Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
Vorwort
Einführung
Abbildungsteil
Regionale Zentren
Dokumentation
Anhang

Der Drang nach Freizügigkeit äußerte sich auch in Aufenthalten im Nachbarland Polen. Verbotene Bücher, westliche Platten und die ersten Joints – das ‘Bruderland’ östlich der Oder wurde ab Ende der 60er Jahre von wahren Pilgerzügen aus der DDR heimgesucht. Die Ostdeutschen, zumeist ausgestattet mit Hirschbeuteln, Jesuslatschen und Fleischerhemden aus dem VEB Arbeitsbekleidung, trampten in den Sommermonaten zu den Warschauer Jazz-Festivals, zur Krakauer Grafik-Biennale oder in die polnischen Universitätsstädte, wo etwa in den Freihandbibliotheken und künstlerischen Fachbereichen auch Westliteratur zu bekommen war und wo internationale Kontakte geknüpft werden konnten. In den 70er Jahren traf man beispielsweise viele an neuen Medien interessierten DDR-Künstler in Lodz, wo sie an Vorführungen der Werkstatt für Filmgestaltung an der Staatlichen Schule für Film, TV und Theater teilnahmen, oder im Trickfilm-Atelier an der Krakauer Akademie.

Von diesem emphatischen Geist des Aufbruchs waren auch etliche Kommune-Versuche in Erfurt, Halle und Ostberlin getragen, die jedoch mit dem Problem umzugehen hatten, daß eine Übernahme westlicher Organisationsformen auf den Boden einer autoritär verfaßten Gesellschaft bald schon zu enormen Legitimationsproblemen führen mußte. Diese Erfahrungen machten etwa die Kommunarden in der Hallenser Kellnerstraße, die im Verfall der Altstadt sich bietende Freiräume nutzten und ab Ende der 60er Jahre einige Wohnungen für ihr Lebensmodell okkupieren konnten. Die anfangs noch zaghaften Wohnungs- und Hausbesetzungen wurden wenig später in den verrottenden Altbaukernen der Dresdner Neustadt, des Prenzlauer Bergs oder im Leipziger Osten zu einem massenhaften Phänomen. Der Einzug in solche zum Abriß vorgesehenen oder leerstehende Bauten war nach Gesetzeslage zwar illegal, wurde von den überforderten Kommunalen Wohnungsverwaltungen aber zumeist toleriert und hingenommen, zumal die ‘Besetzer’ sich durch pünktliche Mietzahlungen bemühten, die inoffizielle Ursupation nachträglich zu legalisieren. “Wir fühlten uns als Teil der Beat-Generation”(20), erinnert sich der einstige Hallenser Kommunarde Volker Petzold, der damals Kultbücher wie Jack Kerouacs “Gammler, Zen und hohe Berge” Seite für Seite abfotografierte. Die zahlreichen Filme wurden in der zum Labor umfunktionierten Küche selbst entwickelt, und Volker Petzold stellte dann in nächtelangen Arbeitsaktionen eine Kopie des Buches mittels Echtfoto-Abzügen her. Dies war eine bis zum Ende der DDR weit verbreitete Methode, das Vervielfältigungsmonopol des Staates zu unterlaufen. Die Kommuneversuche in Halle endeten jäh, als die Staatssicherheit 1973 ein Exempel gegen einen Kreis statuierte, der sich als DDR-Sektion der trotzkistischen 4. Internationale verstand und mit den anderen Gruppen in der Kellnerstraße in einem Arbeitskreis lose vernetzt war. “Nachdem ein ‘Generalsekretär’ 1973 bei einer Sauftour die Mitgliederkartei der DDR-Sektion verlor”, schreibt Wolfgang Rüddenklau in seiner Oppossitonsgeschichte, “schlug die Stasi zu. In Halle und anderen Städten gab es im Herbst 1973 reihenweise Verhaftungen.”(21)

Ein anderes Beispiel war die Kommune um drei Kinder des Regimekritikers Robert Havemann in Ostberlin, die ab Juni 1969 bis 1973 in wechselnden Wohnungen bestand. Die Kommune bildete sich aus einem Freundeskreis, zu dem neben Frank und Florian Havemann noch Klaus Labsch, Erika Berthold, Rosita Hunzinger, Thomas Brasch, Sandra Weigel sowie Gert und Franziska Großer, eine Tochter Havemanns, gehörten. Durch die Ereignisse in Prag und vor allem durch Fidel Castros Verteidigung des Einmarsches der Sowjetpanzer in der Moldau-Stadt kam es bereits früh zu einer Spaltung – ein großer Teil verließ enttäuscht und desillusioniert das Land.

Die in der DDR verbliebenen Kommunarden distanzierten sich nicht nur vom Idol Castro, sondern auch von den zum Teil leiblichen ‘Über-Vätern’ Robert Havemann und Wolf Biermann, weil deren dissidentische Sicht auf die Entwicklung des Staatssozialismus nicht zu verbinden war mit dem kollektiv verspürten “Mut zur Illusion”(22), wie Karl Wilhelm Fricke einmal den charakteristischen Movens in den 70er Jahren bezeichnete. Die Ostberliner Kommune versuchte ihre Lebensform bei den staatlichen Organen sogar als sozialistisches Modell einer fortschrittlichen Lebensweise zu propagieren – ein Vorschlag, der freilich mit ignorantem Schweigen beantwortet wurde. Den Alltag und die politische Weiterbildung in der Kommune regelte ein Statut und eine Haushaltsordnung. In den Grundsätzen war das Zusammenleben wie folgt festgelegt: Alle monatlichen Einnahmen kamen vollständig auf ein Girokonto, von dem Miete, Gas, Strom und Zeitungskosten über Daueraufträge bezahlt wurden. “Jeden Montag”, so heißt es in dem für alle verbindlichen Katechismus weiter, “wird ein Betrag von 200 Mark für Essen, Zigaretten, Haushaltskram, Fahrgeld, Schnaps, Kino etc. vom Girokonto abgehoben. Der Verbrauch des Geldes wird über ein Haushaltsbuch kontrolliert. Für dieses Buch ist für je 2-3 Monate ein Mitglied verantwortlich. Jedes Wochenende wird der Etat überprüft und Schlußfolgerungen gezogen.”(23)

Während die Kommunarden anfangs dem Vorbild der Westberliner Kommunen I und II nacheiferten – in der ersten Zeit kam auch ein persönlicher Kontakt zu Fritz Teufel und Rainer Langhans zustande – und von antiautoritären Erziehungskonzepten, freier Sexualität und psychoanalytisch betriebener Selbstfindung begeistert waren, traten im Laufe der Zeit politische Ansprüche in den Vordergrund. Wandzeitungen, Zeitungsschauen und das gemeinsame Studium der ‘Klassiker’, insbesondere der Schriften von Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Lenin, bestimmten zunehmend das einstmals wilde Kommune-Leben. Eine Kommune als selbstbestimmte Lebensform war indessen in der DDR nicht lange aufrecht zu erhalten, sind sich die einstigen Kommunarden heute einig. Als die Staatsmacht der in einer Fünf-Zimmer-Wohnung lebenden Gruppe über die Kommunale Wohnungsverwaltung das geräumige Domizil abspenstig machte, zerbrach das Projekt. Später gingen die Kommunarden in ihrer Strategie des Marsches durch die Strukturen so weit, daß sie kollektiv in die SED eintraten und teilweise eine Arbeit für das Ministerium für Staatssicherheit nicht mehr auschlossen. “Wir wollten die ‘bürgerliche Familie’ zerstören”, erinnert sich Frank Havemann an die Kommunardenjahre, “und die Kommune wollten wir nicht gefährden durch Gegnerschaft gegen die DDR, gegen den Staat. Das war illusionär und ging nicht lange gut. Bald kamen dann auch die Probleme, die alle Kommunen haben – mit dem Abwaschen und dem Geldausgeben. Ich habe als Ausweg nur gesehen, daß man etwas gemeinsam produzieren muß, eine gemeinsame politische Praxis.”(24)


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