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Mit dem 19. Jahrhundert begann auch eine neue Epoche für die Entwicklung der Jagdwaffen, die durch den industriellen Fortschritt und die Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft wesentlich vorangetrieben wurde. Die gesellschaftlichen Veränderungen in England und Frankreich griffen tief in das Jagdwesen ein. In Deutschland wurden erst im Revolutionsjahr 1848 die adligen Jagdprivilegien aufgehoben. Mit der Bindung des Jagdrechts an den Besitzstand kamen bürgerliche Kreise verstärkt in den Genuß der Jagdausübung50
Eckardt, S. 287 ff.
. (Kat.-Nr.43, 66)

Die entscheidenden Impulse zur Entwicklung neuer Waffensysteme gingen jetzt von den Militärwaffen aus. Der industrielle Fortschritt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die Konkurrenz zwischen den Waffenfirmen in Europa und den USA sowie die zahlreichen Kriege schlugen sich in immer neuen Waffensystemen nieder. Konstruktive Neuerungen werden im zivilen Sektor nur teilweise übernommen und folgen mit zeitlicher Verzögerung. Teilweise kommt es auch zu parallelen Entwicklungen. Im Bestand des DHM wird die Entwicklung der zivilen Waffe dieser Zeit nur noch in geringem Maße dokumentiert. Die Dominanz der militärischen Objekte als Resultat einer langen Sammlungsgeschichte läßt für diesen Zeitabschnitt einzig eine auf wenige Beispiele bezogene Darstellung zu.

Die bürgerliche Entwicklung und der damit verbundene ästhetische Wandel erfaßte auch das Gewerbe der Büchsenmacher, die sich auf technische Veränderungen und die neuen Kundenwünsche rasch einstellten. Bereits nach kurzer Zeit setzte sich das 1807 erfundene Perkussionsschloß durch. Mängel der Steinschloßwaffen ließen sich damit beseitigen, aber die Waffen waren nicht billig. So blieb das neue System zunächst auf Jagdwaffen beschränkt. Perkussionsgewehre für die Jagd wurden in Deutschland noch lange nach der Erfindung brauchbarer Hinterlader hergestellt. In Österreich, Frankreich und Belgien reichte diese Tradition bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Perkussionswaffen mit gezogenem Lauf zeichneten sich durch Robustheit und hervorragende Schußleistung aus und brachten der Büchsenmacherkunst nochmals einen technischen und künstlerischen Höhepunkt51
Durdík/Mudra/Sáda, S. 80.
. Die modernen Fertigungsmethoden und die Entdeckung chemischer Zündstoffe boten neue Möglichkeiten zur Entwicklung von Hinterladern. Prinzipiell ging es um die Verbesserung der Schloßsysteme und um die Entwicklung neuer Patronen. Um 1825 hatte der französische Büchsenmacher Casimir Lefaucheux ein Kipplaufgewehr mit einem sicheren Verschlußkasten entwickelt. Mit der Produktion von Waffen mit schwenkbaren Blockverschlüssen und vor allem mit der Entwicklung der Zylinderverschlüsse wurde eine neue Etappe in der Waffentechnik eingeleitet.

Das Problem des gasdichten Verschlusses war lange Zeit nicht zu lösen, denn für Hinterlader wurden anfangs noch Papier- und Leinenpatronen eingesetzt. Zu den Pionieren auf diesem Gebiet gehörte Lefaucheux, der die erste gasdichte Patrone entwickelte. Dabei verwendete er einen Zündstift, der aus dem Laufende herausragte und den Hahnschlag aufnehmen konnte. (Kat.-Nr.67) Die Stiftzündung blieb im wesentlichen auf Jagd- und Zivilwaffen beschränkt und fand bei den Militärwaffen kaum Verwendung. Einen weiteren Fortschritt stellte die Erfindung der Randzündung durch den Pariser Büchsenmacher Louis Nicolas Auguste Flobert (1848) dar. Bei der Randzündung traf der Schlagbolzen auf dem Patronenrand auf, wobei das unter dem Rand liegende Laufende als Widerlager diente. Die Kugel wurde in ein großes Zündhütchen gesetzt und von der Energie der Zündmasse getrieben. Am besten geeignet für einen Hinterlader waren die Patronen mit Zentralfeuerzündung. Die entsprechenden Schrotpatronen wurden ab 1852 und die Büchsenpatronen ab 1865 massenweise hergestellt.

Mit der Beteiligung bürgerlicher Personen an der Jagd stieg der Bedarf an doppelläufigen Jagdgewehren sprunghaft an, denn die neuen Jäger hatten keine Dienerschar, die immer ein geladenes Gewehr bereithalten konnte. Sie waren deshalb an Waffen interessiert, mit denen man zumindest zwei Schuß abgeben konnte. Diese Entwicklung wurde auch durch einen technischen Aspekt gefördert, denn moderne Fertigungsmethoden ermöglichten es, Läufe aus hochwertigem Stahl herzustellen, so daß eine Zwillingsbüchse des 19. Jahrhunderts leichter war als eine schwere Jagdbüchse vergangener Zeiten52
Dolínek/Durdík, S. 261/262.
. (Kat.-Nr.64) Bei Doppelflinten hatte der Büchsenmacher darauf zu achten, daß sich die Läufe in gleicher Höhe befanden und sich nicht kreuzten: Der linke Lauf durfte nicht nach rechts und der rechte Lauf nicht nach links schießen. Häufig ist an diesen Waffen die Visierschiene geriffelt, um Lichtreflexe zu vermeiden. Bei den brünierten Läufen war eine solche Riffelung hingegen nicht notwendig. Die mehrläufigen Waffen sollten nicht nur leichter sein, sondern sich auch einfacher bedienen lassen. Für die unterschiedlichen Typen dieser Gruppe bürgerten sich bestimmte Bezeichnungen ein, die noch heute gültig sind. Die Kombination von zwei übereinander liegenden gezogenen Läufen bezeichnete man als Bockbüchse, ein Gewehr mit einem glatten und einem gezogenen Lauf, ebenfalls übereinander liegend, wurde Büchsflinte genannt. Gewehre mit nebeneinander montierten Läufen bezeichnete man als Zwilling, unabhängig davon, ob es sich um gezogene oder glatte Läufe bzw. die Kombination beider handelte. Bei einem Drilling wurden zwei nebeneinanderliegende Schrotläufe mit einem darunter liegenden gezogenen Kugellauf kombiniert. Der erste Drilling mit Hinterladersystem wurde 1878 hergestellt. Die meisten Perkussionswaffen mit zwei Läufen hatten auch zwei Schlösser. Schwieriger war die Anordnung der Schloßmechanik an Bockgewehren, bei denen die Läufe übereinander lagen. Die Erfindung des Zündnadelgewehrs durch Johann Nikolaus Dreyse aus Sömmerda (1836) stellte auch für die Jagdwaffenproduktion einen deutlichen Einschnitt dar. Dreyse konstruierte einen Zylinderverschluß, der eine ausbaufähige Lösung für den gasdichten Verschluß an Hinterladern darstellte. Die dazu entwickelte Einheitspatrone, zunächst noch mit Papierhülle, vereinigte erstmals alle notwendigen Elemente einer modernen Infanteriewaffe. (Kat.-Nr.61, 63) Die Weiterentwicklung des preußischen Zündnadelgewehrs konzentrierte sich auf den militärischen Bereich, aber der letzte einschüssige Hinterlader aus deutscher Produktion, das Mausergewehr Modell 1871, wurde von den Jägern zu einer Zivilwaffe umfunktioniert. Die Einführung der Repetiergewehre (Mehrladegewehre) leitete für die Jagdwaffen eine neue Ära ein. Vom Mausergewehr Modell 98 führte der Weg zu den verschiedenen Modellen der Repetierbüchsen. Die Mauserwerke in Oberndorf brachten zusammen mit der Berliner Firma Ludwig Löwe & Co. im Jahre 1908 eine Jagdbüchse mit der Modellbezeichnung 98/08 heraus. Die bei den Jägern sehr beliebte Büchse wurde in zahlreichen Ausführungen und in den Kalibern von 6,5 mm bis 10,75 mm hergestellt (Kat.-Nr.69, 70) Auch Schrotflinten kamen als Mehrladegewehre auf den Markt. Die industriemäßige Herstellung von Jagdwaffen mit auswechselbaren Teilen gelang 1880 der bekannten Jagdfirma Sauer & Sauer in Suhl. Neue Entwicklungen brachte die Erfindung des rauchschwachen Pulvers (1886) mit der Verkleinerung des Kalibers und dem Einsatz neuer Stahlsorten für die Produktion der Läufe aus dem Siemens-Martin-Stahl.

Da die Büchsen teurer waren als Flinten, schossen die Jäger noch im 19. Jahrhundert mit Kugel- munition aus glatten Läufen und nahmen die Treffer- ungenauigkeit damit in Kauf53
Dolínek/Durdík, S. 250.
. Waffen mit mehr- eren Läufen wurden mit Kipplaufverschlüssen aus- gestattet. Dabei war der Lauf mit dem Verschluß- kasten (Baskül), in dem die Verschluß- und Schloß- bestandteile untergebracht sind, durch ein Scharnier verbunden. An den Verschlüssen wurden zahlreiche Verbesserungen erreicht, wobei die Verriegelung des Laufs mit dem Gehäuse auf verschiedene Weise gelöst wurde54
Mahrholdt, S. 420.
. Eine spezielle Neuentwicklung waren Flinten mit Exzenterverschluß und innenliegenden Hähnen. (Kat.-Nr.65) Auch neue Schloßsysteme wurden für die Kipplaufwaffen entwickelt, wobei für die Jagdgewehre die in England konstruierten selbstspannenden Schlösser von Anson & Deeley und Holland & Holland neue Maßstäbe setzten. Die Einführung der Metallpatronen brachte für die hahnlosen Selbstspannergewehre neue technische Möglichkeiten. An den englischen Büchsen wurden die Metallpatronen oder die Schrotpatronen aus Pappe durch einen Patronenauswerfer (Ejektor) automatisch ausgeworfen. Dadurch war eine schnellere Schußfolge möglich, denn der Schütze brauchte seine Waffe nicht mehr zu entladen.

Wesentliche Einflüsse auf die Jagdwaffenindustrie in Deutschland hatte die Entwicklung in den USA und England. Zu den amerikanischen Produkten, die auf dem europäischen Markt große Verbreitung fanden, gehörten die Jagdgewehre mit einem Drehblockverschluß der Marke Remington, die viele Jahre in allen gängigen Kalibern geliefert wurden. Am bekanntesten wurde das Winchester-Jagdgewehr. (Kat.-Nr.71) In Deutschland bevorzugten die Jäger trotz zahlreicher Neuerungen weiterhin Zwillingsflinten mit Kipplauf. Sehr beliebt waren die Bockflinten der Firma Merkel in Suhl. (Kat.-Nr.72) Trotz der gestiegenen industriellen Fertigung und des Einsatzes von Automaten sowie Präzisionsmaschinen spielte die handwerkliche Erfahrung bei der Herstellung hochwertiger Jagdwaffen noch immer eine große Rolle.

Auch die künstlerische Gestaltung der Waffen knüpfte mit neuen Elementen an alte Tradionen an und gewann eine eigene Formensprache. Man verwendete Musterbücher als Vorlagen, wobei neogotische Stilelemente und der Historismus auch diesen Bereich des Kunsthandwerks bestimmten. Nach verbesserten Verfahren wurde die Vorlage auf die Metallteile übertragen und mit speziellen Werkzeugen eingestochen und eingeschlagen. Randgravierungen in Verbindung mit Muschelverzierungen am Verschlußkasten wurden bei feineren Jagdgewehren angewandt. Die englische und Prager Gravur unterscheiden sich in der Wahl der Motive. Halberhabene Jagd- und Blättergravuren wurden nach dem Härten häufig silbergrau gebeizt. (Kat.-Nr.68) Oberflächenbearbeitung der Läufe, wie Bräunung oder Bläuung, fand auch bei den hochwertigen Stahlsorten Anwendung. Verbesserungen der Schaftformen verknüpften ästhetische und praktische Aspekte. Die Blankwaffen wurden mit vergleichbaren Motiven verziert. (Kat.-Nr.18, 19, 21) Neue Stahlsorten und Fertigungsmethoden bestimmten die Klingenherstellung, die wie die Feuerwaffenproduktion zu einem großen Industriezweig anwuchs. Zur Standardausrüstung des Jägers gehörte allerdings nur noch der Hirschfänger, alle anderen Blankwaffen fanden keine Verwendung mehr.

Von einzelnen Beispielen abgesehen, bricht um 1900 die Sammlung der Jagdwaffen im DHM ab. Als Produkt der Sammlungskonzeption im Zeughaus wurde die Jagdwaffe für die Waffentechnik der neueren und neuesten Zeit immer mehr zum Nebenaspekt. Hier endet unser Gang durch die Jahrhunderte der Jagdwaffenentwicklung und die Sammlung des DHM.