasker hatte großen Anteil am Erfolg des Films, da er es meisterhaft verstand, die Dramaturgie von Licht und Schatten effektvoll in Szene zu setzen, und so einen Meilenstein des „Film Noir“ entstehen zu lassen.
Das Script stammte von Ex-Geheimagent Graham Greene, der eigens sein Buch zum Drehbuch umschrieb und so half, die Atmosphäre des damaligen Wiens perfekt einzufangen.

am 19.06.2005 um 18.15 Uhr
am 23.06.2005 um 20.30 Uhr

 

 


Die vier im Jeep
CH 1951, R: Leopold Lindtberg, D: Ralph Meeker, Viveca Lindfors, Yoseph Yadin, Michael Medwin, 100’

Am 06.2005 Juni 1951 wurden die ersten Internationalen Filmfestspiele Berlin unter der Leitung von Alfred Bauer im Berliner Titania-Palast eröffnet. Den ersten Goldenen Bären erhielt in diesem Jahr die Schweizer Produktion Die vier im Jeep vom gebürtigen Österreicher Leopold Lindtberg.
Der Film spielt in Wien 1950. Jeden Morgen zur gleichen Zeit stellen sich die Soldaten der internationalen Polizei im Hof des Palais Auersperg zur Inspektion bereit: der Amerikaner William Long, der Franzose Marcel Pasture, der Engländer Harry Stuart und der Russe Wassilij Voroschenko. Nun wird die Gruppe in die Wohnung einer Wienerin gerufen, die die Heimkehr ihres Mannes aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft erwartet – dramatische Geschehnisse nehmen ihren Anfang…
„Ein hervorragend inszenierter, fesselnd erzählter Film, getragen von der unpathetisch vertretenen Überzeugung, dass eine menschliche Verständigung zwischen Ost und West möglich und wünschbar ist. Der historische Handlungsrahmen verleiht ihm überdies einen bemerkenswerten dokumentarischen Aspekt.“ (www.filmdienst.de)

am 19.06.2005 um 20.30 Uhr
am 23.06.2005 um 18.15 Uhr

 

 


Wir Wunderkinder

BRD 1958, R: Kurt Hoffmann, D: Hansjörg Felmy, Robert Graf, Johanna von Koczian,
Wera Frydtberg, 107’

Mit Wir Wunderkinder vollzog Hoffmann 1958 erstmals einen Bruch in seinem Filmschaffen. Die Geschichte von zwei Männern – der eine eine aufrechte Persönlichkeit, der für seine Anständigkeit im 3. Reich und im Nachkriegsdeutschland mit Rückschlägen und Karriereeinbrüchen zu zahlen hat, der andere ein klassischer Opportunist, der mit seiner Charakterlosigkeit unter jedem Regime zu den Gewinnern zählt – war der Versuch des bislang apolitischen Komödienfilmers Hoffmann, sich als Satiriker und gesellschaftskritischer Beobachter bundesrepublikanischer Verhältnisse zu etablieren.
„Kurt Hoffmann suchte sich einen guten und einen bösen Deutschen aus und verfolgte deren Karrieren von 1913 bis 1955. Das war ein etwas simples Verfahren, das Hoffmann aber dadurch aufwertete, dass er den Guten mit Hansjörg Felmy besetzte, den Bösen aber mit dem großartigen, faszinierenden Schauspieler Robert Graf, der vielleicht nicht sympathischer, auf jeden Fall aber interessanter war als der biedere Felmy“ (Claudius Seidl). „Der kleinbürgerliche Kabarettcharakter des Films lässt zwar den Schauspielern als Personen wenig Chancen, sorgt aber statt dessen für ein paar grandiose Auftritte der Hauptdarsteller. Man beachte den Heißhunger meines Vaters in der ersten Szene in Felmys Münchner Wohnung.“ (Dominik Graf)

am 24.06.2005 um 18.15 Uhr
am 25.06.2005 um 20.30 Uhr

 

 


Karbid und Sauerampfer
DDR 1963, R: Frank Beyer, D: Erwin Geschonnek, Marita Böhme, Manja Behrens,
Margot Busse, 85’

Zu Kriegsende liegt auch die Dresdener Zigarettenfabrik in Schutt und Asche. Obwohl Nichtraucher, blutet Kalle das Herz – schließlich war es seine Arbeitsstätte. Um sie wieder aufzubauen, braucht man vor allem Karbid zum Schweißen. Kalle hat eine Quelle in Wittenberg. Er macht sich auf den Weg dorthin und muss nun – mit sieben Fässern – zurück: per Anhalter. Das Abenteuer lässt sich gut an. Die sympathische Karla nimmt ihn ein Stück in ihrem Fuhrwerk mit. Am liebsten würde er bei ihr bleiben, aber die Pflicht treibt ihn weiter. Dass er zurückkommen wird, ist versprochen. Sein einziges Zahlungsmittel, Zigaretten, nimmt ihm ein LKW-Fahrer für eine kleine Wegstrecke ab. Bis er Dresden erreicht, muss er sich noch vom Verdacht der Plünderei reinwaschen, einen Schiffbruch überstehen und sich eines geschäftstüchtigen US-Offiziers und einer mannstollen Witwe entledigen. Zwei Fässer bringt er glücklich durch – genug für den Neuanfang.
Die auf wahren Begebenheiten fußende Geschichte notierte Hans Oliva-Hagen. Das Vorbild des Karbid-Kalle in der Wirklichkeit hieß Richard Hartmann. Erwin Geschonnek lernte ihn erst nach den Dreharbeiten kennen und berichtete in seinen Memoiren: „Richard hatte zusammen mit einem Kollegen neun Fässer zu transportieren gehabt und immer in überfüllten Eisenbahnzügen! Er hatte alle neun nach Dresden gebracht und war also erfolgreicher als Kalle. Er hat bei seiner Reise jedoch ein lebendes Andenken hinterlassen wie Kalle bei dem hübschen Bauernmädchen Karla im Film.“ (Meine unruhigen Jahre, 1984-1996)

am 24.06.2005 um 20.30 Uhr
am 25.06.2005 um 18.15 Uhr

 

 


Valahol Európában
Irgendwo in Europa
Ungarn 1947, R: Géza Radványi, D: Artúr Somlay, Miklós Gábor, Zsuzsa Bánki,
György Bárdy, 106’ OmU

1945 lernte Radványi den aus dem Exil nach Ungarn heimgekehrten Filmtheoretiker Béla Balázs kennen, der ihn dazu anregte, einen Film über die durch den Krieg heimatlos gewordene und geistig wie emotional verwilderte Jugend Europas zu drehen. Das Werk, Irgendwo in Europa, geriet zu einem vom italienischen Neorealismus geprägten, sozialkritischen, einfühlsamen und in einem fast dokumentarischen Stil gehaltenen Stimmungs- und Zeitbild. Viele Jahre lang galt Irgendwo in Europa als einer der wichtigsten Nachkriegsfilme Ungarns.
Kurz nach Kriegsende zieht eine Bande von Kindern plündernd durch Ungarn. Die Eltern sind in den Kriegswirren verloren gegangen, und so sind die Kleinen auf sich allein gestellt. In einer Burgruine, bei dem alten Musiker Simon, finden sie Zuflucht. Mit viel Geduld zeigt er den Kindern den Weg in ein Leben voller Wärme und Vertrauen. Doch die friedliche Gemeinschaft auf der Burg wird von den Bewohnern des benachbarten Dorfes bald gestört.

am 26.06.2005 und
am 30.06.2005 jeweils um 18.15 Uhr

 

 


The Search
Die Gezeichneten
USA/ CH 1948, R: Fred Zinnemann, D: Montgomery Clift, Aline MacMahon, Wendell Corey, 108’ OmU

The Search erzählt von dem wechselreichen Schicksal eines kleinen Prager Jungen, der auf der Suche nach seiner Familie durch Deutschland irrt.
„Der Film lässt einige Rückschlüsse zu auf die Atmosphäre in Hollywood nach dem Krieg. Sowohl das Publikum wie auch die Regisseure und Studios waren damals für realistische Themen zugänglich und verzichteten gelegentlich auf den gängigen Eskapismus… Regisseure wie William Wyler, John Ford, John Huston, Frank Capra und George Stevens hatten im Krieg als Filmemacher ihren Dienst geleistet. Als sie zurückkehrten, waren sie von ihren Erlebnissen stark geprägt, was man ihren Arbeiten aus dieser Zeit auch anmerkt. Bei The Search kommt noch ein Aspekt hinzu: Es ist der Film eines Regisseurs, der im Herzen Europäer geblieben ist. Er erzählt vom Schrecken der Ereignisse in Europa, aber auch von der amerikanischen Reaktion auf diese Ereignisse.“ (Neil Sinyard: Zinnemann. München 1986)

am 26.06.2005 und
am 30.06.2005 jeweils um 20.30 Uhr

 

 

 

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