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Andrea von Hegel


»Jede Liebesgabe hilft mit zum Siege« - Weihnachtsliebesgaben und Wohltätigkeitsveranstaltungen für die Soldaten im Ersten Weltkrieg

Während des Ersten Weltkrieges machte nicht nur das Militär mobil, die gesamte deutsche Bevölkerung wurde in den Dienst des Krieges gestellt. Jeder war aufgerufen, seine patriotische Pflicht zu erfüllen und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften dazu beizutragen, den Vätern, Ehemännern, Söhnen und Brüdern an der Front den Kampf zu erleichtern. Die »Heimatfront« sollte die Moral der im Felde stehenden Soldaten stärken, indem sie durch aktive Unterstützung ihre Verbundenheit mit ihnen bewies. Verschiedene Wohltätigkeitsvereine, allen voran das Rote Kreuz mit seinen Landesverbänden und Unterverbänden wie dem Vaterländischen Frauenverein, staatliche zivile und militärische Stellen sowie Zeitungen riefen die Bevölkerung immer wieder auf, den tapferen »Getreuen, die in Fein desland im Wetterbraus und umdröhnt vom Donner der Kanonen mit ihrem Leib und Leben uns die Wacht«' halten, den schuldigen Dank in Form großzügiger Geld- und Gabenspenden zu erweisen.

Vor allem zum Weihnachtsfest wurde massiv an die Opferbereit- schaft der Deutschen appelliert. Dieses »Kernfest urdeutscher Art, unser Weihnachten«2 eignete sich besonders, die Menschen in der Heimat zum Schenken für die »tapferen Feldgrauen« zu bewegen. Schon lange vor Weihnachten wurde mit Plakaten und Aufrufen für Weihnachtsliebesgaben geworben und mit dem Hinweis auf die Wirkung dieser Gaben ein Teil der Verantwortung für den Ausgang des Krieges der Heimatfront zugewiesen. »Das Weihnachtsfest rückt heran. Das Echo, das die Betätigung unserer dankbaren Liebe draußen auf den Kampfplätzen finden wird, heißt: freudige Genugtuung, frischer Mut, fröhliche Weihnachtstimmung, gesunde Kraft des Körpers und des Geistes im Ertragen unsagbarer Mühen und Gefahren. Jede Liebesgabe hilft mit zum Siege.«3

Bis in den Dezember hinein wurden solche und ähnlich lautende Aufrufe wiederholt, die verschiedenen Sammelstellen und Abgabetermine bekanntgegeben sowie über bereits eingetroffene Lieferungen und deren gewissenhafte Verladung an die Front berichtet.

In den ersten patriotischen Wallungen war die Hilfsbereitschaft groß, und die Gaben flossen reichlich. »Kaufen, immer wieder kaufen, einpacken und hinaussenden, Freude bereiten, die deutsche Weihnachtstimmung hinaustragen in den Schützengraben und in die Standquartiere hinter der Front - das war die Losung!«4 Zu den Spendern zählten größtenteils Frauen, denen vor allem die Ausrichtung der verschiedenen Wohltätigkeitsveranstaltungen und karitativen Tätigkeiten während des Krieges oblag. Uber die tatsächlich zu den Kriegsweihnachten erbrachten Mengen von Liebesgaben lassen sich schwerlich genaue Aussagen machen.

Die Aufstellungen der erbetenen Liebesgaben vermitteln den Eindruck, daß diese Spenden nicht nur Freude bereiten, sondern auch Versorgungsmängel der Armee wettmachen sollten. Neben vielen notwendigen praktischen Utensilien wie Taschenmessern, Taschenlaternen mit Ersatzbatterien, Näh- und Schreibzeug, Briefpapier, Seife, Strümpfen, wärmenden Wollsachen, Fußlappen, Frostsalbe, Hosenträgern, Fliegenfängern und Insektenpulver etc. waren Nahrungsmittel besonders gefragt. Wurst, Speck und andere haltbare Fleischwaren, Schmalz und Butter in Dosen, Käse in Holzschachteln, Fisch-, Fleisch- und Gemüsekonserven, kondensierte Milch, Marmeladen, Suppenwürfel, Kekse, Schokolade und Honigkuchen besserten die Lebensmittelrationen wesentlich auf. Dazu kamen Tabakwaren, Spirituosen und - für die geistige und seelische Erbauung zunehmend gefragt Bücher sowie anderer Lesestoff.5

Die Liebesgaben wurden teils mit Militär- oder Lazarettzügen, teils mit eigens vom Roten Kreuz organisierten Transporten an die jeweiligen Fronten gebracht. Aus den ersten Kriegswintern gibt es Berichte von Personen, die im Auftrag des Roten Kreuzes »als Weihnachtsmann nach Frankreich«6 oder »in Christkinds Diensten«7 solche Liebesgabentransporte begleiteten. Ausgesucht wurden für diese ehrenamtliche Tätigkeit »Männer aus verschiedenen Volks- und Berufskreisen«8, häufig Personen des »halböffentlichen« Lebens wie Pastoren und Professoren. Ihre Aufgabe bestand zum einen darin, darüber zu wachen, daß die Waggons mit den Liebesgaben unversehrt bei den vorgesehenen Truppenteilen ankamen. Zum andern fungierten sie als Multiplikatoren für Nachrichten von der Front an die Heimat und umgekehrt. Von offizieller Seite »wurde als Zweck der Reise ... die Beobachtung und Sammlung von Eindrücken aus der kämpfenden Front, die Verarbeitung derselben und Mitteilung des Geeigneten im weitesten Bekanntenkreise in der Heimat gewünscht«.9 Das »Geeignete« hieß im Klartext: gute Nachrichten. Zu einem Zeitpunkt, da die anfängliche euphorische Siegesgewißheit Ernüchterung und Mißstimmung gewichen war, sollte mit positiven Berichten von den heldenhaften und ausdauernden Truppen Optimismus verbreitet und die Gewißheit vermittelt werden, »daß unser Sieg zwar langsam, aber deswegen nicht weniger sicher erreicht wird«'°.

Versorgungsschwierigkeiten mit Grundnahrungsmitteln gab es in der Heimat schon Anfang 1915. Geringe Ernten in den folgenden Jahren und die Blockade der Alliierten für die Zufuhr von Nahrungsmitteln verschlechterten die Ernährungslage vor allem der städtischen und der Industriebevölkerung dramatisch. Die Folge war »eine Stimmung der städtischen Bevölkerung, die keinen Vergleich mehr aushält mit der inneren Erhebung der ersten Kriegsmonate«". Schon im Frühjahr 1916 kam es aufgrund der miserablen  Versorgungslage zu öffentlichen Protesten. Stagnation an den Fronten, zunehmende Verschärfung der politischen und wirtschaftlichen Spannungen, neuerlich gestrichene Brotrationen und die russische Revolution im Februar 1917 wirkten zusammen und führten im Frühjahr 1917 zu den großen Streiks der Arbeiterschaft.12 Unruhen und Ausfälle gab es auch in der Marine. Mit dem Ruf »wir vergessen Euch nicht«13 sollte 1917 zum vierten Kriegsweihnachten noch einmal das Band zwischen Heimat und Front beschworen und der nicht mehr zu übersehenden Demoralisierung entgegengewirkt werden. Die Person des Kaisers wurde als IntegrationsTigur eingesetzt, um den erlahmenden Kampfgeist anzuspornen und den Menschen zu suggerieren, daß der Kampf nicht verloren ist, wenn nur das ganze Volk gemeinsam alle Kräfte anspannt. Für die Weihnachtsliebesgaben 1917 übernahm Kaiser Wilhelm II. höchstselbst die Schirmherrschaft. Angesichts der verheerenden Ernährungssituation im Land konnte es sich aber fast nur noch um symbolische Gaben handeln, die ein wahres Opfer darstellten. Unter dem Motto »Kaiser- und Volksdank für Heer und Flotte - Weihnachtsgaben des deutschen Volkes 1917« wurde seit dem Frühjahr an der Organisation dieser Weihnachtsliebesgabenkampagne gearbeitet. Ein geschäfts- führender Arbeitsausschuß legte die Werbestrategie und die Verwendung des Erlöses fest. Vom 20. August bis zum 1. November 1917 sollte gezielt für die Sammlung geworben werden. Das gesamte Werbematerial sollte in künstlerischer Form unter der Leitung von Professor E H. Ehmcke aus München angefertigt werden. Es umfaDte Aufrufe, die plakatiert und in Zeitungen abgedruckt wurden, sowie BildplaLate. Ferner Rundschreiben, die - entsprechend dem Kreis der Adressaten - unterschiedlich gestaltet werden sollten, zum Beispiel »in vornehmer Ausstattung an ausgewählte Privatadressen (wohlhabende Kreise, Gutsbesitzer usw.)«14 Weitere Adressaten waren Banken und Zeitungen, die auch als Sammelstellen fungierten, Vereine, größere Geschäfte, Stadt- und Landschulen sowie die Ersatztruppenteile und die militärischen Behörden des jeweiligen Korpsbezirks. An sämtlichen Anschlagsäulen, größeren Geschäften, Bahnhöfen, Postanstalten, Hotels, Gastwirtschaften, bei Behörden mit zahlreichem Verkehr, elektrischen Straßenbahnen, bei allen Banken und sonstigen Annahmestellen sollten die Plakate angebracht werden. Selbst an die deutschen Konsulate wurde das Werbematerial verschickt, damit auch die Reichsdeutschen im Ausland ihr Scherflein bei- steuern sollten.

Von dem Erlös waren 70 Prozent zur Anschaffung von Liebesgaben für die Kampitruppen vorgesehen, 30 Prozent mußten an den Arbeitsausschuß in Berlin abgeTührt werden. Von diesen 30 Prozent wurden die Kriegsgefangenen bedacht, wurden die Weihnachtsfeiern in den Soldaten- und Marineheimen bestritten, »ein kleiner Teil« für allgemeine Wohlfahrtszwecke für Heer und Marine verwendet und die Unkosten für die Werbekampagne gedeckt.

Die diversen kriegsbedingten Wohltätigkeitsveranstaltungen galten nicht immer nur den Soldaten an der Front. Die berufliche und soziale Reintegration der vielen Kriegsbeschädigten bot der Sozial- und Wohlfahrtspflege ein weites Betätigungsfeld. Bei den heimkehrenden Kriegsversehrten das Gefühl der Nutzlosigkeit abzubauen, ihnen wieder Lebensmut und Lebenssinn zu geben und sie zu gleichwertigen, erwerbsfähigen Mitgliedern der Gesellschaft zu machen, war das Ziel der »Kriegskrüppelfürsorge«.

Zur Weihnachtszeit wurden vielerorts Verkaufsausstellungen mit handwerklichen Arbeiten von Kriegsbeschädigten organisiert. Die zuständigen Kriegsfürsorgestellen bezweckten damit eine Demonstration der eigenen Leistung wie auch der Leistungsfähigkeit der Kriegsbeschädigten. Sie wollten beweisen, daß »unsere Kriegsbeschädigten nicht verloren sind, sondern daß sie sehr wohl in die Lage kommen können, in ihrem früheren Beruf wertvolle Arbeit zu leisten oder in einem neuen Beruf eine Existenzmöglichkeit zu finden«.15

Anmerkungen:

' »Die Woche«, Nr. 48, vom 25. November 1916.
2 Wie Anm. 1.
3 »Berliner Lokal-Anzeiger« vom Sonntag, 7 November 1915.
4 Wie Anm. 1.
5 Vgl. Anm. 3 und: Mit Liebesgaben nach Osten und Westen. Kriegseindrücke von Alfred Just. Pastor an St. Salvator in Breslau, Berlin 1915.
6 Wie Anm. S (Mit Liebesgaben ), S. 7
7 Wie Anm. S (Mit Liebesgaben ), S. 18.
8 Bei badischen Truppen an der Westfront mit einem Liebesgaben-Transport. Aufzeichnungen von E. A. Wülling, Heidelberg 1916, 5. 3.
9 Wie Anm.8, S. S.
10 Wie Anm. 8., S. 3.
11 Bundesarchiv, Potsdam, Reichskanzlei, R 43/2427-2428, Bl. 2.
12 Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Das deutsche Kaiserreich 1871-1918, Göttingen 1988, S. 206.
13 Bundesarchiv, Koblenz, Reichsaußenministerium, R 85/2478.
14 Wie Anm. 13.
15»Berliner Lokal-Anzeiger« vom 19. November 1917

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