Während des Ersten
Weltkrieges machte nicht nur das Militär mobil, die gesamte deutsche Bevölkerung wurde
in den Dienst des Krieges gestellt. Jeder war aufgerufen, seine patriotische Pflicht zu
erfüllen und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften dazu beizutragen, den
Vätern, Ehemännern, Söhnen und Brüdern an der Front den Kampf zu erleichtern. Die
»Heimatfront« sollte die Moral der im Felde stehenden Soldaten stärken, indem sie durch
aktive Unterstützung ihre Verbundenheit mit ihnen bewies. Verschiedene
Wohltätigkeitsvereine, allen voran das Rote Kreuz mit seinen Landesverbänden und
Unterverbänden wie dem Vaterländischen Frauenverein, staatliche zivile und militärische
Stellen sowie Zeitungen riefen die Bevölkerung immer wieder auf, den tapferen »Getreuen,
die in Fein desland im Wetterbraus und umdröhnt vom Donner der Kanonen mit ihrem Leib und
Leben uns die Wacht«' halten, den schuldigen Dank in Form großzügiger Geld- und
Gabenspenden zu erweisen.
Vor allem zum Weihnachtsfest
wurde massiv an die Opferbereit- schaft der Deutschen appelliert. Dieses »Kernfest
urdeutscher Art, unser Weihnachten«2 eignete sich besonders, die Menschen in
der Heimat zum Schenken für die »tapferen Feldgrauen« zu bewegen. Schon lange vor
Weihnachten wurde mit Plakaten und Aufrufen für Weihnachtsliebesgaben geworben und mit
dem Hinweis auf die Wirkung dieser Gaben ein Teil der Verantwortung für den Ausgang des
Krieges der Heimatfront zugewiesen. »Das Weihnachtsfest rückt heran. Das Echo, das die
Betätigung unserer dankbaren Liebe draußen auf den Kampfplätzen finden wird, heißt:
freudige Genugtuung, frischer Mut, fröhliche Weihnachtstimmung, gesunde Kraft des
Körpers und des Geistes im Ertragen unsagbarer Mühen und Gefahren. Jede Liebesgabe hilft
mit zum Siege.«3
Bis in den Dezember hinein wurden solche und ähnlich
lautende Aufrufe wiederholt, die verschiedenen Sammelstellen und Abgabetermine
bekanntgegeben sowie über bereits eingetroffene Lieferungen und deren gewissenhafte
Verladung an die Front berichtet.
In den ersten patriotischen
Wallungen war die Hilfsbereitschaft groß, und die Gaben flossen reichlich. »Kaufen,
immer wieder kaufen, einpacken und hinaussenden, Freude bereiten, die deutsche
Weihnachtstimmung hinaustragen in den Schützengraben und in die Standquartiere hinter der
Front - das war die Losung!«4 Zu den Spendern zählten größtenteils Frauen,
denen vor allem die Ausrichtung der verschiedenen Wohltätigkeitsveranstaltungen und
karitativen Tätigkeiten während des Krieges oblag. Uber die tatsächlich zu den
Kriegsweihnachten erbrachten Mengen von Liebesgaben lassen sich schwerlich genaue Aussagen
machen.
Die Aufstellungen der erbetenen Liebesgaben
vermitteln den Eindruck, daß diese Spenden nicht nur Freude bereiten, sondern auch
Versorgungsmängel der Armee wettmachen sollten. Neben vielen notwendigen praktischen
Utensilien wie Taschenmessern, Taschenlaternen mit Ersatzbatterien, Näh- und Schreibzeug,
Briefpapier, Seife, Strümpfen, wärmenden Wollsachen, Fußlappen, Frostsalbe,
Hosenträgern, Fliegenfängern und Insektenpulver etc. waren Nahrungsmittel besonders
gefragt. Wurst, Speck und andere haltbare Fleischwaren, Schmalz und Butter in Dosen, Käse
in Holzschachteln, Fisch-, Fleisch- und Gemüsekonserven, kondensierte Milch, Marmeladen,
Suppenwürfel, Kekse, Schokolade und Honigkuchen besserten die Lebensmittelrationen
wesentlich auf. Dazu kamen Tabakwaren, Spirituosen und - für die geistige und seelische
Erbauung zunehmend gefragt Bücher sowie anderer Lesestoff.5
Die Liebesgaben wurden teils mit Militär- oder
Lazarettzügen, teils mit eigens vom Roten Kreuz organisierten Transporten an die
jeweiligen Fronten gebracht. Aus den ersten Kriegswintern gibt es Berichte von Personen,
die im Auftrag des Roten Kreuzes »als Weihnachtsmann nach Frankreich«6 oder
»in Christkinds Diensten«7 solche Liebesgabentransporte begleiteten.
Ausgesucht wurden für diese ehrenamtliche Tätigkeit »Männer aus verschiedenen Volks-
und Berufskreisen«8, häufig Personen des »halböffentlichen« Lebens wie
Pastoren und Professoren. Ihre Aufgabe bestand zum einen darin, darüber zu wachen, daß
die Waggons mit den Liebesgaben unversehrt bei den vorgesehenen Truppenteilen ankamen. Zum
andern fungierten sie als Multiplikatoren für Nachrichten von der Front an die Heimat und
umgekehrt. Von offizieller Seite »wurde als Zweck der Reise ... die Beobachtung und
Sammlung von Eindrücken aus der kämpfenden Front, die Verarbeitung derselben und
Mitteilung des Geeigneten im weitesten Bekanntenkreise in der Heimat gewünscht«.9
Das »Geeignete« hieß im Klartext: gute Nachrichten. Zu einem Zeitpunkt, da die
anfängliche euphorische Siegesgewißheit Ernüchterung und Mißstimmung gewichen war,
sollte mit positiven Berichten von den heldenhaften und ausdauernden Truppen Optimismus
verbreitet und die Gewißheit vermittelt werden, »daß unser Sieg zwar langsam, aber
deswegen nicht weniger sicher erreicht wird«'°.
Versorgungsschwierigkeiten mit Grundnahrungsmitteln
gab es in der Heimat schon Anfang 1915. Geringe Ernten in den folgenden Jahren und die
Blockade der Alliierten für die Zufuhr von Nahrungsmitteln verschlechterten die
Ernährungslage vor allem der städtischen und der Industriebevölkerung dramatisch. Die
Folge war »eine Stimmung der städtischen Bevölkerung, die keinen Vergleich mehr
aushält mit der inneren Erhebung der ersten Kriegsmonate«". Schon im Frühjahr 1916
kam es aufgrund der miserablen Versorgungslage zu öffentlichen Protesten.
Stagnation an den Fronten, zunehmende Verschärfung der politischen und wirtschaftlichen
Spannungen, neuerlich gestrichene Brotrationen und die russische Revolution im Februar
1917 wirkten zusammen und führten im Frühjahr 1917 zu den großen Streiks der
Arbeiterschaft.12 Unruhen und Ausfälle gab es auch in der Marine. Mit dem Ruf
»wir vergessen Euch nicht«13 sollte 1917 zum vierten Kriegsweihnachten noch
einmal das Band zwischen Heimat und Front beschworen und der nicht mehr zu übersehenden
Demoralisierung entgegengewirkt werden. Die Person des Kaisers wurde als IntegrationsTigur
eingesetzt, um den erlahmenden Kampfgeist anzuspornen und den Menschen zu suggerieren,
daß der Kampf nicht verloren ist, wenn nur das ganze Volk gemeinsam alle Kräfte
anspannt. Für die Weihnachtsliebesgaben 1917 übernahm Kaiser Wilhelm II. höchstselbst
die Schirmherrschaft. Angesichts der verheerenden Ernährungssituation im Land konnte es
sich aber fast nur noch um symbolische Gaben handeln, die ein wahres Opfer darstellten.
Unter dem Motto »Kaiser- und Volksdank für Heer und Flotte - Weihnachtsgaben des
deutschen Volkes 1917« wurde seit dem Frühjahr an der Organisation dieser
Weihnachtsliebesgabenkampagne gearbeitet. Ein geschäfts- führender Arbeitsausschuß
legte die Werbestrategie und die Verwendung des Erlöses fest. Vom 20. August bis zum 1.
November 1917 sollte gezielt für die Sammlung geworben werden. Das gesamte Werbematerial
sollte in künstlerischer Form unter der Leitung von Professor E H. Ehmcke aus München
angefertigt werden. Es umfaDte Aufrufe, die plakatiert und in Zeitungen abgedruckt wurden,
sowie BildplaLate. Ferner Rundschreiben, die - entsprechend dem Kreis der Adressaten -
unterschiedlich gestaltet werden sollten, zum Beispiel »in vornehmer Ausstattung an
ausgewählte Privatadressen (wohlhabende Kreise, Gutsbesitzer usw.)«14 Weitere
Adressaten waren Banken und Zeitungen, die auch als Sammelstellen fungierten, Vereine,
größere Geschäfte, Stadt- und Landschulen sowie die Ersatztruppenteile und die
militärischen Behörden des jeweiligen Korpsbezirks. An sämtlichen Anschlagsäulen,
größeren Geschäften, Bahnhöfen, Postanstalten, Hotels, Gastwirtschaften, bei Behörden
mit zahlreichem Verkehr, elektrischen Straßenbahnen, bei allen Banken und sonstigen
Annahmestellen sollten die Plakate angebracht werden. Selbst an die deutschen Konsulate
wurde das Werbematerial verschickt, damit auch die Reichsdeutschen im Ausland ihr
Scherflein bei- steuern sollten.
Von dem Erlös waren 70 Prozent zur Anschaffung von
Liebesgaben für die Kampitruppen vorgesehen, 30 Prozent mußten an den Arbeitsausschuß
in Berlin abgeTührt werden. Von diesen 30 Prozent wurden die Kriegsgefangenen bedacht,
wurden die Weihnachtsfeiern in den Soldaten- und Marineheimen bestritten, »ein kleiner
Teil« für allgemeine Wohlfahrtszwecke für Heer und Marine verwendet und die Unkosten
für die Werbekampagne gedeckt.
Die diversen kriegsbedingten
Wohltätigkeitsveranstaltungen galten nicht immer nur den Soldaten an der Front. Die
berufliche und soziale Reintegration der vielen Kriegsbeschädigten bot der Sozial- und
Wohlfahrtspflege ein weites Betätigungsfeld. Bei den heimkehrenden Kriegsversehrten das
Gefühl der Nutzlosigkeit abzubauen, ihnen wieder Lebensmut und Lebenssinn zu geben und
sie zu gleichwertigen, erwerbsfähigen Mitgliedern der Gesellschaft zu machen, war das
Ziel der »Kriegskrüppelfürsorge«.
Zur Weihnachtszeit wurden vielerorts
Verkaufsausstellungen mit handwerklichen Arbeiten von Kriegsbeschädigten organisiert. Die
zuständigen Kriegsfürsorgestellen bezweckten damit eine Demonstration der eigenen
Leistung wie auch der Leistungsfähigkeit der Kriegsbeschädigten. Sie wollten beweisen,
daß »unsere Kriegsbeschädigten nicht verloren sind, sondern daß sie sehr wohl in die
Lage kommen können, in ihrem früheren Beruf wertvolle Arbeit zu leisten oder in einem
neuen Beruf eine Existenzmöglichkeit zu finden«.15
Anmerkungen:
' »Die Woche«, Nr. 48, vom 25. November 1916.
2 Wie Anm. 1.
3 »Berliner Lokal-Anzeiger« vom Sonntag, 7 November 1915.
4 Wie Anm. 1.
5 Vgl. Anm. 3 und: Mit Liebesgaben nach Osten und Westen. Kriegseindrücke von Alfred
Just. Pastor an St. Salvator in Breslau, Berlin 1915.
6 Wie Anm. S (Mit Liebesgaben ), S. 7
7 Wie Anm. S (Mit Liebesgaben ), S. 18.
8 Bei badischen Truppen an der Westfront mit einem Liebesgaben-Transport. Aufzeichnungen
von E. A. Wülling, Heidelberg 1916, 5. 3.
9 Wie Anm.8, S. S.
10 Wie Anm. 8., S. 3.
11 Bundesarchiv, Potsdam, Reichskanzlei, R 43/2427-2428, Bl. 2.
12 Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Das deutsche Kaiserreich 1871-1918, Göttingen 1988, S. 206.
13 Bundesarchiv, Koblenz, Reichsaußenministerium, R 85/2478.
14 Wie Anm. 13.
15»Berliner Lokal-Anzeiger« vom 19. November 1917