Die Nationalversammlung in der Paulskirche 1848

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3. Welche Aufgaben und Kompetenzen hatte die Nationalversammlung?

Als die Abgeordneten am 18. Mai 1848 nach ihrem triumphalen Einzug in die Paulskirche zum ersten mal tagten, lag eine bislang beispiellose Aufgabe vor ihnen. Ganz Deutschland beobachtete mit Spannung die Sitzungen des ersten nationalen Parlamentes, da es von ihm erwartete, das in einen wahren Flickenteppich zersplitterte Land in einem einzigen Staat zu vereinen. Eine Verfassung sollte nicht nur die rechtliche Grundlage dafür schaffen, sie sollte auch jedem Bürger die ersehnte Freiheit und Sicherheit garantieren. Da die Nationalversammlung zwar gewählt, aber von den einzelstaatlichen Potentaten nur unter dem Druck der Revolution mit der Staatsbildung beauftragt worden war, galt es zudem, die Volksouveränität gegen die wiedererstarkenden Monarchien zu verteidigen. Das konnte ohne reguläre Truppen nicht militärisch, sondern musste auf diplomatischem Wege geschehen.

Stets galt es auch die Bevölkerung vom Tun und der Rechtmäßigkeit der Nationalversammlung zu überzeugen. Die bedingungslose Öffentlichkeit aller Sitzungen und Entscheidungen, die Protokolle, die Möglichkeit, an Debatten teilzunehmen und Anträge einzubringen, trugen dazu bei, ein nationales und politisches Bewusstsein zu schaffen. Jede Petition und Initiative wurde im eigens dafür eingerichteten Ausschuss beraten und nach Möglichkeit in eine beschlussfähige Vorlage für das Plenum vorbereitet. Ein volkswirtschaftlicher Ausschuss sammelte u.a. Berichte über die Lage der Bauern im gesamten Bundesgebiet, um die Reste der feudalen Herrschaft effektiv beseitigen zu können.

Um dem Anspruch gerecht zu werden, Deutschland nach Außen zu vertreten und nach Innen zu verwalten und zu reformieren, schuf das Parlament im Juni 1848 eine „provisorische Zentralgewalt“. Ohne Rücksicht auf die einzelstaatlichen Regierungen, aus eigener Souveränität, sollte diese „vollziehende Gewalt“ alle Angelegenheiten regeln, „welche die allgemeine Sicherheit und Wohlfahrt des deutschen Bundesstaates“ betrafen. Doch genau das sollte das Problem des Reichsverwesers Johann und seiner fünf Minister sein. Die Verfügungsgewalt ließ sich nicht einfach übernehmen. Lord Cowley, der englische Gesandte in Frankfurt, konstatierte treffend: „Eine Kammer, die gleichzeitig verfassungsgebend und exekutiv sein will – eine Regierung mit nichts zu regieren. Ein Reichsverweser ohne Reich. Was für eine Kinderei.“

Oft wurde der Nationalversammlung später vorgeworfen, sie hätte sich in ihre parlamentarisch-bürokratische Kleinarbeit verzettelt, ihre eigentliche Aufgabe, die Verfassung, zu stark verzögert und damit der Reaktion Zeit gegeben, die Macht zurückzuerobern. Angesichts der organisatorischen Schwierigkeiten und der stets durch die Länderregierungen eingeschränkten Kompetenzen ist den Abgeordneten aber mit der am 27. März 1849 verabschiedeten Verfassung ein bedeutendes, bis dahin beispielloses Werk gelungen. Die Arbeit in der Paulskirche hatte zudem eine so starke nationsbildende Wirkung, dass letztlich die tatsächliche Reichsgründung 1871 erst dadurch möglich wurde.