Gerd Arntz

Es gab von Zeitgenossen auch den Versuch, statt der Agonie die Gründe für den Krieg ins Bild zu setzen. So schnitt Gerd Arntz 1931 ein analytisches, gesellschaftskritisches Panorama in Holz mit dem Titel "Krieg" 64.

Arntz (1900-1988) war Sohn eines Remscheider Werkzeugmaschinen-Fabrikanten. Im letzten Kriegsjahr war er zur Feldartillerie eingezogen worden. Nachdem er nach dem Krieg für kurze Zeit als Fräser im väterlichen Unternehmen gearbeitet hatte, nahm er 1919 ein Kunststudium in Düsseldorf auf. Er wurde "Spartakist" und las anarchistische Zeitungen. Künstlerisch war er wie Radziwill und viele andere junge deutsche Maler stark beeindruckt von den Expressionisten und entdeckte für sich den Holzschnitt. Erst Mitglied der Künstlergruppe Junges Rheinland, schloß er sich später dem Kreis um Heinrich Hoerle und Franz Wilhelm Seiwert an und gehörte zu der mit den Kommunisten sympathisierenden Gruppe progressiver Künstler. Von diesem Zeitpunkt an wurde Arntz' Graphik figürlich-konstruktivistisch und außerordentlich politisch.

Der Holzschnitt "Krieg" ist genau entgegengesetzt aufgebaut zu Dix' Kriegstriptychon. Letzteres abstrahiert nicht von der Geschichte, von den besonderen Erscheinungsformen des Ersten Weltkrieges. Es konzentriert sich auf das Vorher und Nachher einer Offensive im Stellungskrieg. Dix betonte in erster Linie das Besondere des Schützengrabenkrieges und erst in zweiter Linie das Allgemeine, das allen Kriegen gemeinsam ist. Allerdings führte er dem Betrachter vor Augen, daß dieser Krieg grauenhaft war und daß der nächste es nicht weniger sein würde. Als "allgemein" läßt sich bei Dix die Bildaussage da bezeichnen, wo sie die Schrecken und Opfer als Charakteristikum eines jeden Krieges konstatiert.

Arntz' Holzschnitt dagegen vernachlässigt das Besondere, das Historische, zugunsten des Allgemeinen. Er gibt keine konkret-historische Darstellung des Ersten Weltkrieges, sondern eine abstrakt-allgemeine Darstellung eines Krieges. Dabei reduzierte Arntz das Phänomen nicht auf das Gefechtsfeld, sondern erweiterte es auf die gesamte Gesellschaft, die den Krieg führt. Infolgedessen geben im Holzschnitt die Motive vom Marsch ins Gefecht und vom massenhaften Soldatentod nur zwei von einer Vielzahl von Erscheinungen wieder, die den Krieg kennzeichnen. Sie werden lediglich als Folgeerscheinungen, als Ergebnis eines komplexen wechselseitigen gesellschaftlichen Prozesses präsentiert, der als Krieg definiert wird. Die Ursache dieses Prozesses sind gesellschaftliche Gruppen und Interessen, in diesem Falle "das" Kapital und seine "Assistenten", die die Arbeiterklasse in den Krieg schicken. Zeigt das Triptychon nur anonyme Opfer, Soldaten, die keiner Klasse angehören, veranschaulicht der Holzschnitt, wen die Armee als Soldaten rekrutiert: Fabrikarbeiter, die ins Heer eingereiht werden. Die, die am lautesten dem Krieg das Wort reden - die Industriellen, Kirchenmänner, Politiker und Kokotten - haben weit aufgerissene Münder und werden als diejenigen vorgestellt, die von ihm profitieren.

Arntz verwendete schematisierte Figuren, sogenannte Piktogramme, die für bestimmte gesellschaftliche Gruppen stehen, und leicht verständliche Symbole, die die gesellschaftliche Rolle und Funktion der Gruppen definieren, zum Beispiel das Werktor der Fabrik, den Tresor mit dem Dollarzeichen, auf dem der Kapitalist sitzt, usw. Durch die Anordnung der Figuren in einer "Handlungsachse" sollen die gesellschaftliche Ordnung und ihre Mechanismen, sollen die dem Krieg zugrundeliegenden Interessen sichtbar gemacht werden.

Der Betrachter soll erkennen, daß die Gruppe der Kriegsgewinnler nicht minder bedeutsam ist als die der Kriegsopfer und daß letztere nur verlieren, während erstere am Geschäft mit den Waffen verdienen. Die massenhafte Tötung von Menschen, die das Kriegstriptychon als "Urkatastrophe" vorführt, zeigt der Holzschnitt als Resultat der gesellschaftlichen Ordnung. Für den Marxisten Arntz war der Krieg das Ergebnis des Widerspruches zwischen Kapital und Lohnarbeit in der kapitalistischen Gesellschaft.

Seine Graphik verstand er als "Lehrbilder", die die sehr komplizierten gesellschaftlichen Verhältnisse derart vereinfacht veranschaulichten, daß sie verständlich wurden. Insofern können wir seine Bildsprache auch "antithetisch" nennen. Widersprüche und ihre Ursachen sollten im Bild sichtbar gemacht werden. Die "Lehrbilder" sollten zugleich Erklärung und Argumentationshilfe im politischen Tageskampf sein. Sie versuchten in einem umfassenden Sinne, in der Arbeiterklasse, ihrem Adressaten, Aufklärungsarbeit zu leisten und sie vor einem neuen Krieg zu warnen.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden einige von Arntz' "Lehrbildern" beschlagnahmt. 1934 emigrierte der Künstler, der seit fünf Jahren mit seiner Familie in Wien lebte, in die Niederlande.

Radziwill stand aus offensichtlichen Gründen solch einer politisierten Kunst in der Tradition des Agitprop fern. Auch Dix konnte nicht viel anfangen mit der "Tendenzkunst im Dienste der revolutionären Sache", wie sie George Grosz 1925 beschrieben hatte. Von den Nationalsozialisten war Dix 1933 sofort als Professor der Akademie in Dresden entlassen worden und hatte sich mit seiner Familie an den Bodensee zurückgezogen. Ein Jahr später begann er die Arbeit an seinem letzten bedeutenden Kriegsbild "Schlachtfeld in Flandern". Es markierte das Ende des Kampfes um das "wahre" Bild des Ersten Weltkrieges, den die Linke und die Rechte in Deutschland nach der Niederlage erbittert geführt hatten. Beinahe resignativ beschwor Dix - für sich und ohne Hoffnung, ein Publikum zu haben - zum letztenmal die Jahre 1914-1918 herauf. Erneut steht das Schlachtfeld im Zentrum, erneut ist die Kriegslandschaft gekennzeichnet von Tod und Vernichtung. Zwar ist das Bild weniger drastisch als die früheren Arbeiten, doch auch hier gibt es nur Tote, die in der zerstörten, eigenartig urwüchsigen Landschaft mit dem Boden zu einer Einheit verschmelzen. Wir mögen diese Kriegslandschaft als "friedlich" beschreiben und in ihr ein Sinnbild der "Gleichgültigkeit der Natur gegenüber dem großen Sterben"65 sehen, sie unterscheidet sich trotzdem grundsätzlich von den im "Dritten Reich" mythologisierenden Kriegsbildern, wie sie Henrich und Radziwill produzierten.