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Bühnenbild und Plakat

Die enge Verquickung von Bühnenbild und Plakat sowie der optische Niederschlag der Zusammenarbeit von Bühnenbildner und Regisseur sind auch bei den Plakatentwürfen des Malers und Bühnenbildners Heinrich Kilger zu beobachten. Seine Rolle für das Deutsche Theater, dessen Chefbühnenbildner er seit 1947 war, ist mit derjenigen Karl von Appens für das Berliner Ensemble vergleichbar. In der nachhaltig wirkenden Zusammenarbeit Kilgers mit Wolfgang Langhoff in den fünfziger und sechziger Jahren war er vor allem um die deutsche klassische Dramatik bemüht, arbeitete aber auch mit jungen Autoren, für die er zahlreiche Bühnenentwürfe schuf. Wie Appen gestaltete er auch einige Plakate zu den Vorstellungen. Jenes zur damals umstrittenen Inszenierung von Shakespeares "König Lear" im Jahr 1957 ist stilistisch und formal stark an der Konzeption des Bühnenbilds orientiert. Für das Plakat übernahm Kilger einzelne Figurenelemente aus dem für die Inszenierung so wichtigen halbhohen "Shakespeare-Vorhang", der bei jeder neuen Szene von zwei Personen aufgezogen wurde.23 Die menschlichen und tierischen Figuren und ihre "verzerrten Gesichter, in denen in großer Anspannung menschliche Züge einen tierischen Ausdruck angenommen haben, schrecklich, mit Augen des Entsetzens, mit Todesblässe, mit dem Eindruck entsetzlicher Kälte, so als seien sie kalte Kriechtiere …",24 erinnern an die Darstellung existentieller Bedrohung und Todesangst der durch die Bombardierung seitens der Nationalsozialisten bedrohten Menschen und an die Schreie selbst der stummen Kreatur in Picassos "Guernica". Die Gesichter sind stark stilisiert, Kilger verzichtet hier auf Details, ganz im Sinne seines Bestrebens, "innere Wahrheit" zu gestalten, statt "äußere Wirklichkeit" und einen "Abklatsch der Natur" abzubilden.25 Der dunkle, in stumpfen, bräunlich-violetten, schwarzen und giftig-grünen Tönen gehaltene Hintergrund zeigt die Morbidität der Welt Lears auf und stellt eine Analogie zu der (Farb-)Gestaltung der Bühne dar, die ebenfalls durch allerlei Verfallsspuren gekennzeichnet war. Damit unterstützte das Bühnenbild die erste konsequente Durchführung einer marxistischen Lesart dieser Shakespeare-Tragödie, in der Wolfgang Langhoff "die sozialen und politischen Triebkräfte des Geschehens bloßlegte und den Vernichtungskampf der Leidenschaften dialektisch in eine ihrem Untergang entgegentaumelnde Gesellschaftsordnung stellte".26
Die Gestaltung von Plakaten steht am Beginn der künstlerischen Laufbahn von Dietrich Kaufmann, der seit Ende der fünfziger Jahre mit seinen Werken für die Komische Oper das Profil dieses Berliner Hauses entscheidend mitgestaltete. Sein Plakat ist eine ungewöhnliche Umsetzung von Mozarts "Così fan tutte". Thema der Oper ist die Treueprobe der Bräute durch ihre eigenen Verlobten, zwei Offiziere, veranlaßt durch eine Wette. Sind für die Handlung Verkleidung, Maskerade und Verstellung kennzeichnend, wird der Betrachter auf dem Plakat hingegen mit der Blöße eines Paares konfrontiert, das überraschenderweise ikonographisch Anlehnungen an die biblische Paradiesszene aufweist. Der Theaterkritiker Hans-Gerald Otto formulierte 1962 anläßlich dieser Inszenierung unter der Leitung von Götz Friedrich, daß für Aufführungen Mozartscher Werke auf Opernbühnen eine den Charakteren, Situationen und Empfindungen seiner Personen angemessene "wahre, realistische Darstellung" anzustreben sei, worunter er "die Anwendung der Prinzipien des realistischen Musiktheaters bei der Inszenierung Mozartscher Bühnenwerke" verstand.27 Offenbar glaubte der Kritiker in der besprochenen Inszenierung eine Rehabilitation des bislang falsch verstandenen, durch "peinliche Frivolität" gekennzeichneten Stückes zu erkennen: "Hier wird aufgeräumt mit jenen leichtfertigen Witzeleien und Tändeleien, jenem Verspotten angeblich weiblichen Wesens (›So machen es alle!‹), jenem Spaß um des Spaßes willen, bei dem Charakterzeichnung und logische Handlungsführung zweitrangig, unnötig, nur belastend erscheinen." Götz Friedrichs Inszenierung fokussiere die Handlung auf "menschliches Versagen, aber auch die Größe und Schönheit echten Gefühls. Die Frauen werden nicht verdammt, sondern emporgehoben", da sie ihre "ewig-weibliche Wesenhaftigkeit, zu lieben und geliebt zu werden, bewiesen".28 Die Blamierten seien die Männer, die dies aus rücksichtslosem Egoismus ausnutzten. Die Nacktheit der Figuren auf Kaufmanns Plakat ist fern von jeglicher Frivolität. Er reduziert die Oper auf eine "boy-meets-girl"-Geschichte, da nur zwei Figuren der Vierer-Konstellation dargestellt sind. Sie erscheinen recht klein vor einem duftig-blauen, nicht näher definierten Hintergrund. Darüber hinaus ist den Figuren eine Unsicherheit anzumerken, die zwangsläufig durch die neue Konstellation der Paare hervorgerufen wird, schließlich durchlaufen die Protagonisten innerhalb kürzester Zeit eine komplette innere Wandlung. Rechts oben erscheint ein wolkenartiges, in blauen Tönen gehaltenes Gesicht als scharfer Beobachter ihres Verhaltens. Es repräsentiert nicht nur die argwöhnischen Blicke der Wettbrüder, sondern darüber hinaus den kritischen Betrachter. Auch dieser Entwurf, wie alle der zahlreichen Werke, die Kaufmann für die Oper fertigte, unterlag "dem strengen Urteil des Chefs der Komischen Oper, Walter Felsenstein", der vor allem "die Annäherungen an seine Inszenierungen würdigte, mehr als die einfallsreichen Bildfindungen".29

  23 Funke: Der Bühnenbildner Heinrich Kilger …, 1975, S. 17, S. 31. Vgl. auch Abbildung bzw. Entwurf des Vorhangs, ebd. (Abb. 69, Abb. 107), Abbildungsteil ohne Paginierung.
  24 "Der Theaterkritiker Ljubomir Tenew", in: Presse der Sowjetunion, 14. Mai 1961, zitiert nach Funke: Der Bühnenbildner Heinrich Kilger …, 1975, S. 31.
  25 Vgl. Kilger: "Ähnlichkeit und Wahrheit …", 1948, abgedruckt in Funke: Der Bühnenbildner Heinrich Kilger …, 1975, S. 110-112.
  26 Funke: Der Bühnenbildner Heinrich Kilger …, 1975, S. 30-32.
  27 Otto: "Konzeption und Umsetzung …", 1962, S. 35-39, S. 36.
  28 Ebd., S. 38.
  29 Ausst.-Kat.: Dietrich Kaufmann …, 1988, S. 44. - Walter Felsenstein prägte als langjähriger Intendant (1945-1975) das Profil der Komischen Oper. Er etablierte ein "realistisches Musiktheater", das sich gegen die Oper als Stätte der Stimmartistik und als Kostüm- und Ausstattungsspektakel wandte. Stattdessen förderte er das Schauspiel von Sänger-Darstellern, das die Oper in die Nähe des Sprechtheaters brachte.

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Plakat Koenig Lear
Plakat Cosi fan tutte