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Eine
mondblaue Maus mit Menschenaugen –
Franz Kafka im Kino
„Die Kafka ist eine
sehr selten gesehene prachtvolle mondblaue
Maus, die kein Fleisch frisst, sondern sich
von bitteren Kräutern nährt. Ihr
Anblick fasziniert, denn sie hat Menschenaugen.“
So charakterisierte 1920 der Literat Franz
Blei in seinem „Bestiarium der Modernen
Literatur“ den Schriftsteller Franz
Kafka. Dessen „Menschenaugen“
wurden namentlich vom „primitiven
Film“ ergriffen. „Er liebte“,
so der Freund Max Brod, „die ersten
Filme, die damals auftauchten. Besonders
entzückte ihn ein Film, der tschechisch
´Táta Dlouhán` hieß,
was wohl mit ´Vater Langbein` zu übersetzen
wäre. Er schleppte seine Schwestern
zu diesem Film, später mich, immer
mit großer Begeisterung, und war stundenlang
nicht dazu zu bringen, von etwas anderem
zu reden als gerade nur von diesem herrlichem
Film.“
Zwar schrieb Kafka „nur sehr sporadisch
und kaum je systematisch über seine
Kinobesuche“, wie Hanns Zischler in
seinem Buch „Kafka geht ins Kino“
anmerkt. Doch gelingt es ihm in kunstvollen
Akten der Verknüpfung etwa zwischen
zeitgenössischen Kinoprogrammen und
Zeitungsberichten mit kinematographisch
angereicherten Passagen aus Kafkas Briefen
und Tagebüchern, die Wechselwirkungen
von Filmen, von Kameraeinstellungen und
Schauspielern und Kafkas Lebenshaltungen
zu beleuchten. Unsere Filmreihe beginnt
mit dem Film von Hanns Zischler und zeigt
filmische Interpretationen von Kafkas Werken,
aber auch Darstellungen, denen die literarische
Ikone als Folie dienen und die vor diesem
Hintergrund zu neuen Deutungen finden.
Als
der Krieg zu Ende war
„Der
8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat
uns alle befreit von dem menschenverachtenden
System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Niemand wird um dieser Befreiung willen
vergessen, welche schweren Leiden für
viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen
und danach folgten. Aber wir dürfen
nicht im Ende des Krieges die Ursache für
Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen.
Sie liegt vielmehr in seinem Anfang.“
So fasste Richard von Weizsäcker in
seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes
zusammen, was sich in der Bundesrepublik
Deutschland als ein Konsens der historischen
Erinnerung herausgebildet hatte. Die Filmreihe
begleitet die Ausstellung „1945 –
Der Krieg und seine Folgen“. Die Auswahl
vereint Beispiele aus vielen Ländern.
Wie der Krieg zu Ende ging, wie er erinnert
wurde, wie die Probleme der unmittelbaren
Nachkriegszeit in Filmen dargestellt wurden,
sind die Themen der Reihe.
„Brot,
Frieden, Freiheit“ – Frankreich
im Film der Front Populaire
Der
am Fließband hantierende Arbeiter,
der unbesorgte Landstreicher oder der mit
einem Millionengewinn ausgestattete Arbeitslose
sind Figuren, die in den Filmen der Front
Populaire die französischen Leinwände
bevölkerten. Das Bündnis der Linksparteien
gründete sich als Reaktion auf eine
tiefe Krise Frankreichs. Demokratie und
sozialer Friede schienen außenpolitisch
auch durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten
in Deutschland und den beginnenden Bürgerkrieg
in Spanien bedroht. 1936 siegte die Front
Populaire bei den Wahlen und setzte weitreichende
soziale Reformen durch. Das Motto „Pain,
Paix, Liberté“ (Brot, Frieden,
Freiheit) begeisterte viele Intellektuelle
und Künstler. In ihren Filmen und in
der Musik setzten sich Regisseure und Komponisten
mit ihrer Gegenwart auseinander und dokumentierten
die Ereignisse im Frankreich der 1930er
Jahre. Während Regisseure wie Jean
Renoir und Marcel Carné eher die
düstere Seite der von Geld und Machtverhältnissen
korrumpierten menschlichen Beziehungen in
einem entfremdeten Arbeitsalltag nachzeichneten,
fingen René Clair und Julien Duvivier
die optimistische Stimmung der Bevölkerung
auf.
Mit freundlicher Unterstützung
des Bureau du Cinéma der Französischen
Botschaft in Berlin und dem Bundesarchiv-Filmarchiv
Das „Kino
der moralischen Unruhe“ – der
polnische Film der 70er und 80er Jahre
Ab
den siebziger Jahren entstanden in Polen
Filme, die als „Kino der moralischen
Unruhe“ berühmt wurden. Ungeachtet
von Zensur und politischen Sanktionen stellten
sich Regisseure und Regisseurinnen den Problemen
der eigenen Gesellschaft. Dabei griffen
sie nicht immer zu Parabeln oder anderen
indirekten Darstellungsformen. Die moralische
Verantwortlichkeit des Einzelnen, die Beziehungen
zwischen dem Individuum und der Gesellschaft,
die Rolle des Staates griffen sie in auch
künstlerisch überragenden Werken
auf. Zugleich thematisierten sie erstmals
die Verbrechen der Stalinzeit. Es entstand
ein Kino, das auch außerhalb Polens
als vital, kritisch und experimentierfreudig
wahrgenommen wurde. Mit den Beginn der Solidarnosc-Bewegung
(Streiks auf der Danziger Werft im August
1980) entstanden neue Impulse, die politische
Unruhe und auch die Hoffnungen dieser Zeit
finden sich ebenfalls in den Filmen wieder.
Eine Filmreihe des Zeughauskinos und des
Polnischen Instituts.
Mit freundlicher Unterstützung
des Auswärtigen Amtes der RP, dem Adam
Mickiewicz Institut in Warschau und von
Film Polski Agencja Promocji in Warschau
April
EIN
DEUTSCHER FILMSTIL? – LENI RIEFENSTAHL
u.a.
Kulturfilme: Städteporträts
u.a.
Freiburg
im Breisgau, das Tor zum Hochschwarzwald
R: Sepp Allgeier, 1936,
13'
Ein Kultur-Städtefilm über Freiburg.
Wieder einmal bestätigt sich Sepp Allgeier
als begnadeter Kameramann – und Regisseur.
Die in den zwanziger Jahren entwickelte
Bildsprache wird hier (zumindest im ersten
Teil des Films) noch einmal zelebriert,
eingebettet allerdings jetzt in die dominierenden
Topoi der „Stadt im Grünen“
und „Stadt und Tradition“.
Bremen
R: Otto von Bothmer, 1936,
11'
Bremens Sehenswürdigkeiten, seine Gärten,
der Hafen sowie das Linienschiff „Bremen“.
kleiner Film einer großen Stadt...
der Stadt Düsseldorf am Rhein
R: Walter Ruttmann, 1935,
14’
... Es muß nun von Ruttmann gesprochen
werden, einem der filmischen Regisseure
unserer Zeit. Er dichtete mit der Kamera...
(aus Rheinisch-Westfälische Zeitung,
Essen, 16.11.1935)
Stadt Stuttgart. 100. Cannstätter Volksfest
R: Walter Ruttmann, 1935,
ca. 5’
Der Film zeigt Eindrücke vom Cannstätter
Volksfest, insbesondere vom Festumzug, vom
offiziellen Teil und von den anschließenden
Vergnügungen. Gruppen zu Fuß
und zu Pferde führen historische Trachten
und Uniformen vor. Zwischen Blaskapelle
und blumengeschmückten Umzugswagen
beteiligen sich auch SA, SS und Wehrmacht
am Festzug. Zwei Nazi-Größen
in SA-Uniform nehmen mit ausgestrecktem
Arm den Umzug ab.
am
01.04.2005 um 18.15 Uhr
Impressionen
unter Wasser
D 2002, R: Leni Riefenstahl,
45’
Noch mit 72 Jahren machte
Riefentstahl den Tauchschein – dafür
musste sie schwindeln. Sie machte sich bei
der Altersangabe glatt 20 Jahre jünger.
Was die leidenschaftliche Taucherin in rund
25 Jahren mit der Unterwasserkamera eingefangen
hat, bündelt diese Dokumentation.
Entstanden sind die Aufnahmen im Roten Meer,
vor Kuba, den Bahamas, den Malediven, den
Seychellen, Indonesien, Mikronesien, den
Cocos Islands (Pazifik), auf Papua-Neu Guinea
und in der Karibik. Fast 50 Jahre nach ihren
letzten Regiearbeiten kam Impressionen unter
Wasser pünktlich zum 100. Geburtstag
der Künstlerin heraus.
am
01.04.2005 um 20.30 Uhr
Die
Wahrheit
R: Willi Zielke, 1933-1938,
34’
Es geht um die Situation von arbeitslosen
Männern am Ende der Weimarer Republik.
Als Lösung für die Überwindung
ihrer Situation und der Wirtschaftskrise
allgemein wird der Nationalsozialismus propagiert.
Das
Stahltier
R: Willi Zielke, 1935,
74’
Der Dampflokfilm schlechthin. Zielkes Stahltier
ist wohl die dynamischste, expressionistischste
Eisenbahnfahrt der Filmgeschichte. Eingebettet
in eine Rahmenhandlung, in der ein Betriebspraktikant
Eisenbahnarbeitern die Geschichte der Eisenbahn
erzählt, zieht Zielke alle Register
dessen, was er die "entfesselte Kamera"
nannte. Der Film, geplant als offizieller
Jubiläumspropagandafilm zum 100-jährigen
Jubiläum der deutschen Eisenbahnen,
wurde von der auftraggebenden Reichsbahn
nicht abgenommen. Statt eines beschaulichen
Kulturfilms hatte Zielke ein Kunstwerk produziert,
das trotz manchen zeitgeistigen Anflügen
den preußisch konservativen Reichsbahnbeamten
wie ein Stück "entartete"
Kunst vorkam.
am 02.04.2005
um 18.15 Uhr
Olympia
– Fest der Völker (Teil 1)
Olympia – Fest der Schönheit
(Teil 2)
D 1936-38, R: Leni Riefenstahl,
Teil 1: 126’, Teil 2: 100'
Olympia ist der zweite
großangelegte Dokumentarfilm Leni
Riefenstahls im Auftrag des nationalsozialistischen
Regimes. Die Olympischen Spiele 1936 in
Berlin werden als ästhetisches Schauspiel
von mythischer Dimension dargestellt. Ein
Prolog führt ins antike Griechenland,
verfolgt den Weg des olympischen Feuers
bis nach Berlin und leitet über zu
einer Chronologie der Wettkämpfe, die
mit großem Aufwand und ausgefeiltem
technischen Raffinement wiedergegeben werden.
In einer wiederum beispiellosen Gründlichkeit
wurde die Arbeit bereits lange vor Beginn
der Spiele aufgenommen: Im August 1935 erhielt
Leni Riefenstahl den Auftrag zum Olympia-Film,
im Oktober wurde der Vertrag geschlossen,
im November die Olympiade-Film GmbH gegründet.
Bis zum Beginn der Spiele waren in der Vorbereitungsphase
die besten Kamerapositionen festgelegt worden,
hatte es Tests mit verschiedenen Filmmaterialien
gegeben und war ein Team verpflichtet worden,
groß genug, um die zu erwartende Menge
belichteten Filmmaterials zu ordnen.
Die verschiedenen Sportarten wurden, soweit
es die Lichtverhältnisse und die Vorgaben
der Kampfrichter erlaubten, umfassend dokumentiert.
Am Ende waren 400.000 Meter Film belichtet
-- mehr als 200 Stunden. In über einem
Jahr Arbeit wurde der Film auf eine Länge
von gut 4 Stunden gebracht, vertont und
mit synchronisierten Geräuschen unterlegt.
Am 20. April 1938 - dem 49. Geburtstag Hitlers
und in seiner Anwesenheit - wurde der Film
uraufgeführt. Die logistische Leistung,
die hinter den Aufnahmen und der Postproduktion
stand, mußte sich nun dem Urteil stellen,
ob die 1,5 Millionen Reichsmark, die der
Film mindestens gekostet hatte, im Sinne
der nationalsozialistischen Propaganda gut
angelegt waren. Die Premiere und die weiteren
Vorstellungen in Deutschland gerieten zu
enthusiastischen Feiern. Der Erfolg und
die publizierte Zustimmung hätten größer
nicht sein können.
Die Konzentration auf die "reine"
Schönheit von Körpern und Bewegungen,
die "zeitlose" Sinnlichkeit der
Bilder, die künstlerischen Ambitionen
in Fotografie und Montage wurden von der
Regisseurin später als unpolitische
Ausdrucksmittel verteidigt.
am 02.04.2005
um 20.30 Uhr Teil 1
am 03.04.2005 um 18.15 Uhr Teil 2
Michelangelo
– Das Leben eines Titanen
D/ CH 1938-1940, R: Curt
Oertel, 88'
Das Leben und Werk des
Bildhauers, Malers und Baumeisters Michelangelo
wird im Kontext seiner Zeit dargestellt,
wobei vor allem seine wichtigsten Werke
auch in Detailaufnahmen dem Zuschauer vorgestellt
werden. Die Etappen der Biographie Michelangelos
werden in Abhängigkeit zu den wechselnden
Herrschaftsverhältnissen in Florenz
und Rom erzählt, untermalt mit Montagen
aus Grafiken und Gemälden bzw. inszenierten
Zwischenszenen.
Regie führte Curt Oertel, der ab 1946
für den Aufbau vieler Filmorganisationen
(wie der FSK, SPIO) mitverantwortlich zeichnete
und auch bei der Gründung des Deutschen
Filminstituts tatkräftige Unterstützung
gab.
am 03.04.2005
um 20.30 Uhr
FRANZ KAFKA IM
KINO
Kafka
USA 1991, R: Steven Soderbergh,
D: Jeremy Irons, Theresa Russell, Joel Grey,
Ian Holm, Jeroen Krabbé, 98’
OF mit niederl. UT
In den 90er Jahren gab
es in Kino und Fernsehen einige Begegnungen
mit Kafkas Werken. Soderberghs Kafka machte
1991 den Anfang. Er baute eine Collage nach
Motiven der Romane des Dichters Franz Kafka
(1883-1924), der seine Angst vor der Moderne
in schaurige Parabeln von Entfremdung und
anonymen Mächten packte („Der
Prozess“, „Das Schloss“,
„Die Verwandlung“). Diese kafkaeske
Stimmung fing Soderbergh in expressionistischen
Bildern ein. Er zitiert in Kafka Filmklassiker
wie Metropolis oder Das Cabinett des Dr.
Caligari. Virtuos spielt das poetische Drama
mit der Atmosphäre des nächtlich-verwunschenen
Prag. Die schwarzweiß gefilmte Suche
kontrastiert wirkungsvoll mit der farbigen
Vision vom Schloss als dämonischem
Versuchslabor.
Der eigenbrötlerische Versicherungsangestellte
Kafka verarbeitet seine Eindrücke vom
anonymen Büroalltag und der Willkür
seiner Vorgesetzten zu literarischen Horrorgeschichten.
Das plötzliche Verschwinden seines
Kollegen Eduard reißt ihn aus seinem
Alltagstrott. Bei seinen Nachforschungen
begegnet er der verführerischen Anarchistin
Gabriela Rossmann. Sie behauptet, ihr Freund
Eduard sei umgebracht worden, weil er ein
Attentat geplant habe. Seine zunächst
rein detektivische Suche führt Kafka
rasch auf eine gefährliche Spur. Er
muss in das Innere des düsteren Schlosses…
am 07.04.2005
um 18.15 Uhr
Eröffnung der
Filmreihe
Kafka geht ins Kino
A/ D 2002, R: Hanns Zischler,
54’
„>Im Kino gewesen.
Geweint.< Vier Worte, die Gemeingut geworden
sind, wesentlicher Bestandteil des Denkens
und Schreibens über Kino hier zu Lande,
der Reflexionen über Film und Emotion,
von Identitätsstiftung und Selbstvergessen
vor der Leinwand. Franz Kafka hatte die
Worte notiert, Hanns Zischler hat sie uns
ins Gedächtnis gebracht, lakonisch,
aber mit Nachdruck. Viele Jahre hatte er
an seinem Buch >Kafka geht ins Kino<
(1996) gearbeitet, hat die verstreuten Äußerungen
des eifrigen Kinogängers Kafka zu Kinostunden
und -sekunden gesammelt, hat die Filme aufgespürt,
auf die Kafka sich bezog, sofern Kopien
davon überhaupt noch vorhanden sind.
Er hat eine Vorstellung vermittelt davon,
wie Kafkas Schreiben vom Kino beeinflusst
war, ohne dass das Kino ständig als
Bezugspunkt sichtbar sein müsste.
Nun (2002) hat Zischler einen Film gemacht
über seine Arbeit mit Kafka. Kein Film
ist das geworden, der das Buch illustriert,
sondern er öffnet es zu einer neuen
Runde im Spiel der Erinnerungen. Ein Palimpsest
nennt Zischler den Film, ein Werk also,
in dem viele Schichten sich übereinander
lagern, und keine von ihnen ist von der
anderen abzulösen. Der Film ist in
ständigem Fortgang begriffen, ohne
dass sich ein Eindruck von Gehetztsein aufdrängen
würde. Der Autor Kafka löst sich
auf im Geflecht der Städte und Sätze,
man streift mit ihm durch Raum und Zeit.
Am Anfang verschwimmt der durch den Schneidetisch
laufende Filmstreifen und taucht wieder
auf als Mittelstreifen einer Straße,
als Lampenkette am Straßenrand. Es
geht nicht um Kafka bei diesem Flanieren,
nicht als singuläre Gestalt. Es geht
um einen erträumten Kafka, um die unerhörte
Weise, wie er Leben und Träumen verband.“
(Fritz Göttler)
K.aF.ka
fragment
A/ D 2001, R: Christian
Frosch, D: Lars Rudolph, Ursula Ofner, 85’
2001 hatte Christian Frosch
sich daran gemacht, seine Sichtweise auf
den Prager Autor auf die Leinwand zu bringen,
in einem äußerst experimentellen
kleinen Film, der nur zwei Personen zeigt,
die Schauspieler Lars Rudolph (Kafka) und
Ursula Ofner (Felice Bauer, seine Verlobte),
die selbst keinen einzigen Satz zu sagen
haben, alles, die Kommentare, die Zitate
aus Kafkas Werken und Briefen, alles wird
vom Off-Kommentator Dominik Bender mit weicher,
sanfter, leiser Stimme langsam vorgetragen.
Einführung: Hanns Zischler
am 07.04.2005
um 20.30 Uhr
Der Prozess
BRD/ F/ I 1962, R: Orson
Welles, D: Anthony Perkins, Jeanne Moreau,
Romy Schneider, Orson Welles, 118’
DF
Der Prozess verdichtet
die Vorlage Franz Kafkas durch virtuos verfremdete
Schauplätze zu düster-expressionistischen
Bildern. Orson Welles umstellt Josef K.
mit einer gespenstisch verwirrenden Umwelt,
lässt sein Leben von phantastischen
Bedrohungen überwuchern und zeigt die
unaufhaltsame Auflösung eines Menschen.
In Anthony Perkins, der als Norman Bates
in Alfred Hitchcocks Psycho (1960) Kultstatus
erlangte, hat Welles einen Darsteller für
Josef K. gefunden, der die hektische Angst
und Verzweiflung eines von unsichtbaren
Mächten Gehetzten unmittelbar deutlich
macht.
Der unbescholtene Angestellte Josef K. wird
eines Nachts plötzlich in seinem Zimmer
von zwei Polizeibeamten geweckt. Ein Inspektor
erklärt ihm, er sei angeklagt und solle
von nun an auf seinen Prozess warten. Grund
und Inhalt der Anklage werden ihm nicht
genannt. Herr K. ist verstört –
und wartet. Es kommt der Tag der Verhandlung.
Josef K. versucht, sich zu verteidigen,
jedoch vergeblich. Sein Prozess schleppt
sich dahin. Erneut will er den Richter aufsuchen,
aber der ist verschwunden und hinter der
Tür, die zu seinem Büro führte,
befindet sich eine Wohnung. Josef K. sucht
nach Mitteln und Wegen, um sich aus seiner
Lage zu befreien. Als weder ein Rechtsanwalt
noch Bekannte mit vermeintlich einflussreichen
"Beziehungen" einen Ausweg aus
der seltsamen Situation weisen, beschließt
Josef K. verzweifelt, endgültig auf
fremde Hilfe zu verzichten und auf seine
Unschuld zu vertrauen. Doch dann wird er
abgeholt und hingerichtet.
am 08.04.2005
um 18.15 Uhr
WIEDERENTDECKT
Der Augenzeuge
A 65/58
DDR 1958
(Folge vom 12.8.1958)
Ein Mädchen von
16 ½
DDR 1958, R: Carl Balhaus,
D: Nana Schwebs, Erika Dunkelmann, Helga
Göring, Wolfgang Stumpf, Gerhard Bienert,
Manfred Krug, 97‘
Äußerst selten
nahm sich die DEFA des Themas straffällig
gewordener Jugendlicher an, nur zwei Mal
präsentierte sie Innensichten aus der
entsprechenden Umerziehungsanstalt, den
Jugendwerkhof: 1982 in Roland Steiners gleichnamigem
(nicht zugelassenen) Dokumentarfilm und
1958 in Ein Mädchen von 16 ½.
Inmitten einer Welle von DEFA-Gegenwartsfilmen
wagt sich der Schauspieler und Regisseur
Carl Balhaus an den schwierigen Stoff heran.
Die 16jährige Helga, durch den Krieg
elternlos geworden, treibt sich im kriminellen
Westberliner Milieu herum, die DDR-Polizei
greift sie auf und weist sie in einen Jugendwerkhof
ein. Zwar lernt sie nun sinnvolle Arbeit
und menschliche Atmosphäre kennen,
doch bald zieht es sie erneut zu den falschen
Freunden. Erst als Helga der Prostitution
nachgehen soll, kehrt sie freiwillig in
die DDR, in den Werkhof zurück und
scheint endgültig geläutert.
Nach der Premiere sah sich der Film scharfer
Kritik ausgesetzt: der Werkhof sei als idyllisches
Sanatorium dargestellt und überhaupt
vermisse man die „typische“
sozialistische Jugend mit ihren „echten“
Konflikten. Außerdem würden die
Szenen in Westberlin glaubhafter wirken
als die idealisierten Bilder einer „Erziehung
in der Sommerfrische“. (Der Morgen,
17.5.1958)
Die teilweise berechtigten Einwände
mündeten auf der DEFA-Spielfilmkonferenz
Anfang Juli 1958 in Angriffe auf Carl Balhaus.
Der Regisseur gestand öffentlich Fehler
ein, der Film blieb im Spielplan. Das Programm
hingegen erhielt einen neuen Begleittext.
Um dem Vorwurf der Realitätsfälschung
zu begegnen, wurde deutlich herausgestellt,
dass der Film „keineswegs typisch
für unsere Zeit“ sei und nur
„außergewöhnliche Umstände
[...] junges Leben selbst in [solche] Schuld
verstricke.“
Einführung: Ralf Forster
Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit
CineGraph Babelsberg und dem Bundesarchiv-Filmarchiv.
am 08.04.2005
um 20.30 Uhr
FRANZ KAFKA IM KINO
Das Schloss
BRD/ CH 1968, R: Rudolf
Noelte, D: Maximilian Schell, Cordula Trantow,
Helmut Qualtinger, Trudik Daniel, 88’
Das Schloss war ein Herzensprojekt
Maximilian Schells, der sich mit seinen
Erfolgen in Hollywood immer wieder finanzielle
Freiheit für andere Projekte schuf.
Das erste davon, die Verfilmung von Kafkas
Romanfragment, wurde vom Theaterregisseur
Rudolf Noelte inszeniert, der damit seinen
ersten Spielfilm drehte. Schell agierte
nicht nur als Hauptdarsteller, sondern –
mit seiner Alfa-Film – erstmals auch
als Produzent; die Anfangstitel sprechen
gar von einem „Film von Rudolf Noelte
und Maximilian Schell“.
Das Schloss ist die berühmte und beklemmende
Geschichte des Landvermessers K., der in
eine unwirtliche Gegend kommt, um in den
Dienst einer mysteriösen Schlossverwaltung
zu treten. Er findet jedoch weder Eingang
ins Schloss noch in die Dorfgemeinschaft.
Helmut Qualtinger taucht erst gegen Ende
des Films auf, als K. zu einem nächtlichen
„Verhör“ in den Herrenhof
zitiert wird: als Untersekretär Bürgel,
„ein Unterbeamter des Sekretärs“,
liegt er im Bett in einem Zimmer, in das
K. irrtümlich eingetreten ist. Qualtinger
spielt den vermeintlich freundlichen Beamten
unnachahmlich – nämlich so, dass
man das Gefühl hat, dieser sei weniger
freundlich als eher nicht mehr ganz bei
Trost, durch Jahre der Tätigkeit für
das mysteriöse Schloss. In seinem langen
Monolog – teilweise im Off –
scheint er K. trösten zu wollen, während
er doch andererseits die „Lückenlosigkeit
der amtlichen Organisation“ preist
und schließlich feststellt: „Es
gibt Dinge, die an nichts anderem scheitern
als an sich selbst.“ Das ist genau
das, was der entkräftete und desillusionierte
K. spätestens jetzt erkennen muss.
(Andreas Ungerböck)
am 09.04.2005
um 18.15 Uhr
Klassenverhältnisse
BRD/ F 1983, R: Daniele
Huillet, Jean-Marie Straub, D: Christian
Heinisch, Nazzareno Bianconi, Mario Adorf,
Harun Farocki, 127’
Mit Klassenverhältnisse
stellen die Straubs alle bis dahin bekannten
Kafka-Filme radikal auf den Kopf. Oder auf
die Füße. In einer Art Niemandsland
und Nicht-Zeit ereignen sich die Dinge für
den Karl Roßmann, und doch ist alles
zugleich höchst konkret. Sie hätten
versucht, sagt Straub, wie Chaplin zu gehen,
mit einem Fuß in der Fiktion, mit
dem anderen im Dokumentarischen. Und damit
macht man die wunderschönsten Sprünge,
zu sehen in Klassenverhältnisse.
„Karl Roßmann ist ein von seiner
Familie Verstoßener, ein Ausgesetzter,
dazu noch ein halbes Kind. Was ihn in Kafkas
Augen aber nicht nur zu dem armen Opfer
macht, dem Stück für Stück,
je weiter es in die neue Welt eindringt,
sein armseliges Erbe abhanden kommt. Er
ist auch der Freigelassene, dessen Fehltritte
und -entscheidungen ihn positiv lösen
von der Vergangenheit. Es ehrt ihn, wie
er, mehr für andere als für sich
selbst, auf das Recht, auf das ein jeder
Anspruch hat, pocht.
Aber die Ungereimtheit der Verhaltensweisen
und Ereignisse wie es sich aus seiner Perspektive
und der des Lesers/Zuschauers darstellt
zeigt, wie diese Gerechtigkeit mit einer
gewissen Logik verquickt ist, dass er in
einer Art logischer Verstocktheit an der
Sprache hängt und Sprüche macht
und Urteile fällt. Was mehr mit Sprache
zu tun hat als mit ihm selbst. Und so stellt
sich der Eindruck her, dass außerhalb
der Sprache mit ihren Gesetzlichkeiten noch
anderes Leben in völlig anderen Zusammenhängen
funktioniert. Getrennte Welten. ...“
(Frieda Grafe)
am 09.04.2005
um 20.30 Uhr
am 10.04.2005 um 18.15 Uhr
Das Schloss
A/ D 1997, R: Michael
Haneke, D: Susanne Lothar, Ulrich Mühe,
Frank Giering,
Dörte Lyssewski, Inga Busch, 124’
Michael Haneke inszenierte
die surreale Welt des Romans "Das Schloss"
von Franz Kafka in einer kargen, kulissenhaft
wirkenden Winterlandschaft.
"Die Kälte wird mir tatsächlich
immer mehr zum Thema, das Verstummen der
Menschen, die Kommunikationsunfähigkeit,
die eigentlich von Anfang an ein Thema bei
mir war, wird zu einer immer stärkeren
Erfahrung." (Michael Haneke in einem
Interview mit Stefan Grissemann und Michael
Omasta)
„Hanekes Schloss evoziert die Absurdität
eines Lebens, das in einer grausamen Weise
einem Gefängnisdasein gleicht, ohne
dass Mauern und Ketten erkennbar sind. Die
Adaption ist auch deshalb eine gelungene
Literaturverfilmung, weil sie Kafkas Prosa
als einen unverzichtbaren Bestandteil des
Films etabliert. Und wie in früheren
Filmen entwickelt Haneke auch im Schloss
eine Dynamik des Erzählens, die immer
tiefer in die Nachtseiten des menschlichen
Lebens führt.“ (Filmladen Wien)
am 10.04.2005
um 20.30 Uhr
ALS DER KRIEG
ZU ENDE WAR
Berlin
UdSSR 1945, R: Juli Raisman,
65’ OmU
Der Film zeigt erschütternde
Bilder vom Krieg der Roten Armee gegen die
deutsche Wehrmacht um die Reichshauptstadt,
von 38 Kameraleuten fotografiert, von Raisman
montiert.
Der Film „lebt von der Ausführlichkeit,
mit der er uns Anteil nehmen lässt
an jeder einzelnen Phase der Offensive,
wobei es Raisman immer wieder gelingt, das
dokumentarische Material in beeindruckenden
Montagesequenzen zu arrangieren. Gerade
die von ihm angesprochenen Schlachtvorbereitungen
sind zusammengefügt zu einem Bild der
Ruhe vor dem Sturm: LKWs und Geschütze
werden in ihre Positionen eingewiesen, warten,
unter Baumzweigen verborgen, auf ihren Einsatz,
Soldaten putzen Kanonen, provisorische Brücken
über die Oder werden geschlagen, der
Generalstab steht vor einem großen
Modell und bespricht den geplanten Schlachtverlauf.
Dann bricht der Kampf los: Mit einem Schlag
wird der Nachthimmel von tausenden aufblitzender
Geschosse hell erleuchtet. In schnellem
Rhythmus montiert, wirkt diese faszinierende
Sequenz fast wie aus einem Avantgardefilm.“
(Christiane Habich)
am 14.04.2005
und 16.04.2005 jeweils um 18.15 Uhr
am 17.04.2005 um 21.15 Uhr
The Big
Red One
USA 1980, R: Samuel Fuller,
D: Lee Marvin, Mark Hammill, Robert Carradine,
Bobby Di Cicco, 163’ OF
„Die Einheit, die
alle großen Schlachtfelder des 20.
Jahrhunderts tränkte, war die Erste
US-Infanteriedivision, genannt "The
Big Red One" nach ihren roten Schulterstücken.
Sie feuerte 1917 die erste amerikanische
Granate auf deutsche Stellungen im Ersten
Weltkrieg (Divisionsverluste: 22 320 Tote).
Sie führte 1942 die erste alliierte
Landung gegen Rommel in Algerien, sie stürmte
1943 die Strände von Sizilien, sie
war 1944 die Speerspitze am Omaha Beach
und eroberte mit Aachen die erste deutsche
Stadt (Gesamtverluste: 21 023 Mann). Sie
wurde 1963 als erste Division nach Vietnam
geschickt (Verluste: über 2000). Sie
brach 1991 im Golfkrieg als erste durch
die irakischen Linien (Verluste: 18).“
(Hanns-Georg Rodek)
„Der Film ist etwas sehr Rares: ein
extrem autobiografischer Film von dennoch
großer Allgemeingültigkeit. Der
zeitliche Abstand zu den historischen Geschehnissen…
relativiert sein emotionales, nicht aber
sein moralisches Engagement. Der Zugriff
auf das Thema Krieg ist weniger packend,
nur der früher oft exzessive Drang
zur Überredung, ihm seine >message<
abzukaufen, hat sich gemildert. 1980 musste
niemand mehr überzeugt werden, dass
es richtig und notwendig war, dass die USA
in den Zweiten Weltkrieg eintraten. Fuller
beobachtet, sammelt Impressionen von prägnanten
Randereignissen der entscheidenden Schlachten
in diesem Krieg (Nord-Afrika, Sizilien,
Normandie, Ardennen, Deutschland), ihn so
souveräner bewältigend als alle
auf Authentizität und Ausgewogenheit
bedachten Vertreter des Genres.“ (Ulrich
von Berg)
am 14.04.2005
um 20.30 Uhr
am 15.04.2005 um 21.15 Uhr
am 17.04.2005 um 18.15 Uhr
Padenie Berlina
Der Fall von Berlin
UdSSR 1949, R: Michail
Ciaureli, D: Michail Gelowani, F. Blasewitsch,
W. Ljubimow,
Boris Andrejew, 165' OmU
Ein quasi offizieller Dokumentarfilm
mit effektvollen Spielfilmszenen, der den
"Fall von Berlin" und damit den
Sieg der Sowjetunion über die deutschen
Truppen zeigt. Das beeindruckende Material
der dokumentarischen Partien stammt von
militärischen Kameraleuten.
Der Film entstand im Gründungsjahr
der beiden deutschen Staaten während
des bereits entflammten Kalten Krieges,
der Berliner Blockade und der stalinistischen
Ausrichtung Ostmitteleuropas nach 1948.
Vor diesem Hintergrund ist die Darstellung
des Verhältnisses der Sowjetunion zu
den Westalliierten und das Bild der Deutschen
im Nazistaat zu sehen. Roosevelt und Churchill
erscheinen als Papiertiger in der Kriegsführung
und als Unsicherheitsfaktoren in der Diplomatie.
Mehrmals wird angedeutet, dass sie fast
eher mit Hitler sympathisieren, als mit
Stalin. Der Generalissimus erkennt die Problematik
und stellt fest, dass die Sowjetunion beim
Vormarsch auf Berlin nur auf ihre eigene
Kraft vertrauen kann...
"Der Fall von Berlin ist wunderbar
durch seine wahre Darstellung der gegenseitigen
Beziehungen von Führer und Volk. Im
Film wird inspiriert, poetisch, leidenschaftlich
von der großen Liebe der Völker
zu Stalin erzählt, von der Liebe des
großen Stalin zu den Völkern.
Das gigantische Bild Stalins gibt dem ganzen
Film Farbe. Stalin nimmt sogar dann unsichtbar
an den Angelegenheiten der sowjetischen
Menschen teil, wenn er gar nicht auf der
Leinwand ist." (A. Štejn, 21.1.1950)
am 15.04.2005
um 18.15 Uhr
am 16.04.2005 um 20.30 Uhr
Unter den Brücken
D 1945, R: Helmut Käutner,
D: Hannelore Schroth, Carl Raddatz, Gustav
Knuth,
Hildegard Knef, 99’
Eine Dreiecksgeschichte
unter Schiffern, “die sich so hartnäckig
in die Idylle einigelt, als sei sie aus
der Zeit genommen“ (Hans Helmut Prinzler).
Die Liebe zu Details, das besondere Gespür
für Rhythmus, für Verknappung
in der Handlungslinie wie für Dehnung
in den Momenten nach den Höhepunkten
schaffen eine lyrische, melancholisch-friedliche
Atmosphäre.
„Es ist eine einfache und klare Welt,
die Käutner in seinem Film beschreibt,
und sie erscheint ganz im Wechsel der Stimmungen
der Liebenden, wie ein Lichtreflex, der
sich im Wasser bricht. Frei und ungebunden
sind die Schiffer, die auf diesen Kähnen
arbeiten, und ihre Wunschträume beschäftigen
sich mit beruflicher Unabhängigkeit
(ein Diesel im Kahn!) und privater Bindung
(eine Frau an Bord). Sie sehnen sich auf
die Brücken und wollen doch nicht auf
ihr selbst bestimmtes Leben auf dem Fluss
darunter verzichten. Das leichte Rollen
der Wellen und das Knarren der Schiffstaue
nachts – das ist ihre Welt und ihr
Glück.“ (Jan Schütte)
am 21.04.2005
um 18.15 Uhr
am 23.04.2005 um 20.30 Uhr
Der letzte Akt
A 1955, R: Georg Wilhelm
Pabst, D: Albin Skoda, Oskar Werner, Willy
Krause,
Ernst Waldbrunn, 115’
Am Anfang sieht man, schwarzweiß,
ein Dokument: alliierte Bomber über
Deutschland. Dann blickt der Film nach unten,
auf Berlin, und mit dem Einschlag der Bomben
vor der Reichskanzlei beginnt die Geschichte.
Ebenfalls schwarzweiß.
“Hauptmann Wüst (Oskar Werner)
kommt als Abgesandter der untergehenden
9. Armee zum Führerbunker; er soll
mit Hitler sprechen, persönlich, und
Hilfe herbeischaffen. Am Eingang in die
Tiefe muss er seine Dienstpistole abgeben.
>Noch immer zwanzigster Juli?< fragt
Wüst, und der Klang seiner Stimme verrät,
was ihn bewegt: Trauer, verletzter Stolz,
Bitterkeit, mit ätzendem Zynismus gemischt.
Wüst ist der weiße Ritter dieses
Films. Der schwarze Ritter ist Hitler. Drinnen,
im Lagezimmer, geht es um die Rückführung
der Kurland-Armee. >Berlin bleibt deutsch,
Wien wird wieder deutsch.< Die Generäle
bewegen sich wie Puppen in ihren steifen
Uniformen. Das Licht ist spärlich,
die Dunkelheit frisst an den Gesichtern.
Es sind die Schatten aus Caligari und Pabsts
eigener Freudloser Gasse, die sich hier
ausbreiten, es ist die direkte ästhetische
Fortsetzung einer Filmtradition, die Siegfried
Kracauer in seiner berühmten Studie
als Vorzeichen der Diktatur gelesen hat:
>Von Caligari zu Hitler<.“ (Andreas
Kilb)
am 21.04.2005
um 20.30 Uhr
am 22.04.2005 um 18.15 Uhr
Asche
und Diamant
Popiol i diament
Polen 1958, R: Andrzej
Wajda, D: Zbigniew Cybulski, Ewa Krzyzewska,
Waclaw Zastrzezynski, Adam Pawlikowski,
108’ DF
Ein ehemaliger Widerstandskämpfer
gegen die Nazis erhält am Morgen des
8. Mai 1945 von nationalsozialistischen
Offizieren den Auftrag, den neuen, kommunistischen
Bezirkssekretär zu töten, um die
Lage der polnischen KP in der Provinz zu
schwächen. Das Attentat misslingt zunächst,
doch der Täter, ein nervöser,
in sich zerrissener Krieger für die
„polnische Sache“, gibt nicht
auf. Eine ganze Nacht wägt er ab, trifft
eine Frau, spricht von seinen Zweifeln („Ich
will nicht mehr morden, ich will leben!“).
Er erledigt seinen Auftrag und wird danach
von einer Patrouille gestellt.
Das Ende des Großen Krieges: in Polen
war es der Beginn eines Bruderkrieges.
In seinem dritten Film stellt Regisseur
Andrzej Wajda, der selbst seit seinem 16.
Lebensjahr in der Widerstandbewegung kämpfte,
die Tragik seines Heimatlandes zynisch-bitter
in Bildern von starker Ausdruckskraft dar.
Das Schicksal der Menschen ist nach den
Schrecken des Krieges geprägt von Aussichtslosigkeit
und Resignation.
am 22.04.2005
und
24.04.2005 jeweils um 20.30 Uhr
Rom, offene Stadt
Roma, città aperta
I 1945, R: Roberto Rossellini, D: Anna Magnani,
Aldo Fabrizi, Marcello Pagliero,
Maria Michi, 100' DF
Rossellinis neorealistisches
Meisterwerk berichtet vom Kampf und vom
Untergang einer Widerstandsgruppe zur Zeit
der deutschen Besetzung Roms im Jahr 1944.
Das erschütternde Drama über die
Auswirkungen des Krieges auf menschliche
Werte und Beziehungen wurde noch während
der deutschen Besatzung Roms heimlich geplant
und unmittelbar nach der Befreiung durch
die Alliierten gedreht. Ursprünglich
sollte es nur ein kurzer Dokumentarfilm
über die Ermordung eines Priesters
durch die Deutschen werden. Während
der Dreharbeiten entwickelte sich jedoch
eine damit verknüpfte Geschichte immer
mehr zum zentralen Element: die Geschichte
des von der Gestapo gejagten Widerstandsführers
Manfredi, der von einer Freundin, die ihm
Unterschlupf gewährt, aus Angst verraten
wird. So ergab sich aus der Improvisation
eine faszinierende Kreuzung aus Dokumentarischem
und Fiktionalem, deren aufrüttelnder
Appell zur Anteilnahme nichts von seiner
Wirkung verloren hat.
"Anders als in seinen späteren
Filmen hat Rossellini in Roma, città
aperta die ideologischen Fronten derb gezeichnet.
Zu diesem Zeitpunkt konnte er sich der Zustimmung
aller Italiener sicher sein." (Thomas
Meder)
am 23.04.2005
und
24.04.2005 jeweils um 18.15 Uhr
„BROT, FRIEDEN,
FREIHEIT“ –
FRANKREICH IM FILM DER FRONT POPULAIRE
Mit freundlicher Unterstützung
des Bureau du Cinéma der Französischen
Botschaft in Berlin und dem Bundesarchiv/Filmarchiv.
Le
14 juillet
Paris tanzt
F 1932, R: René
Clair, D: Pola Illery, Annabella, Raymond
Cordy, 98’ OF
Der 14. Juli ist in Frankreich
der wichtigste Nationalfeiertag und war
zu Zeiten der Front Populaire ein wirkliches
Volksfest, mit dem sich die Anhänger
des linken Parteienbündnisses –
wenn man den Dokumentarfilmen Glauben schenken
darf, fast ganz Paris – selber feierten.
Von dieser positiven Grundstimmung ist schon
Clairs Film erfüllt, in dem die Bewohner
der Stadt fast wie in einer Collage, die
nur durch eine kleine Liebesgeschichte zwischen
einem Blumenmädchen und einem Chauffeur
zusammengehalten wird, beobachtet werden.
Wie ein Flaneur begibt sich Clair unter
die Menschenmenge und sammelt Szenen ein,
die das Leben unter den Dächern von
Paris voller Einfallsreichtum wiedergeben.
Im Gegensatz zu der Schwermut der Filme
von Marcel Carné und auch bedingt
von Jean Renoir, haben Clairs Werke einen
Hauch von Unbeschwertheit, der für
die Stimmung unter der Volksfront-Regierung
durchaus authentisch zu sein scheint.
Zu dem Film schrieb Siegfried Kracauer:
„Als musischer Müßiggänger
verweilt Clair in Concierge-Logen und bei
spielenden Kindern, folgt der sonderbaren
Erscheinung einer Bürgerfamilie lang
mit den Blicken nach, entzückt sich
am Gewühl der Tanzenden und schlürft
genießerisch das Bild einer Kneipe.
Die Beziehungen zwischen den Zimmerinterieurs,
Fassadenschildern und Straßenperspektiven
werden in bezaubernden Improvisationen ausgekostet.
Clair beweist wieder einmal, über welches
außerordentliche filmische Talent
er verfügt.“
am 28.04
um 18.15 Uh
am 01.05.2005 um 20.30 Uhr
Eröffnung der
Filmreihe
Grèves
d´occupation
Besetzungsstreik
F 1936, Regie: PR La Marseillaise,
14’ OF
In diesem Kurzfilm haben
die Filmemacher der an die Kommunistische
Partei gebundenen Ciné Liberté,
die fröhliche, zuversichtliche Stimmung
der Besetzungsstreiks in Paris 1936 dokumentiert.
Georges Sadoul sagte zu diesem Ereignis
in der Zeitung REGARDS: „In Hunderten
von Fabriken in Paris und der Umgebung tobt
das Spektakel. Die Arbeiter von der Carroussel
Brücke verkleiden sich als burleske
Mannequins und feiern Karneval. Filme werden
gezeigt. Hunderte von Sängern und Schauspielern
haben auf die Bitte der Streikenden reagiert.
Innerhalb von drei Tagen haben in Paris
vierhundert Unternehmen einen Besuch von
fünfhundert Künstlern erhalten.
Die Kunst ist den größtmöglichen,
intimsten Kontakt mit der französischen
Bevölkerung eingegangen.“
Die Rechte zu diesem Film wurden uns durch
die Ciné-Archives zur Verfügung
gestellt.
Le
défilé des 500.000 manifestants
Der Zug der 500.000 Demonstranten
von der Bastille bis zum
Tor von Vincennes am 14. Juli 1935
F 1935, R: PR Service
cinématographique S.F.I.O./Association
des écrivains et artistes révolutionnaires,
20’ OF
Am 14. Juli 1935 trafen
sich die Sozialistische und die Kommunistische
Partei an der Bastille. Hier fand die eigentliche
Gründung und Bekräftigung des
Bündnisses der Front Populaire statt.
Nicht nur Menschenmassen, auch die mächtigsten
Vertreter der beiden Parteien sind präsent
und reden. Auf den Plakaten stehen Sätze
wie: „Wir begehen heute den feierlichen
Schwur, vereint zu bleiben, um die aufrührerischen
Ligen aufzulösen und zu entwaffnen.
Um die demokratische Freiheit zu verteidigen
und fortzuentwickeln und den Frieden der
Menschen zu gewährleisten.“
Die Rechte zu diesem Film wurden uns durch
die Ciné-Archives zur Verfügung
gestellt.
À
nous la liberté
Es lebe die Freiheit
F 1931, R: René
Clair, D: Rolla France, Germaine Aussey,
Raymond Cordy, 82’ OmU
Oft wird Charlie Chaplins
Film Modern Times von 1936 als die große
Satire auf moderne, entfremdende Arbeitsbedingungen
im industriellen Zeitalter, ja sogar auf
den Kapitalismus, zitiert. Dabei war es
René Clair, der bereits im Jahre
1931 mit seinem Film À nous la liberté
das Thema von modernen Arbeitsformen in
der Industrie aufgriff. Er kam jedoch erst
27 Jahre später in die deutschen Kinos.
Clair hat eine Komödie geschaffen,
die humoristische Leichtigkeit mit beißender
Ironie und genauer Beobachtungsgabe verbindet
und von dem sich Chaplin höchst wahrscheinlich
inspirieren ließ. Die Protagonisten
in À nous la liberté haben
hingegen Ähnlichkeit mit Chaplins alter
ego – dem melancholischen Landstreicher,
der übrigens seit Jean Renoirs Film
Boudu sauvé des eaux von 1932 auch
in französischen Filmen zu einer Lieblingsfigur
der Regisseure und des Publikums avancierte.
Der arbeitslose Landstreicher – ein
Stellvertreter für die Opfer der desolaten
Zustände nach dem Ersten Weltkrieg,
ein Don Quichotte der Wirtschaftskrisen?
Bei Clair macht der Landstreicher Emil keineswegs
einen bedauernswerten Eindruck, ganz im
Gegenteil: Er ist der Glückliche, der
sich den Zwängen eines modernen Arbeiterlebens
entzieht. Erst befreit er sich aus dem Gefängnis
und dann aus dem einengenden Alltag in einer
Fabrik, der ihn zu sehr an seine Tage hinter
Gittern erinnert. Dem Inhaber dieser Fabrik,
seinem ehemaligen Knastbruder Louis, ist
es nämlich gelungen, eine Grammophonfabrik
aufzubauen, deren Erfolg auf einem geheimen
Rezept gründet: Die rigiden Arbeitsmethoden
des Gefängnisses hat er einfach für
seine Fabrik adaptiert. Emil, der dort zunächst
anheuert, kommt damit nicht zurecht und
zieht es vor, sein Leben auf der Straße
fortzusetzen. Übrigens ändert
sich auch Louis Schicksal abrupt und überraschend.
Einführung:
Michel Dreyfus, Sorbonne/Paris
Eröffnungsveranstaltung
am 28.04.2005 um 20.30 Uhr
am 30.04.2005 jeweils um 20.30 Uhr
Magazine populaire
No. 1
F 1937, R: PR Les Films
Populaires/ La Marseillaise, 33’ OF
Vom Geburtstag des Schriftstellers
Romain Rolland, über bezahlte Ferien
bis zur Tour de France. In diesem Nachrichtenfilm
werden alle wichtigen Ereignisse festgehalten,
die in der Öffentlichkeit Frankreichs
zu Beginn des Volksfrontbündnisses
von Bedeutung waren. Gleichzeitig schimmert
auch hier die gute Laune und Zuversicht
der Bevölkerung durch.
Die Rechte zu diesem Film wurden uns durch
die Ciné-Archives zur Verfügung
gestellt.
La
vie est à nous
Das Leben gehört
uns
F 1936, R: Jean Renoir
und Kollektiv, D: Julien Bertheau, Marcel
Duhamel, Jean Dasté,
Léon Larive, 62’ OmU
Voller Begeisterung und
Hoffnung auf eine Regierung unter der Front
Populaire drehte Jean Renoir La vie est
à nous zwischen März und April
1936. Es handelt sich um ein historisches
Dokument, in dem nicht nur die Themen und
Konflikte der Zeit in teils dokumentarischen,
teils fiktionalen Szenen aufgegriffen werden.
Auch die Entstehungsgeschichte verweist
auf kommunistische Ideale, denn der Film
wurde kollektiv bezahlt und hergestellt,
so wie es bereits die Groupe d´Octobre,
die hauptsächlich politisches Theater
betrieb und zu der Künstler und Intellektuelle
wie Jacques Prévert und Jean Renoir
zählten, vorgemacht hatte. Auch die
Kommunistische Partei, für die der
Film als Teil der Werbekampagne gedacht
war, brachte eine stattliche Summe auf.
Seinen politischen Dogmatismus merkt man
dem Film durchaus an. Obwohl er unter der
Volksfront Regierung zunächst in die
Kinos kam, wurde er nachträglich verboten.
Verschiedene Kritiker, unter ihnen André
Bazin, haben angemerkt, dass in La vie est
à nous zwar hervorragende schauspielerische
Leistungen gezeigt werden, das Drehbuch
jedoch zu demonstrativ politisch sei: Eine
zentrale Funktion nimmt Marcel Cachin, der
Leiter der kommunistischen Zeitung „L´Humanité“
ein, der in seinem Büro gefilmt wurde
und drei Leserbriefe in der Hand hält,
deren Schilderungen nacherzählt werden.
In der ersten Episode geht es um einen alten
Arbeiter in einer Fabrik, der von Entlassung
bedroht ist, in der zweiten um einen Konflikt
zwischen kommunistischen Genossen und einem
Bauern und in der dritten um ein hungerleidendes
Studentenpärchen. Den Geschichten der
drei Episoden ist zu entnehmen, dass der
Film einen Wahrheitsanspruch hat, wobei
er die Ängste und Hoffnungen der Bevölkerung
einzufangen versucht. Schon aufgrund dieses
Bemühens wird La vie est à nous
zu einem der authentischsten Dokumente des
Geistes und Kunst zur Zeit der Front Populaire.
Die Rechte dieses Films wurden uns durch
die Ciné-Archives zur Verfügung
gestellt.
am 29.04.2005
und
01.05.2005 jeweils um 18.15 Uhr
Le dernier milliardaire
Der letzte Milliardär
F 1934, R: René
Clair, D: Max Dearly, René Saint
Cyr, Jose Noguero, 90’ OF
Dem sonst so reichen und
im Überfluss schwelgenden Royaume du
Casinario ist das Geld ausgegangen. Nicht
mal für den Bettler bleibt ein Almosen
übrig, denn jeder wiederholt wahrheitsgemäß:
„Ich habe kein Geld!“. Von der
Arbeitslosigkeit ganz zu schweigen. In Paris
fragen sich die Journalisten internationaler
Tageszeitungen, welche politischen Maßnahmen
die Königin wohl ergreifen wird. Hartz
IV? Ich AG? Nein, die Königin hat eine
bessere Idee: Monsieur Banco, der reichste
Mann der Welt und ausgewiesener Milliardär,
soll die Prinzessin heiraten und mit seinem
Vermögen das kleine Königreich
retten, dessen Bruttosozialprodukt sich
bisher aus den Einnahmen eines Casinos erwirtschaftete.
Zwar lässt sich der ältere Monsieur
Banco für eine Heirat mit der jungen
Königstochter durchaus erwärmen,
obwohl er sich damit verpflichtet, einen
Großteil seines Besitzes auf das staatliche
Konto des Royaume du Casinario zu überweisen.
Doch verbindet er mit diesem Deal eigene
politische Interessen. Eine von der Königin
angefertigte Ehrenstatue für den zukünftigen
Schwiegersohn, die wohl nicht zufällig
an Stalindenkmäler erinnert, deutet
auf das Anliegen des reichen Monsieur hin:
Er möchte gerne der mächtigste
Mann im Royaume du Casinario werden.
Wie in À nous la liberté zeichnet
sich René Clair hier als Meister
der Komödie und als Chronist seiner
Zeit aus. Grundmuster der wirtschaftlichen,
politischen und gesellschaftlichen Konflikte
der 1920er und 1930er Jahre greift er auf
und verpackt sie in schmerzfreiem Witz.
Eine Satire über Totalitarismus ohne
dogmatische Hintergedanken, voller Leichtigkeit
und Einfallsreichtum geschaffen zu haben
– darin liegt der Verdienst und die
große Kunst René Clairs, dessen
Film beinahe nicht hätte gedreht werden
können. Nach der Machtergreifung Hitlers
war die Umsetzung der Satire für die
auch in Deutschland aktive Tobis ungünstig
geworden, und es musste ein neuer Produzent
gefunden werden.
Mit freundlicher Unterstützung
des Bundesarchiv-Filmarchiv.
am
29.04.2005 um 20.30 Uhr
am 30.04.2005 jeweils um 18.15 Uhr
MAI
„BROT,
FRIEDEN, FREIHEIT“ – FRANKREICH
IM FILM DER FRONT POPULAIRE
Mit freundlicher Unterstützung
des Bureau du Cinéma der Französischen
Botschaft in Berlin und dem Bundesarchiv-Filmarchiv.
La
vie est à nous
Credits und Text siehe
29. April
am 01.05.2005 um 19.15 Uhr
Le
14 juillet
Credits und Text siehe
28. April
am 01.05.2005 um 20.30 Uhr
„BROT,
FRIEDEN, FREIHEIT“ –
FRANKREICH IM FILM DER FRONT POPULAIRE
Les
bas fonds
Nachtasyl
F 1936, R: Jean Renoir, D: Jean Gabin, Louis
Jouvet, Suzy Prim, Jany Holt, 89’
OmeU
Moskau und Paris sind zwar
einige Kilometer voneinander entfernt, doch
gibt es offensichtlich Parallelen bei den
sozialen Problemen. Der plötzliche
Aufstieg Mittelloser und der abrupte Abstieg
wohlhabender Adliger brachten Renoir auf
die Idee, das von Gorki eigentlich titulierte
Theaterstück „Nachtasyl“
nach Paris zu verlegen. Weniger als die
psychischen Anlagen des Menschen und dessen
Einsamkeit stehen bei Renoir die materiellen
Probleme der Bewohner eines Nachtasyls im
Zentrum des Interesses. Unter anderem geht
es ihm um die Frage, inwiefern arme Menschen
ihr Leben noch unabhängig von materiellen
Notwendigkeiten gestalten und genießen
können. Welche Auswege finden sie,
um sich aus ihren Lebensbedingungen zu befreien?
Die Verhältnisse, sie sind nicht so,
wie es sich die Protagonisten wünschen.
Was tun sie, um etwas zu verändern?
Dass sich das Leben schnell verändern
kann, erlebt der von Louis Jouvet gespielte
Protagonist des Films. Es handelt sich um
einen Baron, den das Spiel und die Frauen
ruiniert haben. Eines Nachts überrascht
ihn in seiner Wohnung Pepel, ein berufsmäßiger
Dieb (Jean Gabin), der ihm auf Anhieb sympathisch
ist. Sie spielen die ganze Nacht hindurch
Karten, und als am anderen Morgen die Gerichtsboten
den Baron abholen wollen, beschließt
er, sich dort niederzulassen, wo Pepel lebt:
in einer Art Obdachlosenasyl direkt am Wasser
– diesmal nicht an der Wolga, sondern
an der Seine.
am 05.05.2005
um 18.15 Uhr
La bête humaine
Bestie Mensch
F 1938, R: Jean Renoir, D: Jean Gabin, Julien
Carette, Fernand Ledoux, Jean Renoir, Gérard
Landry, 100’ OmeU
In seiner Filmkritik zu
La bête humaine schrieb der französische
Historiker Georges Sadoul am 5. Januar 1939
begeistert in der Zeitung REGARDS: „Das
Kino hat noch kein universelles Genie hervorgebracht
wie die Literatur. Aber vielleicht hat es
jetzt seinen Zola: Jean Renoir.“ Die
Assoziation zu Zola kam Sadoul hier nicht
zufällig, denn dieser Film Renoirs
basiert auf einem Roman des berühmten
Schriftstellers. Eigentlich geht es um die
Gefahr des Alkoholismus im Arbeitermilieu.
Doch hat Renoir aus diesem Stoff die psychologischen
Probleme des Alkoholikers zugunsten einer
Betonung von Lebensumständen und Arbeitsbedingungen
verringert. Nicht der Alkohol steht also
in direktem Bezug zu dem Beziehungskonflikt,
sondern die auswegslose Armut des Chefs
einer Eisenbahnstation. Robeaux wünscht
sich nichts sehnlicher als eine glückliche
Ehe mit seiner von ihm geliebten Frau. Doch
kann er ihr finanziell nichts bieten. Das
Paar lebt in einer kleinen Wohnung direkt
am Bahngleis, nur der Kanarienvogel auf
dem Balkon versprüht mit seinem vergnügten
Piepsen ein wenig Fröhlichkeit in der
Tristesse. Séverine, die Frau Robeaux’,
ist nebenbei noch die Liebhaberin eines
sehr reichen Adligen, der ihr einige materielle
Wünsche ermöglicht. Als Robeaux
davon erfährt, plant er den Mord an
dem reichen Nebenbuhler. Trotz der exponierten
Rolle Robeaux’ ist doch eigentlich
der von Jean Gabin verkörperte Lantier
die Hauptperson, der als Maschinist in Lokomotiven
arbeitet und in die Welt der Eisenbahn einführt.
Nicht nur die dokumentarisch anmutenden
Fahrten auf der Lokomotive, auch den Arbeiteralltag
in den Bahnhallen hat Renoir realistisch
und gleichzeitig in poetischen Bildern eingefangen,
um eine kausale Verbindung zwischen den
schweren Arbeitsbedingungen, dem fehlenden
Geld und der Entwicklung der „Bestie
Mensch“ herauszustellen. Dazu bemerkte
Sadoul, dass der Film Renoirs in manchem
die Literaturvorlage Zolas überflügelte
und André Bazin, Filmkritiker und
Wegbereiter der Nouvelle Vague, meinte:
„Renoir interessiert sich bei aller
Verschiedenheit seiner sozialen Figuren
immer nur für dieselbe moralische Wahrheit,
weil der gesellschaftliche Realismus für
ihn nur ein Weg ist, die Grundgestalt des
Menschen und seiner Probleme aufzuspüren
und zu befragen. Renoir ist ein Moralist.“
am 05.05.2005
um 20.30 Uhr
am 06.05.2005 um 18.15 Uhr
WIEDERENTDECKT
Der
Tunnel
D/F 1933, R: Kurt Bernhardt,
D: Paul Hartmann, Olly von Flint, Gustaf
Gründgens, Attila Hörbiger, Otto
Wernicke, Max Schreck, 80’
In seinem Erfolgsroman
aus dem Jahre 1913 hatte Bernhard Kellermann
unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs
eine utopische Vision moderner Völkerverständigung
entworfen: Betreibt seine Hauptfigur, der
Ingenieur Mac Allen, doch das gigantische
Projekt, den amerikanischen und europäischen
Kontinent durch einen subatlantischen Tunnel
miteinander zu verbinden. Stollenunglücke
mit Tausenden von Toten, regelmäßige
Streikandrohungen und Sabotageakte aufgewiegelter
Arbeiter werfen den Bau immer wieder zurück,
hinterhältige Finanzspekulationen und
eine sich zunehmend gegen das Vorhaben wendende
Medienberichterstattung unterminieren seine
Fertigstellung bis zuletzt. Am Ende –
vierundzwanzig Jahre sind vergangen –
werden durch die Kraftanstrengung von Mensch
und Maschine die Stollen zueinander geführt,
reichen sich der unbeirrbar an seinem Ziel
festhaltende Mac Allen und sein deutscher
Kollege unterhalb des Meeresgrundes die
Hand. Kurt Bernhardts als französisch-deutsche
Koproduktion aufwändig hergestellte
Tonfilm-Verfilmung setzt die Stoffvorgabe
von Kellermanns fantastisch-utopischer Gesellschaftsparabel
in grandiose Bilder und beeindruckende Toneffekte
um. Bis heute gilt die mit Paul Hartmann
in der Hauptrolle sowie weiteren Stars hochkarätig
besetzte Verfilmung als eine der gelungensten
deutschen Science-Fiction-Produktionen der
dreißiger Jahre. Die kulturhistorischen
Deutungen allerdings fallen zwiespältig
aus. Die einen sehen den Film als Beispiel
für die Mobilisierung und Instrumentalisierung
(gesellschafts-)utopischen Ideenguts im
Zeichen von nationalsozialistischem Heldenpathos,
andere – nicht zuletzt Bernhardt selbst,
der aufgrund seiner jüdischen Herkunft
lediglich mit einer Sondergenehmigung des
Propagandaministeriums noch einmal in Deutschland
drehen durfte – verstehen ihn als
Plädoyer für den „internationalen
Frieden und das Heldentum der Arbeiterklasse“.
Über seinen unmittelbaren Unterhaltungswert
hinaus brechen sich in Kurt Bernhardts Der
Tunnel damit auf einzigartige Weise die
gesellschaftspolitischen Spannungen seiner
Zeit.
Einführung: Michael Wedel
Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit
mit CineGraph Babelsberg und dem Bundesarchiv-Filmarchiv.
am 06.05.2005
um 20.30 Uhr
„BROT, FRIEDEN,
FREIHEIT“ –
FRANKREICH IM FILM DER FRONT POPULAIRE
Vacances
payées
Bezahlter Urlaub
F 1938, R: Maurice Cammage, D: Frédéric
Duvallés, Christiane Delyne, Suzanne
Dehelly, 101’ OF
In diesem Film hat Maurice
Cammage eine ganz wesentliche Errungenschaft
der Front Populaire aufgegriffen und in
fröhlich-unbekümmerte Bilder gefasst:
der bezahlte Urlaub! Nun können die
Arbeiter auf Kosten des Arbeitgebers nicht
nur für eine Weile mit ihren Familien
ausspannen, sondern sich sogar in Regionen
Frankreichs begeben, die vorher vor allem
den Reichen vorbehalten waren, wie beispielsweise
die Côte d´Azur. Den Filmkritikern
der linken Zeitungen, allen voran der „L´Humanité“,
gefiel es allerdings nicht, dass Cammage
auch das Leuchten in den Augen der Arbeiter
beim Anblick einer luxuriösen Strandvilla
porträtierte. Von ihrer Seite ließen
sie eisiges Schweigen vernehmen. Um so besser
für uns. Wir können siebzig Jahre
später einen Film neu entdecken, der
als ein historisches Dokument der Front
Populaire gelten muss, und der auch in Frankreich
lange nicht mehr in den Kinos zu sehen war.
Erst vor kurzem ist er restauriert worden.
Mit seinen Protagonisten können wir
also nacherleben, wie es war, als eine Urlaubsreise
im Jahr zu einem wohlverdienten Gut wurde
und nicht mehr ein seltenes Privileg war.
Außerdem begeben wir uns mitten hinein
in die Vergnügungen und Ereignisse
eines Strandurlaubes an der Côte d´Azur.
Dieser Film wurde von den Archives Françaises
du Film im Rahmen der Maßnahmen des
französischen Kulturministeriums zur
Erhaltung alter Filme restauriert.
am 07.05.2005
um 18.15 Uhr
am 14.05.2005 um 20.30 Uhr
L´Argent
Das Geld
F 1936, R: Pierre Billon, D: Pierre Richard-Willm,
Vera Korene, Raymond Rognoni, Philippe Richard,
105’ OF
Dieser in Frankreich erst
vor kurzem restaurierte Film bringt einen
Romanstoff von Emile Zola auf die Leinwand,
der bereits 1928 von Marcel L´Herbier
verfilmt worden war. Börsenspekulationen
und Geldvermehrung dienen hier als Zielscheibe
für eine Kritik an ungerechten Lebensverhältnissen
und an kapitalistischen Ausbeutungsmechanismen.
Nachdem Karl Marx bereits eine wissenschaftliche
Analyse des Kapitals geliefert hatte, setzte
Zola diese Thematik in seinem Roman um,
der zuerst von L´Herbier und dann
von Billon verfilmt wurde. Während
L´Herbier jedoch aus den Bildern der
Börsenspekulanten und der Geldscheine
ein experimentelles Kunstwerk schuf, beruft
sich Billon wieder stärker auf die
in Zolas Roman enthaltene Darstellung der
sozialen Zustände und liefert eine
Kritik an der Macht des Geldes, die den
Ideen des Schriftstellers nicht immer gerecht
wird und sie in mancher Hinsicht überzeichnet.
In L´Argent entwirft Billon ein Bild
der Gegenwelt des Arbeitermilieus, das sonst
so gerne von den Regisseuren der Front Populaire
aufgegriffen wurde: Die internationalen
Großunternehmen und Börsenspekulationen
werden als ein Problem für den sozialen
Frieden dargestellt. Dabei karikiert Billon
die Mechanismen dieses kapitalistischen
Systems. Sein Film ist daher ein Dokument
des sozialistischen und kommunistischen
Eifers, der ideologischen Verklärung
der Front Populaire.
Dieser Film wurde von den Archives Françaises
du Film im Rahmen der Maßnahmen des
französischen Kulturministeriums zur
Erhaltung alter Filme restauriert.
am 07.05.2005
um 20.30 Uhr
am 14.05.2005 um 18.15 Uhr
ALS DER KRIEG ZU ENDE
WAR
Shoah
F 1985, R: Claude Lanzmann,
Teil I + II, 9h 30min OmU
Shoah ist ein hebräisches
Wort. Es bedeutet: Abgrund, Vernichtung,
Dunkelheit, Katastrophe, Untergang, großes
Unheil. Claude Lanzmann hat letzte überlebende
Augenzeugen des großen Unheils aufgespürt
und ihnen Fragen gestellt. Er wollte von
Opfern, Tätern und Zuschauern wissen,
was in den Gettos und Lagern geschah.
Shoah gibt die Fragen und Antworten wieder.
Antworten von einem Lokomotivführer,
der die Transportwaggons zur Rampe fuhr,
oder von einem Bauern, der neben dem Lager
sein Feld bestellte. Aus der Anonymität
der Zahlen und des Unfassbaren treten Menschen
hervor, die eigene Gesichter, eigene Stimmen
haben.
"Claude Lanzmann zeigt uns die Bahnhöfe
von Treblinka, Auschwitz, Sobibor. Er betritt
die heute mit Gras bewachsenen >Rampen<,
von denen aus Hunderttausende von Opfern
in die Gaskammer getrieben wurden. Zu den
ergreifendsten Bildern gehört für
mich ein Berg von Koffern, schlicht die
einen, eleganter die anderen, alle mit Namen
und Adressen versehen. Mütter hatten
vorsorglich Milchpulver, Talg und Weizenbreipulver
hineingepackt, Kleidung, Lebensmittel und
Medikamente in andere. Und nichts davon
wurde gebraucht." (Simone de Beauvoir,
Le Monde)
"Claude Lanzmanns Shoah hat den Wettlauf
mit der Zeit aufgenommen und dokumentiert
ihn bis in die unscheinbarste Einstellung
hinein: schnell, bevor es zu spät ist,
die noch lebenden Überlebenden ausfragen,
ihnen kein Detail ersparen, den legitimen
Wunsch auch der entkommenen Opfer nach Vergessen
ignorieren." (Lothar Baier, Frankfurter
Rundschau)
am 08.05.2005
Teil I (ca. 5h)
am 15.05.2005 Teil II (ca. 4,5h), jeweils um
18.15 Uhr
Fahrraddiebe
Ladri di biciclette
I 1948, R: Vittorio de Sica, D: Lamberto
Maggiorani, Enzo Staiola, Lianella Carell,
87’ DF
Die Zerstörung in
Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ist allgegenwärtig.
Massenarbeitslosigkeit und Hunger sind die
Folgen. Fahrraddiebe thematisiert die Situation
in der Hauptstadt Italiens nach der Beendigung
des faschistischen Regimes unter Mussolini.
De Sica wuchs als Sohn eines armen Beamten
in den Armenvierteln Neapels, Florenz’
und Roms auf. „Ich habe meine Semester
in der Universität der Armut abgesessen“,
sagte de Sica über seine Jugend und
kannte somit die schweren Bedingungen des
Überlebens einer Kleinfamilie sehr
genau.
Bereits bei seiner Uraufführung in
Rom erntete der Film als ein Höhepunkt
des italienischen Neorealismus höchstes
Kritikerlob. In dem ausschließlich
mit Laiendarstellern und an Originalschauplätzen
gedrehten Film geht es um eine Episode im
Leben des arbeitslosen Antonio. Als dieser
die Möglichkeit erhält, als Plakatankleber
zu arbeiten, löst er – mit dem
letzten Geld seiner Familie – sein
Fahrrad bei einem Pfandleiher aus und tritt
die Stelle an. Da das Fahrrad ihm aber bereits
kurze Zeit später gestohlen wird, macht
er sich mit seinem kleinen Sohn auf die
Suche nach dem Dieb. Als sie ihn finden,
kann Antonio ihm jedoch nichts nachweisen.
In seiner Verzweiflung stiehlt er selbst
ein Fahrrad und wird prompt erwischt.
am 12.05.2005
und
am 13.05.2005 jeweils um 18.15 Uhr
The Best Years
Of Our Lives
Die besten Jahre unseres
Lebens
USA 1946, R: William Wyler, D: Dana Andrews,
Frederic March, Teresa Wright, Myrna Loy,
172’ OF
Unmittelbar nach seiner
Entlassung aus der US-Armee begann William
Wyler mit den Arbeiten zu seinem Film über
die Probleme der Kriegsheimkehrer: Drei
Soldaten, die jeder einen Teil der Streitkräfte
repräsentieren, wollen nach ihrer Demobilisierung
ins zivile Leben zurückkehren. Captain
Fred Derry kehrt in eine zerrüttete
Ehe zurück; Sergeant Al Stephenson
ist ein Fremder für seine Kinder, die
ohne ihn aufwachsen mussten; und der junge
Matrose Homer Parrish muss mit dem Verlust
beider Hände fertig werden.
Wyler verdeutlicht in seiner Studie, dass
nicht nur die Rückkehr in den Beruf
ein Thema der Zeit ist. Die drei Hauptfiguren
finden nach dem Krieg ein Alltags- und Familienleben
vor, das ihnen unwirklich erscheint. Ihr
Leben verändert sich dramatisch.
Ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
beschäftigt das Thema von Wylers Film
die gesamte Nation, vor allem das US-Publikum
zieht es in die Kinos. Das Happy-End, das
auf Druck der Produktionsgesellschaft ins
Drehbuch kam, schafft einen versöhnlichen,
aber konstruiert wirkenden Schlusspunkt.
Die Resonanz, die der Film findet, drückt
sich auch in der Flut von Preisen aus. 1947
erhält The Best Years Of Our Lives
sieben Oscars.
am 12.05.2005
und
am 13.05.2005 jeweils um 20.30 Uhr
Die Mörder
sind unter uns
D 1946, R: Wolfgang Staudte,
D: Hildegard Knef, Erna Sellmer, Arno Paulsen,
Ernst Wilhelm Borchert, 91'
Berlin 1945. Susanne Wallner,
eine junge Fotografin, kehrt aus dem Konzentrationslager
zurück, doch ihre Wohnung ist besetzt.
Hier lebt seit kurzem der aus dem Krieg
heimgekommene Chirurg Mertens, der seine
furchtbaren Erinnerungen mit übermäßigem
Alkoholgenuss zu verdrängen sucht.
Die beiden arrangieren sich, und mit Susannes
Hilfe findet Dr. Mertens langsam wieder
zu sich selbst. Da begegnet ihm sein ehemaliger
Hauptmann Brückner, nun ein aalglatter
Geschäftsmann, dem es egal ist, ob
er aus Stahlhelmen Kochtöpfe macht
oder umgekehrt. Mertens' Gewissen rebelliert
und am Weihnachtsabend 1945 will er Sühne
fordern für ein von Brückner drei
Jahre zuvor im Osten befohlenes Massaker
an Frauen, Kindern und Männern. Im
letzten Moment kann Susanne ihn davon überzeugen,
dass die Vergeltung solcher Schuld keine
Privatangelegenheit ist, sondern der Kriegsverbrecher
vor ein Gericht gehört.
"Staudtes pessimistisches Nachkriegsdrama
ist der erste nach Kriegsende in Deutschland
hergestellte Film. Er entstand auf dem Filmgelände
der DEFA und wurde von den sowjetischen
Besatzungsorganen zensiert. Ursprünglich
sollte Dr. Mertens den Fabrikant Brückner
tatsächlich umbringen, aber die sowjetischen
Zensoren verboten die Propagierung der Selbstjustiz.
Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen
Produktionen der Nachkriegszeit setzt sich
Regisseur Wolfgang Staudte ernsthaft mit
der Schuldfrage auseinander." (Die
Chronik des Films)
am 19.05.2005
um 18.15 Uhr
am 20.05.2005 um 20.30 Uhr
Die Ehe der Maria Braun
BRD 1978, R: Rainer Werner
Fassbinder, D: Klaus Löwitsch, Hanna
Schygulla, Gisela Uhlen, Ivan Desny, Gottfried
John, 116’
Im Bombenhagel heiratet
Maria ihren Hermann, der schon bald darauf
an die Front gerufen wird. Nach dem Krieg
erlebt sie ihren beruflichen Aufstieg in
einem Club für US-amerikanische Militärangehörige.
Sie glaubt, dass ihr Mann gefallen ist und
wendet sich dem schwarzen Bill zu. Als Hermann
nach Jahren doch noch aus der Kriegsgefangenschaft
zurückkehrt und Maria mit ihrem Geliebten
überrascht, erschlägt sie den
Amerikaner. Hermann geht für sie ins
Gefängnis.
„Fassbinders vielfach prämierter
und international erfolgreicher Film, noch
während der Vorbereitungen zu seinem
Opus magnum Berlin Alexanderplatz als Teil
einer Trilogie (mit Lola und Die Sehnsucht
der Veronika Voss) zur frühen westdeutschen
Geschichte gedreht, stellt bewusst eine
Frau in den Mittelpunkt seiner in den Verhältnissen
von Hell-Dunkel, Nähe-Ferne oder Figur-Gegenstände
kontrastreich gestalteten Parabel. Maria
Braun, von Hanna Schygulla in jeder Phase
als eine Figur geistreich forcierter Selbständigkeit
gespielt, verkörpert scheinbar illusionslos
ein Leben nach dem Motto: >Schlechte
Zeiten für Gefühle<. Dieses
Motiv, das sich in der Verdrängung
des Lebendigen als Spiegel der Zeit ausweisen
soll, variiert der Film auf allen Ebenen.“
(Guntram Vogt)
am 19.05.2005
um 20.30 Uhr
am 20.05.2005 um 18.15 Uhr
„BROT, FRIEDEN,
FREIHEIT“ – FRANKREICH IM FILM
DER FRONT POPULAIRE
Le
jour se lève
Der Tag bricht an
F 1939, R: Marcel Carné, D: Jean
Gabin, Arletty, Jules Berry, Jacqueline
Laurent, 84’ OmU
Als der nächste Tag
anbricht, ist er für Jean Gabin –
auch hier wieder als Protagonist –
bereits gelaufen. In seiner kleinen Wohnung,
an dem kleinen Platz eines Industrievorortes
von Paris, hat er sich verbarrikadiert,
um der Polizei zu entkommen. Während
er sich dort verschließt, werden in
Rückblenden die Ereignisse aufgezeigt,
die ihn in diese Situation brachten. In
erster Linie geht es um eine unglückliche
Liebe, um zwischenmenschliche Beziehungen,
die durch Armut, Ausbeutung und Abhängigkeit
gekennzeichnet sind. Das Geld zerstört
das Verhältnis der Menschen zueinander.
Wahre Gefühle, ein Glück zu zweit
– so wie es sich Gabin erhofft hatte
– stellen sich als illusionär
heraus. Er wird zum Mörder.
In Carnés Film klingen düstere
Stimmungen an. Von der fröhlichen Phase
der Front Populaire ist in diesem 1939 entstandenen
Film nichts mehr zu spüren. Alle Illusionen
von der Überwindung existentieller
Nöte und wahrer Menschlichkeit sind
angesichts des drohenden Krieges und dem
gescheiterten Experiment der Volksfront-Regierung
unter Leon Blum verschwunden. Trotzdem schimmert
auch in diesem Film noch etwas von der Sehnsucht
nach dem großen Glück zwischen
Fabrikschloten und Großmaschinen durch.
Die Poesie wird durch ein Blumenmädchen
verkörpert, das sich auf ein Fabrikgelände
verirrt und dort den Arbeiter Gabin kennenlernt.
Georges Sadoul schrieb dazu: „Die
Sorgen des Realen, der Konflikt zwischen
dem Traum (des Künstlers) und der sozialen
Realität haben eine solche Bedeutung
eingenommen, dass sich zeitgenössische
Filme diesem Konflikt als zentralem Sujet
widmen.“
am 21.05.2005
um 18.15 Uhr
am 22.05.2005 um 20.30 Uhr
Hôtel du Nord
F 1938, R: Marcel Carné,
D: Louis Jouvet, Annabella, Arletty, Jean-Pierre
Aumont, André Brunot, 84’ OmeU
Marcel Carné gehört
zu den Regisseuren des poetischen Realismus
in Frankreich, der erst in den 1950er Jahren
von jungen Filmemachern der Nouvelle Vague
wie François Truffaut und Jean-Luc
Godard hinterfragt und abgelöst wurde.
Während der Zeit der Front Populaire
richtete sich nicht nur das politische,
sondern auch das filmische Interesse auf
das Milieu der Arbeiter am Stadtrand oder
die in der Gosse Gestrandeten. Auch Carné
gehörte zu denjenigen, die nicht mehr
nur in großen Studios vor künstlichen
Kulissen drehten, sondern sich in die Straßen
und den Alltag hineinwagten, um den Menschen
nahe zu sein. Obwohl seine Filme daher authentisch
eingefangene Realität vermitteln, sind
Licht, Schatten, Sprache und Musik doch
so eingesetzt, dass sie eine irreale oder
auch poetische Nuance aufweisen. Nicht die
krude Realität, sondern gesellschaftliche
Konflikte und die von ihr beeinflussten
zwischenmenschlichen Beziehungen interessierten
Carné. Auch in seinem Film Hôtel
du Nord betreibt er eine Milieustudie unter
Arbeitern und Mittellosen, die sich in einem
Hotel im Norden Paris wie zufällig
über den Weg laufen und in der „die
Stadtlandschaft in ein dichtes, sehr spezifisches
Lokalkolorit getaucht ist“ (Siegfried
Kracauer). Ein Liebespaar versucht Selbstmord,
ein Ehepaar kümmert sich um ein Waisenkind,
die Prostituierte streitet sich mit Freiern
und ein gescheiterter Gauner glaubt an eine
bessere Welt. Dieser Film, dessen erzählerischer
Spannungsbogen während des Volksfestes
an einem 14. Juli seinen Höhepunkt
erreicht, vereint düstere Stimmungen
und Hoffnungsmomente und weist auf die Befindlichkeiten
der ärmeren Bevölkerung hin, die
einerseits die Errungenschaften und das
Zusammenhalten der Front Populaire feierte,
aber vor allem einen Ausweg aus ihrer schwierigen
Lebenssituation herbeiwünschte.
am 21.05.2005
um 20.30 Uhr
am 22.05.2005 um 18.15 Uhr
ALS DER KRIEG ZU ENDE WAR
Passport
To Pimlico
Blockade in London
GB 1949, R: Henry Cornelius, D: Stanley
Holloway, Margaret Rutherford, Hermione
Baddeley, Basil Radford, 84’ OF
Der Regisseur Henry Cornelius,
in Südafrika geboren, gilt als einer
der stilprägenden Väter der skurril-kauzigen
Nachkriegskomödie Großbritanniens.
Cornelius war 1931 nach Berlin gekommen,
um sich von Max Reinhardt ausbilden zu lassen,
zog es nach der Machtübernahme durch
die Nazis aber vor, Deutschland zu verlassen
und lebte ab 1935 in London. Im Kriegsjahr
1940 kehrte er für drei Jahre nach
Südafrika zurück, um an der Herstellung
von Dokumentarfilmen mitzuwirken. Zurück
in London, betätigte sich Cornelius
zunächst als Produktionsassistent,
ab 1945 auch als Produktionsleiter für
Michael Balcons Filmgesellschaft Ealing.
Mit der spleenigen Komödie Passport
To Pimlico inszenierte er für Ealing
ein kleines Meisterwerk.
Erzählt wird mit viel Sinn für
Ironie, unter präziser Herausarbeitung
landesüblicher Marotten, die Geschichte
von einem zufällig entdeckten mittelalterlichen
Freibrief des britischen Königs Edward
IV., der den Londoner Stadtteil Pimlico
als zu Burgund gehöriges Territorium
deklariert, was zu neuem Selbstbewusstsein
seiner Bewohner (und zu unvorhersehbaren
Folgen für den neuen >Nachbarstaat<
England, der daraufhin mit einer Blockade
antwortet) führt.
am 26.05.2005
um 18.15 Uhr
am 27.05.2005 um 20.30 Uhr
Good Men Good Women
Hao nan hao nu
Taiwan 1995, R: Hou Hsiao-hsien, D: Annie
Shizuka Inoh, Lim Giong, Jack Kao, Vicky
Wie, 108’ OF mit dt. und frz. UT
Das Kino Taiwans hat Mitte
der 80er Jahre seinen eigenen Weg gefunden.
Damals verbot die herrschende diktatorische
Macht jedem, von der bewegten Geschichte
dieser atypischen Insel zu sprechen: zwischen
1895 und 1945 von den Japanern besetzt,
nach 1949 in der Gewalt der republikanischen
Chinesen – es war schwer für
die Taiwanesen zu wissen, wer sie überhaupt
waren. Das Kino spiegelt diese Identitätssuche
wieder. Hou Hsiao-hsien etwa, einer der
Begründer der „Neuen Welle“,
hat eine Trilogie über die Geschichte
Taiwans gedreht (City of Sadness, The Puppetmaster,
Good Men Good Women). Darin entwickelt er
eine sehr spezielle, charakteristische und
radikal innovative Ästhetik: ein Flüsterkino,
in dem die Schauspieler sich in sehr langen,
ruhigen Einstellungen einrichten und das
Wort verstummt ist.
In Good Men Good Women lebt Liang Ching,
eine junge Frau, in der modernen taiwanesischen
Hauptstadt Taipeh. Ihr Alltag ist geprägt
von Sehnsucht und Einsamkeit, von Lebenshunger
und Verletzlichkeit. Während immer
wieder ein Unbekannter anruft und sie mit
gefaxten Seiten ihres gestohlenen Tagebuchs
konfrontiert, durchdringen im wesentlichen
drei Erlebniskreise ihre Gedanken: die Gegenwart,
in der sie sich auf ihre Rolle in einem
Film vorbereitet; die Geschichte dieses
Films selber, der vom Kampf und Widerstand
im China der vierziger und fünfziger
Jahre handelt; schließlich die nahe
Vergangenheit, in der sie ihren Freund gewaltsam
verloren hat. Der anonyme Anrufer erinnert
sie immer wieder an ihn.
am 26.05.2005
um 20.30 Uhr
am 27.05.2005 um 18.15 Uhr
„BROT, FRIEDEN,
FREIHEIT“ – FRANKREICH IM FILM
DER FRONT POPULAIRE
Le
roman d’un tricheur
Roman eines Schwindlers
F 1936, R: Sacha Guitry, D: Sacha Guitry,
Jacqueline Delubac, Roger Duchesne, Gaston
Dupray, 80’ OmeU
Neben solchen Themen wie
geringem Lohn, Arbeitslosigkeit, Streikversammlungen
und Armut, die leitmotivisch in den während
der Front Populaire gedrehten Filmen aufgegriffen
werden, schufen die Regisseure auch Projektionsflächen.
Das kleine Fürstentum Monaco mit seinem
auf dem Casino beruhenden Reichtum, ebenso
wie der Gewinn im Glücksspiel oder
in der Lotterie, zeigen die Sehnsucht nach
materiellem Wohlstand ohne geißelnde
Arbeit auf. Sacha Guitry hat einen Film
geschaffen, in dem ein professioneller Schwindler
und Spieler seine Lebensgeschichte erzählt,
die sich unter anderem in Monaco abspielt.
Dieser Schwindler hat aufgrund seiner bereits
im Kindesalter gemachten Erfahrungen eine
eigene Lebensphilosophie entwickelt: immer
dann, wenn er log, gewann er und hatte Glück;
immer dann, wenn er die Wahrheit sagte,
verlor er oder hatte Pech. Also entschloss
er sich dazu, seine Fähigkeiten als
Schwindler zu seinem Beruf zu machen. Nun
erzählt er linear und humorvoll sein
Leben in der Rückblende.
Guitry hat hier ein neues Erzählverfahren
entwickelt, das nicht unbedingt in der Literatur,
aber doch für den Film ganz neu war:
eine Szene ging nicht mehr aus einer anderen
hervor, sondern es war der Erzähler,
der den Zusammenhang der Szenen schuf und
gleichzeitig im Mittelpunkt der Handlung
steht. Siegfried Kracauer bemerkte dazu
am 29.8.1936 in der Neuen Zürcher Zeitung:
„Auf diese Weise erhält der Film
eine außerordentliche Gelenkigkeit
und wird dazu befähigt, das Zusammenhanglose
zu bewältigen. Schon jetzt duldet es
keinen Zweifel, dass die von Guitry kreierte
Gattung, richtig ausgebaut, den Spielfilm
um eine wichtige Variante bereichern wird.“
am 28.05.2005
um 18.15 Uhr
am 29.05.2005 um 20.30 Uhr
La belle équipe
Zünftige Bande
F 1936, R: Julien Duvivier, D: Jean Gabin,
Charles Vanel, Vivane Romance, Micheline
Cheirel, 94’ OF
Während in manchen
zur Zeit der Volksfrontbewegung gedrehten
Filmen das Schwermütige der menschlichen
Existenz betont ist, werden in anderen Filmen
imaginäre Fenster geöffnet, die
neue Wege aufzeigen und dabei Sozialkritik
mit einem schmunzelnden Realismus verbinden.
Es sind entweder die Gemeinschaft in einer
Arbeiterkooperative, die sich ihres Bosses
entledigt, wie in Le crime de Monsieur Lange
von Renoir (konnte in dieser Filmreihe aus
rechtlichen Gründen nicht gezeigt werden)
oder ein Millionengewinn bei der Lotterie,
die aus den schwierigen Lebensbedingungen
herausführen. In Duviviers La belle
équipe sind beide kollektiv gewordene
Wunschvorstellungen 1936 auf die französische
Leinwand gekommen. Eine Gruppe von Arbeitslosen,
dessen Anführer wieder einmal von dem
beliebtesten Schauspieler der Front Populaire
– Jean Gabin – verkörpert
wird, gewinnt in der Lotterie und baut außerhalb
von Paris ein kooperativ geleitetes Ausflugslokal
auf. Zu einem Idyll vor den Toren der Stadt
wird das kleine Lokal „Chez Nous“
jedoch erst nach bewältigten Problemen.
Eingewebt in diese Geschichte sind für
die Zeit der Volksfront charakteristische
Straßenszenen, die einen dokumentarischen
Charakter haben: der Jubel in den Mietskasernen,
die Tänze im Garten geben ein wenig
die glückliche Stimmung wieder, von
der die Franzosen nicht nur in Paris unter
der Front Populaire erfasst waren. Paris
– ein Fest für´s Leben.
So hat Hemingway sich zu dieser Stadt geäußert.
Georges Sadoul fand ähnliche Worte
für das Geschehen seiner Zeit: „Ein
sehr ruhiges Dorf vor der Großstadt.
Die Straßen sind mit zweistöckigen
Häusern umsäumt. Die Rosen blühen.
Vor einem Grill sind Männer und Frauen
versammelt. Akkordeonmusik und Gesang klingen
auf. Die Arbeiter der Schuhfabrik André
sind seit vier Tagen im Streik und feiern.“
am 28.05.2005 um 20.30 Uhr
am 29.05.2005 um 18.15 Uhr
JUNI
ALS
DER KRIEG ZU ENDE WAR
Ich war neunzehn
DDR 1968, R: Konrad Wolf,
D: Jaecki Schwarz, Wassili Liwanow, Alexej
Ejboshenko, Galina Polkich, 112’
„Das Ich im Titel
ist ganz persönlich gemeint: Die Familie
des Schriftstellers Friedrich Wolf emigrierte
1934 nach Moskau, als ihr Sohn acht Jahre
alt war. Im Frühjahr 1945 - nachdem
er als Leutnant der Roten Armee den Krieg
erlebt hat: das zerstörte Kiew, Majdanek
unmittelbar nach der Befreiung, das brennende
Warschau - gehörte er zu einer Lautsprechergruppe.
Die Front verlief an der Oder. Der 19jährige
Konrad Wolf hat Tagebuch geführt. Zwanzig
Jahre später wurden diese Aufzeichnungen
zur Grundlage für den Film Ich war
neunzehn. Das Tagebuch bestimmt die Struktur
des Films: Episoden, Begebenheiten zwischen
dem 16. April und dem 3. Mai 1945. Sie werden
im Film mit Angabe des Datums und Informationen
zu Ort, Situation und Auftrag ausgewiesen.
Der thematische Bogen des Films ist mit
zwei Begriffen zu umreißen: Heimkehr
in der Fremde.“ (Rudolf Jürschik)
„Ich war neunzehn wirkt durch seine
Authentizität, zu der auch der Verzicht
auf Farbe und ein Bildstil beitragen, der
bewusst jede Kunstfertigkeit vermeidet und
durch eine frei gehandhabte Kamera der Arbeit
eines Kriegsberichterstatters unter Frontbedingungen
gleicht. Unter den vielen Filmen über
den Zweiten Weltkrieg wird Konrad Wolfs
Ich war neunzehn Bestand haben als das sehr
persönliche Zeugnis eines Regisseurs,
dessen viel zu früher Tod im März
1982 nicht nur für die Filmkunst der
DDR einen unersetzlichen Verlust bedeutete.“
(Heinz Kersten)
am 02.06.2005
und
am 03.06.2005 jeweils um 18.15 Uhr
Stunde
Null
BRD 1976, R: Edgar Reitz,
D: Kai Taschner, Anette Jünger, Herbert
Weissbach,
Klaus Dierig, 112’
Deutschland im Sommer 1945:
Der junge Joschi kommt in einen kleinen
Ort in der Nähe von Leipzig, wo er
einen Nazi-Schatz heben will. Gerade ziehen
die Amerikaner ab, und die Bewohner erwarten
die anrückenden Russen. Joschi findet
den Schatz und verliebt sich in das Mädchen
Isa. Voller Hoffnung auf ein neues Leben
fliehen sie zusammen in die amerikanische
Zone. Statt ihm Sicherheit zu geben, nehmen
die Amerikaner Joschi seinen Schatz und
auch noch das Mädchen weg, so dass
Joschi vollkommen desillusioniert zurück
bleibt.
"Stunde Null spielt am Rande von Leipzig,
also in einer Gegend von Sachsen, die man
damals in der Zeit vor der Wende gar nicht
betreten konnte. Das war auch eine Welt,
die man so gar nicht mehr kannte, weil sich
doch in diesen beiden Deutschlands die Dinge
kulturell so weit auseinander entwickelt
hatten. Aber die Stunde Null war freilich
genau die Nahtstelle, an der das angefangen
hat, sich auseinander zu entwickeln. Das
ist also eine Geschichte, die wirklich eine
Stunde Null beschreibt: das Ende einer kompletten
Lebensvorstellung und den Beginn einer neuen
im Jahr 1945.“ (Edgar Reitz)
am 02.06.2005
um 20.30 Uhr
WIEDERENTDECKT
Namenlose
Helden (Fragment)
AU 1924, R: Kurt Bernhardt,
D: Erwin Kalser, Lilli Schönborn, Heinz
Hilpert, u.a., 17’
niederl. Zw.titel
Doktor
Bessels Verwandlung
D 1927, R: Richard Oswald,
D: Hans Stüwe, Agnes Esterhazy, Jacob
Tiedtke, Sophie Pagay, Gertrud Eysoldt,
Kurt Gerron, Siegfried Arno, Rosa Valetti,
Curt Bois, u.a., 106’
Sommer 1918. In Europa
herrscht Krieg. Der deutsche Soldat Dr.
Alexander Bessel wird von der rumänischen
Front an die Westfront verlegt und macht
unterwegs einen kurzen Halt in Berlin, um
seine junge Frau Helene wiederzusehen. Kurz
vor der Weiterreise wird ihm von einer Unbekannten
mitgeteilt, dass Helene ihn betrügt.
Bessel ist tief gekränkt, doch zu einer
Aussprache kommt es nicht mehr. Nach einem
Sturmangriff an der Westfront liegt er schwer
verwundet im Niemandsland neben einem getöteten
Franzosen. Bessel tauscht mit dem Toten
die Uniform, wird in einem französischen
Lazarett gesund gepflegt und dann als Invalide
entlassen. Während er in Deutschland
als verschollen gilt, lebt er unter fremdem
Namen in Frankreich. Als Bessel die Verlobte
des getöteten Franzosen kennenlernt,
verliebt er sich in sie, verheimlicht ihr
aber aus Angst vor Entdeckung seine wahre
Identität...
Was die Beschäftigung mit dem Ersten
Weltkrieg und seinen Auswirkungen auf die
Beziehungen zwischen Männern und Frauen
angeht, ist Doktor Bessels Verwandlung der
wohl ungewöhnlichste Spielfilm des
Weimarer Kinos. Die elegante Regie von Richard
Oswald verzichtet auf das übliche Spektakel
der Kriegsfilme und konzentriert sich stattdessen
auf das Melodram eines Mannes und dessen
psychologische Entwicklung. Der Film erzählt
von der Entfremdung der voneinander getrennten
Eheleute Bessel und ihren völlig verschiedenen
Erfahrungswelten, von dem Wunsch nach einem
anderen Leben und der Furcht vor der Wahrheit,
von männlicher Eitelkeit und unmöglicher
Liebe in Zeiten von Krieg und Haß.
Ergänzend ist ein Fragment des Kriegsfilms
Namenlose Helden, dem Regiedebüt von
Kurt Bernhardt, zu sehen. Den Zeitgenossen
galt dieser Film, der fiktionales und dokumentarisches
Material miteinander verknüpft, als
ein früher Versuch einer „realistischen“
Darstellung des Krieges an der Front und
in der Heimat. Der Film klagt den Krieg
aus kommunistischer Sicht an, indem er von
einer Arbeiterfamilie erzählt, die
durch den Krieg ihr Auskommen, ihre Gesundheit
und schließlich ihr Leben verliert.
Das Fragment zeigt, wie der einfache Arbeiter
Scholz als Soldat bei einem Angriff erblindet
und wie seine Familie Hunger leidet. Anlässlich
der Aufführung in Berlin warnte der
„Film-Kurier“ im Oktober 1925:
„Das Werk wird als politisches Propagandamittel
gute Erfolge haben. Für den Theaterbesitzer
bedeutet es allerdings die Gefahr, politisch
anders eingestellte Teile seines Publikums
zu verärgern.“
Einführung: Philipp Stiasny
Klavierbegleitung: Peter Gotthardt
Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit
CineGraph Babelsberg und dem Bundesarchiv-Filmarchiv.
am 03.06.2005
um 20.30 Uhr
DAS „KINO DER
MORALISCHEN UNRUHE“ –
DER POLNISCHE FILM DER 70ER UND 80ER JAHRE
Eine Filmreihe des Zeughauskinos
und des Polnischen Instituts.
Mit Unterstützung des Auswärtigen
Amtes der RP, dem Adam Mickiewicz Institut
in Warschau und von Film Polski Agencja
Promocji in Warschau.
Spokój
Gefährliche Ruhe
Polen 1976, R: Krzysztof Kieslowski, D:
Danuta Ruksza, Jerzy Stuhr, Jerzy Trela,
Izabella Olszewska, 85’ OmeU
1976 arbeitete der Hauptdarsteller
Jerzy Stuhr das erste Mal mit Krzysztof
Kieslowski zusammen. In Blizna spielte er
eine Nebenrolle, um in Kieslowskis nächstem
Film, Spokój (Gefährliche Ruhe,
1976), – einem der schönsten
Filme Kieslowskis – die Hauptrolle
zu übernehmen. „Ich war einer
der ersten, wenn nicht sogar der erste professionelle
Schauspieler, mit dem Krzysztof Kieslowski
zusammengearbeitet hat. Ich weiß noch,
er war gegenüber ‚Profis‘
sehr skeptisch. Er traute Leuten nicht über
den Weg, die auf Kommando und für Geld
‚losheulen‘ konnten, wenn es
im Drehbuch stand. Schon während der
Dreharbeiten zu Blizna sagte er, dass er
unbedingt einen Film für mich schreiben
müsse. Und so entstand Spokój,
einer der besten Filme, die ich je gemacht
habe. Sowohl meine Rolle als auch der Film
selbst sind großartig.“ Jerzy
Stuhr spielt einen aus dem Gefängnis
entlassenen Arbeiter, der von einem friedlichen
Leben, einer Familie, einer geregelten Arbeit
und einer kleinen Wohnung träumt. Um
sein persönliches Glück zu erreichen,
ignoriert er die Probleme an seinem Arbeitsplatz
und gerät zwischen die Fronten.
am 04.06.2005
und
am 10.06.2005 jeweils um 18.15 Uhr
Eröffnung der Filmreihe
Amator
Der Filmamateur
Polen 1979, R: Krzysztof Kieslowski, D:
Jerzy Stuhr, Stefan Czyzewski, Jerzy Nowak,
Malgorzata Zabkowska, 112’ OmeU
Amator gehört zu Kieslowskis
ersten Kinoproduktionen, die häufig
engagierte Einblicke in eine durch kommunistisch-indoktrinäre
Fesseln zur Unbeweglichkeit verdammten polnischen
Kulturnation gewährten. Diese Werke
waren Abbilder von der Realität einer
in Stagnation verharrenden Gesellschaft
während der 70er und 80er Jahre. Dabei
zeigte sich Kieslowski, der unter den kommunistischen
Machthabern stets mit der Zensurbehörde
und Verboten zu kämpfen hatte, schon
früh als ausgezeichneter Personenbeobachter,
der vor der Fragilität mitmenschlicher
Beziehungen warnte und seine Filme stets
und zuvörderst als Plädoyer für
einen alltäglich praktizierten Humanismus
in einer kälter werdenden Umwelt verstand.
Filip Mosz, ein Arbeiter, der sich zur Geburt
seiner Tochter eine Filmkamera zulegt, wird
aufgefordert, einen Film über das Firmenjubiläum
seiner Fabrik zu drehen. Als Gegenleistung
wird er bei der Gründung eines Filmclubs
in der Fabrik unterstützt. Bald jedoch
stößt seine unbefangene und beobachtende
Art, Filme zu machen, auf Widerstände.
Zum Schluss wird sein Freund, der für
die Arbeit des Filmclubs verantwortlich
ist, entlassen. Auch im Privatleben zeigt
Filips Leidenschaft fürs Filmen Folgen:
seine Ehe zerbricht.
Amator war Kieslowskis erster Film, der
auch internationalen Erfolg hatte. Er gewann
Hauptpreise bei den Festivals in Moskau,
Chicago und Gdansk.
in Anwesenheit von S.E. Dr. Andrzey Byrt,
Botschafter der Republik Polen
Eröffnungsveranstaltung
am 04.06.2005 um 20.30
Uhr
am 09.06.2005
um 20.30 Uhr
Barwy ochronne
Tarnfarben
Polen 1977, R: Krzysztof Zanussi, D: Christine
Paul-Podlasky, Magdalena Zwadzka, Mariusz
Dmochowski, Zbigniew Zapasiewicz, Piotr
Garlicki, 103’ OmeU
Zanussis Geschichten werden
häufig von philosophischen Gedanken
geleitet, die sich mit existenziellen Fragen
von Leben und Korruption, Liebe und Tod
auseinandersetzen:
In einer polnischen Sommer-Akademie prallen
ein zynischer, angepasster Dozent und ein
anfangs noch moralisch engagierter Assistent
aufeinander und offenbaren unterschiedliche
Geistes- und Lebenshaltungen. Schließlich
erweisen sich Opportunismus und Konformismus
als einziger Ausweg.
Mit diesem Film nahm Zanussi endgültig
Abschied von eigenen Illusionen über
einen möglichen „demokratischen
Sozialismus“.
am 05.06.2005
um 18.15 Uhr
am 12.06.2005 um 20.30 Uhr
Czlowiek
z marmuru
Der Mann aus Marmor
Polen 1976, R: Andrzej Wajda, D: Jerzy Radziwilowicz,
Krystyna Janda, Tadeusz Lomnicki, Jacek
Lomnicki, Michal Tarkowski, 164’ OmeU
Polen Mitte der 70er Jahre:
Die Filmstudentin Agnieszka hat für
ihren Diplomfilm ein Thema ausgewählt,
das ihrem Redakteur im Fernsehen nicht behagt.
Sie plant aus Neugier auf die Lebensumstände
der Vätergeneration eine Dokumentation
über einen "Helden der Arbeit"
aus den 50er Jahren. Im Keller eines Museums
stößt sie auf ausrangierte Statuen,
darunter jene von Mateusz Birkut. Sie besorgt
sich Archivmaterial, alte Wochenschauen
aus denen sie mehr über den "Mann
aus Marmor" zu erfahren hofft.
Der Mann aus Marmor ist Wajdas erster Film,
in dem er die unmittelbare Gegenwart in
einen direkten Diskurs mit der Vergangenheit
treten lässt. Er begnügt sich
aber nicht mit einer sehr kritischen Bestandsaufnahme
der stalinistischen Epoche, sondern entwickelt
das Bild der Gegenwart aus den Prämissen
der Vergangenheit. Dramaturgisch löst
er die Dialektik der verschränkten
Zeitebenen mittels einer komplexen Rückblendentechnik,
in der die Recherche der Studentin das Band
bildet, an das die Exkurse in die verschüttete
Geschichte folgerichtig geknüpft sind,
um das Bild der vergangenen Epoche schrittweise
zu enthüllen. Der Zuschauer ist somit
in der gleichen Situation wie die Studentin.
Die vielfachen Brechungen markieren die
Schwierigkeiten einer Suche, die von Zufällen
und subjektiv interpretierten Berichten
von Ereignissen oder auch Behinderungen
abhängig ist. Aus tatsächlichem
Dokumentarmaterial, Wochenschauen, aus fiktiven,
nachinszenierten Dokumenten, die den Heldenmythos
Birkuts formten, aus den von seinen Zeitgenossen
kommentierten Episoden aus Birkuts Leben
- die in Fragmenten nacherzählte Biografie
- fügt sich das Mosaik einer Epoche
mit Rückwirkung auf die Rahmenhandlung
der Gegenwart.
am 05.06.2005
und
am 16.06.2005 jeweils um 20.30 Uhr
Index
Polen 1977/81, R: Janusz
Kijowski, D: Justyna Kulczycka, Malgorzata
Niemirska, Lucyna Winnicka, Ewa Zukowska,
100’ OmeU
Dem Autor des Films schreibt
man den Begriff „Das Kino der moralischen
Unruhe" zu, der als Motto der Filmschaffenden
der zweiten Hälfte der 70er Jahre dient.
Kijowski greift in Index ein äußerst
„unbequemes" Thema für die
herrschende Elite auf: die studentische
Protestbewegung der 68er, die in Polen in
einer beschämenden antijüdischen
Hetze endete. Der Film erzählt die
Spätfolgen dieser Geschichte. Józef
Moneta, der Held des Films, stellt sich
hinter die von der Uni relegierten Studenten.
Er verlangt nach Aufklärung und Wahrheit.
Bald teilt er das Schicksal seiner Kommilitonen:
– Józef wird rausgeworfen.
Es folgt die Isolation, seine bisherigen
Bekannten ziehen sich zurück, die Polizei
verfolgt ihn auf Schritt und Tritt, seine
Freundin verlässt ihn.
Der Film wurde für vier Jahre von der
Zensur auf die Regale verbannt.
am 09.06.2005
und
am 18.06.2005 jeweils um 18.15 Uhr
Czlowiek
z zelaza
Der Mann aus Eisen
Polen 1981, R: Andrzej Wajda, D: Jerzy Radziwilowicz,
Krystyna Janda, Marian Opania, Boguslaw
Linda, Wieslawa Kosmalska, 140’ OmeU
Polen zu Beginn der 80er
Jahre, die Solidarnosc-Bewegung ist auf
dem Höhepunkt der Auseinandersetzung
mit den Machthabern: Ein angepasster Reporter
erlebt den politischen Umschwung des Jahres
1980 und recherchiert die Vorgeschichte
in der Biografie eines Streikführers,
welcher der Sohn eines Propagandahelden
aus der stalinistischen Ära ist. Maciek
Tomczyk, Sohn von Mateusz Birkut, der Titelfigur
aus dem Film Der Mann aus Marmor, lebt nun
mit Agnieszka, der ehemaligen Filmstudentin
aus dem genannten Film zusammen. Maciek
will das Erbe seines bei den Unruhen in
Gdansk 1970 umgekommenen Vaters antreten.
Der Reporter ist beeindruckt von dem Material,
das er zusammengetragen hat und kündigt
seine Stellung beim Rundfunk. Er wird Zeuge
des historischen Augenblicks, als die streikenden
Arbeiter und eine Regierungsdelegation ein
Abkommen unterzeichnen...
Andrzej Wajda hat seinen Film parallel zu
den politischen Ereignissen gedreht. Dabei
gelang es ihm, durch seine Erzählweise
Realität und Fiktion nahtlos zu verbinden.
Er will ein Stück Zeitgeschichte schreiben,
aber er will politische Realität durch
die Bindung an den Menschen menschlich erfahrbar
machen. In diesem Sinne zeigt er den Arbeiterführer
Lech Walesa nicht nur in Dokumentaraufnahmen,
sondern auch in kleinen Spielszenen - etwa
als Trauzeuge von Maciek und Agnieszka.
Wajda will zeigen, dass eine Spielhandlung
immer auch Teil der Realität bleibt,
dass das, was er erfunden hat, nicht losgelöst
ist von dem, was er vorgefunden hat.
Der Film hat in Cannes die Goldene Palme
bekommen.
am 10.06.2005
und
am 18.06.2005 jeweils um 20.30 Uhr
Wodzirej
Der Conferencier
Polen 1978, R: Feliks Falk, D: Jerzy Stuhr,
Slawa Kwasniewska, Wiktor Sadecki, Michal
Tarkowski, 90’ OmeU
Der junge, energische Conferencier
Ludwig Danielak scheut keine Mittel, um
zum Reigenführer eines großen
Balls anlässlich der 500-Jahr-Feiern
der Stadt gekürt zu werden. Er hintergeht
seine Konkurrenten und versucht, im Stadtrat
Bekanntschaften anzuknüpfen. Nach und
nach verliert er alle Hemmungen, er verrät
seine Geliebte und seinen besten Freund.
Als er endlich sein Ziel erreicht hat und
als Zeremonienmeister durch den festlichen
Ball führt, erscheint plötzlich
sein Freund, der ihn vor den versammelten
Festgästen ohrfeigt und ihm klarmacht,
was er alles im Tausch gegen den heiß
ersehnten Erfolg verloren hat.
Wodzirej gehört zu den Filmen der „moralischen
Unruhe“ par excellence und ist eine
Paraderolle von Jerzy Stuhr, der auch in
Spokój und in Amator seine schauspielerische
Klasse zeigt.
am 11.06.2005
und
am 16.06.2005 jeweils um 18.15 Uhr
Kobieta
samotna
Eine alleinstehende Frau
Polen 1981, R: Agnieszka Holland, D: Danuta
Balicka, Bozena Baranowska, Boguslaw Linda,
Maria Chwalibóg, Pawel Witczak, 93’
OmeU
Agnieszka Holland studierte
Filmregie in Prag. Ihre Karriere begann
sie als Regieassistentin von Krzysztof Zanussi
und Andrzej Wajda. Für Andrzej Wajda
schrieb sie einige Drehbücher, unter
anderem nach der gleichnamigen Novelle von
Rolf Hochhuth „Eine Liebe in Deutschland“.
Ihren eigenen Kinoeinstand gab sie 1977
mit Zdjecia próbne (Probeaufnahmen).
Holland-Filme waren präzise beobachtende
Menschen- und Situationsstudien aus dem
gegenwärtigen Polen, Spiegelbilder
einer von der spätkommunistischen Stagnation
strangulierten, apathischen Gesellschaft,
detailgetreu und bisweilen deprimierend,
kritisch und ein wenig melancholisch. Gelegentlich
ging die Polin bereits vor der Wende auch
ins Ausland, um dort Filme zu inszenieren,
heute arbeitet sie in den USA.
In Eine alleinstehende Frau wird von der
Liebe zwischen einer vom gewalttätigen
Ehemann verlassenen Postbotin, die sich
mit ihrem Kind allein durchschlägt,
und einem ehemaligen Bergmann, der durch
einen Unfall verkrüppelt ist und als
Frührentner lebt, erzählt. Gemeinsam
unternehmen die beiden, die von der Gesellschaft
links liegengelassen werden, einen illusionslosen
Versuch, vom Leben noch etwas Besseres mitzubekommen.
am 11.06.2005
um 20.30 Uhr
am 17.06.2005 um 18.15 Uhr
Bez
milosci
Ohne Liebe
Polen 1980, R: Barbara Sass, D: Zdzislaw
Wardejn, Emilian Kaminski, Dorota Stalinska,
Wladyslaw Kowalski, 100’ OmeU
Zwischen dem Privaten und
dem Öffentlichen, zwischen der Liebe
und dem Beruf liegt eine graue Zone, die
vom Ehrgeiz und von Neurosen bewohnt ist.
Ewa, eine junge Journalistin, ist bereits
genug vom Leben gezeichnet worden, um immer
nur den aufrichtigen Weg zu gehen. Diese
alleinstehende Mutter will nach oben, egal
wo es liegt, wohin der Weg führt und
was es kostet. Die Gefühle werden instrumentalisiert
und der Erfolg ist das Einzige, was zählt.
Barbara Sass zeichnet hier ein schmerzhaftes
Bild einer Frau, die sich zu behaupten versucht.
Auf dem Filmfestival in Mannheim 1980 hat
der Film den FIPPRESCI Preis bekommen.
am 12.06.2005
um 18.15 Uhr
am 17.06.2005 um 20.30 Uhr
ALS DER KRIEG ZU ENDE
WAR
The
Third Man
Der dritte Mann
GB 1950, R: Carol Reed, D: Joseph Cotten,
Orson Welles, Paul Hörbiger, Trevor
Howard,
100’ OF
Wien 1948: Die österreichische
Metropole ist in vier Sektoren unterteilt;
einen britischen, einen russischen, einen
amerikanischen und einen französischen.
Einzig die Stadtmitte ist politisch neutral,
die Polizei dort wird von allen vier Siegermächten
gestellt.
Holly Martins (Joseph Cotten) ist Schriftsteller,
und spezialisiert auf Abenteuergeschichten.
Harry Lime (Orson Welles) lebt in Wien und
lädt ihn ein, ihn zu besuchen. Martins
freut sich sehr, denn er und Harry Lime
waren in ihrer Jugend die besten Freunde,
und sie haben sich schon sehr lange nicht
gesehen. Doch als er in Wien ankommt, steht
er vor verschlossener Tür…
So beginnt die Geschichte um die Suche nach
dem mysteriösen dritten Mann.
Der dritte Mann wurde im Jahre 1949 in der
Rekordzeit von nur 5 Wochen im Wien der
Nachkriegszeit gedreht, und erreichte weltweiten
Ruhm. Regisseur Carol Reed war zu dieser
Zeit noch ein unbeschriebenes Blatt, mit
diesem Film brachte er es zu großer
Berühmtheit. Auch Kameramann Robert
Krasker hatte großen Anteil am Erfolg
des Films, da er es meisterhaft verstand,
die Dramaturgie von Licht und Schatten effektvoll
in Szene zu setzen, und so einen Meilenstein
des „Film Noir“ entstehen zu
lassen.
Das Script stammte von Ex-Geheimagent Graham
Greene, der eigens sein Buch zum Drehbuch
umschrieb und so half, die Atmosphäre
des damaligen Wiens perfekt einzufangen.
am 19.06.2005
um 18.15 Uhr
am 23.06.2005 um 20.30 Uhr
Die vier im Jeep
CH 1951, R: Leopold Lindtberg,
D: Ralph Meeker, Viveca Lindfors, Yoseph
Yadin, Michael Medwin, 100’
Am 06.2005 Juni 1951 wurden
die ersten Internationalen Filmfestspiele
Berlin unter der Leitung von Alfred Bauer
im Berliner Titania-Palast eröffnet.
Den ersten Goldenen Bären erhielt in
diesem Jahr die Schweizer Produktion Die
vier im Jeep vom gebürtigen Österreicher
Leopold Lindtberg.
Der Film spielt in Wien 1950. Jeden Morgen
zur gleichen Zeit stellen sich die Soldaten
der internationalen Polizei im Hof des Palais
Auersperg zur Inspektion bereit: der Amerikaner
William Long, der Franzose Marcel Pasture,
der Engländer Harry Stuart und der
Russe Wassilij Voroschenko. Nun wird die
Gruppe in die Wohnung einer Wienerin gerufen,
die die Heimkehr ihres Mannes aus sowjetischer
Kriegsgefangenschaft erwartet – dramatische
Geschehnisse nehmen ihren Anfang…
„Ein hervorragend inszenierter, fesselnd
erzählter Film, getragen von der unpathetisch
vertretenen Überzeugung, dass eine
menschliche Verständigung zwischen
Ost und West möglich und wünschbar
ist. Der historische Handlungsrahmen verleiht
ihm überdies einen bemerkenswerten
dokumentarischen Aspekt.“ (www.filmdienst.de)
am 19.06.2005
um 20.30 Uhr
am 23.06.2005 um 18.15 Uhr
Wir Wunderkinder
BRD 1958, R: Kurt Hoffmann,
D: Hansjörg Felmy, Robert Graf, Johanna
von Koczian,
Wera Frydtberg, 107’
Mit Wir Wunderkinder vollzog
Hoffmann 1958 erstmals einen Bruch in seinem
Filmschaffen. Die Geschichte von zwei Männern
– der eine eine aufrechte Persönlichkeit,
der für seine Anständigkeit im
3. Reich und im Nachkriegsdeutschland mit
Rückschlägen und Karriereeinbrüchen
zu zahlen hat, der andere ein klassischer
Opportunist, der mit seiner Charakterlosigkeit
unter jedem Regime zu den Gewinnern zählt
– war der Versuch des bislang apolitischen
Komödienfilmers Hoffmann, sich als
Satiriker und gesellschaftskritischer Beobachter
bundesrepublikanischer Verhältnisse
zu etablieren.
„Kurt Hoffmann suchte sich einen guten
und einen bösen Deutschen aus und verfolgte
deren Karrieren von 1913 bis 1955. Das war
ein etwas simples Verfahren, das Hoffmann
aber dadurch aufwertete, dass er den Guten
mit Hansjörg Felmy besetzte, den Bösen
aber mit dem großartigen, faszinierenden
Schauspieler Robert Graf, der vielleicht
nicht sympathischer, auf jeden Fall aber
interessanter war als der biedere Felmy“
(Claudius Seidl). „Der kleinbürgerliche
Kabarettcharakter des Films lässt zwar
den Schauspielern als Personen wenig Chancen,
sorgt aber statt dessen für ein paar
grandiose Auftritte der Hauptdarsteller.
Man beachte den Heißhunger meines
Vaters in der ersten Szene in Felmys Münchner
Wohnung.“ (Dominik Graf)
am 24.06.2005
um 18.15 Uhr
am 25.06.2005 um 20.30 Uhr
Karbid
und Sauerampfer
DDR 1963, R: Frank Beyer,
D: Erwin Geschonnek, Marita Böhme,
Manja Behrens,
Margot Busse, 85’
Zu Kriegsende liegt auch
die Dresdener Zigarettenfabrik in Schutt
und Asche. Obwohl Nichtraucher, blutet Kalle
das Herz – schließlich war es
seine Arbeitsstätte. Um sie wieder
aufzubauen, braucht man vor allem Karbid
zum Schweißen. Kalle hat eine Quelle
in Wittenberg. Er macht sich auf den Weg
dorthin und muss nun – mit sieben
Fässern – zurück: per Anhalter.
Das Abenteuer lässt sich gut an. Die
sympathische Karla nimmt ihn ein Stück
in ihrem Fuhrwerk mit. Am liebsten würde
er bei ihr bleiben, aber die Pflicht treibt
ihn weiter. Dass er zurückkommen wird,
ist versprochen. Sein einziges Zahlungsmittel,
Zigaretten, nimmt ihm ein LKW-Fahrer für
eine kleine Wegstrecke ab. Bis er Dresden
erreicht, muss er sich noch vom Verdacht
der Plünderei reinwaschen, einen Schiffbruch
überstehen und sich eines geschäftstüchtigen
US-Offiziers und einer mannstollen Witwe
entledigen. Zwei Fässer bringt er glücklich
durch – genug für den Neuanfang.
Die auf wahren Begebenheiten fußende
Geschichte notierte Hans Oliva-Hagen. Das
Vorbild des Karbid-Kalle in der Wirklichkeit
hieß Richard Hartmann. Erwin Geschonnek
lernte ihn erst nach den Dreharbeiten kennen
und berichtete in seinen Memoiren: „Richard
hatte zusammen mit einem Kollegen neun Fässer
zu transportieren gehabt und immer in überfüllten
Eisenbahnzügen! Er hatte alle neun
nach Dresden gebracht und war also erfolgreicher
als Kalle. Er hat bei seiner Reise jedoch
ein lebendes Andenken hinterlassen wie Kalle
bei dem hübschen Bauernmädchen
Karla im Film.“ (Meine unruhigen Jahre,
1984-1996)
am 24.06.2005
um 20.30 Uhr
am 25.06.2005 um 18.15 Uhr
Valahol
Európában
Irgendwo in Europa
Ungarn 1947, R: Géza Radványi,
D: Artúr Somlay, Miklós Gábor,
Zsuzsa Bánki,
György Bárdy, 106’ OmU
1945 lernte Radványi
den aus dem Exil nach Ungarn heimgekehrten
Filmtheoretiker Béla Balázs
kennen, der ihn dazu anregte, einen Film
über die durch den Krieg heimatlos
gewordene und geistig wie emotional verwilderte
Jugend Europas zu drehen. Das Werk, Irgendwo
in Europa, geriet zu einem vom italienischen
Neorealismus geprägten, sozialkritischen,
einfühlsamen und in einem fast dokumentarischen
Stil gehaltenen Stimmungs- und Zeitbild.
Viele Jahre lang galt Irgendwo in Europa
als einer der wichtigsten Nachkriegsfilme
Ungarns.
Kurz nach Kriegsende zieht eine Bande von
Kindern plündernd durch Ungarn. Die
Eltern sind in den Kriegswirren verloren
gegangen, und so sind die Kleinen auf sich
allein gestellt. In einer Burgruine, bei
dem alten Musiker Simon, finden sie Zuflucht.
Mit viel Geduld zeigt er den Kindern den
Weg in ein Leben voller Wärme und Vertrauen.
Doch die friedliche Gemeinschaft auf der
Burg wird von den Bewohnern des benachbarten
Dorfes bald gestört.
am 26.06.2005
und
am 30.06.2005 jeweils um 18.15 Uhr
The Search
Die Gezeichneten
USA/ CH 1948, R: Fred Zinnemann, D: Montgomery
Clift, Aline MacMahon, Wendell Corey, 108’
OmU
The Search erzählt
von dem wechselreichen Schicksal eines kleinen
Prager Jungen, der auf der Suche nach seiner
Familie durch Deutschland irrt.
„Der Film lässt einige Rückschlüsse
zu auf die Atmosphäre in Hollywood
nach dem Krieg. Sowohl das Publikum wie
auch die Regisseure und Studios waren damals
für realistische Themen zugänglich
und verzichteten gelegentlich auf den gängigen
Eskapismus… Regisseure wie William
Wyler, John Ford, John Huston, Frank Capra
und George Stevens hatten im Krieg als Filmemacher
ihren Dienst geleistet. Als sie zurückkehrten,
waren sie von ihren Erlebnissen stark geprägt,
was man ihren Arbeiten aus dieser Zeit auch
anmerkt. Bei The Search kommt noch ein Aspekt
hinzu: Es ist der Film eines Regisseurs,
der im Herzen Europäer geblieben ist.
Er erzählt vom Schrecken der Ereignisse
in Europa, aber auch von der amerikanischen
Reaktion auf diese Ereignisse.“ (Neil
Sinyard: Zinnemann. München 1986)
am 26.06.2005
und
am 30.06.2005 jeweils um 20.30 Uhr
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